Die Technologie von Laufschuhen hat einen größeren Einfluss auf das Risiko von Laufverletzungen als Alter, Körpergröße, Körpergewicht, Trainingsumfang, Geschwindigkeit und Lauferfahrung. Sohlentechnologien bestimmen die Biomechanik von Knie- und Sprunggelenk und beeinflussen die Belastung von Sprunggelenk und Kniegelenk, von Achillessehne, Quadrizeps- und Patellasehne. Damit können Sohlentechnologien von Laufschuhen mit dem Risko von Lauf assoziierten Verletzungen und insbesondere von Beschwerden und Verletzungen des Kniegelenks und der Achillessehne in einen strengen Zusammenhang gebracht werden.
Ergebnisse biomechanischer Untersuchungen von Sohlentechnologien und einer 12-monatigen standardisierten, randomisierten Beobachtungsstudie an mehr als 1700 Läuferinnen und Läufern zu Laufverhalten, demographischen und anthropometrischen Daten und verwendeten Schuhtechnologien.
Laufverletzungen
Seit über vier Jahrzehnten wird von verschiedenen Forschungsgruppen von einer Jahresinzidenz von Lauf assoziierten Verletzungen zwischen 20-70% berichtet. Ein aktueller systematischer Review kommt zu einer mittleren Inzidenz von 37% für Überlastungsverletzungen der unteren Extremität [1]. Eigene Arbeiten aus den Jahren 2010 und 2022 mit 1.300 bzw. 1.700 Teilnehmern berichten von über 50% verletzten Läufern (2022: 52,9%; Frauen: 54%, Männer: 52%) im Laufe eines Jahres bei Berücksichtigung aller Überlastungsverletzungen und subjektiv wahrgenommener Beschwerden mit Beeinträchtigung mindestens einer Trainingseinheit. Die Erhebung erfolgte an Freizeitläufern mit mindestens einer regelmäßigen Laufeinheit pro Woche und einer Laufleistung von mindesten 10 Kilometern/Woche. Die sehr variablen Zahlen (20-70%) der epidemiologischen Arbeiten sind auf unterschiedliche Definitionen einer „Laufverletzung“ und die unterschiedlichen, den Studien zugrunde liegenden Stichproben zurückzuführen.
Seit Jahrzehnten stellt das Knie die Körperregion mit den meisten Laufverletzungen (ca. 25%) dar, gefolgt von der Achillessehne und Wadenmuskulatur. In der aktuellen Studie (Run Better Study 2022, n=1.700) berichten 23,1% von Verletzungen am Knie (PFTS, patellofemorales Schmerzsyndrom; ITBS, illiotibiales Bandsyndrom (Runners Knee); Beschwerden im medialen Bereich des Knies) und 18,5% von Beschwerden an der Achillessehne [2].
Laufschuhe, Sohlentechnologie
Mit Einsetzen des Laufbooms in den 1980ern begann die Entwicklung von technischen Laufschuhen mit dem nachhaltigen Ziel, den Läufer zu schützen und übermäßige Belastungen beim Laufen und daraus resultierende Verletzungen zu vermeiden. Das Paradigma „Impact Cushioning“ oder „Shock Attenuation“, also das Abfedern des ersten Stoßes bei der Landung des Fußes auf dem Boden, war lange die zentrale Zielgröße bei der Laufschuhentwicklung. Dieses Paradigma wurde erst um die Jahrtausendwende verworfen, da nie gezeigt werden konnte, dass der Stoß bei der Landung mit der Entwicklung von Verletzungen in Verbindung zu bringen ist. Es folgte das Konzept von „Motion Control“ oder „Stützen“, was sich untermittelbar in der Mittelsohlenkonstruktion durch härtere Materialien und/oder sog. Posts (Stützen) im medialen Sohlenbereich niederschlug. Primäres Ziel war die Rückfußerversion und letztlich eine übermäßige Pronation zu reduzieren bzw. zu verhindern. Spätestens seit 2015 wurde auch dieses Paradigma kritisch hinterfragt, da bis heute keine Evidenz für einen Zusammenhang zwischen Laufverletzungen und einer reduzierten Rückfußeversion vorgelegt werden konnte. Eine prospektive Studie an 927 Läufern über ein Jahr zeigte sogar, dass Läufer mit pronierten Füßen eine geringere Inzidenz von Laufverletzungen zeigten als solche, bei denen ein geradestehender Rückfuß diagnostiziert wurde [8]. Die Schuhindustrie reagierte mit immer mehr „neutralen“ Schuhen mit verbesserten Dämpfungseigenschaften (vor allem im Mittelfuß und nicht mehr nur im Rückfuß), im Wesentlichen nicht um den Läufer vor Verletzungen zu schützen, sondern um den Komfort beim Laufen auch auf hartem Untergrund zu verbessern. Um den Laufkomfort weiter zu steigern und auch das Bergablaufen bequemer zu gestalten, wurden die Sohlen dicker und – um eine komfortable Abwicklung zu gestatten – konvex geformt (Rocker). Um nun noch den Zugang zur Leistungsverbesserung zu forcieren, wurden versteifende Carbonplatten in die Mittelsohle integriert und dem Läufer damit ein Wettbewerbsvorteil versprochen. In der Tat kommt es durch die dicken Rockersohlen (oft durch Carbonplatten longitudinal versteift und formstabil gehalten) zu Leistungssteigerungen im Sinne einer Verbesserung der Laufeffizienz bzw. Laufökonomie. Es wird berichtet, dass solche Laufschuhe in der Lage sind, die energetischen Kosten gegenüber konventionellen Sohlenkonstruktionen um bis zu 4% zu reduzieren [7, 9]. Diese Energieeinsparung wird jedoch durch die verwendeten stark verformbaren und Energie absorbierenden Schäume der Mittelsohle und nicht durch die Carbonplatten bzw. eine vergrößerte longitudinale Steifigkeit erreicht, wie ein biomechanisches Experiment eindrucksvoll zeigen konnte [6]. Eliud Kipchoge absolviert 2019 mit einem solchen Schuh unter Laborbedingungen die Marathondistanz unter 2 Stunden, aber auch unter normalen Wettkampfbedingungen konnten mit der neuen Sohlentechnologie eine Vielzahl neuer Rekorde aufgestellt und persönliche Bestzeiten unterboten werden.
Bemerkenswerterweise wurde das Paradigma, mit einem Laufschuh präventiv und Verletzungsreduzierend wirksam zu werden, von der Industrie über einen recht langen Zeitraum nicht mehr oder nur nachrangig thematisiert. Erst 2019 griff die deutsche Laufschuhmarke True Motion Running das Konzept der Prävention von Überlastungsverletzungen beim Laufen wieder auf (vor allem wegen der immer noch sehr hohen Verletzungsrate auch oder gerade bei Freizeitläufern) und entwickelte ein technisches Konzept, mit dem die nicht-vortriebswirksamen Kräfte und Belastungen am Knie und an der Achillessehne reduziert werden sollten. Biomechanische Studien [3] konnten zeigen, dass mit der True Motion Technologie (U-TECH) und der Zentrierung der Bodenreaktionskraft mittig unter dem Fuß (FCT: Force Centering Technology) das externe Adduktionsmoment am Knie (EAM) gegenüber allen anderen auf dem Markt befindlichen Technologien signifikant und mit hoher Sensitivität reduziert werden kann. Das EAM steht mit der Entwicklung des vorderen Knieschmerzes (PFPS: Patello- femoral Pain Syndrom) und dem Läuferknie (ITBS. Illiotibial Band Syndrom) in einem strengen und gut belegten Zusammenhang [5]. Auch die maximale und mittlere Kraft an Achillessehne und Trizeps surae wird durch U-TECH nach den biomechanischen Studien signifikant gegenüber konventionellen Sohlenkonstruktionen verringert.
Aktuell finden sich vier konkurrierende und technisch unterschiedliche Mittelsohlen-konstruktionen auf dem Laufschuhmarkt:
NEU: neutrale Mittelsohlen
SUP: stützende Mittelsohlen (Support)
ROC: aufgebogene, dicke Mittelsohlen (Rocker), oft Carbon verstärkt
FCT: U-TECH Mittelsohlen („Force Centering Technology“)
Zur Erläuterung von U-TECH mit FCT zeigt Abbildung 1 schematisch die „Force Centering Technology“, bei der unmittelbar nach der Landung des Fußes die Bodenreaktionskraft durch eine weiche, zweifach gerundete U-förmige Konstruktion mittig unter dem Fuß, dem Sprunggelenk und dem Kniegelenk zentriert wird. Damit wird der Hebel der Bodenreaktionskraft zum Sprunggelenk und vor allem zum Kniegelenk in der Frontalebene minimiert und damit das EAM (externes Adduktionsmoment) reduziert.
Biomechanik der vier Sohlen-Technologien
Das externes Adduktionsmoment (EAM) und der Impuls des EAM können durch die vier Sohlentechnologien systematisch und hoch signifikant beeinflusst werden (χ2-Test; p<0,01). Die geringsten EAM-Ausprägungen finden sich bei FCT (U-TECH), die größten bei ROC (Rocker) und SUP (stützende Sohlentechnologie). Mit über 40% Reduktion bei U-TECH gegenüber NEU und SUP fällt die Wirkung der Sohlentechnologie beim Impuls des EAM, also des Summeneffektes über die gesamte Standphase beim Laufen, noch deutlicher aus.
Ein vergrößertes Adduktionsmoment wird mit einem erhöhten Risiko der Entwicklung von Knieverletzungen in Verbindung gebracht [4, 5].
Auch das Innenrotationsmoment (IRM) am tibiofemoralen Gelenk (Tibia vs. Femur) wird durch die Sohlentechnologie beeinflusst. U-TECH reduziert signifikant (p<0,05) das maximale IRM gegenüber NEU (neutrale Sohlentechnologie); stützende Laufschuhsohlen vergrößern das Innenrotationsmoment, welches wie das EAM mit der Entwicklung von Laufverletzungen (vor allem PFPS) verbunden wird [4, 5].
Die Belastung der Achillessehne oder das Plantarflexionsmoment (PFM) am Sprunggelenk wie auch der Impuls des PFM werden durch die vier Sohlentechnologien systematisch und signifikant (p<0,05) beeinflusst.
Die Analyse der Gelenk- oder Muskelarbeit am Sprunggelenk in der Sagittalebene findet eine Verringerung bei der ROC-Sohlentechnologie (Rocker) um 30% gegenüber NEU (Neutrale Sohlentechnologie) und bei der U-TECH -Technologie um 17,5% gegenüber NEU. Am Kniegelenk dagegen wird bei Rockersohlen (ROC) die Gelenkarbeit und damit die Muskelbelastung um 15% gegenüber neutralen Sohlen (NEU) vergrößert, bei U-TECH (FCT) um 10% reduziert. Die Entlastung der Achillessehne durch Rocker-Technologie geht somit mit einer deutlich vergrößerten Belastung des Kniegelenks einher.
Das maximale Extensionsmoment (EXM) am Kniegelenk und damit die Belastung der patellofemoralen und tibiofemoralen Gelenke wird durch die Sohlentechnologie signifikant und systematisch (p<0,01) beeinflusst. Die ROC-Technologie (Rocker) vergrößert die Belastung im Mittel um 12%, die U-TECH – Technologie reduziert sie um 2,5% gegenüber NEU (neutrale Schuhe) und SUP (stützende Schuhe).
Fazit: Schuhtechnologien bzw. Mittelsohlentechnologien von Laufschuhen beeinflussen signifikant und mit hoher Sensitivität (>90%) die Belastung von Kniegelenk und Achillessehne, den Regionen mit den häufigsten Laufverletzungen. Während die Rocker-Technologie die Belastung der Achillessehne zu Lasten einer deutlich erhöhten Belastung des Kniegelenks reduziert, gelingt mit der U-Technologie (U-TECH) sowohl eine Entlastung der Achillessehne als auch in besonderem Maße des Kniegelenks.
Sohlen-Technologien und Laufverletzungen
Vor dem Hintergrund der biomechanischen Unterschiede der Sohlentechnologien wurde im April 2022 zusammen mit dem Laufmagazin „LÄUFT.“ (laufen.de) eine retrospektive, randomisierte Beobachtungsstudie aufgesetzt, um den Effekt der vier Schuhtechnologien auf Laufverletzungen und vor allem die Lokalisation von Verletzungen zu untersuchen [2]. Von über 2.000 Bewerberinnen und Bewerbern wurden 1.700 Läuferinnen und Läufer eingeschlossen, da sie den Einschlusskriterien „regelmäßig (mindestens einmal pro Woche) laufen“, „mindestens 10 km pro Woche laufen“ und „in >75% der Trainingseinheiten einen Schuh derselben Technologiekategorie (NEU, SUP, ROC, FCT) laufen“ genügten. Alle eingeschlossenen Läuferinnen und Läufer füllten für 12 Monate einen strukturieren Fragebogen zu demographischen und anthropometrischen Daten, zum Laufverhalten, zu den am häufigsten gelaufenen Laufschuhtechnologien (Laufschuhen) und zu Laufbedingten Verletzungen und Beschwerden aus. Die Bearbeitung der Daten erfolgte verblindet und anonymisiert. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer wählten ihren Laufschuh eigenständig (randomisiert) und wurden nicht mit einer bestimmten Technologie versorgt.
Der Zusammenhang der Risikofaktoren (RF) mit Lauf assoziierte Verletzungen (LAV), Knieverletzungen (LAV_Knie) und Achillessehnenverletzungen (LAV_AS) wurde mittels χ2-Tests geprüft. Tabelle 1 fasst die Ergebnisse zusammen und enthält die p-Werte (p≤0,01, hoch signifikant; p≤0,05, signifikant) für die einzelnen Risikofaktoren.
Den dominanten Einfluss auf Laufverletzungen, Knieverletzungen und Achillessehnenverletzungen zeigt die Schuhtechnologie mit dem geringsten Risiko von LAV bei FCT (U-TECH) (43,3%) und dem größten bei ROC (56,7%) (SUP: 48,4%; NEU: 54,7%), dem kleinsten Risiko von LAV_Knie bei FCT (U-TECH) (11,3%) und dem größten mit 24,7% bei SUP (ROC: 23,3%; NEU: 24,3%), dem geringsten Risiko von LAV_AS bei FCT (U-TECH) (13,5%) und dem größten Risiko von 20,4% bei NEU (ROC: 19,1%; SUP: 18,9%).
Alter, Körpergröße, gelaufene Kilometer und Anzahl der Trainingseinheiten pro Woche stehen in keinem signifikanten (p≤0,05) Zusammenhang mit Laufverletzungen (LAV), Verletzungen des Knies (LAV_Knie) und Verletzungen der Achillessehne (LAV_AS).
Die Lauferfahrung beeinflusst das Risiko von Knieverletzungen (höheres Risiko bei <3 Jahre Lauferfahrung), nicht aber das Risiko von LAV und LAV_AS. Das Geschlecht lässt weder LAV noch LAV_Knie prognostizieren, nur die relative Häufigkeit der Achillessehnenbeschwerden ist bei Männern (20,8%) signifikant größer als bei Frauen (15,5%).
Die wichtigsten Ergebnisse: 726 Frauen und 974 Männer nahmen an der Untersuchung teil. Insgesamt wird ein Verletzungsrisiko von 52,96% in einem Beobachtungszeitraum von einem Jahr berichtet. Das Knie ist mit 26,1% am häufigsten verletzt. Es folgen Achillessehne (23,4%) und Wadenmuskulatur. Männer sind mit 20,8% signifikant häufiger an Achillessehne verletzt als Frauen (15,5%). Die Schuhtechnologie ist der dominierende Risikofaktor für die Entwicklung von Laufverletzungen (LAV), Verletzungen des Kniegelenks (LAV_Knie) und der Achillessehne (LAV_AS). FCT („Force Centering Technology“) mit U-TECH ist mit dem geringsten Risiko der Entwicklung einer Laufverletzung, einer Knieverletzung und der Verletzung der Achillessehne verbunden.
Fazit
Literatur
(1) Dempster, J., Dutheil, F., Ugbolue, U.C. (2021). The prevalence of lower extremity injuries in running and associated risk factors: A systematic review. Physical Activity and Health 5(1), 133-145.
(2) Hensen, N. (2023). Run Better Research Study 2022: Wie Laufschuhe das Verletzungsrisiko beeinflussen. LÄUFT. Magazin von LAUFEN.de. Winter 2023, 50-51.
(3) Brüggemann, G.-P., Hirschhäuser, E., Esser, T. (2020). Die Biomechanik des Laufens mit unterschiedlichen Sohlentechnologien. Orthopädieschuhtechnik, 07/08/2020, 30-37.
(4) Stefanyshyn, D.J., Stergiou, P., Lun, V.M.Y., Meeuwisse, W.H., Worobets, J.T. (2006). Knee angular impulse as a predictor of patellofemoral pain in runners. Am. Journal Sports Medicine 34, 1844-1851.
(5) Willwacher, S., Kurz, M., Robbin, J., Thelen, M., Hamill, J., Kelly, L., Mai., P. (2022). Running-related biomechanical risk factors for overuse injuries in distance runners: A systematic review considering injury specifity and the potential for future research. Sports Medicine 52, 1863-1877.
(6) Healey, L.A., Hoogkamer, W. (2022) Longitudinal bending stiffness does not affect running economy in Nike Vaperfly Shoes. Journal of Sport and Health Science 11, 285-292.
(7) Hoogkamer, W., Kipp, S., Frank, J.H., Farina, E.M., Luo, G., Kram, R (2018) A comparison of the energetic cost of running in marathon racing shoes. Journal Sports Medicene 48, 1009-1019.
(8) Nielsen, R.O., Buist, I., Parner, E.T., Nohr, E.A. Sorensen, H., Lind, M., Rasmussen, S. ( 2013) Predictors of running-related injuries among 930 novice runners : A 1-year prospective follow-up study . Orthopedic Journal Sports Medicine 1(1), 316 pp.
(9) Whiting, C.S., Hoogkamer, W., Kram, R. (2022) Metabolic cost of level, uphill, and dowmhill running in highly cushioned shoes with carbon-fiber plates. Journal of Sport and Health Science 11, 303-308
Autoren
promovierte an der Universität Frankfurt zum Dr. phil. Im Fach Biomechanik. Von 2000 bis zu seiner Emeritierung 2017 leitete er das Institut für Biomechanik und Orthopädie der Deutschen Sporthochschule Köln. Seine wissenschaftliche Arbeit konzentrierte sich u.a. auf Fragen der Belastung und Belastungstoleranz biologischer Strukturen.