Während man vor 30 Jahren die Hauptindikation zur Arthrose-Therapie und zur Endoprothesen-Implantation die Schmerzen und Behinderung waren (disability), so hat sich dieses deutlich verändert. Heute ist die Einschränkung der Lebensqualität der Hauptgrund dafür, dass Patienten nach einer entsprechenden Arthrose-Therapie suchen [1].
Es hat sich somit eine gewisse Metamorphose der Arthrose-Therapie von der Greisen-Therapie zur Lifestyle-Therapie entwickelt. Dementsprechend hat sich hier auch die Anzahl der klinischen Publikationen in den letzten 15 Jahren dramatisch erhöht.
Der vorliegende Artikel zum Arthrosemanagement bespricht die folgenden Aspekte:
- Epidemiologie des Knorpelschadens
- Pathogenese des Knorpelschadens
- Diagnostik des Knorpelschadens
- Therapeutische Ansätze
Epidemiologie des Knorpelschadens
Bereits Hunter hatte im 18. Jahrhundert dargestellt, dass der Knorpel, der einmal zerstört ist, nie wieder heilt. Dieses gilt bis zum heutigen Tage. Hinsichtlich der Epidemiologie ist festzuhalten, dass sich die demographische Situation deutlich verändert. Die Lebenserwartung ist höher, der BMI ist deutlich gestiegen, die Aktivitäten des täglichen Lebens sind ebenfalls deutlich gestiegen und die Patienten haben einen höheren Anspruch an ihre Gelenke. Daneben muss man realisieren, dass bereits Ende 2010 laut WHO 50 % der Frauen, die 50 Jahre alt wurden, eine Chance haben, auch 100 zu werden.
Bei den degenerativen Veränderungen führen bei weitem Knie- und Hüftgelenke. Daneben sind jedoch auch Großzehengrundgelenk, Schultergelenk und Ellenbogengelenke in einem klinisch relevanten Anteil betroffen. Die Anzahl der Patienten in einem Lebensalter von über 65 Jahren wird voraussichtlich in der nächsten Dekade um 20 % ansteigen. Alle Kennzahlen erwarten eine deutliche Zunahme der primären Schulter-, Knie- und Hüft-Endoprothesen im nächsten Jahrzehnt. Betrachtet man die Daten des statistischen Bundesamtes für Deutschland, so zeigt sich auch ein deutlicher Anstieg der Krankheitskosten für die Arthrose-Therapie in Deutschland.
Pathogenese des Knorpelschadens
Bereits die möglichen Ursachen von Knorpelveränderungen zeigen die Notwendigkeit eines interdisziplinären Zuganges für eine adäquate Therapie auf. Hier sind folgende Faktoren zu nennen:
- Mechanische Faktoren wie Beinachsenveränderungen, Hüftdysplasie, Slope-Veränderungen am Kniegelenk oder eine Zustand nach Meniskusverletzungen
- Neurologische Veränderungen, wie beispielsweise beim Verlust von Mechanorezeptoren nach Kreuzbandruptur
- Hohes Körpergewicht als mechanischer Faktor. So haben beispielsweise Personen mit einem Körpergewicht von mehr als 30 % Übergewicht ein drei Mal höheres Risiko, an einer Arthrose zu erkranken, als Patienten mit einem Übergewicht von unter 20 %. Hier wirkt sich die generelle Zunahme des BMI in Zivilisationsländern eher ungünstig aus.
- Gewicht als metabolischer Faktor. Messparameter wie BMI, Bauchumfang, Verhältnis von Taille und Hüftumfang korrelieren mit der Notwendigkeit zur Implantation einer Hüft-Endoprothese. Besonders in
der rheumatologischen Literatur ist der metabolische Aspekt der Osteoarthrose besonders intensiv dargestellt. Schon Iannone et al. (2010) zeigten die Zusammenhänge sehr deutlich auf und demonstrierten die Funktion des Fettes als endokrines Organ [2]. Hier scheint insbesondere das viszerale Fett besonders intensiv inflamatorische Faktoren (Interleukin-1, Interleukin-8, Interleukin-18, Interleukin-6, TNFα, Leptin, Resistin, Visfatin, SP, NGF) zu produzieren, die sich negativ auf den Gelenkknorpel, die Synovialmembran, aber auch auf den subchondralen Knochen auswirken. - Krankheitsbilder aus dem rheumatischen Formenkreis
- Molekulargenetische Ursachen: im Laufe des Lebens kommt es zum Verlust der Proteinsignalwege, die den Gelenkknorpel während der reproduktiven Lebensphase schützen, z. B. TGF-β -Signal (Chondrozyten Transforming Growth Factor Beta) [3].
Diagnostik des Knorpelschadens
Hinsichtlich der Diagnostik sind Anamnese und klinischen Untersuchung führend. Anamnestisch typisch sind Anlaufschmerz, Instabilität und Belastungsschmerz. Wichtig zu erfragen sind auch Sozial- und Familienanamnese sowie Erwartungen des Patienten. Bei einer klinischen Untersuchung zeigt sich eine eingeschränkte Beweglichkeit, ein lokaler Druckschmerz, Schwellung des betroffenen Gelenkes. Ganz typisch für die Hüftarthrose ist beispielsweise das C-Zeichen, mit welchem der Patient die schmerzhafte Region beschreibt. Hinsichtlich der Diagnostik bleibt auch in der aktuellen AWMF Leitlinie Gonarthrose die primäre Diagnostik nach wie vor die Röntgenaufnahme. Beim Kniegelenk ist zur besseren Verwertbarkeit der Frontalaufnahme diese im belasteten Zustand durchzuführen. Weitere bildgebende Verfahren, insbesondere auch die Kernspintomographie bleiben nur bestimmten Fragestellungen vorbehalten. So wird die Kernspintomographie auch von der Leitlinie nur empfohlen bei Meniskuszeichen, Kreuzband-Instabilität, Synovialitis wie ansonsten unklarer Beschwerdesymptomatik.
Im Rahmen der Begleitung der Patienten mit einer Arthrose ist es sicherlich bei vielen Patienten prognostisch von Interesse, wie seine Arthrose voraussichtlich voranschreiten wird. Generell ist hier zu bedenken, dass je früher ein Knorpelverschleiß diagnostiziert wird, desto besser die Behandlungsoptionen sind. Hier sind die üblichen diagnostischen Verfahren wie Anamnese, klinische Untersuchung, Röntgen sowie das morphologische Kernspin nur bedingt hilfreich. Eine Möglichkeit würde hier das sogenannte funktionelle Kernspin ergeben, indem Stoffwechselprozesse im Gelenkknorpel sehr frühzeitig dargestellt werden. Eine andere Möglichkeit stellen sogenannte Biomarker dar, die Abbauprodukte des Gelenkknorpels im Serum oder Urin darstellen. Hierzu zählen beispielsweise CTX-II im Urin, COMP im Serum und andere Biomarker. Im grundlagenwissenschaftlichen Bereich gibt es eine Vielzahl von Literatur. Interessant wäre es, derartige Biomarker-Messungen auch in der Breite für den klinischen Alltag verfügbar zu machen. Ein nahezu fertiges Produkt hierzu hat jedoch den letzten Schritt in den Markt aufgrund von Umstrukturierungen in einer großen Pharmafirma nicht mehr geschafft. Es ist zu hoffen, dass die letzten Schritte hierzu wieder bald aufgenommen werden. Mit einem solchen Produkt wäre ein individuelles Monitoring des Patienten auch über Jahre mit überschaubarem finanziellem und organisatorischem Aufwand möglich gewesen. Man könnte hiermit die Therapie auch individuell auf den Patienten abgestimmt gestalten.
Therapeutische Ansätze
Aufgrund der bereits oben dargestellten multiplen Ursachen empfiehlt es sich, bei Diagnostik und Therapie im Rahmen des Arthrose-Managements einen multimodalen interdisziplinären Ansatz zu wählen. Dieses gilt insbesondere bereits bei der Auswahl medikamentöser Therapieansätze. Die Literatur zeigt, dass die Arthrose in der Regel keine isolierte Erkrankung darstellt [4 – 10]. Der typische Patient ist älter als 45 Jahre, hat mehr als eine Komorbidität, nimmt in der Regel multiple Medikationen und hat darüber hinaus noch andere altersbedingte muskuloskelettale Veränderungen. Vom Grundsatz gelten nach wie vor die EULAR-Richtlinien. Diese sind nach wie vor vergleichbar in den aktuellen AWMF-Leitlinien enthalten. Primär ist eine Aufklärung des Patienten über seine Erkrankung zur Vorbeugung der Krankheitsprogression und zur Verbesserung der Lebensqualität und Morbidität notwendig. Dieses stellt die Basis jeglicher Arthrose-Therapie dar, wobei hier auch eine adäquate Ernährungsberatung mit einfließen sollte. Idealerweise müsste hier eine ökotrophologische Kompetenz mit in das Arthrose-Management eingebaut werden.
Hilfsmittel wie Schuhaußenranderhöhung, Unloader-Braces oder Pufferabsätze haben sich über Jahrzehnte bewährt und finden auch in der AWMF-Leitlinie Niederschlag. In diesem Bereich kann eine orthopädietechnische Unterstützung bei der individuellen Patientenberatung hilfreich sein. Einen positiven Aspekt hat insbesondere auch die Bewegungs- und Sporttherapie. Hier ist neben Dehnung und Koordination vor allem aber auch die Muskelkräftigung hervorzuheben. Verschiedene Studien zeigen, dass insbesondere Muskel kräftigende Konzepte zu einer Reduktion des Schmerzempfindens der betroffenen Gelenke führt. Auch Akupunktur oder Blutegel-Behandlung zeigen in verschiedenen Studien einen nachweisbaren Effekt, sodass durchaus auch naturheilkundliche Ansätze mit integriert werden sollten.
Bei der Verwendung von NOPAs (nicht opioid Analgetika) ist zu bedenken, dass Paracetamol in den aktuellen Leitlinien nicht empfohlen wird. Die analgetische Wirkung ist zu gering und die freie Verfügbarkeit für den Patienten führt schnell dazu, dass der Patient mit seiner Dosierung in einen hepatotoxischen Bereich kommt. Metamizol ist als Schmerzmittel auch und gerade im Bereich der Orthopädie und Unfallchirurgie weit verbreitet, hat jedoch kein Label für die Erstanwendung bei der Arthrose. Daneben ist dringend eine Risiko- und Sicherungsaufklärung zu beachten. Es bleibt somit relativ rasch das Feld der nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR). Hier hat sich in verschiedenen Studien gezeigt, dass NSAR bereits in der topischen Anwendung durchaus effektiv ist und mit deutlich weniger Nebenwirkungen behaftet ist. Für die orale Anwendung mit NSAR gibt es unter den oben dargestellten Zusammenhängen (Arthrosepatient üblicherweise älter, mehrfach erkrankt mit großer Anzahl von Begleitmedikation) erhebliche Probleme. Dieses aufgrund der Vorerkrankung oder der Begleitmedikation.
Insoweit NSAR nicht ausreichend wirksam sind, kontraindiziert oder das Risiko für unerwünschte Wirkungen erhöht sind, wird auch nach der aktuellen AWMF-Gonarthroseleitlinie die Verwendung von Glucosamin, Hyaluronsäure intraartikulär oder Corticosteroiden intraartikulär empfohlen. Hierbei ist natürlich zu beachten, dass die Corticosteroide den raschesten Wirkeintritt haben, in der Regel für etwa drei Monate wirksam sind. Hyaluronsäure-Präparate, insbesondere hochmolekulare, haben eine längere Wirkdauer von 6 – 12 Monaten. Die orale Gabe von Glucosaminen oder vergleichbaren Nahrungsergänzungsmitteln wirkt sehr langsam und zeigt erst nach vier bis acht Wochen einen eventuell positiven Effekt. PRP- oder ACR-Präparate nehmen in der Anwendung zu, ausreichende randomisiert kontrollierte Studien lagen zu Zeitpunkt der AWMF Leitlinienerstellung noch nicht vor und wurden deshalb noch nicht empfohlen.
Während die oben genannten Therapieansätze rein als Schmerzreduktion anzusehen sind (SYSADOA) ergeben sich bei hochmolekularen Hyaluronsäuren durchaus auch Hinweise auf eine Beeinflussung der Knorpelstoffwechsel an sich (DMOAD). Insbesondere französische rheumatologische Arbeitsgruppen konnten zeigen, dass bei der intraartikulären Gabe von hochmolekularen Hyaluronsäuren eine Reduzierung des CTX-II nachweisbar ist und somit der Knorpelstoffwechsel an sich positiv beeinflusst wird. Schwach wirkende Opioide können bei nicht operablen Patienten oder Patienten, die für kurze Zeit bis zu einer Operation begleitet werden, sinnvoll sein. Hier muss jedoch auf eine adäquate Ko-Medikation geachtet werden, um unerwünschten Wirkungen der Opioide zu begegnen. Die häufig verwendete Strahlentherapie mit niedriger Dosis ist nicht besser als ein Placebo [11]. Bisphosphonate können eventuell einen positiven Effekt auf Schmerzen beim Knochenödem haben, jedoch keinen positiven Effekt auf den Gelenkknorpel [12]. Neue Therapieansätze zur reinen schmerztherapeutischen Behandlung kann die Embolisation synovialer Gefäße bieten [13]. Auch Antikörper können zur Schmerztherapie zukünftig eine Rolle spielen [14].
Fazit
Die oben dargestellten Zusammenhänge machen somit sehr deutlich, wie wichtig ein multimodales interdisziplinäres Arthrose-Management ist. Dieses bietet deutlich mehr Potenzial als ein eindimensionaler therapeutischer Zugang, welcher leider noch zu oft gewählt wird. Ideal wäre eine Arthrose-Management-Konzept, bei dem Orthopäde/Unfallchirurg, Ökotrophologe, Physiotherapeut/Sporttherapeut, Orthopädietechniker sowie der behandelnde Hausarzt (insbesondere wegen der oben dargestellten Problematik mit Co-Medikation und Co-Morbidität) sich um den jeweiligen Patienten bemühen. Momentan befinden wir uns beim Arthrosemanagement dort, wo wir beim Diabetes mellitus vor 20 oder mehr Jahren waren. Wir behandeln nur die Arthrose-Folgen mit Schmerzmitteln oder Operationen. Beim Diabetes mellitus haben wir gelernt, dass eine frühzeitige Diagnostik und entsprechende Therapie Folgeschäden weitgehend vermeiden kann. Eine derartige Einstellung wäre aus meiner Sicht beim Arthrose-Management ebenso sinnvoll. Also frühzeitiges Erkennen von Knorpelveränderungen und individualisierte Betreuung des Patienten, um Folgeschäden zu verhindern. Ideal wären hierzu sicherlich auch Disease Management Programme.
Literatur
[1] Learmonth et al. 2007
[2] Iannone et al. 2010
[3] Van der Kraan 2008
[4] Jordan et al. 2007
[5] van Dijk et al. 2008
[6] Putam et al. 2006
[7] Freemont et al. 2007
[8] Jinks et al. 2006
[9] Janssen et al. 2006
[10] Guccione et al. 1994
[11] van Ende et al. 2020
[12] Cai et al. 2020
[13] Jerosch/ Schmid 2020
[14] Schaible 2021
Vollständige Literaturliste beim Autor
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Er ist Chefarzt der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Johanna-Etienne Krankenhaus Neuss. Außerdem ist er u.a. Herausgeber der Zeitschrift OUP und Vizepräsident der IGOST.