Jeder von uns kennt die schnelle und wohltuende Wirkung von Kälteanwendungen. Sei es als reine Erfrischung, bei der Regeneration nach dem Sport, sei es in der Akutbehandlung von Verletzungen oder bei chronisch entzündlichen Erkrankungen. Im medizinischen Alltag jedoch geht die vielseitige Anwendung und Wirkungsweise oft hinter anderen Behandlungsmaßnahmen verloren.
Dabei kann die Kryotherapie so viel mehr. Sie ist gewiss eine eher unterschätze Therapieanwendung der physikalischen Medizin, worauf u. a. auch Univ-Prof. Dr. med. Christoph Schmitz auf dem Symposium der sportärztezeitung 2022 hingewiesen hat. Wenn wir von Kryotherapie sprechen, ist definitionsgemäß der gezielte Einsatz von Kälte als therapeutischer Effekt gemeint. Im Vordergrund steht dabei stets der modulierende Effekt von Kälte auf entzündliche Reaktionen jedweder Art. Sei es die Schwellung (tumor) nach einem Trauma, die Überwärmung (calor) eines arthrotisch veränderten Gelenks, die Hyperämie und Rötung in Folge einer Allergie (rubor), der Schmerz einer Sehnenansatzreizung (dolor) oder auch die Funktionseinschränkung (functio laesa) einer tonusveränderten Muskulatur. Die lokale Kryotherapie spielt dabei ihre schmerzstillende, abschwellende und durchblutungsmodulierende Wirkung schnell und wirksam aus. Entscheidend für den jeweils gewünschten Effekt sind dabei neben den sehr variablen Temperaturgraden die gezielte Anwendungsdauer und die gewählte physikalische Kälteform (Luft, Wasser, Eis, Sprays, neuroreflektorische hyperbare CO2-Kryotherapie oder Kältekammern). Während wir eine abschwellende Wirkung bereits mit Hilfe milderer Temperaturen über eine längere Anwendungszeit (z. B. Hilotherm) und z. B. in Kombination mit einer flächigen Kompression (Gameready u.ä.) erreichen, bedarf es für eine schnelle und suffiziente Analgesie der Haut Temperaturen von –15 bis –78° Celsius. Eindrücklich muss aber auch vor der maximal gewebeschädigenden Wirkung von Kälte gewarnt werden, um unerwünschte Nekrosen und Gewebeschäden zu vermeiden. Solche sind ausschließlich der gezielten Kryochirurgie (Vereisung) oder Kryodestruktion (z. B. Denervierung der Nozizeption an der Wirbelsäule) vorbehalten. Folglich bestimmt die gewünschte und geplante Behandlung die Anwendungsform, Anwendungsdauer und die dafür zweckhafte Temperatur der Kryotherapie.
Einfachste Akutversorgung mit Kryotherapie
Bei der Behandlung akuter Verletzungen, Reizungen oder sonstigen Entzündungsmechanismen greifen wir erfahrungsgemäß erfolgreich zum schnell wirksamen Gelkühlkissen (Cool Pack), Eisspray oder Eislolly (Abb. 1). Die dabei eher niedrigen Temperaturen (Kaltluft –20°, Gelkissen ca. –10 bis –15°, Spray und gestielter Eislolly –0,5 bis –1,0°) bewirken eine rasche Absenkung der Hauttemperatur auf unter 15° und damit eine absolute Analgesie. Je nach Applikationsdauer bewirkt die Kälte eine Vasokonstriktion primär der oberflächlichen, mit der Zeit aber auch der tieferen Blutgefäße. Auf diese Weise wird die akute Verletzungs- und Entzündungsreaktion abgebremst und kann bei weiterer Anwendung gut gesteuert werden. Allerdings liegt auch ein Nachteil in dieser schnellen und effektiven Kühlung. Denn tatsächlich ist die Gegenreaktion nach dem Entfernen des Kälteträgers ähnlich stark und eindrucksvoll. Soll heißen: Auf die primär schnelle und starke Vasokonstruktion (Hypoämie) folgt eine entsprechend starke Vasodilatation (reaktive Hyperämie) mit einer verstärkten und beschleunigten Entzündungsreaktion (Schwellung, Rötung, Überwärmung und Schmerz). Und genau dies gilt es hier zu vermeiden. Daher ist es erforderlich, die Akutbehandlung im Anschluss über einen längeren Zeitraum unter Zuhilfenahme von Langzeitanwendungen mit eher milden Temperaturen (5 – 12°) und entsprechenden Kompressionsmethoden auszuschleichen. Im Sportbereich haben sich dabei kombinierte Kryo-Kompressionssysteme durchgesetzt. Im medizinischen Alltag ist die Anwendung von Kälteträgern die Einfachste, Schnellste und Kostengünstigste überhaupt. In der Realität fehlen allerdings allzu oft die Konzepte und Produkte für die beschriebene Anschlussbehandlung (Langzeitanwendung, ggf. Kompression und adäquate Nachruhe).
Abb. 1: Eis-Lolly
Chronische Entzündungen und Schwellungen
In der physikalischen Medizin und Physiotherapie verwenden wir dagegen eher Temperaturen ab 1 bis 15° Celsius. Ziel ist dann, z. B. vor einer manuellen Behandlung, die ggf. auch schmerzhaft sein kann oder eine entsprechende Reaktion des Gewebes bedingt, eben dies mit Hilfe einer Kälteanwendung vorab positiv zu beeinflussen. Hier helfen lokale (feuchte) Eisanwendungen wie ein gestielter Eislolly oder Eiswürfel ebenso gut wie ein Wickel oder ein Kälteteilbad. Vergleichbar sind Kälteanwendungen im Anschluss an Behandlungseinheiten. Bekannt ist diese Vorgehensweise am ehesten bei der Therapie von Insertionstendinopathien, Enthesiopathien und Muskelverletzungen. Neben der analgetischen Wirkung geht es hier vor allem um das Durchblutungsmanagement im behandelten Gebiet. Der Heilprozess kann über einen adäquaten Zeitraum so gesteuert werden, dass es nicht immer wieder zu rezidivierenden Beschwerden oder sogar Rückfällen kommt. Eine etwas „kältere“ Vorgehensweise bei schmerzhaften und hypervaskulären Muskel- und Sehnenansatzreizungen, wie z. B. dem Patellaspitzen-Syndrom, Epikondylitiden u. ä., zielt neben einer möglichst maximalen Analgesie vor allem darauf ab, die entzündungstriggernde Mehrdurchblutung des Gewebes zu reduzieren. Hier haben sich Kryotherapieanwendungen mit Temperaturen von –20 bis –78 °Celsius als sehr wirksam erwiesen. Sowohl sogenannte Kaltluftföns als auch die hyperbare CO2-Applikation (neuroreflektorische Kältetherapie) haben sich speziell im Breiten- und Profisport durchgesetzt. Sie ermöglichen eine schnelle Beschwerdelinderung und optimierte Belastungssteuerung in der Hand der sportmedizinischen Abteilung.
Bei chronischen Schwellungen und Ödemen unterstützen Kälteanwendungen die Behandlungsansätze der Lymphdrainage. Mit Hilfe einer gezielt milden Engstellung der Gefäße (Vasokonstriktion) durch Anwendung von zumeist wassergekühlten Systemen (Abb. 2) in einem Therapiebereich von 11 bis 14° wird eine optimale Abflussförderung venös und lymphatisch erzielt. Dabei kann die Anlage eines Kälteadapters sowohl auf dem verletzten oder operierten Gebiet liegen als auch proximal bzw. distal davon. Die so gesteuerte moderate Gefäßverengung ist richtig angewendet gleichermaßen durch einen vaskulären Sog (Kamineffekt) als auch Druck je nach Platzierung der Kälteanwendung wirksam. So ist es möglich, ein noch berührungsempfindliches oder steril zu haltendes Areal kryotherapeutisch positiv zu behandeln.
Perinterventionelle, perioperative Kältebehandlung
Neben den Anwendungsmöglichkeiten der Kryotherapie in der klassischen Traumatologie, physikalischen Medizin und Rheumatologie bieten sich die beschriebenen Kältetherapiearten vor allem auch als Werkzeug des Schmerzmanagements bei Interventionen oder operativen Eingriffen an. Gerade schmerzhafte Anwendungen, wie z. B. die lokale Stoßwellenbehandlung (ESWT) und Injektionen / Infiltrationen an eher empfindlichen Lokalisationen, wie z. B. Achillessehne, Ferse und Ellenbogen sind unter Kälteanalgesie erheblich leichter zu ertragen und damit patientenfreundlicher. Therapiestrategien dieser Art sind so deutlich leichter zu vermitteln. Die Patientenmotivation, eine solche Behandlung länger und auch wiederholt über sich ergehen zu lassen, ist entsprechend höher. Periinterventionell empfehlen sich schnell wirksame Kryotherapieanwendungen wie die Kaltluft, Eissprays und vor allem die hyperbare CO2-Anwendung. Die Anwendungsdauer sollte optimal kurz gehalten werden, um neben der maximalen Analgesie nur eine möglichst geringe reaktive Hyperämie zu verursachen.
Postoperativ ist die Kryotherapie schon immer Bestandteil der Nachbehandlung mit dem Schwerpunkt Schmerzkontrolle und Schwellungsreduktion. Neben Kälteapplikatoren in Bandagen und Orthesen sind mittlerweile wassergekühlte Systeme etabliert, die mit relativ milden Temperaturen von 10 – 14° Celsius über einen längeren Zeitraum direkt postoperativ flächig angelegt werden können. Die sehr guten Erfahrungen der kosmetischen Chirurgie bei schwellungs-intensiven Eingriffen, z. B. auch im Gesichtsbereich, haben uns davon überzeugt, diese Form der Kryo- bzw. Hilotherapie z. B nach ambulanten, arthroskopischen Eingriffen anzuwenden. In diesem speziellen Anwendungsgebiet können wir über sehr gute Ergebnisse und eine hohe Patientenakzeptanz der berichten.
Regeneration, Immunstimulierung und Rheumatherapie
Abschließend bleiben noch die sehr positiven Effekte von Kälte im Bereich der Regeneration nach sportlicher Belastung (Eisbad, Kältekammer), der Optimierung der Abwehrkräfte (klassische Balneologie, Kältekammer etc.) und die bekanntlich sehr guten Behandlungserfolge der Rheumatologie bei chronisch entzündlichen Prozessen zu erwähnen. Aufgrund der räumlichen Ansprüche und auch entsprechend hohen Anschaffungskosten bleiben diese Therapieformen eher interdisziplinären und kooperierenden Netzwerken und/oder Apparategemeinschaften vorbehalten.
Fazit
Die Kryotherapie bietet im Praxisalltag eine sehr einfache, effektive und kostengünstige Behandlungsstrategie, um entzündliche Reaktionen nach Trauma, Reizung, Überlastung und bei ärztlichen Eingriffen optimal zu kontrollieren. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass die positiven Anwendungsmöglichkeiten von Kälte in der medizinischen Praxis unterschätzt werden. Voraussetzung für eine optimale Integration der Kryotherapie in ein individuelles Behandlungskonzept sind neben der Wirkung der verschiedenen Kälteformen, Temperaturen und Anwendungszeiten auch Anschlussbehandlungsstrategien, wie z. B. wiederholte Kryotherapie, Kompression und entsprechende Nachruhephasen. Die Behandlung chronisch entzündlicher Veränderungen erfordert spezielle Kryotherapieverfahren mit niedrigen Temperaturen zwischen –15 bis teilweise unter –70° Celsius. Anwendungsverfahren wie Kaltluft oder die neuroreflektorische Kältetherapie mittels hyperbarer CO2-Applikation sind hocheffektiv, jedoch auch entsprechend kostenaufwendiger wegen der Anschaffung solcher Therapiegeräte. Neben den therapeutischen Aspekten der Kryotherapie sehen wir vor allem eine patientenfreundliche Therapieplanung auch eher schmerzassoziierter Anwendungen wie der fokussierten ESWT und lokaler Injektionen/ Infiltrationen als Vorteil. Unsere Patienten verlieren ihre Sorge und Skepsis vor angeblich sehr schmerzhaften Behandlungen und sind folglich solchen Therapieverfahren gegenüber eher zugewandt. Dementsprechend sind diese kombinierten Behandlungsansätze besonders vielversprechend.
Studientipp der Redaktion zum Weiterlesen:
- Cold water therapies: minimising risks – Mike Tipton et al., British Journal of Sports Medicine 2022
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit Zusatzbezeichnungen u.a. Sportmedizin, Chirotherapie. Er ist Gründer der Praxis Herzogpark in München. Außerdem ist Dr. Harzmann staatlich geprüfter Physiotherapeut, ärztlicher Osteopath und ehemaliger Mannschaftsarzt der U21 Nationalmannschaft DFB, des FC Augsburg und der Bayern München Basketballer.