Im aktuellen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD wurde vereinbart, dass die deutsche Bundesregierung den E-Sport bei der Aufnahme in das Olympische Programm unterstützen werde. So steht im Koalitionsvertrag: „Wir erkennen die wachsende Bedeutung der E-Sport-Landschaft in Deutschland an. Da E-Sport wichtige Fähigkeiten schult, die nicht nur in der digitalen Welt von Bedeutung sind, Training und Sportstrukturen erfordert, werden wir E-Sport künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anerkennen und bei der Schaffung einer olympischen Perspektive unterstützen“ [1].
Diesbezüglich ist mittlerweile ein erbitterter Streit entbrannt zwischen den Unterstützern von E-Sport auf der einen Seite und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und Sportwissenschaftlern sowie Sportmedizinern auf der anderen Seite. Zu den Unterstützern gehören nicht überraschend die Anbieter von E-Sport-Hard-und Software und die Organisatoren von E-Sport-Wettbewerben. Hierbei geht es natürlich vorrangig erst einmal um Umsätze und Wirtschaftskraft und damit verbundene Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. Fakt ist, dass der E-Sport längst in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen ist, insbesondere junge Menschen anzieht und vor allem über einen großen kommerziellen Wert mit ausverkauften Hallen, stundenlangen Matches und Prämien in Millionenhöhe verfügt. So hat die gamescom als die weltweit größte Messe für Computer- und Videospiele im August 2019 in Köln sowohl bezüglich der Ausstellerzahl als auch der Besucher wiederum alle bisherigen Rekorde gebrochen. Immer mehr Deutsche „zocken“: Der Deutsche Games-Markt wuchs im ersten Halbjahr 2019 rasant um weitere 11 %. Über 2,8 Milliarden Euro gaben sie laut aktuellem Branchenbericht im ersten Halbjahr 2019 für Spiele und Konsolen und andere spielbezogene Hardware aus [2]. Der DOSB wehrt sich konsequent gegen eine Aufnahme des E-Sports unter das Dach des organisierten Sports. Aus Sicht des DOSB und auch der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) ist E-Sport kein Sport. Eine staatliche Unterstützung über die Sportförderung durch Aufnahme von E-Sport in den organisierten Sport wäre daher aus Sicht des DOSB und der DGSP ein falsches Signal. Ein vom DOSB in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass E-Sport kein Sport im Sinne des geltenden Rechts sei [3].
Was ist eigentlich E-Sport?
Der Begriff E-Sport (elektronischer Sport; weitere Schreibweisen im deutschsprachigen Raum sind ESport, e-Sport, E-Sports, eSports und e-Sports) bezeichnet den sportlichen Wettkampf zwischen Menschen mithilfe von Computerspielen. In der Regel wird der Wettkampf mittels des sogenannten Mehrspielermodus eines Computerspieles ausgetragen, d. h., dass mehrere Spieler zeitgleich in demselben Videospiel mit- oder gegeneinander spielen. Die Regeln des Wettkampfes werden durch die Software und externe Wettkampfbestimmungen, wie dem Reglement des Wettkampfveranstalters, vorgegeben. E-Sport wird sowohl auf Personal Computern als auch auf Spielkonsolen betrieben. Pro Computerspiel kann es mehrere Disziplinen geben. Die meisten Computerspiele werden entweder als Individualsport oder Mannschaftssport durchgeführt. Die Wettkampfteilnehmer werden E-Sportler genannt [4]. Es gibt mittlerweile bereits riesengroße E-Sport-Messen (z. B. gamescom in Köln; DreamHack Leipzig), hochdotierte E-Sport-Turniere bis hin zu einer virtuellen Fußballbundesliga und einer eChampionsleague sowie auch hochdotierte E-Sport-Profis. Selbst in großen Einkaufsmärkten gibt es inzwischen schon Räume für E-Sport (siehe Abb. 1). Dabei geht es bei weitem nicht nur um elektronische Sportsimulationsspiele, sondern insbesondere auch um Echtzeit-Strategiespiele, wie z. B. League of Legends und Warcraft sowie Ego-Shooter, wie z. B. Counter-Strike.
Belastungen und Beanspruchungen des menschlichen Organismus durch E-Sport
Motorisch sind E-Sportler, in der Regel vor einem Gerät oder einer Spielkonsole sitzend, nur wenig gefordert. Sie benötigen und trainieren eine gute Hand-Augen-Koordination sowie eine ebensolche Hand- und Fingerbeweglichkeit für die teilweise 300 bis 400 hochschnellen Bewegungen pro Minute am Game-Controller. Es werden dabei beide Hände asymmetrisch bewegt. Räumliches Orientierungsvermögen, Spielübersicht, Spielverständnis, taktische Überlegungen sowie eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit und ein starkes Durchhaltevermögen zählen zu den kognitiven und mentalen Anforderungen. Eine Arbeitsgruppe der Deutschen Sporthochschule Köln zeigte durch Messungen an E-Sportlern, dass während eines Spiels deren Stresshormonspiegel extrem erhöht sein kann sowie die Herzfrequenz teilweise Werte zwischen 160 bis 180 Schlägen pro Minute erreicht [5]. Die Ausschüttung von Stresshormonen und der Anstieg der Herzfrequenz bereiten den Körper eigentlich auf einen bevorstehenden Kampf oder eine Flucht, also auf eine unmittelbar bevorstehende motorische Leistung vor. Diese „Fight or flight“-Strategie hat sich in der Evolution zweifelsohne als sinnvoll und überlebenswichtig erwiesen, um z.B. vor einer Gefahr zu fliehen oder sich zu wehren. Die vor ihren Bildschirmen sitzenden E-Sportler nutzen außer ihren Hand-, Finger- und Augenmuskeln jedoch keine weiteren Muskeln, abgesehen von der muskulären Haltefunktion beim Sitzen. Durch die hormonelle Vorbereitung der Muskulatur auf eine bevorstehende motorische Belastung steigt die Muskelspannung deutlich an. Die vorbereitete motorische Leistung findet während des E-Sports jedoch nicht statt.
Die Skelettmuskulatur ist das größte Organ des Menschen und macht bei Normalgewichtigkeit immerhin 35 – 40 % der Körpermasse aus. Neben ihrer Halte- und Bewegungsfunktion erfüllt sie weitere lebenswichtige Aufgaben. So ist die Skelettmuskulatur u. a. auch ein wichtiges sekretorisches Organ, für das bereits mehrere hundert verschiedene Myokine identifiziert worden sind. Die Ausschüttung dieser geschieht jedoch nur bei muskulärer Arbeit möglichst großer Muskelgruppen und damit nicht beim E-Sport. Für die Augen bestehen permanente Anforderungen der Akkommodation für den Nahsehbereich (Bildschirmarbeit). Nicht zu vernachlässigen ist die fehlende Exposition gegenüber Tageslicht. Das gilt allerdings für alle Indoorsportarten. Tageslicht ist für die Vitamin-D-Bildung und damit für den Knochenstoffwechsel, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen sehr wichtig. Um die oft langandauernden E-Sport-Wettkämpfe bei höchster Konzentration durchzuhalten, werden nicht selten neben zuckerhaltigen Getränken auch Stimulantien konsumiert.
Mögliche Krankheitsfolgen durch E-Sport
Das Hauptproblem besteht in dem mehrstündigen Sitzen ohne ausreichende Bewegung der großen Muskelgruppen. Besonders gravierend wirkt sich der Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen aus. Kinder brauchen für eine gesunde physische und psychische Entwicklung ausreichende körperliche Bewegung. Dies ist die Grundlage der Hirnreifung. Das Sprichwort „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr“ spiegelt dieses Phänomen anschaulich wider. Durch den stresshormoninduzierten erhöhten Muskeltonus sind ohne Ausgleichssport muskuläre Verspannungen zwangsläufig die Folge. Dies führt zu muskuloskelettalen Beschwerden besonders im Bereich des Nackens, des Rückens und der unteren Extremitäten [6]. Durch das stundenlange ununterbrochene Sitzen ist auch das Risiko für thromboembolische Ereignisse deutlich erhöht. Dies betrifft insbesondere die Gefahr der Entstehung von tiefen Unterschenkelvenenthrombosen. Die Dauerakkommodation der Augenmuskulatur für den Nahsehbereich wird aus augenärztlicher Sicht mit einer zunehmenden Kurzsichtigkeit von Kindern und jungen Erwachsenen in Verbindung gebracht.
Die Folgen von Bewegungsmangel sind hinlänglich bekannt und wissenschaftlich verifiziert. So sind neben Übergewicht im Rahmen des metabolischen Syndroms auch Bluthochdruck und andere Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2 sowie weitere Stoffwechselstörungen zu nennen. Dass Computerspiele per se über ein nicht geringes Suchtpotenzial verfügen, ist längst bewiesen [7]. Im Juni 2018 hat die WHO die Computerspielsucht als eigenständiges Krankheitsbild („Gaming Disorder“) anerkannt und in die neueste Auflage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) aufgenommen. Schon heute behandeln Suchtkliniken in Deutschland immer häufiger betroffene junge Menschen [8].
Fazit
E-Sport ist aus sportmedizinischer Sicht kein Sport, da keine adäquate sportartspezifische körperliche Bewegung stattfindet. E-Sport stellt eine sprichwörtliche und gefährliche Mogelpackung dar, suggeriert dieser Begriff einem E-Sportler doch sportlich aktiv zu sein. Die gleiche Auffassung vertritt auch die Sportwissenschaft [9]. Natürlich macht es keinen Sinn, deshalb den E-Sport, der gerade viele junge Menschen anzieht, zu verdammen. Um die aufgezeigten, nicht unerheblichen gesundheitlichen Risiken bei einseitigem oder extensivem E-Sport zu minimieren, ist es sehr wichtig, dass E-Sportler neben dem E-Sport zur Kompensation und Prävention immer noch richtigen Sport mit aktiver Bewegung großer Muskelgruppen treiben. Und das regelmäßig, möglichst täglich und auch draußen bei Tageslicht außerhalb von Hallen. Die täglichen E-Sport-Zeiten sollten möglichst nicht länger als die wirklichen aktiven Sportstunden sein.
Literatur
[1] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode: „Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“ (14.03.2018). www.bundesregierung.de/breg-de/themen/koalitionsvertrag-zwischen-cdu-csu-und-spd-195906 (last accessed on 15 December 2019)
[2] game Verband der deutschen Games-Branche e.V. unter www.game.de (last accessed on 15 December 2019)
[3] Gutachten zu „Rechtsfragen einer Anerkennung des e-Sports als gemeinnützig“, erstellt von Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. Richter am Bundesfinanzhof a.D., Rechtsanwalt unter https://cdn.dosb.de/user_upload/www.dosb.de/uber_uns/eSport/Gutachten_eSport.pdf (last accessed on 15 December 2019)
[4] Wikipedia. https://de.wikipedia.org/wiki/E-Sport (last accessed on 15 December 2019)
[5] Prof. Dr. Ingo Froböse im Interview: „Ist eSport Sport? Herzfrequenzen wie beim Ausdauersport“ unter https://archiv.berliner-zeitung.de/sport/esports/sportmediziner-ingo-froboese-herzfrequenzen-wie-beim-ausdauersport-32359356 (last accessed on 15 December 2019)
[6] Zwibel, H et al.: An Osteopathic Physician´s Approach to the ESports Athlete. The Journal of the American Osteopathic Association 119(2019) 11; 756 – 762
[7] Ueberschär, I et al: Ist E-Sport tatsächlich Sport und gehört er wirklich in das olympische Sportprogramm? Ärzteblatt Sachsen 30(2019)2; 10 – 13
[8] ICD-11: Weltgesundheitsorganisation will Computerspielsucht als Krankheit anerkennen. Dtsch Arztebl 2018; 115(4): A-118 / B-106 / C-106. (https://www.aerzteblatt.de/archiv/196031/ICD-11-Weltgesundheitsorganisation-will-Computerspielsucht-als-Krankheit-anerkennen)
[9] Borggrefe C: eSport gehört nicht unter das Dach des organisierten Sports. German Journal of Exercise and Sport Research 2018; 48: 447 – 450
Autoren
ist Fachärztin für Sportmedizin und Sozialmedizinerin. Seit 2018 arbeitet sie als Chefärztin des MEDIAN Sportmedizinischen Instituts Leipzig. Zuvor war sie viele Jahre stellvertretende Geschäftsführerin und leitende Ärztin der DRV Mitteldeutschland. Außerdem ist sie seit 2019 Vorsitzende des Ausschusses für Prävention und Rehabilitation der Sächsischen Landesärztekammer.