Wenn es in den Medien um Leistungssport geht, wird oftmals das Bild des oder der mental und körperlich starken und erfolgreichen Athlet:in vermittelt. Nur selten wird auch hinter diese Fassade geschaut. Leistungssportler:in zu sein, bedeutet in aller Regel ein Leben zu führen, das von Erwartungen, Druck, Stress und einer starken Doppelbelastung geprägt ist [1, 4]. Gerade im Nachwuchsbereich ergeben sich durch die Schule, den Sport und die entsprechenden Wegzeiten je nach Sportart Wochen mit 50 bis 70 Stunden Belastung – deutlich mehr als das, was von berufstätigen Erwachsenen geleistet werden muss [3].
Expert:innen fordern bereits seit mehr als zehn Jahren, pädagogisch-psychologische Interventionsprogramme zu entwickeln, die junge Sportler:innen gezielt auf die Bewältigung anstehender Entwicklungsaufgaben in und außerhalb des Leistungssports vorbereiten und sie zu einer effektiven Bewältigung von Krisensituationen befähigen [2]. Ein solches Präventionsprogramm wurde nun im Rahmen des 2Steps4Health-Projekts der Universität Leipzig entwickelt und soll in den folgenden Monaten durchgeführt und evaluiert werden.
(Kognitive Umstrukturierung)
2Steps4Health ist ein gemeinsames Projekt der Arbeitsgruppe Klinische Kinder- und Jugendpsychologie und der Professur Sportpsychologie der Universität Leipzig. Es soll jugendlichen Leistungssportler:innen helfen, mit den täglichen Belastungen umzugehen, ihre mentale Gesundheit zu stärken und bereits vorhandene Beanspruchungen zu reduzieren. Hierzu wurden zwei Präventionsstufen entwickelt, die inhaltlich aufeinander aufbauen und den sogenannten Stepped-Care-Ansatz verfolgen. Dabei richtet sich die erste Stufe an alle Nachwuchsathlet:innen unabhängig von deren aktueller psychischer Beanspruchung und wird daher als universelle Prävention deklariert. Die darauffolgende zweite Stufe entspricht einer indizierten Prävention und richtet sich an diejenigen Athlet:innen, die bereits über erhöhte psychische Beanspruchungen berichten und/oder bestimmten Risikosituationen wie beispielsweise einer langandauernden Verletzung, einer persönliche Krise oder dem (drohenden) Karriereende ausgesetzt sind.
Das zunächst auf zwei Jahre angelegte Projekt richtet sich an Leistungssportler:innen zwischen zwölf und 21 Jahren und wird von der Robert-Enke-Stiftung gefördert. Die Überprüfung der Wirksamkeit beider Stufen erfolgt im Rahmen einer längsschnittlichen Interventionsstudie mit einem (quasi-)randomisierten Wartekontrollgruppendesign und drei Hauptmesszeitpunkten (Prä-Post-Follow-up). Für die Evaluation werden für die Zielgruppe validierte Messinstrumente sowie Fragen zum Qualitätsmanagement eingesetzt, um neben der Wirksamkeitsprüfung auch den Weg für einen langfristigen Transfer in den Leistungssport zu bewerkstelligen. Im Folgenden sollen die zwei Stufen näher beschrieben werden.
Stufe 1 – universelle Prävention
In drei dreistündigen Workshops werden den Jugendlichen (sport-)psychologische Grundlagen und Kompetenzen zu den Themen (1) Stress und Stressbewältigung, (2) Kommunikation, Interaktion und Konfliktmanagement sowie (3) Lebensstil, Ernährung und Schlaf zielgruppenangepasst vermittelt. Mit interaktiven Übungen, analogen und digitalen Tools (z.B. Socrative) erfolgt die Wissensvermittlung quasi „nebenbei“, während Einzelübungen und Gruppendiskussionen vor allem die Selbstreflexion fördern sollen. In allen drei Workshops werden zudem Strategien und Techniken für den Einsatz im Alltag vermittelt. Hierzu gehören unter anderem das Führen eines Dankbarkeitstagebuchs, die Entwicklung eines positiven Selbstgesprächs, Strategien zum Ressourcenmanagement, Methoden des Feedbackgebens oder Tricks beim Thema Schlafhygiene und gesunde Ernährung. Schließlich wird in allen drei Workshops das Thema Soziale Medien adressiert und soll ebenfalls zur Reflektion und zu einem gesunden Umgang damit führen.
Stufe 2 – indizierte Prävention
Die indizierte Prävention wird in sportartübergreifenden, altershomogenen Kleingruppen durchgeführt. Sie umfasst 14 wöchentliche Sitzungen mit einer Dauer von 100 Minuten. Hier lernen die Jugendlichen, wie sie mit den vielfältigen Belastungen im Leistungssport umgehen und gleichzeitig ihr Wohlbefinden verbessern und aufrechterhalten können. Zudem zielt die Intervention darauf ab, bereits bestehende, psychische Beanspruchungen zu reduzieren und das Selbstbewusstsein sowie den Selbstwert der Jugendlichen zu steigern. Mit Hilfe kognitiv-verhaltenstherapeutischer Methoden und Techniken setzen sich die Jugendlichen mit ihrer eigenen Identität, ihrem Selbst sowie individuellen (dysfunktionalen) Gedanken- und Verhaltensmustern auseinander und lernen, wie sie diese in eine funktionale Richtung verändern können. Den Athlet:innen werden Strategien und Tricks vermittelt, die sie im Alltag befähigen, selbstbewusster aufzutreten, Konflikte zu lösen und Anspannungen zu regulieren. Anders als in der Schule oder im Sport müssen die Jugendlichen hier keine bestimmten Leistungen erbringen und werden auch nicht bewertet. Sie erleben einen geschützten Raum, in dem alle Gefühle sein dürfen, wie sie sind und in dem das gemeinsame Lernen und Entdecken im Vordergrund steht.
In beiden Präventionsstufen erhalten die Athlet:innen ein gedrucktes Begleitheft, in dem sie Notizen machen und kleine Aufgaben (z.B. Ernährungs- und/oder Schlaftagebuch, Selbstbeobachtungs-protokolle) erledigen können. Zudem sind in dem Heft die wichtigsten Inhalte der Interventionen kurz zusammengefasst.
(Workshop-Skript)
Wir hoffen, durch unser Projekt langfristig einen Beitrag zur Verbesserung der Versorgungssituation junger Athlet:innen in ganz Deutschland zu leisten. Nach erfolgreicher Validierung beider Präventionsstufen sollen standardisierte Manuale veröffentlicht werden, an Hand derer praktizierende (Sport-)Psycholog:innen die Interventionen bundesweit durchführen können.
www.spowi.uni-leipzig.de/sportpsychologie/forschung/2steps4health#c720007
Literatur
[1] Claussen, M., & Seifritz, E. (Eds.). (2022). Lehrbuch der Sportpsychiatrie und-psychotherapie: psychische Gesundheit und Erkrankungen im Leistungssport. Hogrefe AG.
[2] EU Expert Group (2012). EU Guidelines on dual careers of athletes. Recommended policy actions in support of dual careers in high-performance sport. Abgerufen von https://ec.europa.eu/assets/eac/sport/library/documents/dual-career-guidelines-final_en.pdf
[3] Hirschmann, F. (2016). Chronischer Stress im Nachwuchsleistungssport (Dissertation, Sportpädagogik). Abgerufen von https://opus4.kobv.de/opus4-uni-passau/frontdoor/index/index/docId/451
[4] Markser, V. Z., & Bär, K. J. (2019). Seelische Gesundheit im Leistungssport: Grundlagen und Praxis der Sportpsychiatrie. Klett-Cotta.
Autoren
ist Psychologin, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Universität Leipzig, Arbeitsgruppe Klinische Kinder- und Jugendpsychologie des Wilhelm-Wundt-Instituts für Psychologie.
ist wiss. Mitarbeiterin an der Universität Leipzig, Institut für Sportpsychologie und Sportpädagogik, Zusatzausbildung in Systemischer Interaktionsberatung und Funktionellem Training. Ihre Forschungsarbeiten behandeln u.a. Verhaltensänderung im Bereich Sport und Ernährung und psychologische Aspekte des Sporttreibens.