Auch Musiker sind Menschen und haben Beschwerden. Diese werden jedoch nur selten vom Publikum wahrgenommen, zumal ein Musiker während des Auftritts nicht humpelnd oder mit schmerzverzerrtem Gesicht von der Bühne abtritt. Zu sehr stehen die Performance und das Bedürfnis nach dem perfekten Klang des gespielten Musikstückes im Mittelpunkt des Künstlers.
Doch auch diese Gruppe der „Hochleistungssportler der kleinen Muskeln“ unterliegt den Bedingungen der neuronalen Schmerzverarbeitung und deren Auswirkungen auf den Körper. Dementsprechend ist die optimale Versorgung dieser wichtigen gesellschaftlichen Gruppe eine Herausforderung für alle involvierten Fachdisziplinen.
Musiker als eine besondere Gruppe
In Deutschland als bedeutendem Kulturland musizieren nach Angaben des Musikinformationszentrums des Deutschen Musikrats über 11 Mio. Menschen, überwiegend Laien, aber auch viele professionelle Instrumentalisten. 2014 übten 128.000 Erwerbstätige einen Musikerberuf aus [1, 2]. Um ein professionelles Spielniveau zu erreichen, wird von mindestens 10.000 Stunden Übezeit auf dem jeweiligen Instrument ausgegangen, das heißt, professionelle Musiker haben im Normalfall schon in frühester Kindheit angefangen, ein Instrument zu spielen [3]. Zusätzlich üben Berufsmusiker ihre Tätigkeit im Idealfall bis zur Rente aus. Setzt man diese Zahlen in Relation zu verschiedenen Prävalenzangaben von Musikern (Lebenszeit: 62–93 %, Jahr: 41–93 %, Punkt: 9–68 %) [4], wird schnell deutlich, dass ein hoher Bedarf an einer medizinischen, bzw. physiotherapeutischen Versorgung dieser Gruppe besteht. Jedoch ist diese Versorgung noch mangelhaft. Im Gegensatz zum Sport, in dem durch intensive Grundlagenforschung eine substantielle Basis zur Entwicklung effektiver präventiver und rehabilitativer Trainingskonzepte geschaffen worden ist und immer noch weiterentwickelt wird, stellt sich die Situation für den Bereich der Musikermedizin gänzlich anders dar. Hier muss zunächst durch entsprechende Grundlagenforschung ein eigenes Fundament geschaffen werden, um Korrelationen zwischen physiologischen und pathophysiologischen Bewegungskomponenten, verschiedenen Arten von Instrumenten und deren Einfluss auf Erkrankungen aufzustellen, um letztlich eine optimale Therapie einzuleiten [5].
Risikofaktoren
Musiker sind zahlreichen Risikofaktoren ausgesetzt. Die am häufigsten von Musikern selbst genannten Risikofaktoren sind eine erhöhte Muskelspannung, die muskuläre Ermüdung, zu kurze Spiel- / Übepausen, lange Spiel- / Übezeiten oder eine schlechte Körperhaltung. Also alles physische Risikofaktoren, die offensichtlich auf Probleme, bzw. Überlastungen des neuromuskulkoskelettalen Systems hindeuten [6, 7]. Daneben spielen psychische Faktoren wie Stress, Reisen, Lampenfieber oder technische Spielmängel auch eine Rolle, werden in der Wertigkeit jedoch nach physischen Risikofaktoren genannt.
Instrumentelle Bewegungsanalyse
Der systematische Einsatz von Bewegungsanalysen hat sich insbesondere durch die Sportwissenschaft entwickelt. Für sportliche Höchstleistungen ist es von grundlegender Bedeutung, Schlüsselinformationen festzustellen und zu analysieren. Jeder Sportart liegt ein charakteristisches koordinatives und konditionelles motorisches Anforderungsprofil zugrunde. Die Bewegungsanalyse stellt dabei eine effektive Methode zur Analyse von Bewegungsmustern des menschlichen Körpers bei unterschiedlichen Anforderungen dar. Dadurch können disziplinspezifische Unterschiede festgestellt und entsprechenden physischen Profilen zugeordnet werden. Derart gewonnene Informationen bilden eine Grundlage im Management eines Sportlers, sowohl präventiv wie auch rehabilitativ. Die Entwicklung dieser systematischen Bewegungsanalyse hat im Gegensatz dazu bei Musikern bisher nicht ausreichend stattgefunden. Einzelne Veröffentlichungen zeigen einen ansatzweisen Versuch, jedoch handelt es sich um keine grundlagenbildende Vorgehensweise [8–10]. Die Forschergruppe „MusikPhysioAnalysis“ der Hochschule Osnabrück hat im Jahre 2015 begonnen, dieses Grundlagenwissen aufzubauen.* Es werden systematisch biomechanische Bewegungsdaten von hohen und tiefen Streichern erfassen und analysiert (Abb. 1 + 2). Die dabei gewonnenen Ergebnisse sollen helfen, den dringenden Bedarf einer qualitativ hochwertigen (Physio-)Therapie für Musiker und somit auch die Notwendigkeit einer eigenen instrumentellen Bewegungsanalyse zur Identifikationen von physiologischen und pathophysiologischen Bewegungsmuster zu unterstützen. Auf diesen Grundlagen können effektivere präventive und rehabilitative Managementstrategien initiiert werden.
Muskuläre Ermüdung als wichtiger muskulärer Parameter
Es ist nicht überraschend, dass auch die Musiker selbst der Muskulatur eine besondere Rolle in der Entstehung von spielbedingten Beschwerden zuschrieben. Zahlreiche Untersuchungen zu potenziellen physischen Risikofaktoren bestätigen dieses. Neben einer erhöhten Muskelspannung, dem langandauernden Spielen oder der schlechten Körperhaltung beschreiben in einer Umfrage von Ackermann et al. 76,8 % aller befragten Musiker die muskuläre Ermüdung als einen wesentlichen beitragenden Faktor in der Entstehung spielbedingter Beschwerden [7]. Im Gegensatz dazu sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse jedoch noch mangelhaft. Es bestehen lediglich ein paar Studien, die sich auf Basis der Elektromyographie als Messmethode der peripheren Ermüdung mit der Thematik der muskulären Ermüdung bei Musikern auseinandersetzen. Die aktuellste Studie zeigt signifikante Ermüdungseffekte und unterschiedliche muskuläre Ansteuerungsmuster (Abb. 3) zwischen hohen Streichern mit und ohne spielbedingten Beschwerden [11]. Es scheint, dass sich die komplexen neurophysiologischen Adaptionsprozess an Schmerz auch hier wiederspiegeln und für einen Schutzmechanismus des neuromuskuloskelettalen Systems sorgen [12]. Hier besteht noch weiterer Forschungsbedarf, um die Ergebnisse zu bestätigen.
Therapeutische Versorgung
Ob ein Musiker gut versorgt wird oder nicht, hängt im Wesentlichen vom Engagement des Musikers selbst oder seiner Umgebung ab. Ärzte und Physiotherapeuten, die sich, vergleichbar mit Sportärzten oder Sportphysiotherapeuten, auf die Behandlung von Erkrankungen bei Musikern spezialisiert haben, sind noch die Ausnahme in Deutschland. Musiker nehmen dementsprechend auch weite, selbst finanzierte Anreisen in Kauf, um sich von diesen Spezialisten behandeln zu lassen. Eine offizielle Leitlinienempfehlung für die Behandlung von Musikererkrankung besteht ebenfalls nicht, da ist der individuelle Erfahrungsschatz des behandelnden Therapeuten ausschlaggebend.
Fazit
Ebenso wie Leistungssportler sind Musiker großen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt, die, unzureichend behandelt, eine Einschränkung der künstlerischen Leistungsfähigkeiten nach sich ziehen kann, im Extremfall sogar das Ende der musikalischen Karriere bedeutet. Die systematische instrumentelle Analyse zur Identifizierung physiologischer und pathophysiologischer Bewegungsmuster kann helfen, eine Wissensgrundlage im Behandlungsmanagement zu bilden. Eine spezialisierte medizinische und physiotherapeutische Versorgung spielt in der Behandlung von Musikererkrankungen eine wichtige Rolle, jedoch gibt es noch keine flächendeckende bundesweite Versorgung.
Literatur
[1] MIZ (2014) Laienmusizieren in Zahlen – Ergebnisse bundesweiter Studien und Bevölkerungsumfragen. Dtsch Musik
[2] Liersch A, Asef D (2016) Bildung und Kultur – Spartenbericht Musik. Stat Bundesamt 1–99
[3] Ericsson KA, Krampe RT, Tesch-Romer C (1993) The Role of Deliberate Practice in the Acquisition of Expert Performance. Psychol Rev 100:363–406
[4] Kok LM, Huisstede BMA, Voorn VMA, et al (2016) The occurrence of musculoskeletal complaints among professional musicians: a systematic review. Int Arch Occup Environ Health 89:373–396. doi: 10.1007/s00420-015-1090-6
[5] Ackermann B, Driscoll T (2010) Development of a new instrument for measuring the musculoskeletal load and physical health of professional orchestral musicians. Med Probl Perform Art 25:95–101
[6] Davies J, Mangion S (2002) Predictors of pain and other musculoskeletal symptoms among professional instrumental musicians: elucidating specific effects. Med Probl Perform Art 17:155–169
[7] Ackermann B, Driscoll T, Kenny DT (2012) Musculoskeletal pain and injury in professional orchestral musicians in Australia. Med Probl Perform Art 27:181–187
[8] Turner-Stokes L, Reid K (1999) Three-dimensional motion analysis of upper limb movement in the bowing arm of string-playing musicians. Clin Biomech 14:. doi: 10.1016/S0268-0033(98)00110-7
[9] Yagisan N, Karabork H, Goktepe A, Karalezli N (2009) Evaluation of Three-Dimensional Motion Analysis of the Upper Right Limb Movements in the Bowing Arm of Violinists Through a Digital Photogrammetric Method. Med Probl Perform Art 24:181–184
[10] McCrary JM, Halaki M, Ackermann BJ (2016) Effects of Physical Symptoms on Muscle Activity Levels in Skilled Violinists. Med Probl Perform Art 31:125–131. doi: 10.21091/mppa.2016.3024
[11] Möller D, Ballenberger N, Ackermann B, Zalpour C (2018) The potential relevance of altered muscle activity and fatigue in the development of performance-related musculoskeletal injuries in high string musicians. Med Probl Perform Art 33:147–155. doi: 10.21091/mppa.2018.3021
[12] Hodges PW, Tucker K (2011) Moving differently in pain: A new theory to explain the adaptation to pain. Pain 152:S90–S98. doi: 10.1016/j.pain.2010.10.020
CASE: Musiker als eine interdisziplinäre Herausforderung in der Therapie
Nackenschmerzen sind neben Schmerzen im linken Arm die am häufigsten auftretenden Probleme bei Violinisten (Lebenszeitprävalenz). Im Folgenden wird exemplarisch der Therapieverlauf einer Musikstudierenden (Violinistin) des Instituts für Musik (IfM) der Hochschule Osnabrück beschrieben, um die Bedeutung und Relevanz einer gut abgestimmten interdisziplinären Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen in der Musikerversorgung aufzuzeigen.
Petra M. studiert im 3. Semester Musikerziehung Klassik am IfM und klagt seit einiger Zeit über Beschwerden / Schmerzen im linken Nackenbereich, teilweise mit Ausstrahlungen in den linken Hinterkopf. Sie spielt seit ihrem 5. Lebensjahr Violine mit zunehmender täglichen Übedauer seit Beginn des Studiums. Zurzeit sind es ca. vier Stunden täglich, zusätzlich kommen noch Orchesterproben und Auftritte am Wochenende hinzu. Ihr Geigenprofessor schickt sie zum Institut für angewandte Physiotherapie und Osteopathie (INAP / O)**, welches im selben Gebäude angesiedelt ist und eine enge Zusammenarbeit mit dem IfM in der Versorgung von Musikern pflegt.
Der Arzt im INAP / O diagnostizierte unter anderem eine Fehlhaltung und Funktionsstörung der HWS sowie eine stressbedingte Belastungssituation der Studierende, da sie vor wichtigen Prüfungen und Auftritten steht. Die wichtigsten Befundparameter der hinzugezogenen Physiotherapeutin waren zudem:
- Spielposition mit einer starken Lateralflexion und Rotation nach links, um die Violine zu halten
- Erhöhten muskuläre Aktivität des M. trapezius descendens links in Ruhe mit zunehmender Aktivitätserhöhung, je länger das Instrument gehalten wird (gemessen mittels Elektromyographie)
- Hypomobilität der oberen HWS und oberen BWS bei einem schlanken Hals
- Vermehrte Schultergürtelprotraktion und -elevation links
- Druckdolentes, hypomobiles Kiefergelenk links
Folgende Managementstrategie wurde auf Basis der Befundergebnisse zwischen Geigenprofessor, Arzt und Physiotherapeutin abgestimmt:
- Ergonomische Anpassung des Instruments an den Körper der Patientin in Zusammenarbeit von Geigenprofessor und Physiotherapeutin mit Schulter- und Kinnstützen
- Manualtherapeutische Behandlung hypomobiler Segmente der HWS und BWS sowie des Kiefergelenkes
- Stabilisationstraining der tiefen Halsmuskulatur in Ruhe und mit Progression in die Funktion
- Haltungsschulung am Musikinstrument
- Aufklärung über die zugrunde liegenden physiologischen Schmerzprozesse und
Entwicklung eines Selbstmanagement
Die Patientin kam in den ersten zwei Wochen 2x wöchentlich zur Physiotherapie. In diesen Behandlungseinheiten wurden zwei zusätzliche gemeinsame Termine mit dem Geigenprofessor integriert, um die ergonomische Anpassung der Violine vorzunehmen. Nach den ersten zwei Wochen konnte eine Mobilitätsverbesserung der hypomobilen HWS und BWS Segmente ebenso wie des Kiefergelenks festgestellt werden. Die Patientin war in der Lage, ihre HWS besser zu stabilisieren. Neben den manualtherapeutischen Maßnahmen wurde ein EMG-Biofeedbacktraining zur Aktivitätskontrolle beider Mm. trapezii descendens während des Spielens durchgeführt. Die besprochenen Übungen für zuhause wurden qualitativ gut durchgeführt, so dass entschieden wurde, die weiteren Behandlungseinheiten auf 1x wöchentlich zu reduzieren. Nach weiteren vier Wochen war die Mobilität der HWS und BWS sowie die muskuläre Aktivität des M. trapezius descendens unauffällig, lediglich das Kiefergelenk schmerzte noch leicht. Die Patientin hat ein physiologisches Wissen bezüglich ihrer Problematik entwickelt, so dass sie schmerzhafte Phasen besser verstehen und managen kann. Der Geigenprofessor war mit der Entwicklung ebenfalls sehr zufrieden, während der Lehreinheiten im Studium traten keine schmerzhaften Episoden mehr auf, die Belastungsfähigkeit der Patientin hat sich signifikant erhöht. Die ärztliche Abschlussuntersuchung bestätigte diese Ergebnisse.
*https://www.hs-osnabrueck.de/binnenforschungsschwerpunkt-musikphysioanalysis/
**https://www.inapo-osnabrueck.de
Autoren
ist Dipl. Sportwiss. und Physiotherapeut mit Fortbildungen in der manuellen Therapie (OMPT-DVMT©), therapeutischem Klettern und MTT. Der ehemalige Volleyball-Bundesligaspieler hat lange in verschiedenen Physiotherapiepraxen und Rehabilitationskliniken gearbeitet. Seit 2012 ist er an der Hochschule Osnabrück tätig, wo er als Dozent in mehreren Studiengängen für Physiotherapie arbeitet. Seit seiner Tätigkeit an der Hochschule ist er einer der verantwortlichen Leiter des physiotherapeutischen Bewegungslabors und Mitglied des interdisziplinären Forschungsteams mit dem Schwerpunkt Musikergesundheit.