Wie kann man Kriterien für valide und reproduzierbare Diagnostik von TrP/MFS erstellen, wenn man eigentlich gar nicht weiß, was da genau diagnostiziert werden soll? Nach welchen Kriterien werden gerade in der modernen Sportmedizin Therapieoptionen für TrP/MFS bewertet und ausgewählt, wenn man eigentlich gar nicht weiß, was da genau behandelt wird?
Gemessen an der Fülle der Rückmeldungen habe ich mit diesem Beitrag in der sportärztezeitung offensichtlich einen Nerv getroffen. Stellvertretend für zahlreiche Zuschriften sei hier die launige Bemerkung eines Kollegen wiedergegeben: „Irgendwie ist doch heute fast alles Triggerpunkt und MFS, und alle behandeln es. Nur genauer nachfragen sollte man besser nicht.“
Doch genau dies habe ich getan, und zwar bei drei meiner Kooperationspartner, mit denen ich gegenwärtig klinische Studien zur Therapie von TrP/MFS durchführe bzw. plane. Für alle drei sind Diagnostik und Therapie von TrP/MFS im Bereich der Sportmedizin Gegenstand ihrer täglichen Arbeit. Konkret habe ich sie gebeten, zu den beiden oben gestellten Fragen aus ihrer Sichtweise Stellung zu beziehen. Hier sind ihre Antworten (in alphabetischer Reihenfolge).
Dr. Dr. med. Andreas Först
Dr. Först ist Orthopäde und Unfallchirurg sowie Beirat der Gesellschaft für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie (GFFC), Teamarzt der BROSE Baskets Bamberg und Osteopath (M.D.O.). Er formuliert es so: Die Auseinandersetzung zwischen Quintner et al. (2015) und Dommerholt und Gerwin (2015) zeigt, dass aufgrund der vorliegenden Literatur zum Thema TrP/MFS bisher kein echter wissenschaftlicher Nachweis möglich ist. Dennoch muss die Bedeutung dieser Begriffe in der täglichen Praxis betont werden. Insbesondere in der Manualtherapie und Osteopathie ist auf dieser begrifflichen Ebene eine Kommunikation zwischen Patient und Therapeut möglich, wie auch zwischen Therapeut und Therapeut. Dabei sollte auf den reinen Wortsinn der Triggerpunkte als Auslöser, quasi Schaltknöpfe, hingewiesen werden. Durch Drücken oder Ertasten eines dieser „Knöpfe“ können einerseits Schmerzen ausgelöst, andererseits aber auch Hinweise auf verletzte oder erkrankte Strukturen gewonnen werden.
Die Begriffe Triggerpunkte und myofasziale Schmerzen sind für mich nicht identisch. Triggerpunkte sind eng begrenzte, lokale Strukturen, während myofasziale Schmerzen meist longitudinal verlaufenden Bahnen folgen. Triggerpunkte können Teil der myofaszialen Bahnen sein und myofasziale Schmerzen auslösen, können aber in ihrer Symptomatik auch ein lokal begrenztes Phänomen darstellen. Myofasziale Schmerzen sind entsprechend ihrer Bedeutung Schmerzen, die den vorgegebenen anatomischen Strukturen, also dem Muskel-Faszien-Verlauf folgen.
Interessanterweise konnte mir bei einer Umfrage unter mehreren, sehr erfahrenen Physiotherapeuten keiner der Befragten eine klare Definition und Therapieanleitung liefern. Als gemeinsamer Nenner zeigte sich die persönliche Erfahrung, insbesondere hinsichtlich manueller Techniken und die Orientierung am Feedback der Patienten. Vergleicht man die bekannten Triggerpunkte nach Travell und Simons, die klassischen Akupunkturpunkte und die Tenderpoints nach Lawrence H. Jones, so treten immer wieder Übereinstimmungen auf, wobei ein konsequenter Vergleich dieser Systeme meines Wissens nach bisher nicht existiert.
Hinsichtlich eines wissenschaftlichen Nachweises von TrP/MFS ergeben sich für mich die folgenden Aspekte:
(i) Der Versuch eines Mappings von Triggerpunkten bzw. myofaszialen Schmerzbahnen, die bei bestimmten Krankheits- oder Beschwerdebildern reproduzierbar aufzufinden sind, könnte ein Ansatz sein. Diese Aufgabe könnte im Sinne einer Multicenterstudie durch erfahrene Manualtherapeuten/Osteopathen ausgeführt werden, zum Beispiel in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Chirotherapie und Osteopathie (DGCO). Die jeweils aufgefundenen Punkte sollten markiert und anschließend mittels MRT validiert bzw. den anatomischen Strukturen zugeordnet werden.
(ii) Ein weiterer Ansatz könnte ein Matching der Triggerpunkte nach Travell und Simons mit den klassischen Akupunkturpunkten sowie den Tenderpoints nach Lawrence H. Jones sein.
(iii) Das Vorliegen myofaszialer, kutaner, ligamentärer und periostaler Triggerpunkte könnte ein Hinweis auf eine clusterartige, regionale bzw. gewebetypische Kumulation von Sensoren sein.
(iv) Schließlich sei auf eine Arbeit von Shah et al. (2005) verwiesen*, bei der mittels Mikro-Dialyse in aktiven Triggerpunkten erhöhte Konzentrationen von Substanz P, TNF-α, IL-1β, IL-6, IL-8, CGRP, Bradykinin, Serotonin und Norepinephrin sowie ein erniedrigter pH-Wert nachgewiesen wurden. Leider sind diese Ergebnisse in anderen Studien bisher nicht reproduziert worden.
Dr. med. Andreas Kreutz
Dr. Kreutz, Orthopäde und Sportmediziner, ist Präsident und Gründungsmitglied der Deutsch-Österreichischen Gesellschaft für Stabilisierende Verfahren am Bewegungsapparat (DSVB) und Betreuer zahlreicher Profi- und Amateursportler. Er beurteilt das Thema folgendermaßen: Aus dem klinischen Alltag heraus ergibt sich regelmäßig der Eindruck, dass es sich bei TrP nicht um ein homogenes myofasziales Problem handelt. Manche TrP lassen sich schnell lösen, andere nur langsam, oder sie lösen sich gar nicht vollständig während einer Therapieanwendung. Manche TrP kommen zurück oder verbleiben, andere lassen sich auch nach Monaten nicht mehr finden. Möglicherweise gibt es tatsächlich verschiedene Pathomechanismen für die Entstehung von TrP. Vielleicht ist es aber auch die zeitliche Dimension mit funktionellen oder sogar strukturellen Veränderungen im Schmerzübertragungssystem, die das Ansprechen von TrP auf therapeutische Bemühungen maßgeblich beeinflusst.
Zum Verständnis dieser Komplexität sollte man sich vergegenwärtigen, dass (i) Schmerzrezeptoren mit einer Latenz von Millisekunden entsprechende Reize an das Nervensystem übermitteln, (ii) mit einer Latenz von Minuten Aktionspotenziale in C-Fasern die Erregbarkeit der Schmerzrezeptoren und die Aktivität der Schaltkreise im Rückenmark verändern, (iii) sich nach Tagen die Veränderung im Rückenmark intensiviert und es zur Ausbildung der schmerzhaften rezeptiven Felder kommt (was sicherlich ein großes Problem bei der experimentellen Erzeugung von TrP darstellt), und (iv) mit einer Latenz von Wochen und Monaten es zur anatomischen Degeneration, einer Atrophie deafferenter Zellen, unkontrollierter Nervensprossung und anormaler Aktionspotenzialsequenzen kommt (Wall, 1985)**. Die Vorstellung, es handele sich bei TrP um ein homogenes klinisches Problem, für das ein wie auch immer geartetes und auf einem einzigen anatomischen Korrelat basierendes Nachweismodell existieren muss, ist aus meiner Sicht kein zielversprechender Ansatz.
Unsere vorhandenen klinischen Algorithmen in der Behandlung von TrP/MFS haben sich im Alltag bewährt, sind reproduzierbar und bedürfen letztlich „nur noch“ einer wissenschaftlichen Absicherung durch klinische Studien. Viel spannender dagegen sind für mich die Fragen nach den Ursachen für TrP und ob es sich um eine homogene Gruppe von Muskelveränderungen handelt. Ergeben sich hierdurch prognostische Informationen? Gibt es auch peripher im Muskelgewebe selbst Chronifizierungsprozesse, und wie könnten diese erkannt und besser therapiert werden? Klinische Hinweise auf eine Ausbreitung des ursprünglichen TrP auf andere Muskeln mit Bildung von Satellitentriggerpunkten gibt es schon lange. Wir interpretieren dies als ein Indiz dafür, dass die Faktoren Zeit und Qualität/Quantität der Störung entsprechend hoch sind. Andererseits wissen wir noch wenig darüber, bei welchen Konstellationen eine Mitbehandlung von Satelliten TrP obligatorisch und wann fakultativ sein könnte.
Dafür haben wir mittlerweile eine recht gute Vorstellung davon, mit welchen arthrogenen (Gelenk-) Störungen die verschiedenen Muster an TrP in verschiedenen Muskeln zusammenhängen. Wir lernen, nach diesen zu suchen, auch wenn das Symptom Schmerz (noch) gar nicht präsent ist. Dies eröffnet völlig neue Ansätze zur Entwicklung prophylaktischer Konzepte oder, besser gesagt, von Konzepten zur Früherkennung. Besonders bedeutsam für die Sportmedizin ist dies für die Betrachtung von TrP nicht nur als Schmerzquelle, sondern als Störquelle neuromuskulärer Muster, sowohl was die propriozeptive als auch die feinmotorisch ausführende Komponente anbelangt. Unsere Vorstellungen diesbezüglich beruhen zum größten Teil auf Annahmen, die sich auf das tägliche Arbeiten mit Gelenksdysfunktionen stützen, entbehren aber jeglicher wissenschaftlichen Überprüfung.
Was wir also von den Grundlagenforschern dringend brauchen, sind belastbare Modelle für das Verständnis, wie TrP entstehen, ob es verschiedene Arten von TrP gibt oder ggf. Subtypen. Werden diese Subtypen dann über unterschiedliche Störungsquellen erzeugt, oder ist der alleinige Unterschied vielleicht nur die Quantität des Störpotenzials ggf. kombiniert mit einem Zeitfaktor? Eine andere Frage ist, was einen TrP dazu veranlasst, Satellitenpunkte zu bilden. Werden sie von der gleichen Störquelle gebildet, oder entstehen sie durch die Auswirkung des primären TrP?
Steffen Tröster
Steffen Tröster ist staatlich anerkannter Physiotherapeut, Diplom-Sportwissenschaftler und Osteopath BAO. Seit 2012 arbeitet er im Team der medizinischen Abteilung des FSV Mainz 05. Seine Einschätzung: Eine valide und reproduzierbare Diagnostik von TrP/MFS erscheint nur schwer bzw. gar nicht umsetzbar. Dennoch brauchen wir Therapeuten im Team eine einheitliche Sprache für Techniken und Diagnostik. Dabei ist TART ein Versuch, wie man Gewebe valide nach Kriterien bewerten kann, wenn das subjektive Empfinden des Therapeuten im Vordergrund steht (außer beim Range of Motion, der objektiv messbar ist). Das „T“ bei „TART“ steht für Tenderness im Sinne einer erhöhten Empfindlichkeit bis hin zu einer Druckdolenz, das „A“ für Asymmetrie, „R“ beschreibt die Einschränkung einer Bewegung (Range of Motion) und „T“ den Tissue Texture Change inklusive myofaszialer Veränderungen des Gewebes (u.a. Zonen, Schweiß, Haare, Quellungen). Nach diesem Konzept lassen sich TrP/MFS gut einordnen.
Tenderpoints werden in der Osteopathie von L. Jones beschrieben. Sie ähneln den beschriebenen TrPs von Travell und Simons. Jedoch sind Tenderpoints nur Schmerzpunkte am Körper ohne ausstrahlenden Charakter. Zum Beispiel zeigt fast jedes Knietrauma Tenderpoints, die den von Travell und Simons im M. popliteus beschriebenen Triggerpunkten entsprechen. Darüber hinaus zeigen Dysfunktionen des Beckens häufig Tenderpoints im Verlauf des M. iliopsoas.
In Bezug auf Kriterien zur Bewertung und Auswahl von Therapieoptionen für TrP/MFS stehen für mich die Intuition des Therapeuten sowie die individuelle Erfahrung, welche Techniken zum Therapieerfolg führen, absolut im Vordergrund. Dabei verwenden wir Bewertungsbögen, mithilfe derer Erkrankungen und Verletzungen, TrPs und Tenderpoints, das Ausmaß von Schmerz auf einer VAS-Skala, der Beschwerde- und Behandlungszeitraum, die jeweils angewandte Technik sowie der Therapieerfolg systematisch erfasst werden.
Akute Patienten zeigen häufiger gute Ergebnisse bei indirekten Behandlungstechniken wie dem sogenannten Strain-Counterstrain-Verfahren. Darüber hinaus erzielen wir meist einen besseren und erträglicheren initialen Zugang zu Patient und Gewebe über indirekte Techniken, um dann anschließend mit einer direkten Methode wie zum Beispiel Dry Needling, der Applikation extrakorporaler Stoßwellen oder klassischem manuellen Druck den TrP zu eliminieren. Die jeweilige Vorgehensweise ist aber immer sehr individuell und vom jeweiligen Patienten abhängig, etwa – neben vielen weiteren Faktoren – von seiner Schmerzempfindlichkeit.
Kehren wir noch einmal zu Quintner et al. (2015) zurück, die geschrieben hatten: „We find that both [d.h. TrP und MFS] are inventions that have no scientific basis, whether from experimental approaches that interrogate the suspect tissue or empirical approaches that assess the outcome of treatments predicated on presumed pathology. Therefore, the theory of MPS [myofascial pain syndome, also MFS] caused by TrPs has been refuted.“
Wie passt das alles zusammen? Nun, das Dilemma ist, dass sowohl die Kollegen Kreutz, Först und Tröster als auch Quintner et al. (2015) wohl alle auf ihre individuelle Weise Recht haben. Und beide Gruppen (die hier ja nur stellvertretend für zwei viel größere Gruppen stehen, nämlich die Befürworter und Ablehner des Konzepts von TrP/MFS), haben ein Problem:
• Das Problem der Ablehner ist, dass der Stand der Diskussion in der akademischen Literatur zum Thema TrP/MFS letztlich irrelevant ist, solange die Befürworter bei Diagnostik und Behandlung von TrP/MFS zufriedene Patienten und Patientinnen generieren und ihre Rechnungen bezahlt bekommen (und zwar zunächst ganz egal, ob von Krankenkassen, Sportvereinen oder Patienten/Patientinnen privat). Denn nach wie vor gilt: „Wer heilt, hat Recht.“
• Das Problem der Befürworter ist, dass genau dies (nämlich die Kostenübernahme durch die Krankenkassen) derzeit wohl kaum oder nur unzureichend geschieht und sich daran auch nichts ändern wird, solange die Datenlage in der akademischen Literatur zum Thema TrP/MFS so dürftig bleibt, wie sie es zum jetzigen Zeitpunkt ist. Dabei darf man nicht vergessen, dass es hier keineswegs nur um einen wirtschaftlichen Aspekt geht. Vielmehr wird die Übernahme der Kosten für eine bestimmte Therapie durch die Krankenkassen in der Bevölkerung als Qualitätssiegel angesehen und zwar oftmals unabhängig vom tatsächlichen Stand des Wissens in der akademischen Literatur.
Von daher sollte man die Kritik von Quintner et al. als Weckruf verstehen, die mittlerweile wirklich guten Konzepte zu TrP/MFS, die ja oben eindrucksvoll von den Kollegen Kreutz, Först und Tröster dargelegt werden, endlich auch mit belastbaren Daten zu unterfüttern, die den Kriterien von Quintner et al. genügen. Wir selbst (d.h. die Kollegen Kreutz, Först, Tröster und Schmitz) sind in dieser Hinsicht bereits konkret unterwegs, freuen uns aber auch auf und über jede andere Initiative in dieser Hinsicht. Die sportärztezeitung hält Sie auf dem Laufenden.
Autoren
ist Inhaber des Lehrstuhls II der Anatomischen Anstalt der Ludwig-Maximilians Universität München und wissenschaftlicher Beirat der sportärztezeitung.