Die Corona-Pandemie hat zur Verdichtung des Spielplans geführt. Aber nicht nur in Zeiten der Pandemie, sondern auch vor dem Hintergrund des intensiver werdenden Vermarktungstrends mit immer mehr Turnierformaten (Ligavergrößerung, Champions-League, Weltmeisterschaft, Olympia) wächst die Anzahl sowie die Dichte der Wettkämpfe immer weiter an.
Die Fragestellungen unserer Studie waren in diesem Zusammenhang: Wie wirkt sich dies auf die empfundenen Ermüdungs- sowie Erholungsmuster der Athleten aus? Welche mentalen Regenerations-Strategien verfolgen insbesondere jene Athleten, die gut mit der Situation und dem Stress zurechtgekommen sind? Wie interagiert dies mit der Persönlichkeitstypologie der Athleten und ihrer individuellen Resilienz? Welche Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten (z. B. Coping-Strategien) sind entscheidend? Welchen Einfluss hat Mental-Coaching in diesem Zusammenhang? Die Eishockeysaison 2020/2021 in Deutschland bot aufgrund ihres dichteren Spielplans im Vergleich zur Vorsaison die Möglichkeit, genau diese Fragen „unter die Lupe“ zu nehmen.
Die Studie
An der Studie nahmen 28 Profi-Spieler teil. Dabei spielten 57 % hauptsächlich in der DEL2 (zweite Bundesliga), 43 % in der DEL (erste Bundesliga) der Herren. Die Altersstruktur der Studienteilnehmer lag zwischen 16 und 32 Jahren. Auch wenn die Umfrage aufgrund der überschaubaren Teilnehmerzahl sicherlich keine absolut getreue Normalverteilung bieten kann, zeigt sie in relevanten Variablen eine ausreichend gute Verteilung auf, um Tendenzen innerhalb der Beobachtung hinzuweisen und somit auch als Anstoß für zukünftige Forschung in diesem Bereich zu dienen.
Zusammenfassung der Ergebnisse
In der Befragung (auf Basis eines Erholungs-Belastungsfragebogens in Anlehnung an Kellmann & Kallus, 2000) gaben die Athleten eine als deutlich höher empfundene Belastung in der Saison 2020/2021 im Vergleich zur Vor-Saison an (Abb. 1).
Die Ausgangs-Hypothese einer höheren Belastung für die Pandemie-Saison 2020/2021 mit verdichtetem Wettkampfkalender kann somit als valide angesehen werden. Um die Erholung und Beanspruchung weiter untersuchen zu können, wurden verschiedene Einflussfaktoren gefiltert.
Coping-Strategien zur Förderung der mentalen Erholung
Eine erste Analyse fokussierte sich darauf, die von den Spielern eingesetzten Coping-Strategien (= Bewältigungsstrategien; dienen zur Bewältigung von Stress, belastenden Situationen und Angst) zu ermitteln. Dafür wurden die einzelnen Coping-Strategien in separaten Regressionen auf ihre Korrelation mit den summierten Erholungsvariablen getestet. Im Ergebnis stellten sich fünf der abgefragten Strategien als signifikante, negative Einflussfaktoren zur Erholung dar (schwarz) (Abb. 2):
- Ablenkung (sich mit Arbeit oder anderen Dingen beschäftigen, um auf andere Gedanken zu kommen),
- Verleugnung (sich einreden, dass das alles nicht wahr ist),
- Selbstbeschuldigung (unangemessene Selbstvorwürfe, Selbstkritik),
- Humor (die Situation ins Lächerliche ziehen, Witze darüber machen),
- Verhaltensrückzug (aufgeben, sich mit dem Problem zu beschäftigen).
Sechs weitere Strategien stellten sich als signifikante, positive Einflussfaktoren heraus (grün) (Abb. 2):
- Planung (sich aktiv Gedanken machen, welche Handlungsmöglichkeiten bestehen, um die Situation zumindest ein Stück weit zu verbessern und das Ergebnis dieser Überlegungen in einen strukturierten Handlungsplan überführen),
- Emotionen ausleben (authentisch und situationsadäquat nach außen zeigen, dass es einem nicht gut geht)
- instrumentelle Unterstützung (Rat und / oder Hilfe bei anderen einholen, um Unterstützung bitten),
- aktive Bewältigung (selbst aktiv handeln, nicht nur gedanklich, sondern auch im Handeln die Opfer-Grundhaltung verlassen und statt dessen die Gestalter-Grundhaltung einnehmen, Stephen Covey, 2005),
- positive Umdeutung, „reframing“ (Änderung des gedanklichen Bezugssystems, Perspektivenwechsel; versuchen, die Dinge von der positiven Seite zu sehen: „Vor welcher Herausforderung stehe ich gerade?“, „Was kann ich daraus lernen? Wofür ist das ggf. eine Trainingseinheit?“,
- emotionale Unterstützung (Trost, Aufmunterung, Verständnis).
Für die Akzeptanzstrategie, die in der Literatur ebenfalls als Coping-Strategie aufgeführt wird, und der in der Regel eine hohe Bedeutung bei der Bewältigung von Stress und Krisen zugeschrieben wird, konnte anhand der uns vorliegenden Daten keine Signifikanz festgestellt werden. Bei intensiver Anwendung positiver Coping-Strategien (Abb. 2 grün) zeigte sich in der Analyse der gewonnen Daten eine um 35 % bessere mentale Erholung.
Zudem führt die Anwendung positiver Coping-Strategien (Abb. 3 grün) durchschnittlich zu einem niedrigeren berichteten Beanspruchungswert. Gleichermaßen gilt, dass eine stärkere Anwendung negativer Coping-Strategien (schwarz) durchschnittlich auch zu einem höheren berichteten Beanspruchungswert führt (s. Abb. 3).
Linear positiver Zusammenhang zwischen individueller Resilienz und mentaler Erholung
Weitere Analysen unserer Daten haben gezeigt, dass auch die individuelle Resilienz einen hochsignifikanten Einfluss auf die Erholung aufweist. Als Resilienz wird die psychische Widerstandskraft bezeichnet; die mentale Fähigkeit, Stress auslösende Reize besser zu verarbeiten, ohne anhaltende Beeinträchtigung. Das Konzept der Resilienz entspricht dabei einem Fitness-Wert. Somit kann die individuelle Resilienz, ganz im Sinne eines Fitness-Wertes, trainiert werden. In der Literatur besteht keine Einigkeit über die Faktoren, die die Resilienz beschreiben, auch wenn die einzelnen Konzepte deutliche inhaltliche Ähnlichkeiten aufweisen. Unserer Studie haben wir die „sieben Säulen der Resilienz“ nach Karen Reivich und Andrew Shatté (2003) zugrundgelegt (die nachfolgenden Erläuterungen sind entnommen aus Ullmann, 2020):
- Akzeptanz (= Akzeptanz eigener Schwächen, Fehler, Gedanken und Gefühle. Es geht nicht darum, die Dinge einfach hinzunehmen und aufzugeben. Es geht vielmehr um die Erkenntnis und die innere Haltung, „dass ich die Dinge IM MOMENT nicht ändern kann“),
- Optimismus (die Überzeugung, dass die Zukunft mehr gute als schlechte Dinge bereit hält, sich die Dinge zum Vorteil entwickeln werden und, dass das Leben, bei allen Unwägbarkeiten gut weitergeht),
- Lösungsorientierung (Die Lösungsorientierung geht davon aus, dass es hilfreicher ist, sich auf Wünsche, Ziele, Ressourcen und Ausnahmen vom Problem zu konzentrieren, anstatt auf die Probleme selbst und deren Entstehung. Sie führt damit weg von der Problemanalyse und hin zum Auffinden von Lösungen.),
- Opfer-Grundhaltung verlassen (Menschen mit einer Gestalter-Grundhaltung glauben fest daran, dass sie etwas bewirken können (Selbstwirksamkeitserwartung). Sie sind handlungsorientiert. In schwierigen Situationen überlegen sie sich, wie sie ins Handeln kommen können. Sie suchen eher aktiv nach Lösungsmöglichkeiten und ergreifen von sich aus die Initiative.),
- Verantwortung übernehmen (Der Stamm „Antwort“ im Wort „Verantwortung“ weist auf seine Bedeutung hin: die Fähigkeit, zu antworten, zu reagieren. Antwortfähigkeit im Kontext persönlicher Resilienz bedeutet somit, in einer Situation mit einer konkreten Maßnahme, mit einer konkreten Aktion, durch aktive Gestaltung zu antworten, so dass sich die Situation dadurch ein Stück weit verbessert.),
- Soziale Netzwerke aufbauen (erlebte soziale Unterstützung ist als zentrale Komponente bei der Bewältigung sowohl alltäglicher als auch außergewöhnlicher Stressoren und Krisen durch eine Fülle von Studien belegt),
- Zukunft planen und Ziele setzen (Bei der Zukunftsplanung geht es darum dort anzukommen, wo man ankommen will – nicht soll. Gerade im Hinblick auf „Zukunftsplanung“ als Resilienz-Faktor sollten Ziele SINN-stiftend sein, um die persönliche Resilienz zu erhöhen.).
Wie diese jeweils trainiert werden können zeigt Ullmann, 2020.
Aus den uns vorliegenden Daten lässt sich ein direkter Zusammenhang formulieren: je höher die individuelle Resilienz, desto höher die Erholungswerte (Abb. 4).
Analysiert man den Zusammenhang zwischen individueller Resilienz und empfundener Belastung, so wird deutlich, dass Athleten mit einer hohen individuellen Resilienz eine durchschnittlich 18 % niedrigere Belastung berichten (Abb. 5).
Persönlichkeitstypologie
In einer weiteren Analyse wurde untersucht, welchen Einfluss die Persönlichkeitstypologie in diesem Zusammenhang hat. Hierzu wurde das Persönlichkeitsmodell „Big Five“ zugrunde gelegt. Im „Big Five“ Persönlichkeitsmodell werden fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit beschrieben:
- Neurotizismus (Neigung zu emotionaler Instabilität, Ängstlichkeit und Verletzlichkeit; Neigung einer Person, schnell negative Emotionen zu empfinden),
- Extraversion (Geselligkeit),
- Offenheit für Erfahrungen (Aufgeschlossenheit),
- Verträglichkeit (Rücksichtnahme, Kooperationsbereitschaft, Empathie),
- Gewissenhaftigkeit (Perfektionismus).
Dabei hatten insbesondere Neurotizismus und Gewissenhaftigkeit einen signifikanten Einfluss auf die Regeneration: Höhere Werte bei Neurotizismus zeigen dabei einen negativen, höhere Werte bei Gewissenhaftigkeit hingegen einen positiven Einfluss auf die Erholung. Der negative Einfluss von Neurotizismus auf die mentale Erholung ist aus den Daten so zu erklären, dass er sich als Mediatorvariable deutlich negativ auf die individuelle Resilienz auswirkt und zudem die Auswahl negativer Coping-Strategien verstärkt. Damit bestätigen unsere Ergebnisse den in der Literatur beschriebenen negativen Zusammenhang von Neurotizismus und individueller Resilienz (Ufer, 2018).
Bessere Erholung durch mentales Coachen
Die Multikorrelationsanalyse zeigte deutlich, dass Mental-Coaching auf die für diese Studie relevanten Variablen einen hochsignifikanten positiven Einfluss hat (Abb. 6). Mental gecoachte Athleten haben um 20 % bessere Werte bei Belastung und Erholung und können daher besser mit Peak-Beanspruchung umgehen.
Eine weitere Analyse der gewonnenen Daten hat gezeigt, dass Athleten die kein Mental-Coaching in den letzten 12 Monaten für sich in Anspruch genommen haben, hoch signifikant von einer höheren Beanspruchung berichtet haben. Der Einfluss liegt hierbei bei einer etwa 20 % höheren Beanspruchungsbewertung als bei Athleten, die Mental-Coaching genutzt haben.
Fazit
Es konnte in der Studie gezeigt werden, dass die Pandemie-Saison 2020/2021 im Erleben der Athleten mit einer
höhere Belastung einhergegangen ist. Dieses Belastungserleben sowie die mentale Erholung, so die Analyse der uns vorliegenden Daten, wird durch die Faktoren
- Coping-Strategien,
- individuelle Resilienz und
- Persönlichkeitstypologie (insbesondere Neurotizismus und Gewissenhaftigkeit) hoch signifikant beeinflusst.
Um Athleten in Zukunft in Bezug auf ihr Belastungserleben und ihre mentale Erholung in Phasen der Peak-Beanspruchungen zu stärken, erscheint es daher als geeignet, insbesondere im Rahmen von Mental-Coaching
- die individuelle Resilienz auf- und auszubauen sowie deren Anwendung und Umsetzung
in der Praxis zu trainieren, - den Einsatz von positiven Coping-Strategien zu vermitteln und zu fördern,
- die individuelle Persönlichkeitstypologie, insbesondere im Hinblick auf Neurotizismus, Gewissenhaftigkeit und Extraversion zu reflektieren und den Umgang damit zu trainieren.
Dabei wird die körperliche Regeneration zur Voraussetzung für die mentale Regeneration (psychologische, soziale und emotionale Erholung). Denn es erscheint als unmittelbar nachvollziehbar, dass ein müder, hungriger Athlet, der Schmerzen hat, wenig Energie aufbringen wird, um in Reflexionsprozessen zur Anwendung positiver Coping-Strategien und zielgerichteter Selbstgesprächsregulationen an seiner men-
talen Erholung zu arbeiten. Daher erscheint es als sinnvoll, körperliche und mentale Regeneration nicht länger separat zu betrachten. Also physiologische Erholung sowie psychologische, soziale und emotionale Erholung in Kombination einzusetzen (vgl. auch Kallus und Kellmann, 2000), um einen ganzheitlichen Regenerationsprozess im Sinne einer „psycho-sozial-physiologischen Gesamtheit“ in der Praxis zu erreichen (Kenttἅ und Hassmén, 1998).
ÜBERTRAGBARKEIT Die hier gewonnen Ergebnisse sind nun keineswegs auf Profisportler beschränkt. Lesen Sie dazu mehr in der Online-Version des Artikels unter www.sportärztezeitung.com
Literatur
- Carver, C. 2013. “Coping.” In: Gellman M.D., Turner J.R. (eds) Encyclopedia of Behavioral Medicine. Springer,New York, NY. doi: https://doi.org/10.1007/978-1-4419-1005-9_1635
- Kellmann, M., & Kallus, K. W. 2000. „Der Erholungs-Belastungs-Fragebogen für Sportler: Manual.“ Frankfurt a.M: Swets und Zeitlinger.
- Kenttä, G & Hassmén, Peter. 1998. “Overtraining and recovery. A conceptual model.” Sports medicine (Auckland, N.Z.). 26. 1-16. (Online: 08.06.2021: https://www.researchgate.net/publication/13545392_Overtraining_and_recovery_A_conceptu al_model)
- Fletcher, D., & Sarkar, M. 2013. “Psychological resilience: A review and critique of definitions, concepts, and theory.” EuropeanPsychologist, 18(1), 12–23. doi: https://doi.org/10.1027/1016-9040/a000124
- Ufer, Dr. Michele. 2018. “The resilient athlete. Personality, psychological strategies and the ability to bounce back after a crisis in endurance sport.” International Congress of the French Society of Sport Psychology 2018: Improving the Performance, Developing the person, Lausanne, 13.-15. June 2018
- (Online: 10.06.2021: https://www.researchgate.net/publication/332180615_The_resilient_athlete_Personality_psyc hological_strategies_and_the_ability_to_bounce_back_after_a_crisis_in_endurance_sport)
- Ullmann, Dr. Michael. 2017. „MIND-Fitness. Kombination von körperlicher und mentaler Regeneration“ Sportärztezeitung 01/2017. (Online: 08.06.2021: https://www.drullmann-partner.de/wp-content/uploads/2018/05/artikel- mind-fitness-sportarztezeitschrift-download-01-17.pdf)Ullmann, Dr. Michael. 2020. „Persönliche Resilienz stärken: Raus aus der Stressfalle“ 2. Auflage. (Online: 08.06.2021: https://bookboon.com/de/personliche-resilienz-strken-raus-ebook)
Autoren
studierte Wirtschaftswissenschaften, arbeitete langjährig im leitenden Management und in Führungsverantwortung und ist heute erfolgreicher Mental-Coach, Management-Trainer und Performance-Coach. Als Mental- und Team-Performance-Coach im professionellen Eishockey (1. Bundesliga, Deutsche Eishockey Nationalmannschaften, Jungadler Mannheim) berät er Olympiamedaillengewinner, Nationalspieler, Deutsche Meister und Bundestrainer ebenso wie Führungskräfte internationaler Unternehmen.
studierte Soziologie an der Universität Mannheim. Er ist mehrfacher Deutscher Juniorenmeister mit den Jungadler Mannheim, ehemaliger Eishockeyprofi, Co-Trainer der U17 bei den Jungadlern Mannheim. Die vorliegende Studie ist Teil seiner Forschungsarbeit (Betreuer Dr. Michael Ullmann) an der Fakultät der Sozialwissenschaften der Universität Mannheim.