Immer mehr Studien zeigen, dass Ernährungsmodelle eine wichtige Rolle in Form einer adjuvanten Therapieunterstützung einnehmen können. Auch in der sportärztezeitung berichten wir regelmäßig über die Potenziale und Wirkweisen, zuletzt u. a. in unserem aktuellen Orientierungsartikel „Phytopharmaka und phytogene Ernährung“ (04/23). Interessant ist auch eine neue Studie zur Enzymtherapie. Gerade die Thematik der entzündungsmodulierenden /-hemmenden Ernährungsinterventionen (auch Omega 3-Fettsäuren, Vitamin D3 / K2) sind fast schon gesetzt.
Die Sportmedizin hat dabei nicht die absolute Aufgabe, eine Ernährungsumstellung des Patienten einzufordern (umzusetzen). Sie kann lediglich Hinweise und Anstöße geben für eine adjuvante Unterstützung und zusätzlich zur Pathologie passende Empfehlungen aussprechen.
Eine konkrete Umstellung kann dann im Anschluss „selbstbestimmt“ mit weiteren Spezialisten entwickelt und umgesetzt werden. Ansonsten besteht die Gefahr einer Bagatellisierung oder sogar generellen Ablehnung der Thematik durch Patienten / Sportler, wie es in der Vergangenheit schon oft zu sehen war. Für die aktuelle Ausgabe hat sich Robert Erbeldinger in Form eines ordnenden Austausches mit Dr. Kurt Mosetter unterhalten.
Lieber Kurt, ketogene Ernährung scheint ein extremes Modell zu sein, das allerdings wirkt und aktuell wieder sehr gefragt ist. Auch wiss. Daten gibt es dazu ausreichen, z. B. www.nature.com/articles/s41392-021-00831-w. Wie sieht das im Alltag bei deinen Patienten / Sportlern individuell aus? Und gibt es dabei auch Probleme, z. B. in Bezug auf Proteine und Ballaststoffe?
In der Tat haben wir die verschiedenen Formen der ketogenen Ernährung schon lange auf dem Radar. Eine moderate und anwendungsfreundliche Form dieser Wirk-Konzepte hat die Entwicklung des Glycoplans maßgeblich beeinflusst. Die Bereitschaft und verlässliche Mitarbeit unserer Patienten in der Umsetzung von Natural Eating in unterschiedlichen Glycoplan Varianten können wir im ganzen Team als sehr gut bewerten. Mögliche Schwächen der klassischen ketogenen Ernährung liegen in „einem Zuwenig“ an Pflanzenfasern & Ballaststoffen sowie einem Mangel an Proteinen. Deshalb integrieren wir wertvolle Fette und Öle, Ballaststoffe über langkettige Kohlenhydrate (z. B. in Kichererbsen, Linsen, Hirse, Buchweizen und gegebenenfalls Akazienfasern) sowie unbedingt ausreichend Proteine. Der Proteinanteil sollte in der Regel zwischen 15 – 30 % auf dem Teller oder im Shake einnehmen. Für Sportler kann der Anteil langkettiger Kohlenhydrate ebenso erhöht werden wie der Proteinanteil. Moderne Forschung der Aerospace Medicine am Institut der Luft und Raumfahrttechnik (zusammengefasst von Prof. Dr. Jörn Rittweger) zeigt, dass selbst für Masterathleten im höheren Alter 2,5 g Protein / kg Körpergewicht erforderlich sein können. Schon seit den ersten Arbeiten zur klassischen ketogenen Ernährung bei Epilepsie im Jahr 1921 an der Mayo Klinik in Rochester und dem Johns-Hopkins Hospital in Baltimore, den Forschungsergebnissen der Pioniere Dr. med. Wilhelm Brüning 1941 und in den letzten 20 Jahren von Prof. Dr. Ulrike Kämmerer zur ketogenen Ernährung bei Krebspatienten, wissen wir, dass die Ernährungspläne für betroffene Patienten etwas strenger und mehr individualisiert gestaltet werden sollten. Hier werden glukoplastische Aminosäuren und Glutamin stark reduziert, resistente Stärke und Phytopharmaka integriert und der Anteil von wertvollen Fetten in Richtung „sehr fettreich“ erhöht.
Phytogene Ernährung bzw. spezifische pflanzliche adäquate Ernährungsunterstützung / adjuvant (Kombination bestimmter Phytopharmaka & Natural Treatment wie z. B. Bromelain, Curcumin, Boswelia etc. Liste nicht vollständig – siehe dazu auch Pöttgen „Entzündungshemmende Ernährung“ + Video) kann dies gut ergänzen. Eine adäquate unterstützende Ernährungsform – Evidenz basiert, nicht pharamakologisch, nicht invasiv sowie kosteneffektiv und unkompliziert. Außerdem stellt dies eine gut zu implementierende Möglichkeit mit persönlicher Note dar, gesetzt den Fall, diese ist mit dem Arzt / Therapeuten erarbeitet bzw. gemeinsam adaptiert. Immer mit dem Wissen, dass es um eine Ernährungsunterstützung geht, nicht um eine alleinstehende Ernährung.
Wir plädieren bei unseren Patienten – aber auch bei deren Angehörigen – für eine phytogene Ernährung. Ergänzend zu den ohnehin vielen Lebensmitteln, welche im Glycoplan „auf Grün“ stehen (wie Brokkoli, Rote Beete, Rosenkohl, Kohlgemüse, Knollensellerie, Selleriestangen, Fenchel, Salate, Gurken, Buschbohnen, Zucchini, Pilze, Zwiebeln, Erbsen, Kichererbsen, Linsen etc.) erhalten unsere großen und kleinen Patienten Auflistungen mit besonders wertvollen Kräutern und Gewürzen. Diese Ernährungsform beinhaltet alle Vorteile einer Mediterranen Ernährung, nährt die Artenvielfalt in der Darmgesundheit, wirkt antientzündlich, schmerzhemmend und regulierend auf die Ökonomie des Stoffwechsels. Eine wichtige Anmerkung an dieser Stelle: Diese Empfehlungen helfen nicht nur kranken Menschen, sondern können für uns alle einen feinen Beitrag für eine längere Gesundheitsspanne (Healthspan) leisten. Phytogene Ernährung wirkt therapeutisch, trägt aber gleichermaßen zur Prävention und Prophylaxe bei.
Macht eine mögliche wie individuelle Kombination angepasster ketogener Ernährung und phytogener Ernährung (spez. Kombination bestimmter Phytopharmaka) auch in Bezug auf deinen entwickelten Glycoplan Sinn?
Glycoplan und phytogene Ernährung gehen in der individualisierten Planung „Hand in Hand“. Die Basis Glykoplan wird sozusagen phytogen ausgebaut. Bei Reizdarm-Syndromen, Leaky gut (siehe Artikel Sartor S. 80), verdeckter, mikroskopischer terminaler Ileitis plädieren wir für eine Rotation in der Reduktion von Süßgetränken, Fruchtzucker, Kuhmilchprodukten (Kasein, Laktose, IGF-1), Gluten, Nachtschattengewächsen und histaminhaltigen Waren. Gleichzeitig können antientzündliche und darmpflegende Substanzen wie Heilerde, Akazienfasern, Tausendgüldenkraut, Heidelbeeren, schwarze Johannisbeeren, Curcumin, Reishi, Bromelain etc. wertvolle Hilfe leisten. An dieser Stelle spielt die Dosierung der Wirksubstanzen Phytopharmaka eine entscheidende Rolle. Aus diesem Grund wird der Phytoshake (mit größeren Mengen an Curcumin, Bromelain sowie den zusätzlichen Substanzen Boswellia und Zimt) als Shot oder Trinkmahlzeit in die Speisekarte eingebaut. Betroffenen mit Stoffwechselbelastungen um NAFLD, Metabolisches Syndrom, Diabetes und Adipositas wird die Glycoplan Variante „very low bad Carb“, mit starker Reduktion aller kurzkettigen Kohlenhydrate, empfohlen. Ein „Mehr“ an wertvollen Fetten in Nüssen, Mandeln, Olivenöl, MCT in Ziegen- und Schafmilch-Produkten sowie Kokosfett, ungesättigten Fettsäuren in Hanföl, Leinöl, Walnusöl; und nicht zuletzt ausreichend Omega 3 Fettsäuren in Algen- oder Fischöl kann den Speiseplan wirksam ergänzen. Als phytogene Ernährung werden Löwenzahn (Taraxacum), Mariendistel, Artemisia, Basilikum, Koriander, Zimt, Cardamon, Safran, Radieschen, Ruccula, Stangensellerie und, nicht zuletzt, der Phytoshake als Trinkmahlzeit abends empfohlen. Flankierend können Kombinationen der insulinunabhängigen Monosaccharide Mannose und Galactose (in Preiselbeeren, Heidelbeeren, Goje Beeren und Linsen) ein hilfreiches Wirkspektrum entfalten. Für Patienten, welche unter Autoimmunerkrankungen leiden, spielt eine antientzündliche Glycoplan & phytogene Ernährung sowie die Darmgesundheit eine Schlüsselrolle. Über differenzierte Laboruntersuchungen kann die Ernährung maßgeschneidert werden. Der zeitweise Verzicht auf Gluten, Laktose, Kasein, Nachtschattengewächse und die Reduktion von histaminreichen Lebensmitteln leistet spürbare Dienste.
Im Stadium der Erkrankung zeigt sich das evidente Wirkspektrum der Phytopharmaka als besonders wertvoll. Ashwagandha (siehe Video Post), Curcumin, Betain, Boswellia, Bromelain, Spermidin, Reishi, Cordyceps, Zimt und Omega 3 Fettsäuren zeigen gute Effekte. Über den Phytoshake kann die phytogen akzentuierte Ernährung relativ leicht umgesetzt werden.
Ist es wichtig, Menschen, Patienten, Sportler im Bereich der antientzündlichen Ernährung und im Trendbegriff „silent inflammation“ (korrekter systemic chronic inflammation) zu beraten und unterstützen, damit es spezifisch helfen, wirken und auch prophylaktisch aktiv funktionieren kann?
Ja! Beratung, Aufklärung, Wissens- und Überzeugungstransfer sind die entscheidenden Schritte – hin zu einer proaktiven Medizin mit gleichberechtigter Partizipation, Selbstermächtigung und Eigenverantwortlichkeit. Die wissenschaftlich belegte Bedeutsamkeit des Darmes mit der sogenannten Darm-Gehirn-Achse, der Darm-Psycho-Neuro-Immun-Achse für unsere Gesundheit wird auch in der breiten Bevölkerung immer salonfähiger. Die Darmgesundheit liegt mit der Königsdisziplin Natural Eating tatsächlich in unseren Händen. Mit recht einfachen Spielregeln wie saisonal, regional, natürlich, möglichst wenig verarbeitet sowie der Reduktion von vielen E-Nummern und Geschmacksverstärkern ist schon viel gewonnen. Zudem hilft es auch, wenn man „nicht Zuviel“ isst und das erst recht nicht am Abend vor dem Schlafen gehen. Das Bewusstsein für die Wirksamkeit einer antientzündlichen Ernährung, gegen die immer bekannter werdende Silent Inflammation, der Triebfeder vieler Zivilisationserkrankungen eröffnet neue Horizonte in Prävention und Prophylaxe. Das zunehmende Wissen um die Kraft der Natur in einer phytogenen Ernährung macht „prophylaktisches Aktiv-Werden“ realisierbar. Je früher das Wissen verfügbar wird, umso früher üben sich die Menschen und ihr Stoffwechsel. Unser Ziel: Körper Bewegungs- & Gesundheits-Wissen als Angebot in der Schule. Profisport kann dabei als starker Botschafter ins Spiel treten. Nicht nur Kranke ernähren sich antientzündlich, sondern auch Profisportler für eine bessere Leistung und nachhaltigere Regeneration.
Was könnte dies in Bezug auf die Prophylaxe und als spezifische Alternative zu Schmerzmitteln in Zukunft bedeuten? Die GOTS sprach am 14.03. diesen Jahres von einem „alarmierenden Schmerzmittelmissbrauch bei Kindern und Jugendlichen im Leistungssport“. Der Missbrauch und die unkontrollierte wie unspezifische, leider teils auch „prophylaktische Einnahme“ der Patienten und Athleten ohne Rücksprache mit Therapeuten und Trainern stellt hier ein großes Problem dar. Kann z. B. phytogene Ernährung eine an die Versorgungsrealität angepasste Lösung darstellen?
Je besser die Hintergründe und Ursachen der Schmerzen verstanden werden und erklärt werden können, desto mehr Handlungsoptionen tun sich auf. Inzwischen ist die Evidenz zur Wirksamkeit von Ernährungsfaktoren wie „ketogen“, „mediterran“ oder von Phytopharmaka offensichtlich und dabei sogar einigen klassischen Schmerzmedikationen überlegen. Medikamente sind in der Regel als Feuerwehr konzipiert, wenn natürliche Mittel nicht mehr helfen. Bei klarer Indikation, vom Facharzt über ein bestimmtes Zeitfenster verordnet, macht vieles Sinn. Untersuchungen der TK ergaben, dass schon 2018 vier von zehn Schulkindern mit chronischem Schmerz diagnostiziert wurden. Drei dieser vier Kinder wurden schon regelmäßig mit Schmerzmitteln behandelt. Bewegungsarmut, psychoneuroimmunologischer Stress und entgleiste Ernährungsverhalten haben den „entzündlichen Stoffwechsel-Schmerz“ in den letzten drei Corona-Jahren zudem beschleunigt. Unser Anliegen: Aufklärung, Prophylaxe und Frühintervention mit wirksamen Konzepten um phytogene Ernährung, moderatem Sport, Phytopharmaka und der Vermittlung von Entspannungstechniken.
Vielen Dank für das Gespräch.
“Eating is a highly emotionally charged social and cultural activity
conditioned and reinforced over entire lifetime”
Prof. Jon Kabat-Zinn aus “Full Catastrophe Living: Using the Wisdom of Your Body and
Mind to Face Stress, Pain, and Illness” (2013)
Ernährungsmedizinische Education-Videos sowie zu weiteren Themen finden Sie auf unserer youtube health zertifizierten Education-Video-Seite: https://www.youtube.com/@sportarztezeitung9333
Autoren
ist Arzt und Heilpraktiker. Er spezialisierte sich auf die Physik des neuromuskulären Systems bei Schmerzen des Bewegungsapparates und ist Begründer der Myoreflextherapie (www.myoreflex.de). Kurt Mosetter leitet das Zentrum für interdisziplinäre Therapien (ZiT) in Konstanz sowie die Vesalius Ausbildungsgesellschaft. Unter der Leitung von Ralf Rangnick betreute er die Spieler der TSG 1899 Hoffenheim und des RB Leipzig (jeweils Fußball-Bundesliga) sowie viele weitere (Hoch)Leistungssportler. Außerdem ist er wiss. Beirat der sportärztezeitung.
ist Dipl. Sportwissenschaftler, Gründer und Herausgeber der sportärztezeitung sowie Gründer und Geschäftsführer von thesportgroup GmbH aus Mainz.