Wir betreuen seit acht Jahren Profisportteams aus verschiedenen Sportarten. Dabei geht es um die Verbesserung der Bereiche Spielerverfügbarkeit, Optimierung der Anpassungsfähigkeit und Verbesserung der sportlichen Leistungsfähigkeit. Um diese Ziele zu erreichen graben wir immer tiefer und gerade in den letzten fünf Jahren wird uns die Rolle der Darmgesundheit immer ersichtlicher.
Eine Analyse der Verletzungsstatistik der letzten drei Jahre hat z.B. gezeigt, dass zwar nur etwa 20 % aller Spieler Symptome einer Funktionsstörung im Magen-Darm-Trakt haben, diese allerdings für etwa 75 % aller Ausfalltage verantwortlich sind. Der Bereich der Anpassungsfähigkeit und der sportlichen Leistungsfähigkeit ist statistisch wegen ihrer Komplexität nicht mehr so leicht zu erfassen. Es zeigt sich für uns subjektiv dennoch die Tendenz, dass Spieler mit Funktionsstörungen im Magen-Darm-Trakt weniger Fortschritte machen.
Funktionsstörungen des Magen-Darm-Trakts lassen sich funktionell einteilen in Veränderungen im Bereich der:
- Digestion (Mastikation & Peristaltik)
- Absorption (enzymatische Spaltung und transzellulärer Transport)
- Intestinale Permeabilität (parazellulärer Transport)
- Darmflora (Mikrobiom)
- Inflammation (Immunaktivierung)
Alle fünf Bereiche beeinflussen sich gegenseitig. Es ist daher selten eine isolierte Funktionsstörung in nur einem der Bereiche vorzufinden. In diesem Artikel möchten wir speziell das Thema der intestinalen Permeabilität des Dünndarms beleuchten. Es gibt Hinweise darauf, dass eine erhöhte intestinale Permeabilität die Immunfunktion beeinträchtigen kann, was sich in einer Vielzahl von immunologischen Symptomen äußert und die adaptive Kapazität des Immunsystems reduzieren kann. Der Begriff „Leaky Gut Syndrom“ („durchlässiger Darm“) bezeichnet eine pathologisch erhöhte intestinale Permeabilität und ist ein umstrittener Begriff, an dem viel Spekulation haftet. Daher lohnt sich die Frage: „Was wissen wir denn wirklich darüber?“
Leaky Gut – Was wissen wir wirklich?
In den letzten 30 Jahren wurden auf PubMed ca. 2.000 Arbeiten zum Thema „Intestinale Permeabilität“ veröffentlicht. Die Tendenz ist linear steigend mit nur etwa 10 Publikationen pro Jahr in den 1980er Jahren und aktuell ca. 100 Publikationen pro Jahr [1]. Eine erhöhte intestinale Permeabilität ist mit vielen Krankheiten assoziiert. Im Kontext des Leistungssports ist hervorzuheben, dass die Inzidenz von Asthma, Allergien, respiratorischen Infekten (URTI) sowie chronischen Entzündungen (IBS /Arthritis) bei Menschen mit erhöhter intestinaler Permeabilität nachweislich stark erhöht ist [1–4].
Mechanismus intestinaler Permeabilität
Die Darmbarriere ist ähnlich zur Hautbarriere prinzipiell in drei Schichten aufgeteilt. Eine äußere modulierende, mikrobiotische Schicht, eine mittlere physikalische Barriere und eine innere immunologische Schicht. Zusammen übernehmen diese drei Schichten die herausfordernde Aufgabe zu filtern, welche Substanzen in den Körper eintreten dürfen und welche Substanzen draußen bleiben müssen. Die mittlere physikalische Barriere besteht aus einer Schicht Epithelgewebe, welches parazellulär durch so genannte Tight Junctions verbunden wird. Diese Tight Junctions, eine Proteinfamilie bestehend aus Okkludinen und Claudinen, stellen eine physiologische parazelluläre Barriere zwischen Darmlumen und dem darunterliegenden Bindegewebe dar. Die semipermeablen Tight Junctions erlauben einen parazellulären Transport von Wasser und kleinen Ionen, blockieren jedoch in physiologischem Zustand die parazelluläre Passage von luminalen Antigenen, Mikroorganismen und Endotoxinen [5]. Die Integrität dieser Tight Junctions kann durch Noxen, oxidativen Stress, Verschiebungen des Mikrobioms und Entzündung gestört werden, was zu einer pathologisch erhöhten parazellulären Permeabilität führt, bei der luminale Antigene, Mikroorganismen und Endotoxine den Weg in das immunologisch durchwanderte submuköse Bindegewebe und in die Blutbahn finden können. Das führt zu einer Immunaktivierung mit resultierender lokaler, wie auch systemischer Entzündung [3, 5].
Intestinale Permeabilität und sportliche Leistungsfähigkeit
Die Zusammenhänge zwischen intestinaler Permeabilität und immunologischen Symptomen wie Asthma, respiratorischen Infekten, chronischer Entzündung (z. B. Arthritis) und Allergien werden aktuell über den durch die parazelluläre Permeabilität erhöhten Antigenkontakt der submukösen Immunzellen mit resultierende chronischer Entzündung erklärt [5, 6]. In der Tat zeigen in einigen Subpopulationen die Marker für erhöhte intestinale Permeabilität eine hohe Korrelation mit Entzündungsmarkern wie hs-CRP auf [7]. Eine gute Trainingssteuerung ist fast synonym mit einem adäquaten Entzündungsmanagement, daher sollten unspezifische Reize, die zu einer chronischen Entzündung führen, aus dem Lebensstil und Trainingsprozess eliminiert werden [8]. Trainingsbelastungen führen an sich schon zu einer erhöhten intestinalen Permeabilität. Diese belastungsinduzierte intestinale Permeabilität bildet sich aber in kurzer Zeit wieder zurück. Hier scheint es ähnlich zu sein wie mit der belastungsinduzierten Entzündung, der belastungsinduzierten sympathischen Aktivierung und der belastungsinduzierten Cortisolsezernierung: Akute Spitzen scheinen ein Teil der spezifischen Anpassung unseres Organismus zu sein, während chronische Erhöhungen ungezielte Anpassungen zur Folge haben können.
Die Mechanismen, die zu einer Leaky Gut-assoziierten chronischen Immunaktivierung mit chronischer Entzündung führen, könnten im Kontext des negativen Einflusses einer chronischen Entzündung auf Geweberegeneration [9–11] sowie sportlicher Leistungsfähigkeit [12] die anekdotischen Berichte über den Zusammenhang von Leaky Gut Syndrom und Ausfalltagen, Anpassungsdefiziten und reduzierter Leistungsfähigkeit bei Sportlern erklären. Daher sollte im Rahmen des sportlichen Anpassungsprozesses darauf geachtet werden, dass die intestinale Integrität so gut wie möglich erhalten bleibt.
Klinische Symptomatik und Diagnostik
Die klinische Präsentation bei möglichem Leaky Gut Syndrom beinhaltet aufgrund der Immunaktivierung eine diffuse Konstellation aus dermatologischen, allergischen, neuropsychiatrischen, entzündlichen Symptomen. Um den Verdacht auf ein Leaky Gut zu erhärten, bieten sich einige Labordiagnostiken an. Es besteht noch kein Konsens über das optimale Verfahren zur klinischen Diagnostik von intestinaler Permeabilität. Die Diagnostik der intestinalen Permeabilität findet ihre Ursprünge und ihren Goldstandard bereits seit 1946 in elektrophysiologischen ex vivo Untersuchungen von Mukosagewebe mit Hilfe der Ussing Kammer. Daraus konnten einige in vivo Verfahren abgeleitet werden [1].
Laktulose/Mannitol Test
Nach oraler Gabe von der Zucker – Laktulose /Mannitol – kann im Urin das Laktulose /Mannitol-Verhältnis erhoben werden. Das kleine Mannitol Molekül mit einer spezifischen Masse von 400 kD kann transzellulär transportiert werden und wird daher luminal fast vollständig resorbiert. Das große Laktulose Molekül mit einer spezifischen Masse von 1.500 kD kann jedoch nicht transzellulär transportiert werden und findet seinen Weg daher nur in die Blutbahn und damit in den Urin, wenn die parazelluläre Barriere eine erhöhte Permeabilität aufweist. Damit ist das Laktulose / Mannitol-Verhältnis im Urin nach definierter oraler Gabe ein wertvoller Marker für die intestinale Permeabilität. Dieser funktionelle Test gilt als aktueller klinischer Goldstandard, ist jedoch zeitaufwändig und unhandlich.
Zonulin
Zonulin ist ein Protein, welches von der Darmschleimhaut als Reaktion auf bestimmte Antigene sezerniert wird. Es erhöht die intestinale Permeabilität und gilt daher, im Blutserum oder Stuhl gemessen, nur als indirekter Nachweis einer erhöhten intestinalen Permeabilität. Bisher konnte nur die bakteriell- und gliadinbedingte Sezernierung von Zonulin nachgewiesen werden. Das bedeutet, dass durch einen Zonulintest nur eine intestinale Permeabilität, die aufgrund eines Dünndarmschleimhautkontaktes mit dem Weizenprotein Gliadin und /oder einer bakteriellen Fehlbesiedlung auftritt, nachgewiesen werden kann [13]. Da der Zonulintest nur einen Ausschnitt der Gründe für eine intestinale Permeabilität abbildet, findet sich auch keine hohe Korrelation zwischen Zonulintest und Laktulose / Mannitol Test [14]. Bei erhöhtem Zonulin ist eine intestinale Permeabilität sehr wahrscheinlich. Ein niedriges Zonulin schließt eine intestinale Permeabilität jedoch nicht aus. Daher ist der Zonulintest allenfalls als Screening-Parameter einzusetzen.
Praxiseinblick
In der Praxis handhaben wir es so, dass Athleten, die eine diffuse Konstellation von immunolog der Ussing Kam- merischen Symptomen (eventuell in Kombination mit erhöhten hs-CRP Werten) aufweisen, ohne weitere spezifische Leaky Gut Diagnostik von uns ein individualisiertes Behandlungsprotokoll erhalten. Dieses vierstufige und 8-wöchige „ELIMINATE, EXTINGUISH, REPAIR, REPOPULATE“ Protokoll beinhaltet:
- ELIMINATE: Managementstrategien zur Reduktion von potenziellen Auslösern einer intestinalen Permeabilität wie Gluten, Zucker, Alkohol, individuellen Nahrungsmittelantigenen (Diagnostik über Eliminationsdiät), psychosozialer Stress, und Tabak (z. B. Oraltabak)
- EXTINGUISH: Entzündungsmoderierende Strategien wie Optimierung des Omega-3 / Omega-6 Verhältnisses, Kurkuma, Weihrauch, Pfefferminz, Ingwer
- REPAIR: Strategien, die zu einer physiologischen Darmbarriere beitragen können. Glutamin, Zink, Vitamin D, Zeolith
- REPOPULATE: Strategien zur Balancierung des Mikrobioms. Präbiotika (grünes Gemüse, Ballaststoffreiche Ernährung), Probiotika (Kefir, griech. Joghurt) – naturnahe Produkte ohne Zusatzstoffe
Unsere subjektive Erfahrung zeigt, dass sich viele Symptome innerhalb von acht Wochen maßgeblich reduziert haben, was sich regelmäßig in einer verbesserten Leistungsfähigkeit zeigt. Symptome, die danach noch vorhanden sind, werden bei klinischer Relevanz mit den entsprechenden Spezialisten gegebenenfalls abgeklärt.
Literatur
[1] Bischoff, Stephan C. et al. 2014. “Intestinal Permeability – a New Target for Disease Prevention and Therapy.” BMC Gastroenterology 14(1):1–25
[2] Benard, A. et al. 1996. “Increased Intestinal Permeability in Bronchial Asthma.” The Journal of Allergy and Clinical Immunology 97(6):1173–78
[3] Fasano, A. 2011. “Zonulin and Its Regulation of Intestinal Barrier Function: The Biological Door to Inflammation, Autoimmunity, and Cancer.” Physiological Reviews 91(1):151–75
[4] Hijazi, Z. et al. 2004. “Intestinal Permeability Is Increased in Bronchial Asthma.” Archives of Disease in Childhood 89(3):227–29
[5] Groschwitz, Katherine. 2014. “Intestinal Barrier Function: Molcular Regeneration and Disease Pathogenesis.” J Allergy Clin Immunol 124(1):3–22
[6] Lambert, G. P. 2009. “Stress-Induced Gastrointestinal Barrier Dysfunction and Its Inflammatory Effects.” Journal of Animal Science 87(14 Suppl):101–8
[7] Mokkala, Kati et al. 2017. “Increased Intestinal Permeability, Measured by Serum Zonulin, Is Associated with Metabolic Risk Markers in Overweight Pregnant Women.” Metabolism: Clinical and Experimental 69:43–50
[8] Keferstein, Gerrit, Robert Mager, Daniel Müller, Pierre Houben, and Stefan Adler. 2014. Eishockey Performance
[9] Bastian, Okan et al. 2011. “Systemic Inflammation and Fracture Healing.” Journal of Leukocyte Biology 89(5):669–73
[10] Diegelmann, Robert and Melissa Evans. 2004. “WOUND HEALING: AN OVERVIEW OF ACUTE, FIBROTIC AND DELAYED HEALING.” Frontiers in Bioscience 9(4):283–89
[11] Majno, G. 1998. “Chronic Inflammation: Links with Angiogenesis and Wound Healing.” American Journal of Pathology 153(4):1035–39
[12] Robson-Ansley, Paula J., Liesl de Milander, Malcolm Collins, and Timothy D. Noakes. 2004. “Acute Interleukin-6 Administration Impairs Athletic Performance in Healthy, Trained Male Runners.” Canadian Journal of Applied Physiology 29(4):411–18
[13] Fasano, Alessio. 2012. “Intestinal Permeability and Its Regulation by Zonulin: Diagnostic and Therapeutic Implications.” Clinical Gastroenterology Heptology 10(10):1096–1100
[14] Sapone, Anna et al. 2006. “Zonulin Upregulation Is Associated with Increased Gut
Permeability in Subjects with Type 1 Diabetes and Their Relatives.” Diabetes
55(5):1443–49
Autoren
studierte Medizin an der Universität Göttingen und der Universität des Saarlandes. 2005 begann er mit dem Coaching von Athleten und absolvierte dafür ein Studium an der University of Wisconsin mit Ausbildungen bei der National Strength&Conditioning Association sowie am Olympic Training Center in Colorado Springs. 2008 gründete er das Unternehmen ALLOUT Performance Training und war u.a. Athletiktrainer und Performance Coach für die Profis der Telekom Baskets, der Kölner Haie sowie der Nachwuchs-und Herrenkader der Eishockeynationalmannschaft.