Wenn man es ganz genau nimmt, führen alle Wege nach Rom. Dass diese Aussage wahrscheinlich auf eine vergoldete Säule aus Bronze, dem Milarium Aureum, zurückzuführen ist, die Kaiser Augustus im Jahre 20 v. Chr. auf dem Forum Romanum aufstellen ließ und auf der alle Hauptstädte der Provinzen mit ihren Entfernungen nach Rom aufgeführt waren, ist an dieser Stelle nicht weiter von Bedeutung.
Wichtiger im sportmedizinischen Kontext ist, dass es viele Möglichkeiten oder Wege gibt, zu einem gewünschten Ziel zu kommen. In der Medizin bestehen grob gesagt die Ziele darin, Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen, das Lindern von Schmerz und Leid sowie Pflege, wenn Heilung nicht mehr möglich ist. Die Kernbotschaft des Hippokratischen Eids lautet, dass jeder Mediziner sein Leben und seine Arbeit in den Dienst der kranken Menschen und der Menschlichkeit stellt. Gerade in der Medizin bedeuten viele Wege auch viele Chancen. Dabei muss nicht alles immer sofort evidenz-basiert sein. Erfahrungsmedizin hat ihren Stellenwert und nach Reproduzierbarkeit der Ergebnisse kann Evidenz folgen.
Bei einem Rennen auf einer Laufbahn gibt es viele Bahnen, die alle ins Ziel führen. In der Medizin haben wir die Möglichkeiten, verschiedene Bahnen miteinander zu kombinieren und uns dadurch Vorteile zu verschaffen, um unser gewünschtes Ziel schnell und effektiv zu erreichen. Die unterschiedlichen Bahnen sind dabei keine Konkurrenten, sondern Verbündete, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten genutzt sich gegenseitig ergänzen können. Es geht nicht um ein Dagegen, sondern vielmehr um ein Dafür. Als Beispiel: Wenn ich mich bei der Behandlung eines Patienten auf der Bahn der konservativen Therapie befinde, kann ich bei Bedarf und passenden Fähigkeiten sowie ausgebildeten und erlernten Fertigkeiten, Netzwerk und Motivation immer einen Wechsel auf die Bahn der operativen Therapie vornehmen und natürlich auch umgekehrt. Je nach individuellem Bedarf und der Situation im Prozess. Genauso ist es mit einzelnen Verfahren. Wer auch hier nur auf einer Bahn beharrt, kann die Potenziale nicht ausschöpfen, die andere Bahnen ihm bieten. Eine flexible Kombination steigert die Chancen, mit einem besseren Ergebnis ins Ziel zu kommen und dass die eigene gewählte Therapie einen größeren Erfolg hat.
Letztendlich gehört auf dem Weg zur comprehensive sports medicine alles miteinander zusammen. Ob wir Rom am Ende des Rennes erreichen, hängt von vielen Faktoren ab. Neben den unterschiedlichen Therapieoptionen auch von den Rahmenbedingungen, die uns durch politische und wirtschaftliche Entscheidungen bzw. dem Gesetzgeber vorgegeben werden sowie den individuellen Beschaffenheiten (siehe dazu auch die Felder BioPsychoSozial & MindBodyMedizin etc.), die es zu berücksichtigen gilt. Wichtig ist dabei allerdings immer, dass wir wissen, was wir tun. Hier helfen konkrete und evidenz-basierte Angaben, die reproduzierbar sind und allen Bahnen eine klare Struktur geben sowie mögliche Hindernisse beiseite schaffen. So ist es z. B. großartig, dass das halbe Internet von den Potenzialen der „richtigen Atmung“ spricht, nur bringt es überhaupt nichts, wenn man nicht weiß, wie solch eine Atmung überhaupt aussieht und wie man sie effektiv im medizinisch-therapeutischen Kontext einsetzen kann. Eine Überladung an Wissen oder Halbwissen ist nicht hilfreich, es muss auf der praktisch alltäglichen Ebene nützlich sein. Am Beispiel der Atmung verweisen wir auf das aktuelle Education-Video von Dr. Judy Lovas zum Diaphragmatic breathing (DB – „Zwerchfellatmung“), das wir mit ihr gemeinsam erstellt und für Sie zur Verfügung gestellt haben (siehe Seite 75) – evidence based und reproduzierbar.
Wenn wir das gewünschte Ziel erreichen und durch das Kombinieren der Bahnen es schaffen, dass wir auch zum Wohle der Patienten und einer neuen Medizin noch effizienter mit Klarheit und Ordnung behandeln können, haben wir definitiv den richtigen Weg oder besser, die richtigen Wege gewählt.
Autoren
ist Dipl. Sportwissenschaftler, Gründer und Herausgeber der sportärztezeitung sowie Gründer und Geschäftsführer von thesportgroup GmbH aus Mainz.
ist Chefredakteur der sportärztezeitung.