Jede dritte Verletzung im Profifußball ist muskulär bedingt und 27 % aller Ausfalltage sind auf muskuläre Verletzungen zurückzuführen. Während das Risiko, eine derartige Verletzung zu erleiden zwischen Trainings- und Spielbelastung sehr gleichmäßig verteilt ist, ist bei einer Inzidenz von 8.7/1000 Stunden primär nur die Frage, wann ein Fußballprofi eine muskuläre Verletzung erleidet (VBG-Sportreport 2020).
Betrachtet man die Verteilung unter den einzelnen Muskelgruppen genauer, stechen die Hamstrings mit 37 % der muskulären Verletzungen deutlich hervor. Somit wird ersichtlich, warum insbesondere dieser Muskelgruppe eines jeden Spielers das besondere Augenmerk seiner ihn betreuenden Ärzte zukommen sollte. Neben der hohen Inzidenz von Hamstringverletzungen gestaltet sich der Heilungsverlauf oftmals verzögert. Des Weiteren erleidet ein Drittel aller Betroffenen innerhalb der ersten beiden Wochen nach erfolgtem Return-to-play eine Rezidivverletzung, die wiederum erhebliche weitere Ausfalltage nach sich zieht [1]. Diese hohe Rate an Rezidivverletzungen spiegelt letztlich die mangelnde Standardisierung und Evidenz in Bezug auf eine strukturierte Rehabilitation und Return-to-Play Kriterien wider. Ziel dieses Artikels ist es, einen Überblick über die aktuell wissenschaftlich erwiesenen Therapieoptionen und Rehabilitationsmöglichkeiten bis hin zur sicheren Return-to-Play Entscheidung zu geben.
Primäre Prävention & Entstehungsmechanismen
Bekanntermaßen ist die beste Therapie die primäre Prävention derartiger Verletzungen. Entsprechend können erwiesene Risikofaktoren wie Dehydratation, inadäquates Warm-up, muskuläre Dysbalancen, reduzierte Rumpfstabilität und pathologische H/Q-Quotienten entweder unmittelbar oder im Rahmen spezifischer Präventionsprogramme, die im eigenen Vorgehen mehrmals wöchentlich durchgeführt werden, die Inzidenz von Hamstringverletzungen signifikant reduzieren. Aufgrund der hohen exzentrischen Belastungsmomente insbesondere in Start-Stopp-Sportarten ereignen sich Hamstringverletzungen häufig kurz vor dem Ende der Schwungphase, wenn die ischiocrurale Muskulatur ihr maximales Dehnungsmoment erlebt. Diese hohe Belastung übernimmt zu 67 % der M. biceps femoris, wodurch auch seine gegenüber den Mm. semimembranosus und semitendinosus erhöhte Verletzungsanfälligkeit begründet ist [2]. Die selteneren aber häufig langwierigeren proximalen Avulsionsverletzungen sind häufig auf exzentrische Kontraktionen bei gebeugtem Hüftgelenk zurückzuführen. Demgegenüber gehen die wesentlich selteneren Verletzungen des M. semimem-branosus häufig auf eine größtmögliche Dehnung der Hamstrings bei gestrecktem Kniegelenk und gleichzeitiger Beugung im Hüftgelenk [2] zurück. All diese Entstehungsmechanismen sollten insbesondere in der Zusammenstellung von Präventions-, und Rehabilitationsprogrammen sowie Return-to-Play Kriterien Berücksichtigung finden.
Klinik und Diagnostik
Die Klinik akuter Hamstringverletzungen wurde bereits in der sportärztezeitung Ausgabe 03.21 im Interview mit unserem Kollegen Dr. Müller-Wohlfahrt in aller Ausführlichkeit beleuchtet. Bei Bedarf haben sich neben der elementaren klinischen Untersuchung, einschließlich Palpation der Muskelgruppe und Untersuchung der benachbarten Gelenke, klinische Tests, wie etwa der Plank-Test, bewährt [3]. Des Weiteren spielt in den Augen der Autorengruppe die weiterführende Diagnostik mittels Sonographie und MRT eine wichtige Rolle. In der Anwendung der Sonographie gilt es zu bedenken, dass es für die sichere Diagnose einer strukturellen Verletzung erst einer gewissen Flüssigkeitsmenge bedarf, bis diese sicher detektierbar ist. Somit kann unter Umständen in den ersten Stunden eine falsch negative Diagnose gestellt werden. Zum anderen ist die Sensitivität im ansatznahen Bereich der Hamstrings deutlich reduziert. In Zusammenschau mit Anamnese und klinischer Untersuchung ergibt sich jedoch eine sehr effiziente diagnostische Einschätzung. Zudem eignet sich die Sonographie wesentlich besser für Verlaufskontrollen und insbesondere therapeutische Infiltrationen, z. B. in der Anwendung von PRP.
Hinsichtlich der Einschätzung des Verletzungsausmaßes hat sich in Deutschland die Klassifikation nach Müller-Wohlfahrt etabliert [4]. Ergänzend ermöglicht die Klassifikation nach Arner et al. eine recht genaue Einschätzung der Ausfallzeiten [3]. Diese Prognose lässt sich zudem anhand klinischer Zeichen in der Frühphase der Verletzung noch weiter absichern. So konnte im Australian Rules Football gezeigt werden, dass diejenigen, die initial einen Schmerz größer VAS 6, länger als drei Tage Schmerzen bei Alltagsaktivitäten sowie Bewegungseinschränkungen von mehr als 15 Grad hatten, längere Ausfallzeiten verzeichneten. So fielen Spieler, die erst nach zwei Tagen schmerzfrei gehen konnten, viermal häufiger länger als drei Wochen aus, als Spieler, die frühzeitig schmerzfrei belastbar waren. Ebenso resultieren proximal gelegene Verletzungen der Hamstrings in signifikant längeren Ausfallzeiten gegenüber distalen Läsionen [5]. In Anbetracht dieser teilweise erheblichen Ausfallzeiten und hohen Rezidivraten wird der Stellenwert eines spezifischen Rehabilitationsprogrammes deutlich.
Rehabilitation
Ziel der Rehabilitation, hier am Beispiel einer strukturellen Läsion, ist die schnellstmögliche Rückkehr auf das sportliche Niveau vor der erlittenen Verletzung. Im Rahmen der Behandlung von Hamstringverletzungen gilt es, alle beeinflussbaren Faktoren zu therapieren und optimieren. Hierzu zählen muskuläre Dysbalancen, ebenso wie konditionelle Ermüdung, Bewegungseinschränkungen in Hüft- und Kniegelenk sowie die Verbesserung der Rumpfstabilität. Laut Kenntnis der Autorengruppe liegt derzeit kein zusammenhängendes, evidenzbasiertes Rehabilitationsprotokoll vor. Daher wird im Folgenden exemplarisch das eigene Protokoll im Abgleich mit der vorliegenden Literatur vorgestellt.
In Anlehnung an die physiologische Heilung der strukturellen muskulären Läsion bietet sich eine Unterteilung in Stadien an. In der Literatur werden hier drei Stadien beschrieben [1]. Initial liegt der Schwerpunkt auf der Schmerzreduktion, Wiederherstellung der regulären neuromuskulären Ansteuerung, Vermeidung von Narbengeweben und der Protektion der heilenden Muskelfasern. Die anschließende Phase 2 widmet sich der Intensitätssteigerung sowie dem Beginn mit exzentrischem Training. Die abschließende Phase 3 beinhaltet den Übergang zu Intervalltraining, Maximalkrafttraining sowie dem Beginn mit On-field Rehabilitation bis hin zur abschließenden Return-to-Play Testung. Im eigenen Vorgehen sind die drei Phasen jeweils in zwei weitere Level unterteilt. Nach jedem Level erfolgen spezifische Tests, ohne deren Bestehen die nächste Stufe nicht initiiert wird. Zudem erfolgen an Tag 3 und 7 sonographisch gesteuerte intraläsionale Infiltrationen mit Plättchem-reichem-Plasma gemäß dem Konsensusstatement der AG klinische Geweberegeneration der DGOU [6].
Return-to-Play
Ebenso wenig wie standardisierte Protokolle liegen derzeit wissenschaftlich fundierte Return-to-Play Kriterien vor. Den verantwortlichen Mannschaftärzten bleibt in dieser entscheidenden Frage somit nur, sich auf die eigenen Erfahrungswerte zu verlassen, was insbesondere für jüngere Kollegen und/oder in den unteren Ligen deutlich erschwert sein kann. Gemäß einem recht aktuellen systematischen Review sind Schmerzfreiheit, die isometrische Kraftermittlung der Hamstrings, seitengleiche Bewegungsfreiheit sowie Schmerzfreiheit bei Palpation der verletzten Region, die am häufigsten angewendeten RTP-Kriterien [7]. Einen besonderen Stellenwert sehen die Autoren in der Kombination des Askling H-Tests (schnellstmögliche und bestmögliche repetitive Hüftflexion bei extendiertem Bein und fixierter Gegenseite) und der klinischen Untersuchung. Generell zeigen sich die kürzesten RTP-Zeiten und niedrigsten Rezidivraten für Studien, die eine Kombination aus RTP-Tests und klinischer Untersuchung anwendeten.
Hinsichtlich der MRT-Verlaufskontrollen gibt es derzeit keinen wissenschaftlichen Beleg für die repetitive Durchführung von MRT-Untersuchungen. Insbesondere die oft für die Einschätzung verwendete Fibrosierung der Läsion steht nicht in Korrelation mit den Reinjury Raten [8]. Dementsprechend erfolgen im eigenen Vorgehen keine MRT-Verlaufskontrollen. Vielmehr führen wir zum Ende eines jeden Levels die entsprechenden klinischen Untersuchungen und entsprechenden Tests gemeinsam mit sonografischen Verlaufskontrollen durch. Die definitive RTP-Freigabe erfolgt bei sonographisch unauffälligen Strukturen, nicht Vorliegen eines lokalen Druckschmerzes, frei beweglichen angrenzenden Gelenken, Schmerzfreiheit bei passiver Dehnung und seitengleichen Kraftgraden in der klinischen Untersuchung.
Fazit
Hamstringverletzungen sind im Profifußball sehr häufig und bedürfen einer spezifischen Nachbehandlung zur Vermeidung verlängerter Ausfallzeiten und Rezidivverletzungen. Eine individualisierte, stufengerechte Therapie mit klinischen Testungen nach jedem Level hat sich im eigenen Vorgehen bewährt.
Literatur
[1] Erickson LN, Sherry MA. Rehabilitation and return to sport after hamstring strain injury. Journal of sport and health science. 2017;6:
262–70.doi:10.1016/j.jshs.2017.04.001.
[2] Askling CM, Tengvar M, Saartok T, Thorstensson A. Acute First-Time Hamstring Strains during High-Speed Running. Am J Sports Medicine. 2007;35:197–206.
[3] Arner JW, McClincy MP, Bradley JP. Hamstring Injuries in Athletes: Evidence-based Treatment. The Journal of the American Academy of Orthopaedic Surgeons. 2019;27:868–77.
[4] Mueller-Wohlfahrt H-W, Haensel L, Mithoefer K, Ekstrand J, English B, McNally S, et al. Terminology and classification of muscle injuries in sport: The Munich consensus statement. Brit J Sport Med. 2013;47:342–50.
[5] Warren P, Gabbe BJ, Schneider-Kolsky M, Bennell KL. Clinical predictors of time to return to competition and of recurrence following hamstring strain in elite Australian footballers. Brit J Sport Med. 2010;44:415.
[6] Tischer T, Bode G, Buhs M, Marquass B, Nehrer S, Vogt S, et al. Platelet-rich plasma (PRP) as therapy for cartilage, tendon and muscle damage – German working group position statement. J Exp Orthop. 2020;7:64.
[7] Hickey JT, Timmins RG, Maniar N, Williams MD, Opar DA. Criteria for Progressing Rehabilitation and Determining Return-to-Play Clearance Following Hamstring Strain Injury: A Systematic Review. Sports medicine (Auckland, NZ). 2017;47:1375–87. doi:10.1007/s40279-016-0667-x.
[8] Reurink G. Managing acute hamstring injuries in athletes. British journal of sports medicine. 2017;51:614–5. doi:10.1136/bjsports-2016-096887.
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit Zusatzbezeichnung spezielle Unfallchirurgie. Bis 2020 war er als Oberarzt an der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Freiburg tätig. Seit 2020 arbeitet er als Kniespezialist im Sporthopaedicum Straubing und Regensburg. PD Dr. Bode war von 2013 bis 2020 Teamarzt des SC Freiburg.
ist Ärztin in Weiterbildung an der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Freiburg. Sie ist seit 2017 Mannschaftsärztin der Frauen-Mannschaft des SC Freiburg.
ist Arzt in Weiterbildung an der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Freiburg. Er ist seit 2020 Mannschaftsarzt des SC Freiburg.
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie an der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Freiburg. Er ist seit 2018 Mannschaftsarzt des SC Freiburg.