Patients- / Athletes Voices
Vorgeschichte: Bei dem hier vorliegenden Fall eines jugendlichen Sportlers ist eher die medizinische Beurteilung seiner Symptome und Diagnosen und die daraus geschlussfolgerte Konsequenz außergewöhnlich und erschreckend, als die eigentliche Verletzung bzw. Problematik selbst.
Aber der Reihe nach: Anfang März 2022 erhielt ich eine E-Mail von einer sehr besorgten Mutter aus Hamburg. Sie hätte meinen Artikel über die Behandlung einer schweren Osteitis pubis bds. bei einem 18-jährigen Tennisprofi (sportärztezeitung) gelesen und bräuchte dringend Hilfe. Ihr Sohn sei ein sehr ambitionierter Tennisspieler mit dem Ziel, an einem Amerikanischen College zum Tennisprofi ausgebildet zu werden, außerdem ein sehr guter Fußballspieler und Sport-Abiturient im vorletzten Jahr. Jetzt habe er aber eine Schambeinastentzündung und wohl Hüftdysplasien und alle Karriereträume seien begraben. In einem längeren Telefonat am 11.03.2022 schilderte mir die Mutter dann, dass zwei Orthopäden in Hamburg aufgrund der Beschwerden und der MRT-Aufnahmen ihrem Sohn gesagt hätten, er solle sofort mit dem Sport aufhören, denn diesen könne er nie wieder machen. Es war zu diesem Zeitpunkt sogar schon ein Attest zur Befreiung vom Sportunterricht an die Schule ausgestellt worden und ein Wechsel in einen anderen Leistungskurs geplant worden. Ihr Sohn sei nun völlig verzweifelt, habe starke Schmerzen, sei völlig niedergeschlagen und zöge sich nur noch zurück, da der Sport immer sein Leben gewesen sei.
Ich reagiere auf derartige Pauschalaussagen von Kollegen immer etwas allergisch, vor allem, wenn die Konsequenzen unmittelbar auf den Patienten einschlagen und diesem auch keine echte Hilfe angeboten wird. Deshalb beriet ich die Mutter über konservative Behandlungsmethoden und schlug eine Beurteilung bei einem befreundeten Kollegen in Hamburg vor. Frau R. wollte aber gleich Nägel mit Köpfen machen und zwei Wochen mit ihrem Sohn zur Beurteilung und Behandlung zu mir nach Augsburg kommen, was dann ab dem 28.03.2022 auch geschah.
Befund der ausführlichen klinischen Untersuchung bei der ersten Vorstellung (28.03.2022)
Druck-, Dehnungs- und Anspannschmerz an beiden Schambeinästen, dabei Ausstrahlung in beide Leisten und Adduktoren, die rechte Seite war im Seitenvergleich deutlich führend. Außerdem deutliche Fehlhaltung (erworben) der BWS, Beckenschiefstand, vermehrte Innenrotation im re Fuß und im re Bein, sehr unrundes Gangbild dadurch. Das li Schulterblatt zeigte sich komplett fest, sodass der linke Arm beim Gehen gar nicht mehr mitschwang. Neurologisch bestanden in den betroffenen Gebieten zum Glück keine Auffälligkeiten. VAS je nach Belastung (Fußball 9 – 10, Tennis nur 4 – 5). Insgesamt wirkt der gesamte hochaufgeschossene und sehr schlanke Körper trotz gut trainierter Muskulatur im Rumpfbereich noch zu wenig stabilisiert für dieses Trainingspensum (3x/Woche jeweils Tennis und Fußball, mehrfach/Woche Training für den Sportleistungskurs, zusätzlich 1x Krafttraining und 1x Konditionstraining/Woche). Außerdem Druckschmerz am distalen Ansatz des Rectus abdominis re > li, ebenso am Beckenkammansatz li M. Iliacus, deutliche Schmerzen im ISG li > re und im Bereich untere paravertebrale Muskulatur bds. und Quadratus lumborum bds.! Im Liegen und noch deutlicher im Stehen zeigen sich massive Myogelosen bzw. Dysbalancen im gesamten Wirbelsäulen- und Nackenbereich, skoliotische Fehlhaltungen im BWS- und LWS-Bereich. Eine Einschätzung, ob diese rein muskulär bedingt oder zum Teil auch angeboren waren, ließ sich so früh noch nicht genau abgeben.
Mitgebrachter MRT-Befund 08.03.2022
Befund gut vereinbar mit einer Osteitis pubis rechts. Verschmälerter Gelenkspalt beider Hüftgelenke, allerdings ohne Hinweis auf Cam- oder Pincer-Deformität. Dem Patienten war nach Untersuchung und MRT bislang als weitere Therapie nur eine Kombination aus medikamentöser Entzündungshemmung mit NSARs, Corticoide, absoluter Sportkarenz – wie oben beschrieben – und Physiotherapie vorgeschlagen worden. Für die Osteitis pubis war bei bisherigem Therapieversagen sogar eine Bisphosphonat-Infusion als mögliche off-label-Therapie vorgeschlagen worden.
Neuer kombinierter Therapieansatz
Aufgrund der möglichen Nebenwirkungen der Bisphosphonate und der bisher ja auch nicht eingetretenen Besserung durch NSARs, Ruhe und Physio, musste definitiv ein anderer Ansatz zum Einsatz kommen. Wir entschieden uns nach genauer Aufklärung des Patienten und seiner Mutter für eine Kombinationstherapie aus Stoßwellentherapie (ESWT), Kernspinresonanztherapie (MBST), Laser, Kältetherapie (Cryolight) und Chirotherapie sowie zusätzlich gezielter Physiotherapie durch Alex Ablass (ebenfalls im wiss. Beirat der sportärztezeitung). Außerdem war schon nach der ersten Untersuchung klar, dass nach erfolgreicher Schmerzlinderung und Verbesserung der muskulären Dysbalancen dem Patienten unbedingt individuelle Übungen zum gezielten Muskelaufbau gezeigt werden mussten. Aus diesem Grund holten wir uns – wie in solchen Fällen immer – auch noch den Athletiktrainer Martin Dorn aus Friedberg/Bayern ins Boot, der seit Jahren nur mit Profisportlern und jungen vielversprechenden Talenten arbeitet und deshalb viel Erfahrung in genau diesem Bereich mitbringt. NSARs wurden durch Wobenzym 4 x 3 Tabl. und Medox 1 Kps. 1x tgl. ersetzt.
Aus einer Vielzahl von Behandlungen gleicher oder ähnlicher Indikationen ist uns bekannt, dass die Kombination dieser Therapieformen bei anderweitig therapierefraktären Fällen sehr oft zu einer raschen Linderung der Schmerzen sowie einer Regeneration bei Symphysitiden und des Tractussyndroms führt. Beschreibungen für den kombinierten Einsatz von rESWT, Laser, hyperbarer CO2-Kältetherapie und Chiro-/Physiotherapie bei diesem Krankheitsbild und vor allem in dieser Ausprägung liegen in der Literatur aber bisher nicht vor. Der Laser (Hochenergie DolorClast-Laser der Firma Electro Medical Systems EMS) wurde immer 30 – 60 Minuten vor der ESWT-Behandlung als 5-Min.-Programm am Schambein rechts und links appliziert, da wissenschaftlich eindeutig belegt ist, dass durch den Laser eine Schmerzlinderung stattfindet, wodurch danach bei der rESWT deutlich höhere Drücke toleriert werden können, was diese Therapie noch effizienter macht. Die rESWT erfolgte mit einem neuen Swiss DolorClast Gerät (Electro Medical Systems EMS) und dem DolorClast Blue-Handstück (20- und 40-mm Applikator). Die Applikation der rESWs erfolgte immer bei 25 Hz, d.h., 25 rESWs pro Sekunde. Zu Beginn waren lediglich Drücke um 1,8 bar am Schambein und 1,2 – 1,4 bar im gesamten Tractusbereich möglich. Wir behandelten 3x pro Woche in allen angegebenen Regionen. Am Ende konnten am Schambein problemlos 3,3 bar, im muskulären Bereich der Oberschenkel (Quadrizeps, Adduktoren, Hamstrings) 3,7 bar und im gesamten Tractusbereich bis zum OSG 2,4 bar angelegt werden. Pro Behandlung waren dabei immer mindestens 20.000 – 30.000 ESWs notwendig. Außerdem erhielt H. eine MBST-Therapie mit 9 Sitzungen à 60 Min. mittels programmierter Osteo-Karte für den Rumpf. Die hyperbare CO2-Kältetherapie wurde mit Cryolight nach jeder Behandlung 3x bis zu einer Temperatur von 2 – 4 Grad im behandelten Gebiet durchgeführt. Der Patient wurde weiterhin natürlich um Sportkarenz gebeten, durfte aber schon nach zwei Behandlungen unter Anleitung (siehe oben) spezielle, nicht schmerzhafte Übungen zur Verbesserung und Stabilisierung der Körperhaltung machen.
Durch diese Maßnahmen kam es zu einer extrem raschen Beschwerdebesserung, schon nach zwei Behandlungen konnte sich der Patient bereits wieder völlig schmerzfrei im Alltag bewegen. Die anfängliche skoliotische Haltung war gänzlich verschwunden!
Das Behandlungsintervall bei mir wurde in der 2.Woche auf 2 x wöchentlich reduziert und Physiotherapie und Athletiktraining intensiviert. Am Ende des Aufenthalts bei uns in Augsburg war Joggen bereits wieder schmerzfrei in gewohntem Tempo möglich und das gesamte Pensum des Athletiktrainings konnte rasch gesteigert werden. Nach diesem Ergebnis und bei der guten klinischen Situation wurde die Behandlung mit rESWT an meinen Kollegen Till Hagenström in Hamburg übergeben, der H. 1x pro Woche auch bei erreichter Vollbelastung und Wettkampftauglichkeit zur Rezidivvermeidung weiterbehandelte. H. durfte eine Woche nach der Behandlung bei uns wieder voll in den Sportleistungskurs einsteigen, Tennis sollte nach zwei Wochen und Fußball nach drei bis vier Wochen kontinuierlich in der Belastung gesteigert werden. Das gezielte Stabilitätstraining für Rücken und Rumpf wurde im Verlauf den Fortschritten angepasst und bis heute mit großem Erfolg beibehalten. Im Vergleich zu früher konnte der junge Profi erstaunliche Fortschritte verzeichnen und ist bis heute trotz der beschriebenen sportlichen 3-fach-Belastung beschwerdefrei.
Fazit & Ausblick
Durch die Kombination aus rESWT, MBST, Lasertherapie, moderner, intensiver Kältetherapie, Physiotherapie sowie Athletiktraining und einer modernen, natürlichen antiinflammatorischen Therapie (hier: Wobenzym und Medox) lässt sich auch bei einem klinisch so ausgeprägten Befund einer Symphysitis und eines Tractussyndroms mit chronischer muskulärer Fehlhaltung und zu einem bereits fortgeschrittenen Zeitpunkt noch ein sehr zufriedenstellendes, belastungsstabiles und rasches Ergebnis im Hinblick auf Schmerzfreiheit und Return-to-Sport/Competition erreichen. (Zur entzündungshemmenden oralen Therapie mit pflanzlichen Stoffen siehe bitte auch den Artikel von Dr. Klaus Pöttgen in der sportärztezeitung 01/20). Zukünftig dürfte die hier beschriebene Kombinationstherapie oder – wenn nicht alle zur Verfügung stehen – zumindest Teile davon aus meiner Sicht in der Behandlung der Osteitis pubis bei Profisportlern eine gewichtige Rolle spielen. Außerdem sehe ich die Zukunft in der Testung solcher Sportler mittels EMG in Isokinetik-Laboren, um eine umfassendere Therapie und gleichzeitig Prävention anbieten zu können und damit derartige Diagnosen schneller zu heilen und langfristig zu vermeiden.
PATIENTS VOICE: Meine Verletzungsgeschichte…
Das erste Mal bemerkte ich, dass etwas nicht stimmte, beim Völkerballspielen in der Schule: ein stechender Schmerz in der Leistengegend, den ich bis dahin nicht kannte und nicht einordnen konnte. Ich beschloss, eine kurze Pause einzulegen und wartete erst einmal zwei Wochen ab. Der Schmerz kam wieder, dieses Mal beim Fußballspielen. Mehrere Sportpausen folgten. Irgendwie dachte ich, das wird sich schon geben. Der Schmerz kam leider jedes Mal genauso zurück, irgendwann nicht mehr nur beim Schießen, sondern schon beim Laufen. Am Ende des damals letzten Fußballtrainings war ich nur noch froh, wieder vom Platz zu sein. Einmal ging der zunehmend stärkere Schmerz in der rechten Leiste so schnell nicht mehr weg, sondern hielt jetzt immer länger an. Zwei Monate nach dem Völkerballspielen – mein Orthopäde hatte zunächst den Verdacht auf einen Muskelfaserriss geäußert – stand die Diagnose nach einem MRT fest: Schambeinentzündung. Prognose: Kein Sport für mindestens fünf Monate. Und danach die niederschmetternde Ansage des Orthopäden: Kein Sport mehr in dieser Intensität (Sport-Leistungskurs, Fußball und Tennis, jeweils zwei- bis dreimal die Woche). Ich war jetzt völlig durcheinander, sackte sogar in einigen Schulfächern ab. Ohne Sport war unvorstellbar. Ich traute mich zu diesem Zeitpunkt allerdings kaum noch, Fahrrad zu fahren oder Treppen zu steigen.
Meine Mutter und ich haben dann ewig im Internet recherchiert, bis wir auf einen Artikel in der sportärztezeitung gestoßen sind über den Sportmediziner Peter Stiller, der u.a. einen Tennisspieler mit einer solchen Verletzung erfolgreich behandelt hatte. Zwei Wochen nach dem ersten Anruf in der Praxis ging dann alles ganz schnell: Ich bekam die Möglichkeit einer Behandlung in Augsburg. Zwei Wochen war ich dort und bekam neben der ärztlichen Behandlung einen Physiotherapeuten und Athletiktraining. Und ich bekam Hoffnung! Zu meinem großen Erstaunen konnte ich schon bald wieder ein paar wichtige Übungen machen. Ich konnte kaum glauben, dass mir hier gesagt wurde, dass ich wieder anfangen könnte zu trainieren. Zwei Wochen später war ich wieder zurück in Norddeutschland. Ich mache seither regelmäßig die Übungen meines Augsburger Athletiktrainers und bekomme alle paar Wochen noch eine Stoßwellenbehandlung bei einem Hamburger Orthopäden. Eine Woche nach meiner Rückkehr konnte ich wieder mit vollem Einsatz am Sport-Leistungskurs teilnehmen und spiele wieder Tennisturniere.
Ich bin unglaublich dankbar, diesen lähmenden Schmerz in der Leistengegend seither nicht wieder gespürt zu haben. Und umso dankbarer, dass sich die so düstere Prognose nicht bewahrheitet hat!
H.R.
Autoren
ist Facharzt für Allgemeinmedizin und Notfallmedizin in der Praxis Allgemeinmedizin Lechhausen & MedWorks – Privatärztliche Praxis, Augsburg. Er ist ehemaliger Mannschaftsarzt des Profiteams des FC Augsburg und wiss. Beirat der sportärztezeitung.