Eine Aufwertung konservativer Therapieverfahren in Orthopädie und Unfallchirurgie wird seit längerer Zeit gefordert. So nahm u.a. Dr. med. Manfred Neubert in seiner Funktion als Präsident der DKOU 2016 (BVOU) in einem Beitrag in der sportärztezeitung dazu Stellung, in dem er „Konservativ vor Operationen“ forderte und betonte, dass mithilfe konservativer Behandlungsmethoden Orthopäden erfolgreich und risikoarm Schmerzen lindern, Beweglichkeit und Lebensqualität verbessern oder das Fortschreiten von Erkrankungen bremsen können.
Im Zuge des Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie DKOU 2016 wurde festgestellt, dass die Daten über konservative Therapieverfahren in Orthopädie und Unfallchirurgie in Deutschland momentan nicht vollständig aufgearbeitet sind und deswegen evidenzbasierte Erkenntnisse zur Evaluation der konservativen Therapie in Deutschland fehlen. Daher wird vom BVOU (Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V.) und den Fachgesellschaften aktuell ein Weißbuch zur konservativen Therapie erarbeitet. Hierzu gehören Schmerztherapie mit Stoßwellen, Laser, Injektionstherapie, Akupunktur; Physikalische Medizin mit Thermotherapie, Elektrotherapie, Hydrotherapie, Kältetherapie/Cryotherapie, Massagetherapien; Gerätetraining, Haltungsschulung, Ergotherapie, Rückenschule und Optimierung des Trainingsablaufes sowie Manuelle Therapie und Orthopädietechnik.
Wo ist die Ernährung?
In der Inneren Medizin ist Ernährung als konservative Therapie u.a. für Erkrankungen wie Adipositas, Diabetes, Pankreaserkrankungen, Hauterkrankungen und Darmerkrankungen durch Leitlinien z. B. der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.) hinterlegt. Zudem wurden die neuen DGEM (Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin) Leitlinien für Klinische Ernährung zwischen 2013 und 2015 publiziert und ersetzen alle früheren DGEM-Leitlinien. Hier findet sich auch klinische Ernährung in der Chirurgie. Ernährung hat hier den Stellenwert eines Therapeutikums. In der Sportmedizin des Spitzensports und der Übertragung auf die Traumatologie ist allerdings die Studienlage oft nicht bekannt oder wird daher unzureichend umgesetzt. Daher muss gefordert werden, auch Ernährung als Therapieform genauer zu definieren und strukturiert zu untersuchen.
„Wenn ein Profiteam nur einmal pro Woche Punktspiele bestreitet, dürften die Spieler in der gesamten Saison keine Muskelverletzungen haben.“
Helge Riepenhof, Mannschaftsarzt des AS Rom (21.02.2017), Quelle: „Sportmedizin: Bundesliga hinkt hinterher“ – NDR.de
Im Leistungssport werden 1,5 – 2 Gramm Eiweiß pro kg/KG empfohlen. 20 – 25 Gramm hochwertiges Eiweiß nach jeder Belastung führen zu einer erhöhten Einbaurate und damit schnellerer Regeneration. Neuere Studien empfehlen bei Ganzkörperbelastung 40 Gramm hochwertiges Eiweiß. Ein hoher Anteil an essenziellen Aminosäuren hat zudem einen höheren Effekt (Molkeeiweiß/Whey protein) und einem hoher Leucingehalt wird eine anabole Schlüsselfunktion zugeschrieben. β-Hydroxy-β-methylbutyrat (HMB) ist ein Leucin-Metabolit, welcher die Muskelproteinsynthese beschleunigt und bei längerer Einnahme die Muskelmasse bei Bettruhe schützt. Zudem eignet sich Eiweißgabe vor dem Schlafen, um über Nacht die Regeneration mit einer positiven Nettobilanz zu verbessern.
Bei Muskelverletzungen werden inzwischen 2 – 2,5 Gramm Eiweiß pro kg/KG empfohlen. Kreatin, welches nicht nur leistungssteigernd ist, wirkt sich bei Verletzungen, Immobilität und Rehatraining positiv auf Kraft und Masseverlust aus. Omega-3-Fettsäuren bilden im Körper wichtige Strukturlipide (Fettstoffe insbesondere zum Aufbau der Zellmembranen) und beeinflussen die Muskelfunktion sowie Entzündungs- und Immunreaktionen, indem sie den intrazellulären mTor-Signalweg positiv beeinflussen, welche die Muskelproteinsynthese regulieren. Die entzündungsmodulierende Wirkung bei Verletzungen und Wundheilung ist bei einer gewünschten Zufuhr Omega-6- zu Omega-3-Fettsäuren von 3:1 bis 1:1 unbestritten.
„Im Fußball geht es nicht ohne Schmerzmittel. Diejenigen, die denken, dass es Profi-Fußball ohne den Einsatz von Schmerzmitteln gibt, sind auf dem Holzweg. Die Profis verlangen ihrem Körper wirklich sehr viel ab.“
Niko Kovac, Trainer Eintracht Frankfurt in der BILD (02.03.2017)
Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) hemmen die beiden Isoenzyme COX-1 und COX-2 der Cyclooxygenase und führen im Trainingsprozess zu einer verringerten Proteineinbaurate und damit einer geringeren Regeneration. Sie sollten daher am besten sehr zurückhaltend eingesetzt werden. Müller-Wohlfahrt und Ueblacker empfehlen deshalb 2010 allenfalls in den ersten 2 – 3 Tagen NSAR nach Verletzungen zu geben. Längst sind Enzyme ein wesentlicher Bestandteil der Therapiebegleitung bei Verletzungen. Enzyme wie Bromelain (enthalten auch in Wobenzym) aus der Ananas wirken als Immunmodulator, anti-metastatisch, anti-ödematös, anti-thrombotisch und entzündungshemmend, haben schmerzstillende Eigenschaften und führen zu einer rascheren Resorption von Hämatomen. Die postoperative Gabe von Bromelain verringert die Ödembildung der operierten Extremität und die Menge der schmerzstillenden Medikamente. Sie stellen damit eine alternative Behandlung für nicht-steroidale entzündungshemmende Medikamente (NSAIDs) dar, ebenso wie z. B. Aescin (Reparil) oder homöopathische Arzneimittel (Traumeel).
Ein weiteres wichtiges Beispiel ist Vitamin D, dem eine zunehmende Rolle zugewiesen wird, da Vitamin D Rezeptoren auch an der Muskulatur vorkommen und nicht nur im knöchernen Einbau eine Rolle spielen. Bei 723 Patienten, die sich einer orthopädischen Operation in Deutschland unterzogen, lag die Prävalenz für einen Vitamin D-Mangel bei 43 %. Geringe Vitamin D Spiegel haben einen negativen Einfluss auf die neuromuskuläre Funktion. Knochenmarködeme, die mit Vitamin D Mangel korrelieren sind gekennzeichnet durch lange Ausfallzeiten des Athleten. Je nach Stadium stehen konservative, physiotherapeutische und medikamentöse sowie physikalische Maßnahmen bis hin zur operativen Stabilisierung im Vordergrund. In einer von Ueblacker und Müller-Wohlfahrt mit veröffentlichen retrospektiven Studie von 2014 mit 25 Top Athleten im Durchschnittsalter von 25 Jahren (60 % europäische Top Fußballer) mit Knochenmarködemen, wurde hochdosiert mit Vitamin D und intravenösen Biphosponaten erfolgreich behandelt. Die Zeit zwischen Schmerzbeginn und Diagnose lag bei 106 +/– 104 Tagen. Hier erfolgte eine deutliche Empfehlung für eine ausreichende tägliche Kalzium und Vitamin D Zufuhr zur Prävention. Eine Metaanalyse aus 6 Studien mit 18 – 40 jährigen Teilnehmern zeigte einen Anstieg der Muskelkraft der oberen und unteren Gliedmaßen nach Supplementierung. In einer Metanalyse von 9 Studien mit 2.634 Soldaten konnte gezeigt werden, dass niedrige Vitamin D Spiegel mit einer höheren Rate an Stressfrakturen der unteren Extremität assoziiert sind. 8 % der Spieler eines National Football League Team hatten einen mangelhaften oder unzureichenden Vitamin D Spiegel. Von 10 Patienten im Durchschnittsalter von 59 Jahren mit vorrübergehenden Knochenmarksödemen im Fußbereich zeigten 9 einen Vitamin D Mangel, vier hatten eine Osteoporose und 5 eine Osteopenie.
Unter Vitamin D-Substitution wurde bei Verletzungen auch der Anstieg von Muskelschäden-Markern abgeschwächt. So empfiehlt sich längst, bei Stressfrakturen oder Knochenödemen den Vitamin D Spiegel zu bestimmen. Auch eigene Untersuchungen an Spielern der ersten Fußballbundesliga zeigten teils deutliche Defizite. Mehrere Studien belegen zudem die Wirksamkeit von Vitamin D3 sowohl bei bakteriellen als auch viralen Infektionen, da z. B. Vitamin D das Immunsystem moduliert. Die negative Auswirkung von Vitamin D Mangel ist bei farbigen Sportlern noch ausgeprägter, ein Mangel ist noch häufiger.
„Im europäischen Vergleich zeigt sich tendenziell, dass hierzulande am wenigsten in die sogenannten ‚Performance Teams‘ investiert wird.“
Helge Riepenhof, Mannschaftsarzt des AS Rom (21.02.2017), Quelle: „Sportmedizin: Bundesliga hinkt hinterher“ – NDR.de
Ein weiteres Problem dürfte die Versorgung durch ärztliche, physiotherapeutische, sportwissenschaftliche und sporttherapeutische Experten sein. Am 27.01.2017 stellt Sportvorstand Fredi Bobic (Eintracht Frankfurt) in einem Interview mit dem Hessischen Rundfunk (HR) fest, dass es günstiger sei, in das Team hinter der Mannschaft zu investieren, wenn man nur eingeschränkte Mittel im Spielereinkauf hat. Jedoch stellt sich nicht nur die Frage, wie viel investiert wird, sondern auch, wer als Vorstand oder Sportlicher Leiter die Kompetenz hat, Qualität in diesem Bereich zu beurteilen. Zudem sollte auch die Frage gestellt werden, welchen Stellenwert und Kompetenz der künftige Trainer, hier im Fußball, verankert haben möchte und auch mitentwickelt, statt im schlimmsten Fall das Team zurück zu entwickeln.
„Wir konnten zeigen, dass deutsche Mannschaften im Vergleich zu denen aus Italien, Spanien oder England vermehrte Ausfallzeiten aufgrund von Verletzungen aufweisen.“
Helge Riepenhof zu seiner Studie, Quelle: „Sportmedizin: Bundesliga hinkt hinterher“ – NDR.de
Helge Riepenhof, der neben seiner Mannschaftsarzttätigkeit beim AS Rom auch Chefarzt für Sportmedizin und Prophylaxe am Klinikum in Hamburg-Boberg ist, kritisiert vor allem die Ausstattung der medizinischen Abteilungen in vielen deutschen Fußballclubs. Während sich anderenorts zwei bis drei festangestellte Ärzte um die Profis kümmern, sind es in der Bundesliga bis auf wenige Ausnahmen nur einer – und dieser ist nur zeitweise vor Ort, hat in der Regel auch noch Sprechstunden in seiner eigenen Praxis. Der Arzt sollte also als Gesundheitscoach und Begleiter des Fußballer so oft wie möglich im Trainings- und Behandlungsbereich anwesend sein. Sollte, was heute kaum mehr möglich scheint, ein Orthopäde nicht all diese Themen abdecken können, sollte dies der Internist oder der Ernährungsberater vor Ort beim Training und Spielen übernehmen. Ohne die ständige Motivation zum Thema Ernährung, Kontrolle, Bereitstellung, Zubereitung und Nachfragen gehen positive Effekte verloren. So fordert auch Riepenhof eine physische Überwachung und die Anwesenheitspflicht der medizinischen Abteilung bei jedem Training.
Um Veränderungen nicht nur über eine simple Waage zu ermitteln, sind Körperanalysen inzwischen zu empfehlen, um Ernährungszustand und quantitative Aussagen zu Wasser, Fett und Muskelmasse treffen zu können. Die Widerstandsfähigkeit eines Menschen oder Sportlers ist nicht umsonst ein umgangssprachlicher Begriff, der eine solche Stabilität meint, die Gesundheit, Leistungsfähigkeit und z. B. geringe Infektanfälligkeit unterstellt. Mit der herkömmlichen BIA (Bio Impedanz Analyse) Messung lassen sich Wasserverschiebungen, wie sie bei Verletzungen und Infekten vorkommen, darstellen. In Italien ist diese bei vielen Vereinen Standard, wie dies Dott. Paolo Manetti, Teamarzt des AC Florenz bei dem von thesportgroup GmbH veranstalteten Workshop und Symposium „Regeneration & Muskelverletzung“ am 08.10.2016 in der Mercedes Benz Arena in Stuttgart bestätigte (siehe Abb. Manetti). Mit der neueren Methode über direkt-segmentaler Mehrfrequenz-Messung lässt sich über die unterschiedliche Muskelverteilung der Extremitäten zeigen, ob es sich um einen Rechts- oder Linkshänder bzw. Füßler (Fußball) handelt oder eine Verletzung (Schulter) nicht entsprechend auf trainiert wurde. Solche Messsysteme sind inzwischen so weit entwickelt, dass die Ergebnisse der Körperzusammensetzung zu über 98 % dem Goldstandard DEXA (Dual-Energy-Xray-Absorption) entsprechen. Inzwischen lassen sich auch segmentale Flüssigkeitsverschiebungen einzelner Muskeln darstellen und damit der Stand der Regeneration nach Verletzung beurteilen, so wie dies von 2012 – 2014 an 21 Spieler des FC Barcelona mit Muskelverletzungen untersucht und gezeigt wurde. Auch Konsequenzen für die Trainingsinhalte lassen sich analysieren (siehe dazu INFOBOX II).
Fazit und Ausblick
Zu jeder Therapie sollte heute ein entsprechender Fokus auf die Ernährung gelegt werden. Krankengymnastik, Stabi, Dehnung, Blackroll®, Faszientraining und Yoga sind nicht nur Therapie, sondern eindeutige Trainingsinhalte und als solche auch durch Ernährung zu begleiten. Im Laufe der Therapie sollte diese durch etablierte Messsysteme wie Labor oder Körperanalysen überprüft werden. Jede konservative Therapieform, ebenso die Ruhigstellung, führt zu einer Aktivierung oder Stimulation von Zellprozessen und Bedarf adäquater Vitamin-, Mineralien- und Eiweißzufuhr, um einen optimalen Behandlungserfolg zu gewährleisten. Dies gilt für Sportler wie auch folglich für den Patienten. Als Beispiel sei hier die Stoßwellentherapie genannt, die zu einer Steigerung einer Vielzahl von humanen Zellkulturlinien (mesenchymale Stammzellen (hMSCs), Chondrozyten und Tenozyten) führt sowie über Fibroblastenaktivierung zur Neubildung der extrazellulären Matrix. Durch Aktivitätsänderung von Osteoblasten kommt es zur Induktion der Knochenheilung. Bei Tenozyten durch Genexpression erfolgt eine verstärkte Kollagenproduktion. In Sehnen findet eine Erhöhung an Lubricin statt, einem Glykoprotein, welches die Gleitfähigkeit in Gelenken und Faszien fördert. Über Vasodilatation kommt es zu Reduktion von inflammatorisch wirksamen Substanzen und Zunahme des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF) zur Gefäßneubildung. Hier sollte natürlich eine mineralreiche Flüssigkeits- und Eiweißzufuhr von 25 Gramm wie nach einer Trainingsbelastung erfolgen. Ebenso sollten begleitend Enzyme gegeben sowie der Vitamin D Status kontrolliert werden. Hierfür wird inzwischen ein Schnelltest mit mobilem Lesegerät einwickelt*. Durch Neuromuskuläre elektrische Stimulation (NMES), welche inzwischen auch als EMS Ganzkörper Training angewandt wird, wurde gezeigt, dass eine einmalige Anwendung die Proteinsynthese für mindestens vier Stunden bei älteren Patienten Männer stimuliert und bei Immobilisation von Extremitäten sowie Komapatienten Muskelmassen- und Kraftverlust deutlich reduzieren. Die Autoren stellen meist verbesserte Effekte durch Ernährung zur Diskussion und verweisen sogar teilweise auf unzureichende inadäquate Krankenhauskost hin.
Autoren
ist leitender Arzt BAD Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH. Von 2011 bis 2016 und 2019 bis 2020 war er Teamarzt des SV Darmstadt 98 und von 2015–2022 Arzt im Nachwuchsleistungszentrum. Von 2022–2023 ergänzte er das medizinische Team des 1. FC Kaiserslautern in den Bereichen Ernährungsmedizin, Regeneration und Leistungsmedizin und als Mannschaftsarzt. Von 2002 bis 2014 war er medizinischer Leiter Ironman Germany und ist im wiss. Beirat der Deutschen Triathlon Union (DTU). Außerdem ist er wiss. Beirat der sportärztezeitung.