In jeder Saison haben die 18 Vereine der Fußball-Bundesliga pro 1.000 Stunden Fußballbelastung drei bis fünf verletze Spieler zu beklagen, wobei die Clubs mit Championsleague oder Euro-League Teilnahme bis zu acht Verletzungen pro 1.000 Fußballbelastung verzeichnen (Ekstrand et al. 2011).
In etwa 2 / 3 aller Verletzungen im Fußball sind akut und 1 /3 auf Überlastungen zurückzuführen, wobei ca. 70 % aller Verletzungen die untere Extremität betreffen (Walden et. al. 2005). Bei einer durchschnittlichen Kadergröße von 25–27 Spielern sind ca. 486 Spieler mehr oder weniger im Einsatz. Diese Spieler werden von ca. 36 bis 54 Ärzten, 72 bis 90 Physiotherapeuten und 72 bis 118 Trainern im direkten Umfeld intensiv betreut. Die meisten Mitwirkenden sind hoch motiviert. Es geht um den maximalen Erfolg mit maximal besten Bedingungen unter den jeweiligen finanziellen Voraussetzungen des Vereins. Neben den sportlichen Herausforderungen kommt dem wirtschaftlichen Aspekt im Profifußball eine besondere Bedeutung zu. Eine medizinische Abteilung hat durchschnittlich in der Bundesliga einen Kaderwert von ca. 236 Mio. Euro (Transfermarkt.de) zu betreuen, wobei der höchste Wert bei ca. 740 Mio. Euro und der Niedrigste bei ca. 43 Mio. Euro angegeben wird.
Typische Verletzungen im Fußball
- Muskelverletzungen: Hamstrings, Adduktoren, Quadriceps, Triceps surae
- Sprunggelenksdistorsion
- Knorpelverletzungen im Knie
- „Sportlerleiste“
- ACL Ruptur
Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen die Muskelverletzungen. Die Bedeutung der Muskelverletzungen im Profifußball wird auch durch die aktuelle Statistik der VBG unterstrichen. So wurden 2017 23,3 % (35,3 % Muskelzerrung, 33,1 % Rupturen, 23,5 % Kontusionen, 8,1 % sonstige) Oberschenkel- und 10,8 % (59,2 % Kontusionen, 21,2 % Ruptur / Zerrung) Unterschenkelverletzungen dokumentiert. Das Ziel der Befragung ist der Erkenntnisgewinn, wie der Behandlungsalgorithmus bei einer Grad III Verletzung nach Müller-Wohlfahrt des proximalen Hamstrings im Bereich des muskulo-tendinösen Übergangs ist. Darüber hinaus soll an diesem Beispiel das Verhältnis aus Erfahrungswert und Orientierung an wissenschaftlich, evidenzbasierter Medizin der behandelnden Ärzte dargestellt werden.
Methode
In Kooperation mit der sportärztezeitung wurde allen Ärzten der 1. Deutschen Fußballbundesliga (Saison 2017 / 18) folgende Frage gestellt:
Sie stellen eine III° Verletzung des Hamstrings (Standbein) am muskulo-tendinösen Übergang proximal fest.
- 1. Wie ist Ihre Behandlungsstrategie?
- 2. Welche Kriterien sind wegweisend für die Trainings- bzw. Wettkampftauglichkeit des Spielers?
Ergebnisse
11 Ärzteteams haben geantwortet. Diagnostisch wurden die folgenden Techniken angewendet: klinische Untersuchung: 11, MRT: 11, Sonografie: 11,EMG: 4, FMS: 2, Labor: 1, Kinesiologie: 1
Als Konsequenz kamen verschiedene Therapieansätze zum Einsatz: PECH initial: 7 (+x?), Osteopathie/Physiotherapie: 11, Lymphdrainage: 7, Infiltration lokal, PRP / ACP: 7, LA/Bicarbonat / Traumeel: 1, LWS Infiltration: 3, Keine Infiltration: 3, Akupunktur: 1
Das Return To Competition Programm orientierte sich meist an den funktionellen Befund des Spielers. Es erfolgte häufig eine funktionelle Rehabilitation (u. a. mit Core-Training, Yoga, Faszientraining etc.). Mitunter wurde dies mittels EMG objektiviert. Nachfolgend die einzelnen Aspekte:
Verlauf und Return to: Klinik: 11, EMG: 4, Biomechanische Analyse (Sensoren): 1, FMS: 2, Kinesiologie: 1
Diskussion
Die Herausforderungen für die medizinischen Abteilungen im Profifußball sind beachtlich. Der sportliche Erfolgsdruck, wird durch die Verantwortung für den hohen Kaderwert massiv verstärkt. Das medizinische Vorgehen bei der beschriebenen Grad III Verletzung des muskulo-tendinösen Übergangs (n. Müller-Wohlfarth) ist meist geprägt von Erfahrung der einzelnen Teamärzten. Es besteht Konsens in der Diagnostik. Bemerkenswert ist der Ansatz der biologisch und funktionell orientierten Therapie. Gemäß der aktuellen Literatur werden einzelne Therapieansätze unterschiedlich bewertet. In sechs Studien zeigte sich eine kürzere Return to Sport Zeit bei der Behandlung von Muskelverletzungen mit PRP. Gemäß RCTs besteht jedoch wenig Evidenz, auch wenn eine PRP Behandlung biologisch sehr viel versprechend ist (Grassi et al.: Sports Med. 2018 Apr;48(4):971–989. doi: 10.1007/s40279-018-0860-1). Andere Reviews geben Hinweise auf weniger Schwellung, Schmerz und schnelleres Return to Sport nach PRP Therapie bei Muskelverletzungen. Der Hinweis auf die Heterogene Studienlage (mit und ohne LA, Leu. Etc.) sollte stets berücksichtigt werden (Setayesh et al.: Curr Rev Musculoskelet Med. 2018 Dec;11(4):635–642. doi: 10.1007/s12178-018-9526-8). Von großer Bedeutung ist die Vermeidung einer Rezidivverletzung. Durch eine systematische Rehabilitation besteht ein 66 % generell geringeres Risiko sich erneut zu verletzen. Für die untere Extremität besteht ein 75 % geringeres Rezidivverletzungen (Hägglund et al.: AJSM, 3 / 2007).
Fazit
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Ärzte in der Fußballbundesliga ein hohes Maß an Verantwortung übernehmen. Die Arbeit der Ärzte ist stark intrinsisch motiviert und sollte von Clubseite im Verhältnis zur Verantwortung deutlich besser honoriert und abgesichert werden. Ferner sind die Erfahrungswerte der Behandler von wesentlicher Bedeutung. Die rein evidenzorientierte Medizin kann im Hochleistungssport kaum angewendet werden. Zukünftig sollten retrospektiv beschriebene Einzelfallbeobachtungen wissenschaftlich auch eine höhere Bedeutung beigemessen werden.
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit den Zusatzbezeichnungen Chirotherapie und Sportmedizin. Er leitet die Praxis „Orthopädie und Sport“ mit dem Schwerpunkt konservative und operative Behandlung von akuten und chronischen Beschwerden des Bewegungsapparates. Dr. Enneper ist u. a. Arzt des DLV, seit 2019 Mannschaftsarzt von Fortuna Köln und wiss. Beirat der sportärztezeitung.