Bunte Streifen auf Schultern, Knien und dem Rücken. Spätestens seit bei den olympischen Spielen Dutzende von Athleten verziert sind, ist kinesiologisches Taping in der Öffentlichkeit angekommen. Aber was ist damit eigentlich möglich? Gibt es Belege für die klinische Wirksamkeit? Wie funktioniert es?
Es werden derzeit zwei Wirkungsweisen angenommen: Das elastische Tape passt sich der Bewegung an und erzielt über Rückstellkräfte (recoil) eine Dekompression des oberflächlichen Gewebes (lifting effect). Zusätzlich kommt es zu einer Stimulation von Hautnerven und darunter liegendem Gewebe. Hierbei kommt es zu einer Stimulation subkutaner Rezeptoren sowohl der Nozizeption, als auch der Propriozeption. Darüber lassen sich verschieden Effekte in der Behandlung erzielen. Von Schmerzreduktion [1, 2], Haltungsverbesserung [3, 4, 5] bis zum Abschwellung von akuten oder postoperativen Reizzuständen [6]. Auch wenn über die exakte Wirkung von Tape wenig bekannt ist, gibt es deutliche Hinweise, dass eine mechanische Dekompression stattfindet [7]. Diese werden durch die langjährigen klinischen Erfahrungen gestützt.
Anwendung in der Praxis
Die Anwendung in der Praxis findet als Teil einer Behandlung statt, um gesetzte Reize über einen längeren Zeitraum zu erhalten. Die Kombination mit manualtherapeutischen Techniken, Stoßwellentherapie und Akupunktur bietet sich hier an. So kann beim myofaszialen lumbalen Schmerzsyndrom der Effekt einer Stoßwellenbehandlung intensiviert / verlängert werden. Das Aufbringen von Tape lindert den Schmerz und verbessert das Bewegungsausmaß. Idealerweise in Kombination mit einem Eigenübungsprogramm können auch Haltungsinsuffizienzen (z. B. das obere gekreuzte Syndrom) hervorragend behandelt werden. In neutraler Haltung aufgebracht sorgt das Tape über die Folgetage immer wieder für ein propriozeptives Feedback und hilft so bei der Haltungskorrektur. Bei posttraumatischen Schwellungen (Supinationstrauma, Hämatome) kann über den oben beschriebenen Dekompressionseffekt die lokale Schwellung reduziert werden, ohne die Funktion durch rigide Schienen einzuschränken.
Fallbeispiel
R.M. 30j. Ambitionierter Crossfitter. Nach Verhebetrauma Schmerzen bei Flexion (FBA 35 cm, VAS6). Nach manualtherapeutischer Behandlung deutliche Besserung der Beweglichkeit (FBA 15cm), aber Schmerzen unverändert. Anlage Tape in aufgelegter Flexion an der Liege, zwei Streifen paarvertebral lumbal und ein horizontaler Dekompressionsstreifen in Höhe des Schmerz p. m. Erneute Testung zeigte eine weiteren Zugewinn (FBA5cm) und deutlich zügigere Bewegungen. Der Schmerzlevel wurde mit VAS 4 angegeben. In den Folgetagen gab er eine weitere Schmerzreduktion, sowie ein stabileres Gefühl [7] in der betroffenen Region an. Eine weitere Schmerztherapie war nicht notwendig und er konnte unter trainingstherapeutischer Begleitung zügig wieder ins Training zurückkehren.
Fazit
In der orthopädischen Praxis findet sich eine Vielzahl von Indikationen, bei denen mittels kinesiologischen Tape eine Verbesserung von Schmerz und Beweglichkeit erreicht werden können. Aufgrund der neurosensorischen Effekte lässt sich Tape hervorragend mit anderen Therapien (ESWT /Akupunktur / Chiro) kombinieren. Und auch wenn die Studienlage bezüglich der Wirksamkeit weiterhin uneinheitlich ist, höhere Evidenzlevel und Reviews fehlen, konnte doch gezeigt werden, dass Tape als zusätzliches Hilfsmittel (adjunct) zur konventionellen Schmerztherapie eingesetzt werden kann. Klinisch stimmt dies mit der Verwendung durch erfahrene Anwender überein. Ein sicheres Hilfsmittel, als Teil einer bestehenden Therapie.
Literatur
[1] Kalron, A., & Bar-Sela, S., (2013). A systematic review of the effectiveness of Kinesio Taping – Fact or fashion. European Journal of Physical & Rehabilitation Medicine 49, 1–11
[2] Lim, E.W.C., & Tay, M.G.X., (2015) Kinesio taping in musculoskeletal pain and disability that lasts for more than 4 weeks: is it time to peel off the tape and throw it out with the sweat? A systematic review with meta-analysis focused on pain and also methods of tape application. British Journal of Sports Medicine doi: 10.1136/bjsports-2014–094151
[3] Bae, S.H., Lee, J.H., Oh, K.A., & Kim, K.Y., (2013). The effects of kinesio taping on potential in chronic low back pain patients anticipatory postural control and cerebral cortex. Journal of Physical Therapy Science 25, 1367–1371.
[4] Thedon, T., Mandrick, K., Fossiac, M., Mottet, D., & Perrey, S., (2011). Degraded postural performance after muscle fatigue can be compensated by skin stimulation. Gait and Posture 33 686–689.
[5] Konishi, Y.(2013), Tactile stimulation with Kinesiology tape alleviates muscle weakness attributable to attenuation of Ia afferents. Journal of Science and Medicine in Sport. Jan;16(1):45–8.
[6] Smykla A, Walewicz K, Trybulski R, et al. (2013) Effect of Kinesiology Taping on breast cancer-related lymphedema: a randomized single-blind controlled pilot study. Biomed Res Int. 2013;2013:767106.
[7] Pamuk U., Yucesoy C. A. (2015). MRI analyses show that kinesio taping affects much more than just the targeted superficial tissues and causes heterogeneous deformations within the whole limb. J. Biomech. 48, 4262–4270. 10.1016/j.jbiomech.2015.10.036
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Seit 2016 ist er Angestellter Facharzt bei Orthopädie Berlin, Dr. R. Granes und verfügt über eine Vielzahl von Weiterbildungen, u. a. Manuelle Medizin, Extrakorporale Stoßwellentherapie und Kinesiotape. Außerdem seit 2012 Athletenbetreuung Crossfit (national / international) sowie seit 2018 Ausbilder Rocktape Deutschland.
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