Das Immunsystem ist als primärer Abwehrmechanismus in ein fein abgestimmtes Zusammenspiel mehrerer physiologischer Systeme zur Aufrechterhaltung der Homöostase eingebunden [1]. Körperliche Aktivität ist ein belastungsinduzierter Stress mit einer komplexen Reaktion, der u. a. die Gewebehomöostase stört und regulatorische Signalwege aktiviert. Durch die Belastung wird eine vorübergehende immunologische Stressregulation hervorgerufen [2].
Immunologische Anpassung an akute körperliche Belastung
Bereits während und unmittelbar nach einer körperlichen Aktivität, die eine bestimmte Schwelle neuroendokriner Aktivierung übersteigt (kurze intervallartige oder kontinuierliche über mind. ca. 20 Minuten andauernde Belastungen), werden Leukozyten (v. a. Lymphozyten und neutrophile Granulozyten) schnell aus ihren Reservoiren in den Blutkreislauf mobilisiert (Abb.). Es wurde mehrfach nachgewiesen, dass nach Beendigung der Aktivität die Anzahl der Blutlymphozyten um bis zu 30 – 50 % unter den Wert vor Belastung sinkt [3, 4], was auf deren Umverteilung in Gewebe, wie Lungen, Peyer‘schen Plaques und das Knochenmark zurückzuführen ist [5]. Da v. a. Leukozyten mit hoher Effektorfunktion und ausgereiften Phänotyp mobilisiert und umverteilt werden, wird dies nicht als Zeichen für ein „open window“ für Infektionen, sondern für eine gesteigerte Immunüberwachung in Geweben mit hohem Potenzial für Antigenbegegnungen interpretiert [6]. Darüber hinaus wird vermutet, dass die Umverteilung reifer Lymphozyten einen „immunologischen Raum“ schaffen könnte, der anschließend von naiven Lymphozyten aufgefüllt wird, um so dem Nachlassen der Leistungsfähigkeit des Immunsystems entgegenzuwirken [6]. Auch durch die Stimulation Zytokin abhängiger entzündungshemmender Signalwege sind diese Prozesse im Wesentlichen daran beteiligt, dass regelmäßige körperliche Aktivität mit niedrigerem Auftreten von Insulinresistenz, Arteriosklerose und Neurodegeneration assoziiert ist und die Homöostase des Immunsystems modulieren kann, indem sie beispielsweise die Anzahl der regulatorischen T-Zellen als einen zentralen entzündungshemmenden Regulator erhöht [7].
Bedeutung angemessener Regeneration
Abhängig von der Intensität und Dauer einer akuten körperlichen Belastung sowie des individuellen Trainingszustandes des Athleten dauert die Wiederherstellung der zirkulierenden Leukozytenzahlen normalerweise nicht länger als 24 Stunden. Eine Beeinträchtigung einiger immunologischer Parameter kann nach längerer oder sehr intensiver Übung auftreten, oder wenn eine angemessene Erholung vernachlässigt wird. So existieren Hinweise, dass intensives und anhaltendes Training die Konzentration und die Sekretionsrate von Immunglobulin A im Speichel [8] sowie die Zytotoxizität von NK-Zellen [9, 10] negativ beeinträchtigen könnte. Außerdem wurde berichtet, dass nach körperlichen Belastungen der oxidative Burst der Neutrophilen in Abhängigkeit von der Intensität der Aktivität und der Kohlenhydrataufnahme verändert sein kann [11, 12]. Dementsprechend kann Training im Glykogenmangel eine supprimierte T-Zell-, NK-Zell- und Neutrophilenfunktion verursachen [3], die durch eine Kohlenhydrataufnahme von 30 – 60 g pro Stunde gedämpft werden könnte [3, 13]. Ebenso wurde chronischer Schlafentzug mit fehlfunktionellen Immunprozessen und einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen in Verbindung gebracht [14]. Dies beruht im Wesentlichen auf der Tatsache, dass Schlaf über die zirkadiane Periodizität der Hormonsekretionen die Immunfunktionen reguliert [15], weswegen gerade während intensiver Trainingsphasen ausreichend Schlaf priorisiert werden sollte, um eine Leistungsbeeinflussung durch Immundysregulation zu verhindern.
Wiederherstellung der muskulären Homöostase
Eine ebenso große Rolle wie in der Infektabwehr spielt eine optimale Immunfunktion in der adaptiven Umgestaltung des Muskelgewebes nach dem Training. So induzieren Schäden an der Myofibrillenstruktur komplexe zelluläre Prozesse, die von Immunzellen orchestriert werden und damit enden, dass nicht-phagozytische M2-Makrophagen die Synthese von Bindegewebe, die Proliferation von Myoblasten und somit die Myogenese fördern [16, 17]. Der regelrechte Ablauf dieser Prozesse könnte durch unzureichende Erholung oder Nährstoffzufuhr kompromittiert werden.
Literatur
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Autoren
ist Sportwissenschaftler (M.Sc.), Physiotherapeut (B.Sc.) und Student der Humanmedizin. Aktuell ist er Doktorand am Lehrstuhl für Sportmedizin und Gesundheitsförderung der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er beschäftigt sich mit den Zusammenhängen zwischen Bewegung und verschiedenen Aspekten der Immunfunktion.
ist Leiter des Instituts für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln und Vorsitzender des Deutschen Forschungszentrum für Leistungssport Köln (momentum). Er beschäftigt sich mit molekularen und zellulären Anpassungsmechanismen auf körperliche Aktivität unter physiologischen und pathophysiologischen Bedingungen.
ist komm. Leiter des Lehrstuhls für Sportmedizin und Gesundheitsförderung der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sein Forschungsschwerpunkt Immunobiology and Physiology of Exercise beschäftigt sich mit belastungsinduzierter und infektbasierter immunologischer Stressregulation sowie post-infektösen Langzeitfolgen.