Rückenschmerzen zählen zu den häufigsten Ursachen nicht nur für Arbeitsunfähigkeiten, sondern auch für Frühberentungen. Man kann sie zweifellos als eine der großen Volkskrankheiten in Deutschland bezeichnen. Von chronischen Rückenschmerzen sind auch Sportler aus den verschiedensten Sportarten regelmäßig betroffen.
Studien zeigen, dass 85 % der Bevölkerungen westlicher Industriestaaten mindestens einmal in ihrem Leben unter so starken Rückenschmerzen leiden, dass sie sich in ärztliche Behandlung begeben müssen. Ein akuter Rückenschmerz ist zweifellos unangenehm und kann stark einschränkend sein, zum wirklichen Problem werden jedoch die chronifizierten Rückenschmerzen. Immerhin leiden in der Bundesrepublik mehr als sechs Millionen Menschen unter chronifizierten Rückenschmerzen. Mehr als drei Millionen Menschen werden jedoch zu schmerztherapeutischen Problemfällen. Der chronifizierte Schmerz verursacht ein riesiges Kostenvolumen im Rahmen der Primär-, Sekundär- und Tertiärkosten. Diese betragen für den Rückenschmerz zusammen mehr als 50 Milliarden Euro in Deutschland pro Jahr. Der wesentliche Unterschied zwischen akutem und chronifizierten Schmerz ist, dass beim akuten Schmerz eine Warnfunktion des Schmerzes vorliegt. Diese Schmerzwarnfunktion ist jedoch beim chronifizierten Schmerz nicht mehr vorhanden. Der Schmerz entwickelt sich zu einer eigenständigen Schmerzkrankheit. Gerade im Rahmen des Bewegungsapparates spielen jedoch nicht nur strukturelle, insbesondere degenerative Veränderungen eine große Rolle, sondern in den Fokus der Überlegung rücken immer mehr die funktionspathologischen Zusammenhänge. Hier sprechen wir mittlerweile von einer eigenständigen Funktionserkrankung. Gleichzeitig zeigt sich aber, dass in den letzten Jahren die Zahl von Wirbelsäulenoperationen signifikant angestiegen ist.
Konservative Optionen multimodal ausschöpfen
Es gibt zweifelsohne sehr gute Indikationen zum operativen Vorgehen an der Wirbelsäule, wir wissen aber auch, dass bei vielen Eingriffen die Indikation mehr als fraglich ist, insbesondere wenn konservative Maßnahmen nicht ausgeschöpft sind. Die ANOA, die Arbeitsgemeinschaft nicht operativer orthopädisch manualmedizinischer Akutkliniken, ist eine medizinische / wissenschaftliche Vereinigung von Kliniken, die sich auf die stationäre Komplexbehandlung multifaktorieller Schmerz- und Funktionserkrankungen des Bewegungssystems spezialisiert haben. Die dort eingesetzten individuellen Therapiekonzepte sind explizit nicht operativ und umfassen unter anderem Maßnahmen der manuellen Medizin, der Psychotherapie und anderer wissenschaftlich fundierter schmerzmedizinischer Metholden, die miteinander kombiniert werden. Der ANOA-Verbund umfasst aktuell 29 Akutkliniken in ganz Deutschland. Ziel ist hier eine ganzheitliche Betrachtung und die Entwicklung einer über die Akutbehandlung hinausgehende, nachhaltig wirksame Behandlungsstrategie für die Patienten. Zum Einsatz kommen verschiedene Behandlungspfade, die multimodal im multiprofessionellen therapeutischen Team unter fachärztlicher Leitung eingesetzt werden. Die Grundlage des Behandlungskonzeptes ist eine individualisierte befundorientierte Behandlung auf neuroorthopädischer Grundlage unter Einbeziehung manualmedizinisch / funktioneller, schmerzmedizinischer und psychotherapeutischer Metholden. Zur Verfügung stehen dazu insbesondere zwei multimodale OPS-Strukturen, der OPS 8-977, die multimodale, nicht operative Komplexbehandlung des Bewegungsapparates und der OPS 8-918, die multimodale Schmerztherapie. Im Rahmen des OPS 8-977 ist eine akutmedizinische stationäre Krankenhausbehandlung von mindesten zwölf Tagen vorausgesetzt. Es werden umfangreiche diagnostische Verfahren eingesetzt, wie die neuroorthopädische Strukturdiagnostik, die manualmedizinische Funktionsdiagnostik, Schmerzdiagnostik und apparative Diagnostik. Bei der apparativen Diagnostik stehen die funktionspathologischen Aspekte im Fokus. Therapeutisch angewendet werden Verfahren der manuellen Medizin, der Reflextherapie, der interventionellen Schmerztherapie und der Psychotherapie. Darüber hinaus müssen mindestens 30 aktive und passive Einzelleistungen aus den Bereichen der ärztlichen Therapien, der Krankengymnastik, der medizinischen Trainingstherapie, der physikalischen Verfahren und von Entspannungsverfahren im Rahmen der Behandlungsdauer durchgeführt werden. Außerdem muss ein therapeutisches Assessment und regelmäßige interdisziplinäre Teambesprechungen durchgeführt werden. Im Rahmen der multimodalen Schmerztherapie (OPS 8-918) ist ebenfalls eine längere Behandlungsdauer üblich. Dieser OPS ist aufgeteilt in eine Behandlungsvariante mit 7–14 Tagen und einer zweiten Variante, die eine Behandlungsdauer von mehr als 15 Tagen beinhaltet. Eine der Besonderheiten dieses Verfahrens ist, dass hier der psychologisch / psychotherapeutischen Behandlung eine noch intensivere Bedeutung zukommt.
Intensive Zusammenarbeit als Schlüssel
Die multimodalen Verfahren zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass die verschiedenen in die Behandlung involvierten Berufsgruppen, das sind die behandelnden Ärzte, die klinischen Psychologen, die Physiotherapeuten, Masseure, Pflegekräfte und Sozialarbeiter, tatsächlich intensiv zusammen arbeiten und sich regelmäßig über den individuellen Patienten austauschen. Dies erfordert im Behandlungssetting eine hohe Personaldichte und auch eine gut aufeinander abgestimmte Organisation. Davon profitieren gerade auch Spitzensportler, die unter chronifizierten Rückenschmerzen leiden, was nicht selten ist und die es gewohnt sind, in ihren Vereinen und ihren Teams auf einen guten medizinischen und psychotherapeutischen Background zurückgreifen zu können. Die intensiven Therapiemöglichkeiten in dieser nicht operativen multimodalen Komplexbehandlung ermöglicht eine sehr hohe Therapiedichte, die in den nicht auf solche multimodalen Verfahren spezialisierten Krankenhausabteilungen so meistens nicht möglich sein wird und auch im ambulanten Behandlungsumfeld nur sehr schwer realisierbar ist.
Autoren
ist Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Abteilung für Konservative Orthopädie an der Marienhausklinik St. Josef Losheim am See. Der Facharzt für Orthopädie ist Vizepräsident der ANOA e.V. (Arbeitsgemeinschaft nicht-operativer orthopädisch manualmedizinischer
Akutkrankenhäuser) und verfügt über eine Vielzahl von Zusatzbezeichnungen, u.a. Rheumatologie, Sportmedizin, Manuelle Medizin und Schmerztherapie (IGOST).