Bandencheck, Open Ice Hit oder ein Kniecheck – durch diese genannten Situationen wird Eishockey häufig als brutaler Sport betitelt. Zweifelsohne gehört Eishockey zu den Kontaktsportarten, jedoch sind durch vorhandenes Regelwerk und dessen strikte Durchsetzung seitens der Liga unsportliche Checks zur Seltenheit geworden. Trotzdem bringen Kontaktsportarten wie Fußball, Handball oder Eishockey häufiger Verletzungen mit sich.
Aufgrund der Dynamik und physischen Komponente dieser Sportarten werden sich Verletzungen auch in ferner Zukunft nicht gänzlich verhindern lassen. Da jede Verletzung sowohl einen individuellen als auch mannschaftsbezogenen Nachteil mit sich bringt, ist es das Ziel, die zu verhindernden Verletzungen seitens eines Athletiktrainers oder Trainers zu reduzieren. Kopfverletzungen, die im Eishockey einen hohen prozentuellen Anteil abbilden, zählen beispielsweise nicht dazu, da diese in 98 % der Fälle aus einem direkten Kontakt resultieren und somit durch Interventionen seitens eines Athletiktrainings nicht verhindert werden können [1]. Betrachtet man hingegen die Mechanismen der Verletzungen der unteren Extremität, lässt sich feststellen, dass beispielsweise am Oberschenkel prozentuelle Anteile von 29 % auf „non-contact“ Mechanismen zurückzuführen sind [1].
Würde man somit Lösungen schaffen, diese „non-contact“ Verletzungen (NCI) zu reduzieren, würde dies in einer positiven Veränderung im Gesamtanteil der verletzungsbedingten Ausfälle resultieren. Theoretische Ansätze, die diese Zielstellung behandelten, beinhalten häufig die Verletzungsprävention dieser NCI durch Erhebung des Acute Chronic Workload Ratio (ACWR) oder durch Ermittlung subjektiver Parameter, wie beispielsweise dem „sessional rating of perceived exertion“ (sRPE) oder „Training Impulse“ TRIMP [2 – 6] highlighting the importance of injury prevention programs. Recent methods, such as acute: chronic workload ratios (ACWR). Ziel jedes Sportvereins- / oder Verbands ist es jedoch, effizient und ohne hohen Mehraufwand dieser Zielstellung nachzukommen. Implementiert man neben bestehenden Interventionen eine weitere, wie die genannten sRPE oder den ACWR, stellt dies einen zeitlichen Mehraufwand dar. Ziel ist es, eine Verletzungsprävention von NCI zu implementieren, die keine erhöhte Manpower erfordert.
Leistungsbezogene Parameter
Eine Möglichkeit, die diese Kriterien im theoretischen Konstrukt erfüllen würde, wäre die Erhebung von leistungsbezogenen Parametern, wie sie etwa GPS-Parameter liefern. Im Rugby, Fußball oder weiteren Outdoor-Sportarten lassen sich GPS-Parameter seit einigen Jahren nicht mehr wegdenken, da sie wertvolle und objektive Daten liefern [7 – 12]. Projiziert man diese GPS-Parameter auch auf Indoor- Sportarten wie Handball, Volleyball oder Eishockey spricht man von Local Positioning System Parametern (LPS), die jedoch dieselben Daten liefern, allerdings mithilfe anderer technologischer Eigenschaften. Betrachtet man diese Möglichkeit nun im Hinblick auf die Zeiteffizienz, lässt sich feststellen, dass sich dieses System seit einigen Jahren auch im deutschen Eishockey festgesetzt hat. Die bestehenden LPS stellen damit eine mögliche Datenquelle dar, anhand derer eine Verletzungsprävention durch Ermittlung der leistungsbezogenen Parameter implementiert werden kann. Mit dieser Möglichkeit befasst sich die im Anschluss beschriebene retrospektive Untersuchung im professionellen Eishockey, die das Ziel hatte, anhand von LPS eine semiautomatisierte Information in Bezug auf die Verletzungswahrscheinlichkeit liefern zu können.
Retrospektive Untersuchung im Eishockey
Um dieser genannten Fragestellung nachzukommen, wurde wie oben angedeutet eine retrospektive Betrachtung einer Mannschaft der Deutschen Eishockey Liga (DEL) zwischen der Saison 16 / 17 und 21 / 22 durchgeführt. Hierzu wurden die LPS-Daten und die BG-Verletzungsmeldungen herangezogen. Die BG-Verletzungsmeldungen wurden auf Verletzungen der UEX mit einem „non-contact“ Mechanismus analysiert, wodurch anhand dieser genannten Einschlusskriterien im Zeitraum von 2016 bis 2022, 29 NCI der UEX erfasst werden konnten. Der Verletzungseintritt wurde bei Spielern mit eingetretener Verletzung markiert und jegliche nachkommenden LPS-Daten extrahiert. Nach dieser Sichtung ergaben sich beim Kollektiv der unverletzten Athleten (n = 48) 6.235 LPS-Einzeldaten und beim Kollektiv der verletzen Athleten (n=29) 2.960 Einzeldaten, was einem Gesamtkollektiv von 77 Spielern und 9.195 Einzeldaten entsprach. Die Einzeldaten bezogen sich auf eine Spiel- / oder Trainingseinheit und umfassten jeweils die LPS Parameter Covered Distance (CD), Acceleration Load Low (AL), Acceleration Load High (AH), Acceleration Load Medium (AM), Acceleration Load very High (AvH), Acceleration Load very low (AvL), High Metabolic Power Distance (HMPD), Accelerations (A), Decelerations (D) und die Time on Ice (ToI), die durch das System von KINEXON ermittelt wurden. Diese zehn ermittelten Parameter sind in Tabelle 1 schematisch dargestellt und können anhand der zugehörigen Definition besser nachvollzogen werden.
Dieser bestehende Datensatz stellte schlussendlich die Quelle für die Untersuchung der Forschungsfrage dar. Detailliertes Ziel dieser Forschungshypothese war es, anhand dieser beschriebenen zehn LPS-Parameter einen Algorithmus anhand von Formeln zu entwickeln, der eine Verletzungswahrscheinlichkeit vorhersagen kann. Um anhand dieser Parameter signifikante Formeln erstellen zu können, wurden jegliche Parameter einer Korrelationsanalyse und einer linearen Regression unterzogen, um für Implementierung der Formeln ausschließlich statistisch signifikante Parameter zu erhalten. Es zeigte sich hierbei, dass die Parameter AvH, AvL, HMPD, D, ToI und die CD sich als anpassungsfähig erwiesen, wodurch die folgenden Formeln anhand dieser sechs Parameter formuliert wurden. Die fünf Formeln wurden als Injury Indicators (II) definiert, da sie fortan als Indikatoren dienen sollen, die eine Verletzungswahrscheinlichkeit anzeigen. Diese fünf II wurden anhand verschiedener Betrachtungsweisen formuliert. Diese Betrachtungsweisen sind in Tabelle 2 aufgeführt und zeigen die daraus resultierenden fünf II. Unabhängig der Betrachtungsgrundlage ist die Time on Ice (ToI) innerhalb jeder II Formel integriert, da diese den Umfang der Spiel-/ oder Trainingseinheit angibt. Nach statistischer Untersuchung dieser fünf II stellten sich jedoch nur II3 und II3v als anwendbare Indikatoren dar, wodurch das anschließend durchgeführte Train and Test Modell nur anhand der zwei genannten II durchgeführt wurde. Das Train and Test Modell untersuchte mithilfe eines „Train- Datensatz“ mit der Stichproben Größe von 62 Probanden das Ausmaß der Anpassungsfähigkeit an den „Test- Datensatz“, der sich aus einer Stichprobengröße von 15 Probanden bildete. Es zeigte sich anhand dieses Modells, dass sowohl II3 als auch II3v anhand der ermittelten statistischen Parameter eine hohe Wahrscheinlichkeit besitzen, ein Erklärungsbeitrag zur Vorhersage von NCI der UEX im professionellen Eishockey liefern zu können.
Verletzungsvorhersage allein durch LPS- Parameter
Die ermittelten statistischen Parameter für II3 und II3v zeigen eine vielversprechenden Erklärungsbeitrag und damit ein hohes Potenzial, um zukünftig die Vorhersage der Verletzungswahrscheinlichkeit positiv beeinflussen zu können. Jedoch weist die Form des Untersuchungsdesigns auch Schwächen auf, die diese vielversprechende Anpassungsfähigkeit relativieren. Das hier gewählte Studiendesign betrachtete die Fragestellung ausschließlich retrospektiv, wodurch sich keine Aussage treffen lassen kann, wie anpassungsfähig das Modell in der prospektiven Betrachtung ist. Die hier ermittelten statistischen Parameter deuten zwar eine hohe Übereinstimmung an, jedoch müsste diese in weiteren prospektiven Untersuchungen beurteilt werden. Zudem wäre es um die angesprochene zeitliche Effizienz zu gewährleisten sinnvoll, einen Algorithmus zu entwickeln der relevante Parameter wie Verletzungen, Alter oder den aktuellen Fitnesszustand in die Injury Indikators einpflegt, um eine umfängliche, dennoch effiziente Information bezüglich der Verletzungswahrscheinlichkeit zu erhalten. Bei Bestehen dieser ganzheitlichen Formel könnten im langfristigen Betrachten individuelle „Schwellenwerte“ für Spieler errechnet werden, die bei erreichen automatisiert an den Athletiktrainer oder Trainer rückgemeldet werden, um ihnen so eine Interventionsmöglichkeit zu bieten.
Literatur
[1] „VBG Sportreport 2018“, 2018, [Online]. Verfügbar unter: file:///C:/Users/PC-Desktop/Downloads/VBG-Sportreport_202018.pdf
[2] D. Maupin, B. Schram, E. Canetti, und R. Orr, „The Relationship Between Acute: Chronic Workload Ratios and Injury Risk in Sports: A Systematic Review“, Open Access J Sports Med, Bd. 11, S. 51–75, Feb. 2020, doi: 10.2147/OAJSM.S231405.
[3] J. L. Bigg, A. S. D. Gamble, und L. L. Spriet, „Internal Physiological Load Measured Using Training Impulse in Varsity Men’s and Women’s Ice Hockey Players Between Game Periods“, J Strength Cond Res, Bd. 35, Nr. 10, S. 2824–2832, Okt. 2021, doi: 10.1519/JSC.0000000000004120.
[4] J. L. Bigg, A. S. D. Gamble, und L. L. Spriet, „Internal Load of Male Varsity Ice Hockey Players During Training and Games Throughout an Entire Season“, Int J Sports Physiol Perform, Bd. 17, Nr. 2, S. 286–295, Feb. 2022, doi: 10.1123/ijspp.2021-0089.
[5] J. L. Bigg, A. S. D. Gamble, und L. L. Spriet, „Internal Load of Female Varsity Ice Hockey Players During Training and Games During a Season“, Int J Sports Med, Bd. 43, Nr. 4, S. 357–365, Apr. 2022, doi: 10.1055/a-1555-3484.
[6] R. Andrade u. a., „Is the Acute: Chronic Workload Ratio (ACWR) Associated with Risk of Time-Loss Injury in Professional Team Sports? A Systematic Review of Methodology, Variables and Injury Risk in Practical Situations“, Sports Medicine, Bd. 50, Sep. 2020, doi: 10.1007/s40279-020-01308-6.
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[8] J. S. Theodoropoulos, J. Bettle, und J. D. Kosy, „The use of GPS and inertial devices for player monitoring in team sports: A review of current and future applications“, Orthop Rev (Pavia), Bd. 12, Nr. 1, S. 7863, Apr. 2020, doi: 10.4081/or.2020.7863.
[9] B. Luu u. a., „Machine Learning Outperforms Logistic Regression Analysis to Predict Next-Season NHL Player Injury: An Analysis of 2322 Players From 2007 to 2017“, Orthopaedic Journal of Sports Medicine, Bd. 8, S. 232596712095340, Sep. 2020, doi: 10.1177/2325967120953404.
[10] F. Ehrmann, C. Duncan, D. Sindhusake, W. Franzsen, und D. Greene, „GPS and Injury Prevention in Professional Soccer“, Journal of strength and conditioning research / National Strength & Conditioning Association, Bd. 30, Juli 2015, doi: 10.1519/JSC.0000000000001093.
[11] A. Rossi, L. Pappalardo, P. Cintia, F. M. Iaia, J. Fernàndez, und D. Medina, „Effective injury forecasting in soccer with GPS training data and machine learning“, PLOS ONE, Bd. 13, Nr. 7, S. e0201264, Juli 2018, doi: 10.1371/journal.pone.0201264.
[12] J. Claesson, „Effective injury forecasting in soccer with GPS training data and machine learning“. https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0201264
Autoren
ist Physiotherapeutin und Sportwissenschaftlerin (M.A) aus München. Sie ist angestellt in der physio & performance base Oberhaching, die an den dortigen DTB-Bundesstützpunkt angeschlossen ist. Zudem ist sie als Dozentin und Researcherin an der Medletics Academy tätig.