Beim AlterG handelt es sich um ein Trainingsgerät, welches mit Hilfe einer Differenzialdruck-Technologie ein möglichst natürliches Laufen bei reduzierter Schwerkraft ermöglicht. Der Trainierende trägt dabei eine spezielle Neoprenhose und wird durch einen Überdruck getragen, durch den es möglich ist, das Körpergewicht in 1 %-Schritten auf bis zu 20 % zu reduzieren.
Eine Person, die 75 kg wiegt, ist bei dieser Endeinstellung dann nur noch Belastungen ausgesetzt, die einem Körpergewicht von 15 kg entsprechen. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass das Gang- oder auch Laufbild bei höheren Geschwindigkeiten kaum von einem natürlichen Bewegungsmuster abweicht. Das ist ein sehr wesentlicher und wertvoller Unterschied zu anderen Formen des gewichtsentlasteten Laufens, z. B. das Laufen im Wasser, in Haltegurten oder mit Gehstützen.
Einsatz im ZfS Münster
Wir haben das AlterG-Antischwerkraft-Laufband im ZfS-Zentrum für Sportmedizin in Münster am 01.10.2015 in Betrieb genommen und behandeln seitdem täglich Patienten mit unterschiedlichsten Indikationen. Das Training wird bei uns im ZfS physiotherapeutisch begleitet, d. h. ein Physiotherapeut führt die Patienten in das Lauftraining ein und ist auch während der kompletten Trainingsphase direkt vor Ort (grundsätzlich 1 zu 1 Behandlung). Bekannt wurde das Gerät in den frühen 2010er Jahren durch seine Anwendung im Spitzensportbereich. Dies lenkte auch unseren gedanklichen Fokus im ZfS anfangs auf Indikationen in der Rehabilitation von Leistungssportlern und ambitionierten Breitensportlern. Neben dem Einsatz in der Reha von verletzten /operierten Sportlern waren das z. B. Laufsportler, für die das Antischwerkraft-Laufband interessant war, da sich Geschwindigkeiten von 0 bis 19 km / h und sogar Steigungen einstellen lassen. Laufsportler mit Verletzungen oder Überlastungsschäden können so weiter reizwirksam trainieren und einen Abfall ihres Leistungsniveaus verhindern oder zumindest reduzieren. Untersuchungen der Entwickler des AlterG zeigen: Erhöhe ich z. B. beim Lauftraining / Running für jede 10 %-ige Reduktion des Körpergewichtes die Laufbandgeschwindigkeit um ca. 0,96 Kilometer pro Stunde, bleibt die Stoffwechsel-
belastung annähernd gleich.
Eigene Erfahrungen
Mit zunehmender Erfahrung mit diesem neuen Therapiegerät zeigte sich, dass die Einsatzmöglichkeiten weit über die beschleunigte Rehabilitation und ein gelenk- und sehnenschonendes Training von Spitzensportlern hinausgehen.
Interessant war es schon immer auch für Nichtsportler jeden Alters nach Verletzungen und Operationen. Insbesondere nach Hüft- oder Knieoperationen erschließt das Laufband nicht gekannte Möglichkeiten, fast belastungsfrei wieder auf die Beine zu kommen. Dank der präzisen Gewichtsentlastung ermöglicht es eine vorgezogene Mobilisation von frisch verletzten oder operierten Patienten. Ausfallzeiten können so signifikant verkürzt werden. Die positiven Ergebnisse von Langzeituntersuchungen nach Einbindung des AlterG in die Rehabilitation decken sich mit unseren eigenen Erfahrungen (Vgl. Palke et al. 2022). Zur Rehabilitation im Wasser zeigen sich in Bezug auf die gang- und lauforientierte Rehabilitation einige Vorteile. Anders als beim Laufen im Wasser muss kein Widerstand überwunden werden. Zusätzlich kann die Therapie wesentlich früher beginnen, da eine Wundinfizierung durch Keime im Wasser auszuschließen ist. Insbesondere für Arthrotiker ergeben sich durch das Training neue Spielräume. Ohne Schmerzen gehen oder laufen zu können, ist für viele Menschen mit Arthrose ein fast unerfüllbarer Wunsch. Viele Arthrotiker können aufgrund der Gewichtsentlastung auf dem Laufband nicht nur gehen, sondern sogar ein Lauftraining durchführen.
Zunehmende Anwendung findet das Therpiegerät zudem bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen, wie z. B. Parkinson-, Schlaganfallpatienten oder Patienten mit Schädelhirntrauma. Für diese Patienten ist es hilfreich, nahezu belastungsfrei Gang- und Laufbewegungen auszuführen und sich so Stück für Stück wieder ihrem natürlichen Gangbild zu nähern. Laufbewegungen werden dabei von einem Mehrkamerasystem aufgenommen. Über einen Monitor kann der Patient seine Laufbewegungen mitverfolgen und korrigieren. Der behandelnde Arzt und Physiotherapeut kann während des Trainings am Monitor Gang- und Laufbildabweichungen zunächst diagnostizieren und dann dem Patienten im Live-Betrieb am Monitor demonstrieren. Korrekturen können somit direkt umgesetzt werden. Dieses direkte Feedback-Verfahren ermöglicht es, auch eingefahrene oder komplexe Gang- und Laufbildstörungen abzutrainieren, die im Rahmen einer herkömmlichen Gangschulung nicht adressiert werden konnten.
Indikationen:
- Zustand nach Sportverletzungen und / oder Überlastungsschäden
- Operationen im Bereich der unteren Extremitäten z. B.Hüft- oder Knie-OP
- Arthrosen
- Degeneratives LWS-Syndrom
- Übergewicht
- Neurologische Erkrankungen
- Gangbild- oder Laufbildstörungen
- Arteriosklerotische Veränderungen der Beine
- Lymphabflusstörungen
- Sportliche Neu- und Wiedereinsteiger
- Ältere Sportler mit dem Wunsch, Rennen zu können
Wie wird die Behandlung abgerechnet?
Wir führen das AlterG in einer physiotherapeutischen Einzelbehandlung durch. Da im Regelfall begleitende Kräftigungsübungen an Trainingsgeräten erfolgen und das Training in ein Gesamtkonzept integriert ist, handelt es sich um eine physiotherapeutische Leistung, die entsprechend unserer Preisliste für physiotherapeutische Leistungen abgerechnet wird. Denkbar wäre natürlich eine Berechnung wie in einem Fitnessstudio-Abo oder mit einer „10-er-Karte“.
Praktische Anwendung im Alltag? Wie ist das Setting?
- Zwei Behandlungen je Woche (aus trainingswissenschaftlicher Sicht wären auch drei Einheiten sinnvoll, optimal ist ein Tag Pause zwischen den Trainingseinheiten)
- eine Behandlungsserie besteht zunächst aus zehn Sitzungen
- reine Trainingszeit je Sitzung meist ca. 20 min (bei Kombination mit BFR (Blood-Flow-Reduction-Training) andere Belastungszeiten, z. B. 5 x 1 Minute hochintensives Training)
- Kombination mit Training der Kraft, Beweglichkeit und Koordination
- Insbesondere bei neurologischen Patienten Beurteilung des Gangbildes über 3-Kamera-System und Kombination mit KG auf neurophysiologischer Basis
Zukunft und Beispielpatienten
Für die Behandlung von Sportlern ist das AlterG sicher auch in Zukunft eine tolle Ergänzung der Therapie. Ältere Patienten mit Gonarthrosen oder drohendem (oder stattgehabtem) Verlust der Gehfähigkeit könnten aber in Zukunft ein Patientenkreis sein, der in noch höherem Maße von diesem Training profitiert. Eine gezielte Adressierung dieser Gruppen ist bislang erst in geringem Maße erfolgt.
Siehe dazu auch die Leitlinie Gonarthrose, 5.2.1. (Laufbandtraining mit body-weight-support verbessert die Gehgeschwindigkeit und verringert den Schmerz). Als weitere Alternative wird Aquatisches Training erwähnt (Empfehlung 5.11), bei dem eine signifikant stärkere Schmerzreduktion vorhanden ist als bei landbasiertem Training.
Beispielpatient 1: 54 Jahre, Gonarthrose, Affinität zum Sport. Jegliche Art von Lauftraining unter normalen Schwerkraftbedingungen führt zu Gonalgien /Gelenkergüssen. Die ursprünglich sehr gut ausgeprägte Beinmuskulatur ist in den letzten Jahren deutlich atrophiert. Schnelles Rennen wurde bereits seit zehn Jahren nicht mehr durchgeführt und würde eine sehr trainingsreizwirksame Intervention darstellen.
Beispielpatient 2: 74 Jahre, milde Adipositas, deutliche Sarkopenie /Dynapenie, die maximale Gehstrecke hat in den letzten vier Jahren von ca. 200 m auf nun 1– 2 m abgenommen. Treppensteigen ist nicht mehr möglich. Auch für Kurzstrecken verwendet der Patient mittlerweile einen Rollator. Aufgrund einer Omarthrose meidet der Patient Strecken >10 m. Die Angehörigen befürchten, dass der Patient seine Gehfähigkeit in Kürze komplett verlieren wird.
Mehr als ein normales Krafttraining?
Die Transferleistung auf die Alltagsaktivität Gehen und Rennen ist höher, da das Antischwerkraft-Training der Zielaktivität hinsichtlich der Faktoren Bewegungsgeschwindigkeit, intramuskuläre Koordination, intermuskuläre Koordination, sensomotorische Aktivierung viel ähnlicher ist als z. B. eine Kräftigung des M. quadriceps am Leg-Curl. Ideal ist eine Kombination aus einem gezielten Krafttraining und einem AlterG-Training. Ein hoher Wert für sich ist, dass das Training den meisten Patienten Spaß macht. Die sich wiederholende Erfahrung des schmerzfreien Rennens stellt ebenfalls, aus unserer persönlichen Sicht, einen wesentlichen Erfolgsfaktor dar, da diese Erfahrung zuversichtlich stimmt und Freude am Gehen / Laufen auch außerhalb dieses Trainings weckt. Auf einige Patienten wirkt diese positive Erfahrung geradezu euphorisierend.
Weitere Ideen – neue Therapie- und Trainingsreize
Wir experimentieren im ZfS mit diesem Gerät seit einigen Jahren und kombinieren hier mit anderen Therapiemaßnahmen. Eine neue Kombination ist die Kombination mit dem BFR-Training. Ziel ist es, Muskelhypertrophie-Effekte im Rahmen des AlterG-Trainings auszubauen. Erste Therapieerfahrungen sind hier positiv und wir halten den Ansatz für hochinteressant. Aufgrund fehlender CE-Zertifizierung von BFR-Trainingsgeräten wie z. B. Airbands, haben wir von einer Integration dieser Maßnahmen in unsere Standardabläufe aber bisher abgesehen.
Möglich ist es so, z. B. Patienten auch mit starker Gonarthrose mit sehr hohen Geschwindigkeiten laufen zu lassen. Gerade die hohe Bewegungsgeschwindigkeit zeigt überraschende Therapieeffekte. Durch die Kombination mit dem BFR-Training hat dieses Training zusätzlich eine gute Hypertrophie-Wirkung. Ein solches Training unterscheidet sich sehr von den Alltagsbelastungen des Patienten und auch von bisherigen Therapiereizen, wie sie in den meisten physiotherapeutischen Praxen gesetzt werden und ist deshalb in besonderem Maße trainingsreizwirksam.
Das schnelle Laufen stellt insbesondere für den Sportler > 45 Jahre einen sehr interessanten Trainingsreiz dar. Studienergebnisse decken sich mit unseren Erfahrungen, dass bei 80 % Teilbelastung die erreichbare Laufgeschwindigkeit um ca. 20 % und bei 60 % Teilbelastung sogar um 30 % höher ist.
Die hohen Laufgeschwindigkeiten stellen für den Trainierenden damit einen „neuen“ Trainingsreiz dar, der gerade für den älteren Menschen hochspannend ist. Interessant ist dieses Training auch vor dem Hintergrund der im Regelfall beinbetonten Muskelatrophie im Altersgang, von dem Typ-II-Fasern deutlich stärker als Typ-I-Fasern betroffen sind. Das schnelle Laufen ist auch vor diesem Hintergrund ein wertvolles Trainingsmittel.
CAVE: Impactkräfte, die beim Laufen auf dem Laufband entstehen, hängen nicht nur von der eingestellten Gewichtsentlastung auf dem AlterG, sondern natürlich auch von der Geschwindigkeit ab. Das ist einer der Gründe, warum wir im ZfS das Training bei operierten und verletzten Patienten ausschließlich in einer physiotherapeutischen 1-zu-1-Betreuung durchführen. Eine Studie zu tibialen Impactbeschleunigungsspitzen aus 2019 konnte z. B. zeigen, dass die Impactkräfte für die Schienbeine v. a. von der Laufgeschwindigkeit abhängen. Wird dieses nicht berücksichtigt, drohen Überlastungen. Beispiel: Einen Patienten, für den der Operateur aktuell eine 50 %-Teilbelastung vorgesehen hat, darf auf dem AlterG mit der 50 %-Einstellung gehen. Lasse ich diesen Patienten z. B. mit 50 % mit 15 km / h rennen, liegen die resultierenden Impactkräfte viel zu hoch.
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie mit Zusatzbezeichnungen Sportmedizin, Chirotherapie/Manuelle Medizin, Akupunktur sowie Naturheilverfahren und hat einen Magister in Sportwissenschaft (M.A.) sowie ein Diplom Osteopathische Medizin (D.O.M.). Er hat 2007 gemeinsam mit Dr. Ralph Schomaker das ZfS-Zentrum für Sportmedizin in Münster gegründet (interdisziplinäres Zentrum mit verschiedenen Facharztdisziplinen, Physiotherapeuten, Sportwissenschaftlern und Ökotrophologen). Außerdem ist Dr. Borgmann Verbandsarzt des Deutschen Leichtathletik Verbandes (DLV).