Elite-Schiedsrichter sind hohen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt. Die spielspezifische körperliche Belastung ist sogar vergleichbar mit der Belastung der Fußballspieler [6, 9, 16, 17]: „Aufgrund des Belastungsprofils aus körperlicher Ausdauer, Sprintfähigkeit, mentaler Belastung mit Menschenführung sollte man bei der „Schiedsrichterei“ von einer eigenen Sportart sprechen. Diese Gruppe ist nicht nur für Fußballfans interessant, sondern auch aus sportmedizinischer bzw. -orthopädischer Sicht. Keine Athletengruppe muss eine vergleichbare Belastung in dieser Altersklasse und vor allem über diesen Karrierezeitraum erbringen“ [7].
Elite-Schiedsrichter in der Fußballbundesliga sollen trotz der körperlich anspruchsvollen Belastung viele Saisons auf höchstem Niveau einsatzbereit sein, idealerweise mit möglichst wenig Ausfallzeiten [18]. Damit Schiedsrichter die Einhaltung aller Regeln überprüfen können, müssen sie sich optimal zum Ball positionieren und während des gesamten Spielablaufs, dem Spieltempo folgend eine uneingeschränkte Bewegung über das Spielfeld leisten können [16]. Der DFB umfasst rund 160 Elite-Schiedsrichter in den ersten drei Fußball-Ligen und im DFB-Pokal der Männer. In Teams übernehmen sie die unparteiische Begleitung des Spielbetriebs für rund 1.000 Spiele pro Saison im nationalen Bereich [3, 5]. Die Schiedsrichter sind neben den Fußballspielern auch aktive Teilnehmer auf dem Spielfeld und legen bis zu 11 km Laufstrecke während einer Partie zurück [10, 17]. Damit entspricht die spielspezifische Belastung der Schiedsrichter der Belastung der Profifußballer [6, 9, 17]. Neben den theoretischen Regelkenntnissen müssen also auch passende körperliche und mentale Voraussetzungen sichergestellt werden, weshalb eine jährliche standardisierte Leistungsüberprüfung der Schiedsrichter erfolgt [4]. Dr. Matthias Jöllenbeck ist seit 2020 Schiedsrichter in der Fußballbundesliga und hat dort bereits 44 Spiele begleitet. Hauptberuflich ist er als Arzt im Fachbereich Orthopädie und Unfallchirurgie tätig. Er kennt daher die Herausforderungen, die sich in der adäquaten ärztlichen Betreuung von Elite-Schiedsrichtern stellen, aus beiden Perspektiven. Dr. Matthias Jöllenbeck hat u. a. während der Spielzeit 2020 / 2021 gemeinsam mit Dr. Ulrich Schneider (Sportklinik Hellersen und betreuender Arzt der Elite-Schiedsrichter) und Johannes Egelseer (hauptamtlicher DFB-Fitnesstrainer der Elite-Schiedsrichter) ein Verletzungsscreening der deutschen Elite-Schiedsrichter (Schiedsrichter (-assistenten) der Bundesliga und 2. Bundesliga) durchgeführt.
Verletzungen
Schiedsrichter sind einem hohen Maß an körperlicher Belastung und damit einhergehend einem erhöhten Verletzungsrisiko ausgesetzt [14]. Im Fußballsport wurde bereits eine Korrelation zwischen Verletzungen und Ausfallzeiten mit dem Alter, Trainingsumfang, der Trainingssteuerung und dem Spiellevel gezeigt [2]. Verletzungen von Schiedsrichtern treten in unterschiedlichen Settings auf, bei den Elite-Schiedsrichtern wurden in der Spielsaison 2020 / 2021 63 % aller Verletzungen im Training, 30 % im Spiel und 7 % während Leistungstests dokumentiert [8]. In seinem Rekordspiel zog sich der Elite-Schiedsrichter Dr. Felix Brych vor kurzem einen Kreuzbandriss zu und musste operativ versorgt werden [2]. Viel häufiger treten bei Schiedsrichtern jedoch kontaktlose Verletzungen an der unteren Extremität auf, also weniger akute „gradual-onset injuries“, mit langsam zunehmenden Beschwerden [11, 13]. 52 % der nicht-traumatischen, chronischen Verletzungen der deutschen Elite-Schiedsrichter waren Tendinosen und Tendinitiden (Grafik) [8].
Laut der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) sind rund 1/3 aller Verletzungen im Fußball Muskelverletzungen, häufig der unteren Extremität sowie Verletzungen von Sehnen und Bändern an Sprung- und Kniegelenken [1]. Bei den deutschen Elite-Schiedsrichtern zeigten sich die Muskelverletzungen am häufigsten an der Oberschenkelrückseite und Sehnenverletzungen an der Achillessehne [8]. Schiedsrichter sind im Durchschnitt etwa 10 – 15 Jahre älter als Fußballspieler selber und haben damit auch ein höheres Verletzungsrisiko [15]. Für die sportorthopädische Betreuung von Schiedsrichtern ist das von großer Relevanz, da mit zunehmendem Alter im allgemeinen auch die sportartunabhängige Inzidenz für Muskel- und Sehnenverletzungen exponentiell ansteigt [12]. Die Betreuung von Elite-Schiedsrichtern sollte in spezialisierten sportmedizinischen Zentren mit Erfahrung bei der Behandlung von Profisportlern erfolgen, wie bspw. im LANS Medicum in Hamburg oder im Orthozentrum in Freiburg.
Case-Report 1: Knorpelschaden Kniegelenk
Ein 45-jähriger Schiedsrichter mit symptomatischem Knorpelschaden III° – IV° an der medialen Femurkondyle, frustrane konservativer Therapie mittels hochmolekularer Hyaluronsäure (HA), Bandage, Physiotherapie und Analgetika stellte sich bei uns vor. Nach umfassender Diagnostik (Bein- und Fußstatik, Kraftmessung) Start mit orthobiologischer Kombinationstherapie aus intraartikulären PRP- und spezifischer Hyaluron-Injektionen (Hymovis HYADD®4; Fidia) unter sonografischer Kontrolle mit 2-wöchigem Abstand (insgesamt drei Infiltrationen: HA-PRP-PRP) und begleitender intensiver medizinischer Trainingstherapie (Fokus auf Stabilisationstraining Knie). Wiedervorstellung zwei Wochen nach Durchführung der letzten Injektion mit Schmerzfreiheit unter Belastung. Als Indiz für die biologische intraartikuläre Regeneration wird die komplette Remission des Reizergusses als latentes Entzündungsäquivalent sonographisch festgehalten. Somit ist die belastungsinduzierte Knorpelreizung unter HA und PRP zum Stillstand gekommen und ermöglicht eine vollständige Funktionsbelastung des Gelenkes.
In der Sportmedizin kommen zurzeit unterschiedliche autologe Orthobiologika mit dem Ziel der Beschleunigung und Optimierung der körpereigenen Reparaturmechanismen im Praxisalltag zum Einsatz. Neben Hyaluronsäuren (HA) werden auch Eigenbluttherapien mit plättchenreichem Plasma (PRP) und PRP-Derivaten, wie dem autologen conditioniertem Serum (ACS) / blood cell secretome (BCS) verwendet. Zusätzlich ist auch die Gabe von Cytokinen, Stammzellderivaten, Antikörpern oder Kollagenpräparaten intraartikulär zu diskutieren. Für intraartikulären Viskosesupplementation sind eine Vielzahl an diverser HA verfügbar, die sich in der Wirkweise deutlich unterscheiden. Bei Sportlern haben sich Praxiserfolge bspw. durch spezifische niedrig-molekulare lineare Hyaluronsäuren gezeigt, welches die HA visköser und „stabiler“ macht als quervernetzte HA (siehe dazu auch unseren Artikel zu Hyaluronsäureinjektion bei Gonarthrose in der sportärztezeitung 01/21, Wieber/Catalá Lehnen). Der ehemalige Fußballprofi Stefan Kießling bspw. berichtete in der Ausgabe der sportärztezeitung 01/20 nach 3 HA-Injektionen von einer deutlichen dauerhaften Beschwerdelinderung. Dieses Verfahren nutzen wir auch bei den Profi-Schiedsrichtern.
Case-Report 2: Muskelverletzung Oberschenkelrückseite
37-jähriger Schiedsrichter der Bundesliga. Nach Sprinttraining einschießender Schmerz in den linken hinteren Oberschenkel, sofortiger Belastungsabbruch. MR-tomographisch Nachweis eines Muskelfaserrisses Typ-IIIa nach Müller-Wohlfahrt des M. Biceps femoris. Nach Diagnosestellung erfolgte bei struktureller Verletzung die initiale Immobilisierung, Kompression- sowie Kryotherapie. An Tag 3, 7 und 12 erfolgte jeweils die lokale PRP-Infiltration (Arthrex ACP®) periläsional unter sonographischer Kontrolle. Am Tag selbst sowie Folgetag der PRP-Infiltration jeweils kein Training der betroffenen Struktur. Zusätzlich zu den Infiltrationen der Orthobiologica erfolgte die Anwendung von Stoßwellentherapie 2 – 3 x pro Woche, initial läsionsfern. Unter physiotherapeutischer Anleitung Return-to-Acitivity noch in Woche 1 (Ergometer, Bewegungstherapie, koordinatives Training). Ab Tag 10 Wiederaufnahme Lauftraining mit sukzessiver Steigerung. Nach erfolgreicher Return-to-Competition-Testung an Tag 23 Rückkehr auf den Bundesliga-Rasen 26 Tage post-trauma.
Case-Report 3: Überlastung Achillessehne
42-jähriger FIFA-Schiedsrichter mit Beginn der Symptomatik atraumatisch nach Spieleinsatz in der Champions League in Frühphase der Saison (August). In der Folge unter Belastung insbesondere bei Sprint / Antritt sehr starke Schmerzen mit VAS 9/10. Beginn physikalische und manuelle Therapie mit Stoßwellen-Anwendung. Im Saison-Peak mit wöchentlichen, auch internationalen Einsätzen keine längeren Ruhephasen möglich. Unter fortgeführter Spiel- sowie Trainingsbelastung keine Beschwerdelinderung trotz o.g. engmaschiger Behandlung, nun auch mit Ruheschmerz. Bei Beschwerdepersistenz und frustranem Verlauf MR-morphologisch nun Knochenödem am Achillessehnenansatz, Bursitis calacanei mit kleinem Längsriss der Achillessehne über 6 mm. In der Folge sofortige Belastungsreduzierung (Sprintkarenz im Training, Ausdauereinheiten auf Ergometer), lokale mechanische Entlastung (Keileinlage, Weichbettung, Änderung Schuhwerk). Über 14 Tage manualtherapeutische Intensivbehandlung begleitet von 3-maliger Infiltration von PRP (Arthrex ACP®) lokal. Unter o. g. Maßnahmen deutlicher Beschwerderückgang unter Belastung von VAS 4 / 10 über zwei Wochen bis hin zur Beschwerdefreiheit (VAS 1 / 10). Wiederaufnahme Lauf- und Sprinttraining, Fortführung Bundesliga-Einsätze.
Fazit
Die Case-Reports zeigen, wie anspruchsvoll die adäquate, an die spielspezifische Belastung der Schiedsrichter angepasste Behandlung ist. Schiedsrichter sollten als besonderes Patientenklientel angesehen werden, da die hohen körperlichen Anforderungen in einem Alter stattfinden, in dem auch im Freizeitsport die Inzidenz für Muskel und Sehnenverletzungen deutlich erhöht ist. Daher sollten Screening-Untersuchungen auf Sehnenpathologien und Präventionsprogramme für Schiedsrichter implementiert werden. Eine Analyse der aktuellen Fachliteratur und die Erfahrungen aus der Praxis verdeutlichen den Forschungsbedarf über Schiedsrichter und deren Belastungen als Hochleistungssportler. Die Ergebnisse des Verletzungsscreenings der Elite-Schiedsrichter von Dr. Jöllenbeck und Kollegen werden zeitnah publiziert und damit einen weiteren wichtigen Beitrag leisten, um die Behandlung dieser besonderen Patientengruppe weiterzuentwickeln.
Literatur
[1] Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (2018) Die häufigsten Fußballverletzungen. Available at: https://dgou.de/news/news/detailansicht/artikel/die-haeufigsten-fussballverletzungen.
[2] Deutscher Fußball-Bund (2023) Bittere Diagnose: Kreuzbandriss bei Felix Brych, Deutscher Fußball-Bund. Available at: https://www.dfb.de/news/detail/bittere-diagnose-kreuzbandriss-bei-felix-brych-257215/
[3] Deutscher Fußball-Bund (2023) Zweistufiges DFB-Ausbildungssystem, Deutscher Fußball-Bund. Available at: https://www.dfb.de/schiedsrichter/interessentin/artikel/zweistufiges-dfb-ausbildungssystem-269/#:~:text=Das%20Ausbildungssystem%20des%20DFB%20ist,Bundesliga%20und%20der%203.
[4] Deutscher Fußball-Bund (2023) Kriterien der Leistungsüberprüfungen der Schiedsrichter/Schiedsrichter-Assistenten, Deutscher Fußball-Bund. Available at: https://www.dfb.de/schiedsrichter/aktiver-schiedsrichterin/artikel/kriterien-der-leistungspruefungen-fuer-schiedsrichterschiedsrichtekr-assistenten-977/.
[5] Deutscher Fußball-Bund (2024) DIE ELITE-SCHIRIS DER DFB SCHIRIR GMBH, Deutscher Fußball-Bund. Available at: https://www.dfb.de/sportl-strukturen/schiedsrichterinnen/.
[6] Di Salvo, V., Carmont, M.R. and Maffulli, N. (2011) ‘Football officials activities during matches: a comparison of activity of referees and linesmen in European, Premiership and Championship matches.’, Muscles, ligaments and tendons journal, 1(3), pp. 106–111.
[7] Jöllenbeck, M. (2024) Interview.
[8] Jöllenbeck, M., Schneider, U., Egelseer, J. (2021) ‘Verletzungsscreening der deutschen Elite-Schiedsrichter (Schiedsrichter sowie Schiedsrichter-Assistenten der Bundesliga und 2.Bundesliga)’, Unpublished data.
[9] Krustrup, P., Mohr, M. and Bangsbo, J. (2002) ‘Activity profile and physiological demands of top-class soccer assistant refereeing in relation to training status.’, Journal of sports sciences, 20(11), pp. 861–871. Available at: https://doi.org/10.1080/026404102320761778.
[10] Mallo, J. et al. (2009) ‘Activity profile of top-class association football referees in relation to fitness-test performance and match standard.’, Journal of sports sciences, 27(1), pp. 9–17. Available at: https://doi.org/10.1080/02640410802298227.
[11] Moen, C. et al. (2023) ‘Prevalence and burden of health problems in top-level football referees.’, Science & medicine in football, 7(2), pp. 131–138. Available at: https://doi.org/10.1080/24733938.2022.2055782.
[12] Müller-Wohlfahrt, H.-W., Peter, U. and Hänsel, L. (2018) Muskelverletzungen im Sport. 3rd edn. Stuttgart: Thieme.
[13] Opitz, S. (2014) ‘Epidemiologie von Verletzungen bei Fußballschiedsrichtern in Deutschland’, Universität Regensburg Fakultät für Medizin. Available at: https://epub.uni-regensburg.de/31038/1/Dissertation_Sabine_Opitz_Publikation%20elektronisch.pdf.
[14] Veit, K. (2021) ‘“FIFA 11+”-Schiedsrichterprogramm’, Sportphysio, 09(05), pp. 200–203. Available at: https://doi.org/10.1055/a-1612-7569.
[15] Weston, M. et al. (2010) ‘Ageing and physical match performance in English Premier League soccer referees.’, Journal of science and medicine in sport, 13(1), pp. 96–100. Available at: https://doi.org/10.1016/j.jsams.2008.07.009.
[16] Weston, M., Drust, B. and Gregson, W. (2011) ‘Intensities of exercise during match-play in FA Premier League referees and players.’, Journal of sports sciences, 29(5), pp. 527–532. Available at: https://doi.org/10.1080/02640414.2010.543914.
[17] Weston, M. et al. (2012) ‘Science and medicine applied to soccer refereeing: an update.’, Sports medicine (Auckland, N.Z.), 42(7), pp. 615–631. Available at: https://doi.org/10.2165/11632360-000000000-00000.
[18] Yousefian, F. et al. (2023) ‘Intensity demands and peak performance of elite soccer referees during match play.’, Journal of science and medicine in sport, 26(1), pp. 58–62. Available at: https://doi.org/10.1016/j.jsams.2022.10.006.
Weiterer Autor des Artikels: Dr. med. Ulrich Schneider
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Spezielle Unfallchirurgie und Sportmedizin. Er ist Gründer und Inhaber des LANS Medicum. Seine mannschaftsärztlichen Betreuungen umfassten u. a. das Handballteam des HSV sowie von 2011-2014 die Erstligafußballmannschaft des Hamburger SV. Heute betreut er mit seinem Team mehrere Fußball- und Hockeyteams sowie das Hamburger Ballett von John Neumeier. Außerdem ist Prof. Catalá-Lehnen als Professor für den Schwerpunkt Orthopädie an der Medical School Hamburg und am UKE in der Lehre für das Fach Knochenpathologie tätig.
absolvierte nach Studium und Promotion die Weiterbildung Orthopädie und Unfallchirurgie an den Stationen Breisach und am Universitätsklinikum Freiburg. Seit Januar 2024 arbeitet er als angestellter Arzt im Orthozentrum Freiburg. Mit seinen Partnern betreut er Leistungs- und Freizeitsportler aller Altersklassen. Als Mannschaftsärzte betreut das Team mehrere höherklassige Fußballvereine sowie die EishockeyMannschaft des EHC Freiburg.
ist Sportphysiotherapeutin und GCP-zertifizierte (AMG und MPDG) Studienkoordinatorin. Sie ist Head of Science am LANS Medicum Hamburg, studierte in Hamburg und Plymouth (UK) und schloss mit einem MSc Advanced Professional Practice in Physiotherapy mit dem Schwerpunkt Clinical Research ab.