Kryotherapie ist eine Form der Behandlung, mit der man über die Anwendung von Kälte einen therapeutischen Effekt erzielen möchte. Temperaturen von + 15 bis zu – 180 ° Celsius (C) werden hierbei als Ganzkörpertherapie oder als lokale Behandlung einzelner Körperregionen eingesetzt [1]. Dabei ist die Behandlung mit Kältetherapie keine moderne Form der medizinischen Versorgung.
Schon 3.000 v. Chr. wandten die alten Ägypter gekühlte Kompressen an, um Wundinfektionen zu heilen. Im napoleonischen Zeitalter wurde Kälte als Anästhesiemittel für bevorstehende Amputationen genutzt [2]. Kryotherapie kann in zwei Formen angewandt werden: als lokale Therapie und als Ganzkörpertherapie. Verschieden Methoden der lokalen Anwendung sind im Bereich der physikalischen Therapie etabliert. Im Allgemeinen unterscheidet man drei Applikationsmodi: (i) die erste Generation der Kältetherapie beinhaltet Eisbeutel und Kältepackungen auf Gelbasis. (ii) Apparate der zweiten Generation besitzen die Fähigkeit, Eiswasser kontinuierlich, mit oder ohne Kompression, zu zirkulieren; und (iii) Geräte der dritten Generation sind primär computergestützte Apparate, die es erlauben, eine kontinuierliche Kühlung mit einer konstanten Temperatur zu liefern [3], wie z. B. das weiter unten beschriebene Hilotherm-System oder auch Kältetherapieformen wie z. B. die neuroreflektorische hyperbare CO2-Therapie. Die Ganzkörpertherapie wurde ursprünglich bei der Behandlung von Krankheiten wie multiple Sklerose und rheumatoiden Arthritis angewandt [4]. In den letzten Jahren kam sie aber auch bei Athleten verstärkt in der Rehabilitationsphase nach dem Training zum Einsatz. Die Ganzkörpertherapie kann entweder als Ganzkörperwasserimmersion oder in einer Ganzkörperkryotherapiekammer durchgeführt werden (siehe dazu auch Artikel von Dr. Percy Marshall).
Während der Anwendung von diversen Kühlungsmethoden wird nicht nur der Haut und dem Subkutangewebe Wärme entzogen, sondern auch den darunter liegenden Strukturen, wie z. B. Muskelgewebe, Weichteilgewebe und Gelenke [5, 6]. Dies führt zu einer Verlangsamung der Konduktion von lokalen Nervensignalen [7], einer Vasokonstriktion im gekühlten Gewebe und einer Reduktion der enzymatischen Aktivität auf zellulärer Ebene [8]. Folgen dieser lokalen Reaktion beinhalten eine Reduktion der Schmerzsignalübertragung und der lokalen Entzündung. Es wird postuliert, dass dies mit einer Verminderung des Blutverlustes, der lokalen Schwellung, des empfundenen Schmerzes und des Muskelspasmus einhergeht [9, 10]. Das Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick über die Lage der aktuellen evidenzbasierten Methoden der Kältetherapie zu schaffen.
Methodik
Die Datenbank PubMed wurde auf wissenschaftliche Arbeiten zum Thema der Effekte der Kryotherapie auf orthopädische, unfallchirurgische und sportmedizinische Indikationen durchsucht. Als Suchterminus wurde „cryotherap* AND cold treatment“ verwendet.
Ergebnisse und Diskussionen
Einsatz und Effekt der Kryotherapie hängen von der Pathologie und der anatomischen Region ab. Patienten, die eine Plastik des vorderen Kreuzbandes erhielten, zeigten einen signifikant geringeren Konsum von Analgetika postoperativ im Vergleich zu Patienten ohne mit Kontrollgruppen, die keine Kühlung erhielten [11, 12]. Des Weiteren zeigten Studien eine erhöhte Patientenzufriedenheit bei der Behandlung mit Kryotherapie. Die Kniefunktion wurde nur in einer der Studien gemessen und zeigte auch hier eine Überlegenheit [11]. Auch in der frühpostoperativen Rehabilitationsphase nach einer Knieendoprothetik zeigte die Kryotherapie statistisch signifikant weniger Schmerzen in den ersten 48 Stunden nach der Operation sowie einen geringeren Blutverlust [13, 14], wobei der geringere Blutverlust klinisch nicht signifikant war, da er unter den als Grenzwert angenommenen 300 ml lag [15].
Lokale Kryotherapie kann in verschiedenen Formen angewandt werden. In einigen Studien beinhaltete die Intervention das einfache Anwenden von Eispackungen. In anderen Studien wurden Therapien der zweiten oder dritten Generation verwendet: zirkulierendes kaltes Wasser oder computergesteuerte Kälteeinstellungen. Die gelieferten Temperaturen, die Frequenz der Anwendung und die Zeit in des Therapieanfangs variierten. Die Studienergebnisse hinsichtlich der besten Kühlmethoden sind heterogen; jedoch zeigten mehrere Studien einen sehr positiven Effekt der kontinuierlichen Kühlmethode mit einer einstellbaren Temperatur wie z. B. das Hilotherm-System (Abb. 1) [17 – 20]. Hier kann der Patient zum einen die Temperatur in einem Bereich von 10 bis 35 °C selbstständig auswählen und zum anderen umschließen die Kühlpads das Knie zirkumferent, was z. B. auch einen Effekt auf die Entnahmeregion der Sehne des M. semitendinosus und M. gracilis am posteromedialen distalen Oberschenkel bei der VKB-Plastik hat. Dieser positive Effekt im Vergleich zu konservativen Kühlmaßnahmen, wie den bekannten gekühlten Gelkissen, konnte auch in einer prospektiv randomisierten Studie nachgewiesen werden, wo es zu geringeren Schmerzen, einem verminderten Blutverlust und einem verbesserten Bewegungsumfang mit diesem System kam [19]. Es wird postuliert, dass dieser positive Effekt an der langfristigen moderaten Kühlung liegt. Im Vergleich dazu kommt es bei der Anwendung von klassischen Kühlmethoden, wie z. B. Eispacks, zu einer schnellen und starken, lokalen Abkühlung und dann zu einer zügigen Erwärmung mit Hyperthermie und vermehrter Durchblutung des Gewebes, da die Eispacks oft nicht lange kalt bleiben. Eine prospektiv randomisierte Studie an 42 Patienten nach Knietotalendoprothese (TEP) konnte keine statistisch signifikanten Vorteile gegenüber der lokalen Applikation von zerkleinertem Eis zeigen, jedoch war am 1. postoperativen Tag die Gonalgie um fast einen Punkt auf der numerischen Schmerzskala geringer als bei Eis (Hilotherm: 2,6 ± 1,8 vs. Eis: 3,5 ± 2,3) [20].
Die Vorteile der kontinuierlichen Kühlung mit einer vom Patienten wählbaren Temperatur sind in der Gesichtschirurgie schon seit längerem bekannt. Eine Metaanalyse von 2016 zeigte eine signifikante Schmerz- und Schwellungsreduktion, mehr Komfort und eine höhere Patientenzufriedenheit dieses Systems im Vergleich zu kühlenden Kompressen auf [17, 21].
Hinsichtlich der Ganzkörperanwendung zeigten zwei Metaanalysen, dass die Kryotherapie in der Erholungsphase nach dem Training eine Reduktion der Beschwerden hinsichtlich des verzögert auftretenden „Muskelkaters“ bewirkt. Die Interventionen umfassten Kaltwasserimmersion [16] und Ganzkörperkryotherapiekammern [4]. Der positive Effekt wurde bis zu 96 Stunden nach Beendigung des Trainings gemessen. Alle hier beschriebenen Metaanalysen haben auch unerwünschte Ereignisse untersucht und keine der Arbeiten beschrieb einen signifikanten Schaden. Von daher ist die Kryotherapie in ihren diversen Formen eine sichere Intervention, die für verschiedene Indikationen genutzt werden kann. Es muss jedoch hingewiesen werden, dass insbesondere bei der Anwendung von Eis die Haut stark abkühlen kann, und dass auf einen Verbrennungsschutz geachtet werden muss, z. B. der Verwendung eines kleinen Handtuchs zwischen Haut und Eisbeutel, um Kälteverbrennungen zu vermeiden (Abb. 2). Diese Gefahr besteht bei kontinuierlichen Kühlsystemen der 3. Generation nicht.
Fazit
Zusammenfassend kann man feststellen, dass die lokale Kryotherapie bei vielen Krankheitsbildern, z. B. nach VKB-Plastik, einen positiven Effekt auf Schmerzen und Schwellungen zeigt; insbesondere im Bereich von mehr oberflächlich liegenden Strukturen. Die lokale Kryotherapie kann bei Beachtung weniger Vorsichtsmaßnahmen als sicher eingestuft werden. Insbesondere die 3. Generation der Kryotherapie (kontinuierliche Kühlung auf Wunschtemperatur des Patienten) scheint Vorteile gegenüber den konventionellen Kühlmethoden wie z. B. Kühlpads zu haben. Die Ganzkörperkryotherapie findet vor allem Athleten und Hobbysportler nach dem Sport in spezifischen Ganzkörperkryotherapiekammern oder Ganzkörperwasserimmersionen Anwendung und dient primär der schnelleren Regeneration und Reduktion des „Muskelkaters“.
Deklarationen: Die Autoren dieser Arbeit erhielten keine Finanzierung für die vorliegende Arbeit und berichten keine Interessenkonflikte. Die Arbeit benötigte keine Zusage der Ethikkomission, da es sich um eine Übersichtsarbeit handelt.
Literatur
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Autoren
absolvierte eine Studium der Medizin am Saint George Hospital University Medical Center, Universitätsklinikum Libanon. Er ist wiss. Mitarbeiter an der Medizinischen Hochschule Theodor Fontane, Brandenburg, wo er an der Veröffentlichung von acht Studien für das kommende Jahr arbeitet.
ist Professor für Sportorthopädie und Sporttraumatologie. Er ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit Zusatzbezeichnung Sportmedizin und Oberarzt am Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Medizinische Hochschule Theodor Fontane, Brandenburg. Außerdem ist Prof. Kopf AGA Instruktor, ESSKA teacher und ATLS Instruktor.