Im Jahr 2021 werden wieder deutlich mehr Geburten in Deutschland erwartet. Vermutlich handelt es sich um einen Nebeneffekt der Pandemie Situation seit Anfang 2020. Zeitgleich sind zumindest derzeit die Sportmöglichkeiten im Fitness Studio und in Vereinen deutlich eingeschränkt. Umso mehr sind auch junge Mütter auf ein eigenständiges Training angewiesen.
Wann darf eine Frau nach der Geburt wieder wieder mit dem Training beginnen?
Was darf und was sollte sie trainieren?
Pauschal lassen sich diese Fragen nicht beantworten. Nach einer unkomplizierten Geburt können Mütter etwa sechs bis acht Wochen nach der Geburt wieder mit einem gezielten Training beginnen. In den ersten Wochen stehen die Rückbildung und die Anpassung an die neue Lebenssituation im Vordergrund.
Die Zielgruppe „junge Mütter“ wächst auf Grund der steigenden Geburtenzahlen mit leichten Schwankungen seit Jahren an. 2019 wurden 778.090 Kinder geboren. Eine Mutter bekommt durchschnittlich 1,54 Kinder. Das Alter der Mutter beträgt bei der ersten Geburt durchschnittlich 30,1 Jahre.
Für die neugeborenen Babys ist verglichen zu ihren Müttern in den vorgeschriebenen U-Untersuchungen genau geregelt, was sie wann können sollten. Im Mutterpass können die Normbereiche für Gewicht, Größe und Kopfumfang in Diagrammen abgelesen werden. Für ihre Mütter gibt es jedoch keine Vorgaben und vergleichsweise wenig flächendeckende Unterstützung für den Umgang mit ihrem Körper nach der Geburt.
Um kritischen Kommentaren direkt vorzubeugen – eine Mutter entscheidet selbstverständlich ganz alleine, ob oder in welchem Umfang sie trainieren möchte!
Der öffentlich zur Schau getragene „Afterbaby-Body“ weiblicher Sterne und Sternchen entspricht meistens nicht der Norm. Die sozialen Medien mit ihren Fotofilter und Follower können bei Müttern den Eindruck erwecken, nur sie hätten noch nicht wieder ihre Wunschfigur erreicht. Dieser Druck ist wenig hilfreich für den Weg zurück zum eigenen Wohlfühlkörper.
Der Auslöser für mich einen Ratgeber für sportliche Mütter mit Freude an Bewegung zu schreiben war ein Mittagessen während eines Functional Training Summit in München vor 3 Jahren. Ich hielt dort einen Vortrag zum Thema Bewegungsmustern. Mittags aß ich gemeinsam mit drei Trainerinnen, alle Mütter, und stellte ein paar Fragen zu ihren Erfahrungen und ihrem eigenen Training nach ihren Schwangerschaften. Grund für mein gesteigertes Interesse war die Schwangerschaft meiner Frau. Spannend waren die Antworten, die sich zu folgenden Kernaussagen komprimieren lassen.
- Allen dreien fehlte ein Konzept für den Wiedereinstieg mit sportlichem Anspruch.
- Die klassische Rückbildungs-Gymnastik alleine reichte ihnen nicht aus.
- Alle drei fingen nach eigener Aussage rückblickend zu früh an zu Joggen.
Nach dem Essen schaute ich mir bei Amazon das Buchangebot für diese Zielgruppe an und stellte fest, dass es sehr überschaubar war, um nicht zu sagen nichtexistent. Eine Stunde später hatte ich meine Idee eines Ratgebers für sportliche Frauen mit meinem Verleger besprochen und dieses Jahr erschien mein Ratgeber. Unterstützung habe ich mir von verschiedenen Expertinnen geholt. Diese „Heldinnen“ wie ich sie respektvoll bezeichnen möchte sind fünfzehn Frauen, Mütter und Expertinnen, die ihre Ziele im Hinblick auf ihren Körper nach der Schwangerschaft erreicht haben. Besonders Moni Homann, eine sehr erfahrene Hamburger Personal Trainerin mit dem Schwerpunkt Training nach der Schwangerschaft und meine Frau als Psychiaterin und Sportlerin haben sichergestellt, dass die Empfehlungen und Inhalte so umsetzbar sind. Aus der Praxis für die Praxis.
Welche Aspekte gilt es beim Training nach der Schwangerschaft zu berücksichtigen?
Die Interviews mit den Heldinnen und meine eigene Erfahrung als Personal Trainer führen mich zu der Erkenntnis, dass ein Trainingserfolg junger Mütter von einigen wesentlichen Faktoren abhängig ist. Fünf essentielle Bausteine des Erfolgs möchte ich hier kurz zusammenfassen.
- Individuelle Besonderheiten der Mutter
Der Körper der Frau verändert sich im Rahmen der Schwangerschaft und einige dieser Änderungen bleiben ohne Training bestehen. Ein einfaches Beispiel ist eine veränderte Fuß Stellung und manchmal sogar Schuhgröße. Auch ihre sportliche Vorgeschichte, ihr Trainingszustand in der Schwangerschaft und der Verlauf der Geburt sind relevant für die Belastbarkeit nach der Schwangerschaft.
- Klare Ziele
Es benötigt ein klar definiertes Ziel. Das Ziel kann die Ausübung einer bestimmten Sportart oder das Erreichen einer bestimmten Figur – das entscheidet einfach nur die Mutter selbst.
- Energiemanagement
Es benötigt Energie, um das eigene Ziel zu erreichen. Energie ziehen wir aus unserer Ernährung und unserer Regeneration. Der beste Trainingsplan bringt uns nichts, wenn wir zu müde oder kraftlos sind, um ihn umzusetzen. Gerade Müdigkeit ist in den ersten Monaten nach einer Geburt ein ständiger Begleiter.
- Zeitmanagement
Zeit für sich selbst ist ein weiterer wichtiger Faktor, gerade mit einem kleinen Kind. Ein guter Wille, ein klares Ziel und ausreichend Energie ohne die notwendige Zeit, können den Gesamterfolg gefährden.
- Variabler Trainingsplan
Eng mit dem Zeitmanagement verknüpft ist ein variabler Trainingsplan. Je zeitlich und örtlich flexibler ein Trainingsplan ist, desto besser. Ein erfolgreiches Konzept, mit dem ich viel arbeite, ist die 3 x 3 Matrix. Drei Übungen für unterschiedliche Körperregionen werden ohne Pause hintereinander absolviert und das am besten dreimal. So werden Pausen reduziert und die Anzahl der Runden ist flexibel. Wearables wie eine Smartwatch und Apps können zusätzlich helfen Alltagsbewegungen miteinzubeziehen und die eigenen Trainingserfolge zu tracken.
Ein Therapeut oder Trainer, der Frauen nach einer Schwangerschaft im Training betreut sollte diese fünf Aspekte nach Möglichkeit berücksichtigen. Im nächsten Abschnitt möchte ich beispielhaft wichtige funktionelle Überlegungen für die Trainingsplangestaltung erläutern.
Wie sieht ein „funktionelles Training“ nach der Schwangerschaft aus?
Funktionelles Training soll dem Namen nach auf eine bestimmte Belastung vorbereiten. Das funktionelle Training eines Fußballspielers sieht anders aus, als dass eines Freeclimbers. Das liegt daran, dass die Belastungsprofile sehr unterschiedlich sind.
Welche Bewegungsmuster erfordert also die Funktion „Mutter sein“? Beobachten wir Mütter im Alltag, so treffen wir auf wiederkehrende Herausforderungen. Zuerst fällt einem ein häufiges einseitiges Heben und Tragen auf. Dabei wird das Baby nicht regelmäßig im Wechsel getragen, sondern meistens einseitig links. Ein wesentlicher Grund ist der Umstand, dass die meisten Menschen Rechtshänder sind und Alltagstätigkeiten eben bevorzugt rechts ausführen. Zusätzlich kann es für ein Baby beruhigend sein, nahe am Herzen der Mutter getragen zu werden und auch das ist in der Regel links.
Im Folgenden werde ich drei wichtige Bewegungsmuster für ein funktionelles Training nach der Schwangerschaft vorstellen. Übungen für den Beckenboden und die Rumpfmuskulatur sollen selbstverständlich als Grundlage absolviert werden.
- Tragen und Heben
Damit ich etwas tragen kann, muss ich es zuerst anheben. Richtiges Heben und Tragen sind heute keineswegs selbstverständlich. „Hüfte und Knie beugen, den Rücken gerade halten und das Gewicht nahe am Körper tragen“ ist einfacher gesagt als getan. Es gibt Empfehlungen im Arbeitsschutz für zulässige Gewichte am Arbeitsplatz gestaffelt nach Alter und Geschlecht. Für Mütter gibt es verständlicherweise keine verbindlichen Empfehlungen für ein zumutbares Gewicht im Alltag. Dazu sind das Anforderungsprofil und die individuellen Voraussetzungen zu unterschiedlich.
Ich möchte aber einmal logisch an ein mögliches Trainingsgewicht heran gehen. In einer Auswertung zum Geburtsgewicht von Babys lagen nach einer Auswertung des Deutschen Ärzteblatts (2017) deutsche Babys mit 3480 Gramm weltweit auf Platz zwei hinter Norwegen. Wohlgemerkt – bei Geburt! Das Gewicht steigt binnen weniger Wochen und Monate deutlich an. Dazu kommt häufig eine Tragehilfe, wie beispielsweise ein MaxiCosi. Wir sind also binnen kurzer Zeit schnell bei einem Alltagsgewicht von 5-10 kg. Eine Überlastung beim Tragen kann nicht nur zu Rückenbeschwerden führen, sondern belastet auch den Beckenboden und kann deshalb auch Inkontinenz verursachen. Deshalb halte ich ein wohldosiertes Training von Heben und Tragen mit alltagsrelevanten Gewichten für funktionell und notwendig!
Eine klassische Grundübung wie Kreuzheben wird – wenn überhaupt – im Fitness Studio trainiert. Wenn wir also keine entsprechende Sportart oder einen diesbezüglich körperlich fordernden Beruf ausüben, lernen wir nicht, richtig zu heben. Nach über 20 Jahren als Fitness- und Personal Trainer gestatte ich mir das Urteil, dass faktisch ein Großteil der Bevölkerung keine gute Hebe- und Tragetechnik besitzt.
Nach der Schwangerschaft wird Heben und Tragen täglich benötigt. Deshalb sollten wir es konsequent trainieren. Erst die Qualität, dann die Quantität!
Ein allgemeines Trainingsprinzip lautet vom Einfachen zum Schweren. Einfacher ist es, etwas mit beiden Händen und beiden Beinen anzuheben, wie beim klassischen Kreuzheben. Erst wenn diese Ausführung beherrscht wird, kann eine Progression erfolgen. Das Techniktraining kann mit einem Besenstil oder einer unbeladenen Langhantel erfolgen. So können die Mobilität, Rumpfspannung, Koordination und Atmung schonend trainiert werden. Stimmt alles, wird langsam das Gewicht gesteigert, idealerweise etwas über das Alltagsgewicht hinaus. Im nächsten Schritt sollte die Ausführung anspruchsvoller werden. Auf diese Weise werden zu hohe Trainingsgewichte vermieden und das Training wird alltagstauglich.
- Einseitige und rotierende Belastung
Das Baby wird im Alltag meist einseitig getragen, zum Teil mit dem Zusatzgewicht einer Babyschale. Logisch ist es also auch sobald als möglich im Training einseitig im Wechsel zu trainieren. Wird das klassische Kreuzheben beherrscht, so kann zuerst einbeinig/beidhändig und dann einbeinig/einhändig trainiert werden. Auf diese Weise werden viele Fähigkeiten gleichzeitig trainiert. Ein einbeiniges Training trainiert verstärkt die Fußmuskulatur und die seitliche Hüftmuskulatur. Beide werden bei einer beidbeinigen Ausführung vergleichsweise weniger angesprochen. Auf einem Bein stehend und mehr noch bei Ausführung mit einem Arm wird im gesamten Körper eine Antirotation trainiert.
Das gleiche Prinzip gilt natürlich auch für einseitiges Ziehen und für einseitiges Tragen. Kreuzheben, Ziehen zur Brust und Tragen sind drei gute Beispiele für funktionelle Übungen nach der Schwangerschaft.
Ist eine ausreichende Stabilität bei einseitig ausgeführten Übungen gegeben sollte auch gezielt rotierend trainiert werden. Jeder der sein Kind regelmäßig in einen Kindersitz im Auto heben muss weiß, dass dazu oftmals eine Kombination aus Heben und Rotieren gefragt ist. Das gleiche gilt für das Einladen von Einkäufen. Motivierende Übungen sind alleine oder gemeinsam mit einem Trainingspartner mit einem Medizinball möglich oder auch an einem Seilzug.
- Mobilität und Stabilität der BWS
Stelle dir eine Mutter vor, die ihrem Baby die Brust oder eine Flasche gibt. Welche Haltung nimmt sie ein? Sie beugt sich schützend über ihr Kind! Dabei sind Hals- und Brustwirbelsäule gebeugt. Das ist per se kein Problem. Das wird es nur, wenn der Ausgleich fehlt. Doch gerade daran mangelt es meistens.
Unser Alltag wird dominiert von einer nach vorne gebeugten Haltung – beim Sitzen, Autofahren, Essen, Lesen, SMS schreiben und dann nach einer Geburt zusätzlich beim Stillen, Füttern und Wiegen. Nacken- und Rückenschmerzen sind deshalb gerade bei jungen Müttern keine Seltenheit.
Ein Schlüssel liegt in der Verbesserung der Mobilität der Brustwirbelsäule und ein Training der aktiven Aufrichtung. Neben entsprechenden Übungen im Rahmen des Trainings sollten auch im Alltag immer wieder Übungen zur Verbesserung der Mobilität durchgeführt werden. Ein einfacher Tipp ist auch das ganz bewusst aufrechte Gehen. Wenn man sich zusätzlich bewusst auf die eigene tiefe Bauchatmung konzentriert, verbessert sich nicht nur die Haltung, sondern es reduziert sich auch unser Stress.
Einfache Übungen für ein funktionelles Training der aufrechten Körperhaltung sind beispielsweise der Einbeinstand und das Tragen eines (kleinen) Gewichts mit gestrecktem Arm über Kopf.
Wie finde ich die richtige Belastungsintensität?
Hierzu verwende ich gerne das Konzept einer Ampel. Die Schwangerschaft läuft in bestimmten Phasen ab. Zu Beginn ist körperlich beinahe alles möglich und wir befinden uns in der “grünen” Phase. Mit der Zeit schränken sich die körperlichen Möglichkeiten zunehmend ein (“gelb”) und schließlich fallen bestimmte Belastungen wie beispielsweise Joggen und Sprünge vollständig weg (“rote Phase”). Nach der Schwangerschaft verhält es sich umgekehrt. In der Phase der Rückbildung (“rot”) ist die Belastbarkeit sehr eingeschränkt. Sie verbessert sich aber anschließend Schritt für Schritt über gelb bis in den grünen Bereich, in dem wieder alle Belastungen möglich sind. Wie lange die einzelnen Phasen dauern ist von Frau zu Frau unterschiedlich.
Als grobe Regel lässt sich postulieren, dass die Phasen nach der Schwangerschaft denen während der Schwangerschaft ähneln. Wer vor der Geburt lange Zeit trainiert hat und sehr fit war hat eine höhere Wahrscheinlichkeit auch nach der Geburt schneller wieder fit zu werden.
Ausnahmen gibt es natürlich in beide Richtungen. Bei einer meiner “Heldinnen”, einer international bekannten Pilates Ausbilderin mit einem zweifelsfrei hervorragend Trainingszustand vor der Schwangerschaft, verlief die Phase des sportlichen Wiedereinstiegs bedingt durch Komplikationen ausgesprochen langsam.
Top Übungen und Geräte
Diese fünf Übungen gehören zu meinen Favoriten. Die Schwierigkeit der Ausführungsvarianten kann beliebig an den aktuellen Trainingszustand der Frau angepasst werden.
- Beckenlift
- Seitstütz
- Diagonales Heben von Arm und Bein aus dem Vierfüßlerstand
- Ziehen zur Brust
- Kreuzheben
- Tragen
- Kettlebell Swing
Die wichtigsten Trainingsgeräte sind eine Matte, Minibänder und Gewichte/Kettlebells
Fazit
Ein gut strukturiertes Fitness Training, das die besonderen Bedürfnisse und Bewegungsmuster einer jungen Mutter berücksichtigt, ist nach der Schwangerschaft für die meisten Frauen sehr gut möglich.
Mit ihrem Bewegungsverhalten wirken die Eltern über Jahre als Vorbild für ihre Kinder. Kinder stellen einen wunderbaren Grund dar, selber mehr für die eigene Fitness zu tun, um viele Jahre gemeinsam mit ihnen aktiv sein zu können. Es liegt maßgeblich in den Händen der Eltern welche positiven Bewegungsgewohnheiten ihre Kinder erlernen.
BUCHTIPP
Ich will meinen Körper zurück!
Return-to-Shape: Besser trainieren nach der Schwangerschaft
1. Auflage 2020
Wie kann ich als Frau nach einer Schwangerschaft effektiv und gesundheitsbewusst trainieren, um wieder die gewünschte Form zu erlangen?
Die körperlichen Veränderungen, eine immerwährende Müdigkeit und ständiger Zeitmangel prägen häufig die ersten Monate nach einer Geburt. Dieser Ratgeber beschreibt kurz und einprägsam, welche Herausforderungen eine junge Mutter zu bewältigen hat. Motivierend und unterhaltsam geschrieben, erhält die Leserin Tipps für ihren Alltag und ihr Training.
288 Seiten mit über 200 Trainingsbildern / ISBN 978-3-9482-7713-0
Autoren
ist Orthopäde und Sportmediziner. Er ist Partner einer interdisziplinären Gemeinschaftspraxis in Bonn und operativ als Belegarzt an der Beta Klinik Bonn tätig. Als kooperierender Arzt des Olympiastützpunktes Rheinland versorgt er Hobby- und Profisportler verschiedener Disziplinen. Seit 20 Jahren betreut Dr. Klingenberg Privatpersonen und Firmen als Personal Trainer. Regelmäßig bildet Dr. Klingenberg Trainer, Therapeuten und Ärzte sportmedizinisch weiter. Er ist Autor des Buchs “Return to Sport” und leitet die gleichnamige Ausbildung für das ARTZT Institut. Dieser Kurs ist seit April 2021 auch online verfügbar: https://www.artzt.eu/fortbildungen/weitere-fortbildungen/