Seufzen ist eine parasprachliche Lautäußerung, die unangenehme Gemütsregungen wie Kummer, Schmerz, Enttäuschung, Sehnsucht oder Resignation, aber auch häufig Erleichterung zum Ausdruck bringt.
Der norwegische Psychologe K.H. Teigen hat einmal Seufzen als „Stuhlgang der Seele“ bezeichnet. Häufig unwillkürlich geseufzt – ohne dass wir das direkt steuern. Man weiß inzwischen, dass wir durchschnittlich 12 mal pro Stunde seufzen. Doch ist die Funktion des Seufzers sehr unterschiedlich, je nach sozialen Kontexten und nach dem emotionalen Ausdruck.
Spannend ist, dass das Seufzen physiologisch sinnvoll ist und direkt auf die Lungenfunktion einwirkt. Es wird als eine Atemvariante angesehen, die 2 bis 5 mal das Volumen eines normalen Atemzugs hat. Typischerweise besteht ein Seufzer aus folgendem Muster: eine bimodale Einatmung, wobei das erste Einatmen wie ein ganz normaler Atemzug abläuft, jedoch gefolgt von einem weiteren zweiten, tieferen Atemzug; und danach die häufig hörbare und lange, tiefe Ausatmung. Dann wird eine sogenannte Apnoe beobachtet, also eine respiratorische Pause.
Was bewirkt dies in der Lunge?
Die Lunge besteht aus mehreren einhundert Millionen Alveolen. Diese Lungebläschen sind die Gasaustauscheinheiten, die interessanterweise gelegentlich auch bei normaler Atmung kollabieren. Das Seufzen ist dabei Chance und geradezu Notwendigkeit, dieses Kollabieren umzukehren, indem es die Alveolen wieder mit Luft auffüllt. Initiiert wird das Seufzen in einer der Steuerzentralen der Atmung, im prä-Bötzinger Komplex des Hirnstamms (übrigens auf einer Konferenz in Heidelberg benannt nach einem Wein).
Dass mittlerweile erkannt wird, dass das Seufzen lebenskritisch ist, bedeutet für derzeit tausende COVID-19 Patienten auf Intensivstationen einen großen Wissensvorteil. Die Beatmungsgeräte sind so programmiert, dass sie gelegentliche Seufzer produzieren. Wären sie auf eine absolut gleichförmige Atemfrequenz eingestellt, würde eine immer größere Anzahl der Lungenbläschen kollabieren – ohne Prozesse der Gegensteuerung.
Doch das Seufzen kann auch außer Kontrolle geraten, bzw. ein dominantes Zeichen eines sogenannten Hyperventilationssyndroms sein, also einem Zuviel an Atmung, das erstmals in den 1930er Jahren beschrieben wurde. Die Patienten berichten dabei in erster Linie von Kurzatmigkeit. Heute ist exzessives Seufzen auch ein diagnostisches Merkmal von Angststörungen, wie Panikstörung und Post-traumatische Belastungsstörung. Und auch wenn die Ätiologie unklar bleibt, ist sie deutlich verbunden mit psychologischem Stress.
Wie also können wir diese Erkenntnisse als Tool nutzen?
Eine 2016 veröffentliche Studie der flämischen Universität Löwen konnte zeigen, dass angeleitete tiefe Atemzüge gerade bei Menschen, die eher zu Ängstlichkeit neigen, zu einer physiologisch messbaren Erleichterung führen (Vlemincx et al. 2016). Man sollte bewusstes Seufzen also in stressvollen und angespannten Situationen als Instrument gebrauchen lernen, sich selbst wieder zu entspannen. Von einigen wird das es sogar als Königsweg angesehen, Kontrolle über den eigenen Stress in denjenigen Situationen wiederzuerlangen, in denen der Stress voll zugegen ist (siehe folgendes Video Huberman Lab Video), da ein Entspannungsatmen im akuten Fall zu spät und zweifelhaft nützlich wäre. Konkret heißt das, mindestens dreimal hintereinander bewusst zu seufzen.
Jedoch haben meine eigenen Erfahrungen mit z.B. der Wim Hof Methode gezeigt, dass ein Training, das die Atmung geschickt nutzt, dass Stresssystem zu triggern, um es schon im Vorfeld mehr unter die eigene Kontrolle zu bringen, dazu führt, dass gerade die akuten Stresssituationen nicht mehr als so stressvoll erlebt werden und häufig ein „Notfallinstrument Seufzen“ gar nicht notwendig ist. Außerdem bedarf es eigentlich wieder kognitiver Ressourcen, sich während des Stresses zu erinnern, was man dagegen tun kann, die leider akut dann ohnehin recht knapp sind.
Als Fazit lässt sich sagen, dass Seufzen eine physiologisch sehr wichtige Funktionen hat, die man auch während der Anspannung gezielt für sich nutzen kann. Ein Zuviel an Seufzern aber häufig im Zusammenhang steht mit dem Hyperventilationssyndrom und Angststörungen.
Literatur:
Vlemincx E, Van Diest I, Van den Bergh O. A sigh of relief or a sigh to relieve: The psychological and physiological relief effect of deep breaths. Physiol Behav. 2016 Oct 15;165:127-35. doi: 10.1016/j.physbeh.2016.07.004. Epub 2016 Jul 9. PMID: 27404329.
Peng Li, Kevin Yackle, Sighing,Current Biology, Volume 27, Issue 3, 2017,
Pages R88-R89, https://doi.org/10.1016/j.cub.2016.09.006.
Teigen KH. Is a sigh “just a sigh”? Sighs as emotional signals and responses to a difficult task. Scand J Psychol. 2008 Feb;49(1):49-57. doi: 10.1111/j.1467-9450.2007.00599.x. PMID: 18190402.
Autoren
ist promovierter Neurowissenschaftler und zertifizierter Wim-Hof-Method Instructor. Nach fast zwei Jahrzehnten Forschungstätigkeit (Bremen, Hannover, Boston) mittels funktioneller Bildgebung des Gehirns, gibt er seit einigen Jahren europaweit Atem- und Kältetrainings in Workshops.