In der Sport-Traumatologie hat die Verletzungsprävention in den letzten Jahren stetig an Stellenwert gewonnen. Die Behandlungskosten eines verletzten Sportlers mitsamt der Ausfallzeit sind höher, als in gezielte Präventionsprogramme zu investieren. Darüber hinaus führen eine Vielzahl von schwereren Verletzungen im weiteren Verlauf zu Sportschäden, die in einigen Fällen das Karriereende bedingen.
Öffentlich diskutiert werden zumeist Präventionsmöglichkeiten, die sich an dem Fitnesszustand der Athleten oder an Ausrüstungsgegenständen orientieren, dabei kommt der Verletzungsprävention durch Modifikation der Wettkampfregeln eine entscheidende Bedeutung zu. Schätzungen zufolge ereignen sich 20 % aller gemeldeten Unfälle in Deutschland im Rahmen einer sportlichen Betätigung. Von den ca. 23 Millionen Sporttreibenden in Deutschland verletzten sich ca. 5 % so stark, dass eine Arztkonsultation notwendig wird. Die Motivation der Kostenträger, in wirksame Präventionsprogramme zu investieren, ist sicherlich auch der monetären Ebene zuzuordnen.
Analyse von Risikofaktoren
Die Prävention von Verletzungen beginnt mit der Analyse von Risikofaktoren. Diese sind individuell unterschiedlich stark ausgeprägt und sportartspezifisch. Grob unterteilt wird nach intrinsischen und extrinsischen Risikofaktoren. Intrinsische Risikofaktoren sind z. B. Vorverletzungen, Trainingszustand, Ermüdungserscheinungen und Physiognomie. Extrinsische Risikofaktoren sind Ausrüstungsgegenstände, Bodenbelag, Witterung (bei Outdoorsportarten), etc. Die Ursachen einer Verletzung können somit eine muskuläre Dysfunktion oder ein direkter Gegnerkontakt sein. Die muskuläre Dysfunktion kann durch eine schlechte Rehabilitation / Regeneration, eine schlechte Kondition / Konstitution und / oder durch eine Vorverletzung bedingt sein. Hier setzen die neuromuskulären Präventionsprogramme an. Den Gegnerkontakt – direkt oder indirekt – als Verletzungsursache wird man gerade in Mannschaftssportarten nicht komplett eliminieren können, jedoch besteht in fast allen Sportarten ein Bestreben danach, potenzielle Gefahrensituationen durch eine Modifikation des Regelwerkes zu entschärfen oder gar zu verhindern.
Bedeutung und Einfluss des Regelwerks
Das Regelwerk gibt zunächst die Rahmenbedingungen vor, die zwingend umgesetzt werden müssen. Neben Spielfeldgröße und Spieldauer inkl. etwaigen Pausen, betrifft dies auch persönliche Ausrüstungsgegenstände. So gibt es klare Vorgaben, ob Schmuck in einer Sportart getragen werden darf und wenn ja, ob dieser gegebenenfalls gesichert werden muss. Dies wird genau wie die Verwendung von orthopädischen Hilfsmitteln von Sportart zu Sportart durchaus unterschiedlich gehandhabt. Die Internationale Handball Federation (IHF) hat ein Expertengremium, dem die Handballärzte Deutschland e.V. ebenfalls angehören, welches über die Zulassung von individuellen Ausrüstungsgegenständen im Hinblick auf die Verletzungsprävention berät. Anders als im Fußball oder Basketball ist aufgrund des vermehrten Körpereinsatzes im Handball ein Gesichtsschutz wie er z. B. nach einer Nasenbeinfraktur getragen wird, im Wettkampf nicht zulässig. Hartrahmenorthesen im Bereich des Kniegelenkes sind im Eishockey erlaubt, aber in den meisten anderen Mannschaftssportarten im Rahmen des Wettkampfes nicht zugelassen.
Im Zuge der Corona Pandemie wurde im Fußball ein fünfter Spielerwechsel für jede Mannschaft pro Partie eingeführt, um die Spieler zu entlasten. Diese Regeländerung wurde im März 2022 bestätigt und dauerhaft zugelassen, darüber hinaus darf weiterhin ein zusätzlicher Wechsel in der Verlängerung erfolgen. Bereits 2014 wurde zur WM in Brasilien die Abkühlpause oder auch Trinkpause eingeführt, die Spielern bei hohen Außentemperaturen vor einem Hitzeschaden bewahren soll. Bei entsprechenden Temperaturen in Kombination mit der Luftfeuchtigkeit soll nach ca. 30 Minuten jeder Halbzeit eine dreiminütige Abkühlpause abgehalten werden. Diese Regeländerung wurde allerdings damals nicht von der FIFA selbst initiiert, sondern war eine Vorgabe eines brasilianischen Arbeitsgerichtes.
Vorreiter NHL und NFL
Vorreiter im Hinblick auf Weiterentwicklung des Regelwerkes bzgl. Verletzungsprävention sind die beiden körper-betonten nordamerikanischen Sportarten Eishockey und American Football. In beiden ist Körperkontakt als Verletzungsursache im Vergleich zu anderen Sportarten deutlich häufiger. Zum Schutz der Nachwuchsspieler ist im Eishockey der Bodycheck erst ab 13 Jahren erlaubt. Durch die Einführung des Sichtschutzes konnten Augenverletzungen deutlich minimiert werden. Jugendliche müssen mit einem Vollvisierhelm spielen. Aufgrund des hohen Anteils an Kopfverletzungen wird im Rahmen der jährlichen medizinischen Eingangsuntersuchungen der SCAT Test (Sport Concussion Assessment Tool) in beiden Sportarten im Profisportbereich verpflichtend durchgeführt. Dies wurde auch für die Deutsche Eishockey Liga (DEL) so übernommen. Der Deutsche Fußball Bund (DFB) führte in den letzten Jahren kontroverse Diskussionen, ob eines Verbotes des Kopfballspiels in Jugendligen, um das Risiko von cerebralen Folgeschäden zu verringern. Das Kopfballspiel wurde zwar nicht verboten, jedoch der Spielball in Jugendligen signifikant leichter gemacht.
In keiner Profiliga wurden in den letzten Jahren so viele Regeländerungen vorgenommen wie in der National Football League (NFL). Hintergrund war sicherlich auch der, dass einige Spieler medienwirksam verletzungsbedingt ihre vielversprechenden Karrieren beenden mussten. Bereits 1989 wurde es untersagt, den Quarterback auf Kniegelenkhöhe zu treffen. Diese Regel wurde in der Folgezeit auf alle Spielpositionen ausgeweitet und dahingehend erweitert, dass auch alle Treffer unterhalb des Kniegelenkes regelwidrig sind, um schwere Kniegelenkverletzungen zu verringern. Anlässlich hierfür war eine deutliche Zunahme an Kniegelenkluxationen in der NFL. Die Diskussion um wiederholte Kopfverletzungen „Concussions“, die bei vielen Footballern zu Langzeitschäden bis hin zu tiefen Depressionen und sogar Suiziden führte, brachte die NFL Mitte der 2000er Jahre in eine tiefe Krise. In den Folgejahren wurden Treffer gegen den Kopf wesentlich stärker geahndet und Spieler „abseits des Spielgeschehens“ besser geschützt. Einige dieser Regeländerungen konnten zu einem Rückgang der Concussions um bis zu 35 % führen. Im Jahr 2018 wurden von Sheth und Kollegen die Effekte der Regeländerungen in der NFL der letzten acht Spielzeiten genauer analysiert. Es konnte gezeigt werden, dass die Anzahl der verletzen Spieler insgesamt nahezu konstant geblieben ist, allerdings der Anteil der schweren Verletzungen signifikant reduziert werden konnte. Als ernüchterndes Fazit blieb jedoch, dass die NFL nach wie vor deutlich zu viele Verletzungen hervorbringt.
Reform der Regelwerke
Nicht zuletzt akribisch durchgeführte Videoanalysen der Verletzungsmechanismen im Handball, Fußball und Basketball konnten spezifische Gefahrensituationen darstellen. Im Fußball ereignen sich die meisten Kopfverletzungen im Rahmen des Kopfballduells als Kopf-gegen-Kopf Situation. Wenn hierbei die oberen Extremitäten eingesetzt werden, handelt es sich um einen Regelverstoß. Durch konsequenteres Ahnden dieser Fouls durch die Schiedsrichter konnten die schweren Kopfverletzungen in der Fußballbundesliga um 30 % verringert werden. Grundvoraussetzung ist hierfür eine kontinuierliche Schulung der Schiedsrichter. Videoanalysen unserer eigenen Arbeitsgruppe im Profibasketball konnten zeigen, dass der Schütze eines 3-Punktewurfes in der Landungsphase besonders vulnerabel ist. Als Konsequenz daraus wurde in der Saison 2020/2021 eingeführt, dass ein Verteidiger, der im Sprung mit dem Bein voraus einen 3-Punkte-Wurf verhindern möchte, mit einem absichtlichen Foul bestraft wird. Der Karate Verband reformierte 2000 sein Regelwerk, was in der Folgezeit zu einem Verletzungsrückgang von 42 % führte. Den gegenteiligen Effekt erreichte man im Taekwondo. 2009 wurden Kopftreffer mit mehr Punkten versehen, was in der Folge zu einem Anstieg auf 469 Kopftreffern pro 1.000 Athleten führte. Der Anstieg um mehr als 50 % war vor allem bei den weiblichen Athleten signifikant. Eine Rücknahme der Regeländerung steht noch nicht offiziell zur Debatte.
Fazit
Regeländerungen können einen entscheidenden Anteil zur Verletzungsprävention leisten. Generelle Vorüberlegungen betreffen Spieldauer, Wechselmöglichkeiten, Pausen, Bodenbelag und individuelle (Schutz-) Ausrüstung. Eine konsequentere Bestrafung des Foulspiels durch die Schiedsrichter führt nicht zwangsläufig zu weniger Verletzten, aber zu einem Rückgang der schwerwiegenden Verletzungen. Bei allen Regelveränderungen bleibt jedoch auch zu berücksichtigen, dass gewisse Sportarten auch das Spektakel benötigen, um Zuschauer in ihren Bann zu ziehen. „You cannot take the fighting out of hockey.“
Autoren
M.A. (Sportwiss.) ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie
mit Zusatzbezeichnungen spezielle Unfallchirurgie und Sportmedizin.
Er ist Chefarzt Orthopädie und Unfallchirurgie Johanniter Waldkrankenhaus Bonn und Vorsitzender Handballärzte Deutschland e.V. Außerdem ist Dr. Fehske zweiter Vorsitzender Basketdocs, langjähriger Mannschaftsarzt des DHB und der Würzburg Baskets (Basketball Bundesliga), Mitglied im Komitee Prävention der GOTS und wiss. Beirat der sportärztezeitung.