Handball ist schnell, stark, straight forward – und birgt ein hohes Verletzungsrisiko! Dazu tragen neben der für komplexe Sportspiele typischen Vielzahl an hochintensiven Bewegungsabläufen auch die ständigen, teilweise sehr unkontrolliert einwirkenden Körperkontakte bei. Ein weiterer ernstzunehmender Faktor ist die zunehmende Wettkampfdichte, die im Spitzenhandball bis zu 70 Einsätze pro Saison für Verein und Nationalmannschaft betragen kann.
Es ist daher nachvollziehbar, dass einige der weltbesten Handballspieler (w und m) in jüngerer Vergangenheit mahnend ihre Hand erhoben haben. Ein Paradebeispiel ist der deutsche Abwehrriese Hendrik Pekeler. Der 2020 als bester Spieler des Champions League Final4 und Deutschlands Handballer des Jahres ausgezeichnete Kreisläufer hatte mehrfach öffentlichkeitswirksam die zu hohe Belastung in der LIQUI MOLY Handball Bundesliga angeprangert und letztlich auch seine persönliche Konsequenz gezogen, indem er aus der Nationalmannschaft zurücktrat, um das Pensum auf Vereinsebene stemmen zu können. Dennoch verletzte er sich im Mai 2022 schwer und feierte erst kürzlich sein vielumjubeltes Comeback.
Reduzierung des Verletzungsrisikos
Eine Modifikation der Wettkampfpläne hätte das Potenzial, das Verletzungsrisiko zu reduzieren. Ein möglichst individualisiertes Monitoring als Basis für ein adäquates Belastungs- und Regenerationsmanagement hat das auch. Monitoring bedeutet in diesem Zusammenhang das systematische Erfassen von ausgewählten Parametern, um die eigentliche Belastung und durch sie verursachten individuellen Beanspruchungs- und Erholungsprozesse zu messen. Daraus soll der akute Regenerationsbedarf und die Bereitschaft für die nächste Trainings- oder Wettkampfbelastung (engl. Readiness oder Preparedness) abgeleitet werden. Doch welche Parameter sind gerade im Handball wichtig? Und wie misst man sie möglichst richtig?
Das direkte Umfeld beim Handball als Indoor-Sportart erschwert das Belastungsmonitoring in Training und Wettkampf erheblich. Während im Fußball seit vielen Jahren verschiedenste Parameter zur Erfassung der sportlichen Belastung (engl. External load) durch GPS-gestützte mikrotechnologische Wearables erhoben werden, wartet dieser Bereich im Handball noch auf seinen flächendeckenden Durchbruch. Jüngere Studien zeigten Möglichkeiten auf, um gerade die sportartspezifischen Wurfbelastungen beispielsweise mit kleinen Sensoren am Handgelenk zu tracken. Sie können vielleicht dabei helfen, auch nicht so finanzstarken Teams ein Belastungsmonitoring zu ermöglichen, das bislang vor allem mit der Ultra-Breitband-Technologie (UWB, engl. Ultra-wideband) bei den absoluten Spitzenmannschaften für laufbasierte Belastungen zum Einsatz kommt. Forschungsbedarf besteht insbesondere für die Erfassung von Belastungen, die nicht mit einem Positionswechsel einhergehen (z. B. überwiegend isometrische Arbeit der Kreispieler).
Dem Monitoring der Beanspruchung, der im Englischen als „Internal load“ bezeichneten individuellen physiologischen und psychologischen Antwort auf eine bestimmte Belastung, kommt nicht nur im Handball eine entscheidende Bedeutung zu. Dabei gilt insbesondere die im Sportkontext gut untersuchte, von Carl Foster eingeführte Session-RPE-Methode (Rating of perceived exertion) als Grundpfeiler eines Beanspruchungsmonitorings. Dabei handelt es sich genau genommen um eine Kombination aus Belastung und Beanspruchung, da der ca. 30 Minuten nach Belastungsende mit einer CR10 (Category Ratio)- oder auch CR100-Skala abgefragte subjektive Anstrengungsgrad durch die vorausgegangene Trainingseinheit (sessionRPE, sRPE) mit deren Dauer multipliziert wird. Beim Thema Belastungs- und Beanspruchungsmonitoring stößt man zudem unweigerlich auf die von Tim Gabbett 2016 veröffentlichte Acute:Chronic Workload Ratio (ACWR), die sowohl mit sRPE-Werten als auch mit ausgewählten Daten aus dem Belastungsmonitoring zur Abschätzung des akuten Verletzungsrisikos zum Einsatz kommt. Die Art der Anwendung und der tatsächliche Nutzen dieser auf Banisters Fitness-Fatigue-Modell basierenden Methode wurden in den letzten Jahren wissenschaftlich heiß diskutiert, ihr Einsatz zur Verletzungsprädiktion wird mittlerweile nicht mehr empfohlen. Dafür sind andere Verfahren Bestandteil der aktuellen Forschung, um eine Vorhersage des Verletzungsrisikos zu ermöglichen.
Neben einem subjektiven Beanspruchungsmonitoring existieren mit Biomarkern und herzfrequenzbasierten Verfahren auch objektive Möglichkeiten. Letztere gehen mit einem großen technischen Aufwand einher und erfordern viel Expertise bei der Analyse, ihr tatsächlicher Nutzen in Mannschaftssportarten scheint fraglich. Insbesondere trainingsbezogene Methoden wie die Trainingsherzfrequenz oder die Herzfrequenzerholung (HRR, engl. Heart Rate Recovery) könnten jedoch in einem multimodalen Monitoringansatz zum Einsatz kommen. Im Sportkontext gut untersuchte Biomarker können heute zumeist wenig invasiv aus Speichel oder Kapillarblut erhoben werden, jedoch schränkt die große interindividuelle Variabilität ihren Nutzen ein. Daher wurde im Rahmen des vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft geförderten REGman-Projekts (Optimierung von Training und Wettkampf: Regenerationsmanagement im Spitzensport, 2012-2021) von Hecksteden et al. ein Algorithmus entwickelt, der wie der „Athlete Biological Passport“ auf einem bayesianischen Ansatz beruht und ausgehend von einer sportspezifischen Referenzpopulation durch schrittweisen Einschluss von Längsschnittdaten die Berechnung individualisierter Referenzbereiche ermöglicht. In einer eigenen prospektiven Längsschnittstudie mit Handballspielern einer deutschen Erstligamannschaft zeigten sich für die als entscheidenden Biomarker in Mannschaftssportarten geltende Creatinkinase (CK) vielversprechende Hinweise, dass die Anwendung des REGman-Algorithmus zu einer genaueren Beurteilung des Beanspruchungs- und Erholungszustands führen kann. Demnach scheint ein individualisiertes Monitoring der idealerweise aus Kapillarblut bestimmten CK ein vielversprechendes Verfahren zu sein, um die muskuläre Beanspruchung und Erholung bei Bedarf zusätzlich zur Psychometrie objektiv beurteilen zu können.
Entscheidungsunterstützung
Da Beanspruchungs- und Erholungsprozesse im menschlichen Organismus auf verschiedenen Ebenen stattfinden, gelten mehrdimensionale Fragebögen wie das im Rahmen des REGman-Projekts entwickelte „Akutmaß Erholung und Beanspruchung im Sport“ (AEB) sowie die daraus abgeleitete „Kurzskala Erholung und Beanspruchung“ (KEB) nach wie vor als Goldstandard zur Erfassung von Beanspruchung, Erholung und subjektivem Wohlbefinden. Während in der Sportpraxis bevorzugt einfache, meist eindimensionale Messinstrumente eingesetzt werden, sind aus wissenschaftlicher Sicht validierte mehrdimensionale psychometrische Verfahren zu empfehlen. Zudem sollte auch hier eine Individualisierung für jedes einzelne Item vorgenommen werden, um sinnvolle Informationen für die Entscheidungsfindung im täglichen Belastungs- und Regenerationsmanagement zu erhalten.
Es existieren mittlerweile verschiedene Softwarelösungen zur Aufnahme, Verarbeitung, Analyse und grafischen Darstellung der im Zuge des Monitorings anfallenden Datenmenge. Diese beinhalten idealerweise Systeme zur Entscheidungsunterstützung für die handelnden Trainer- und Betreuerteams – z. B. mittels eines Ampelsystems. Neben häufig kostspieliger kommerzieller Software stehen aber auch kostenlose Varianten wie das von der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für bezahlte Sportler in Deutschland entwickelte „Prevention Management Tool“ zur Verfügung, das bereits in der Ausgabe 01/2020 der sportärztezeitung vorstellt wurde.
Fazit
Der Blick in die Literatur und zahlreiche Gespräche mit betreuenden Personen im Spitzen-Handball machen deutlich, dass dem Thema „Athletenmonitoring“ im Handball gerade unter Berücksichtigung des technologischen Fortschritts in allen Bereichen mehr Beachtung geschenkt werden sollte. Daher wurde vom Autor mit Unterstützung der Handballärzte Deutschland e.V. ein Projekt (ATHMON HB, Athlete Monitoring in Team Handball) initiiert, das unter Berücksichtigung der Sportpraxis und aktuellen Evidenzlage zu konsensbasierten Handlungsempfehlungen für diese spektakuläre Sportart führen soll.
Literatur beim Autor
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit den Zusatzbezeichnungen Sportmedizin und Manuelle Medizin. Er leitet als Oberarzt die Sportorthopädie der Sport- und Rehabilitationsmedizin des Universitätsklinikums Ulm mit dem Schwerpunkt der Betreuung von Mannschaftssportarten (u.a. TVB 1898 Stuttgart). Darüber hinaus ist Dr. Henze stellvertretender Vorsitzender der Handballärzte Deutschland und seit 2022 wiss. Beirat der sportärztezeitung.