Trotz positiver Entwicklungen hinsichtlich Inzidenzen sowie Rezidivraten stellen Verletzungen im Profifußball nach wie vor ein großes Problem dar und betreffen verschiedene Dimensionen [1]. Zum einen wirken sie sich direkt auf die Gesundheit, respektive Leistungsfähigkeit des Spielers aus. Aus der Verletzung resultierende Sekundärproblematiken können die Athleten unter Umständen nachhaltig belasten.
Zum anderen haben hohe Verletzungsraten einen wesentlichen wirtschaftlichen Einfluss, betrachtet man den engen Zusammenhang zwischen einer hohen Spielerverfügbarkeit und dem Teamerfolg [1, 2]. Nicht zuletzt stellt ein verletzter Spieler für den Club einen immens hohen Kostenfaktor dar [3]. Effiziente, wie auch nachhaltige Präventions- und Return to Play (RTP)-Strategien sind Gegenstand der modernen Sportmedizin und werden vielfach beschrieben. Im Folgenden soll ein RTP-Ansatz skizziert werden, welcher essentielle Aspekte zur Beurteilung ob, inwieweit und wann ein Spieler in das Training bzw. den Wettkampf zurückgeführt werden kann, beinhaltet.
Hochindividualisierte, indikationsspezifische Strategien
Übergeordnetes Ziel eines erfolgreichen RTP ist es, den verletzten Spieler so schnell wie möglich in den Spielbetrieb zurückzuführen, gleichzeitig jedoch das Rezidivrisiko zu minimieren. Dies geschieht in einem Umfeld, in dem Trainer und Spieler permanentem Druck ausgesetzt sind, Zeit stets der limitierende Faktor ist und eine Vielzahl von Kontextfaktoren [4] so genannte Standardkonzepte verbieten. Der beschriebene Ansatz berücksichtigt demnach hochindividualisierte, indikationsspezifische Strategien anstelle eines „one fits all“ Gedanken. Folgende Bausteine formen dabei die Basis für eine differenzierte RTP-Planung:
- verletzungsspezifische points of interest (POI)
- Workload des Spielers
- Baselinetestungen
Verletzungsspezifische POI
Die Kenntnis bzw. das Verständnis des Verletzungsmechanismus ist von grundlegendem Interesse und erlaubt in ausgewählten Fällen bereits eine grobe Einschätzung der RTP-Zeit [5], wenngleich in diesem Zusammenhang Muskel- und Gelenkverletzungen differenziert betrachtet werden müssen. Darüber hinaus kann der Entstehungshergang bestimmte Inhalte im mittelfristigen wie auch fortgeschrittenen Rehaverlauf diktieren (Übungsauswahl, Simulation der Verletzungssituation etc).
Die kinematischen und neuromuskulären Charakteristika der betroffenen Struktur stehen im Vordergrund einer komplexen Rehaplanung. Betrachtet man z. B. die Funktionsweise der hamstrings beim Sprint zeigen sich Besonderheiten bzgl. der Aktivierungsmuster von den lateralen und medialen hamstring-Muskeln [6]. Die daraus resultierenden „kritischen“ Gelenkwinkel und Geschwindigkeiten unterscheiden sich somit und müssen in Hinblick auf Entscheidungskriterien entsprechend berücksichtigt werden. Eine passende Übungsauswahl, damit einhergehende Progressionen bzw. das Wissen um Synergismen sind hierbei Voraussetzungen für die optimale Heilung der verletzten Struktur. Hinsichtlich einer adäquaten Objektivierbarkeit der Intervention bietet sich in diesem Zusammenhang der Einsatz von EMG-Technologie an. Mittels entsprechender Ableitungen können Aktivierungsmuster dargestellt und interpretiert werden. Der Nutzen von einem Biofeedback-Training ist hierbei unumstritten. Abb. 1 und 2 zeigen den Einsatz eines EMG-Systems bei einem Spieler nach einer schweren hamstring Verletzung.
In Hinblick auf den Komplex der Muskelverletzungen stellen die morphologischen wie auch funktionellen Besonderheiten einen weiteren verletzungspezifischen POI dar. Aspekte wie Faserzusammensetzung, Muskelarchitektur oder Querschnittsfläche bzw. die daraus resultierenden Funktions- und Wirkweisen bestimmen den Rehaansatz. Ein Beispiel ist hier die Komplexität des triceps-surae Komplex: beide Muskeln, soleus und gastrocnemius weisen spezielle morphologische sowie funktionelle Charakteristika auf und sollten demnach differenziert behandelt werden [7]. Ferner spielt auch hier die Überlegung, inwieweit Aufgaben der verletzten Struktur in einem synergistischen Zusammenspiel kompensiert werden können, eine Rolle. Vor allem letztgenannter Aspekt sollte bei der Einschätzung hinsichtlich der RTP-Zeit herangezogen werden.
Risikofaktoren für Verletzungen sind sensible Kriterien und von herausragender Bedeutung, sowohl in der Prävention als auch Rehabilitation. Unterschieden wird zwischen extrinsischen und intrinsischen sowie modifizierbaren und nicht modifizierbaren Risikofaktoren [8, 9]. Da jede Verletzung spezifische Risikofaktoren aufweist, sollten Präventions- und Rehaprogramme ebenso spezifisch sowie multifaktoriell sein [10]. Bezogen auf das beschriebene RTP-Konzept dienen ausgewählte Faktoren als inhaltliche Leitlinie wie auch Entscheidungskriterium.
Rezidivverletzungen stellen eine große Herausforderung dar und beeinflussen die RTP-Zeiten in der Regel maßgeblich [11]. Die Kenntnis des Spielers, seiner Belastungsstruktur, seiner Verletzungshistorie, sich daraus ergebende Kompensationsmuster sollten besondere Aufmerksamkeit erfahren und sind im Sinne einer Ursachenforschung von großer Relevanz. Demnach kann es im individuellen Fall zur Definition alternativer RTP-Meilensteine kommen.
Workload
Der Workload definiert sich als Akkumulation belastungsrelevanter Parameter, welche der Spieler im Training bzw. Spiel generiert. Seine Analyse sowie Interpretation stellt die wesentliche Herausforderung im aktuellen wie auch mittel- bzw. langfristigem Belastungsaufbau dar. Der signifikante Zusammenhang von Belastungsspitzen und einem erhöhten Verletzungsrisiko wurde dabei mehrfach dargestellt [12]. Wenngleich das von Gabbett [13] beschriebene acute:chronic workload ratio unstrittig im täglichen Belastungsmanagement ist, kann es im RTP-Rahmen nur bedingt zur Anwendung kommen. Vor allem hinsichtlich sogenannter Kurzzeitverletzungen (< 4 Wochen) liefert es wenig Aufschluss hinsichtlich Planung bzw. Progressionen. Vielmehr gilt es hier, die Belastung dem Heilungsverlauf entsprechend graduell sowie differenziert zu steigern. Ist dieser entsprechend fortgeschritten, spielen folgende Überlegungen eine übergeordnete Rolle:
- Wie definiert sich der wöchentliche Workload des Spielers?
- Wie definiert sich der Game-Workload des Spielers?
Ausgehend davon kann eine Ziel-Belastungsstruktur formuliert werden, die im Rahmen einer komplexen Periodisierung sukzessive umgesetzt wird. Im Verlauf des RTP-Prozesses sollten so Belastungsreserven geschaffen werden, welche a) verletzungsspezifisch sind und b) mögliche (zu) hohe Belastungssprünge während der Re-Integration ermöglichen. Verletzungsspezifik bedeutet, dass z. B. bei hamstring-Verletzungen der Aspekt „high speed running“ akzentuiert wird. Bei Verletzungen der Adduktoren sind es multidirektionale Bewegungsmuster sowie Schussaktionen, wohingegen bei rectus-femoris Verletzungen Abbremsbewegungen wie auch Schussaktionen im Vordergrund stehen. Reserve meint in diesem Zusammenhang, dass im Laufe der Reha teilweise mehr an Belastung akkumuliert wird als der Spieler normalerweise erfährt. Neben den Daten, die moderne GPS-Systeme liefern, sollte ferner ein Augenmerk auf das metabolische Anforderungsprofil gelegt werden, da eine gute konditionelle Grundlage respektive Regenerationsfähigkeit eine gewisse Resilienz in Bezug auf Rezidive bedeutet. Demzufolge sollte neben der datenbasierten Bewertung stets die lokale wie auch allgemeine physiologische Adaptation als Kriterium herangezogen werden.
Baselinetestungen
So genannte Baselinetestungen sind synonym zur Leistungs- und Funktionsdiagnostik, welche zu Beginn der Saison stattfindet und beinhalten sowohl Screening- als auch sportmotorische Testverfahren. Sie ermöglichen zunächst die Evaluation von Stärken wie auch Defiziten, welche als Grundlage bei der Erstellung individualisierter Präventionsstrategien dienen. Erfahrungsgemäß hat jeder Verein, ausgehend von den zu Grunde liegenden Trainings- und Testphilosophien, seine spezifischen Testschemata. Wenn möglich sollten die Testungen nicht nur auf den Zeitpunkt des Saisonauftakts beschränkt werden. Vielmehr sollten Re-Testungen im Saisonverlauf implementiert werden, sodass Interventionen angepasst und Daten nachhaltig im Längsschnitt erfasst werden können. Ausgewählte Daten können so zur Entscheidungsfindung im RTP-Prozess herangezogen werden. Darüber hinaus vereinfacht eine solche Testkultur Verlaufsmessungen im Sinne der Sekundärprävention umzusetzen.
Fazit
Im Kontext der modernen Sportmedizin sollte es keine allgemeingültigen RTP-Algorithmen geben. Jede Verletzung erfordert eine indikationsspezifische Herangehensweise, welche wiederum von Spieler zu Spieler variieren kann. Kriterien sollten differenziert sowie systematisch und nicht auf der Basis genereller Testprocedere definiert werden. RTP ist ein komplexer Prozess, in welchem die Summe aus zweckmäßigen Diagnostikverfahren, dem generierten Workload und (falls sinnvoll) ausgewählten Baselinetestungen bewertet wird. Darüber hinaus sollte jede Trainingseinheit, jede Progression sowie die Reaktion auf neue Inhalte als wertvolle Diagnostik genutzt und interpretiert werden.
Literatur
[1] Ekstrand, J., et al., Injury rates decreased in men’s professional football: an 18-year prospective cohort study of almost 12 000 injuries sustained during 1.8 million hours of play. British journal of sports medicine, 2021. 55(19): p. 1084 – 1092.
[2] Eirale, C., et al., Low injury rate strongly correlates with team success in Qatari professional football. British journal of sports medicine, 2013. 47(12): p. 807 – 808
[3] Eliakim, E., et al., Estimation of injury costs: Financial damage of English Premier League teams’ underachievement due to injuries, BMJ Open Sport & Exercise Medicine 2020. 6:e000675. doi: 10.1136/bmjsem-2019-000675
[4] Taberner, M., et al., Contextual considerations using the ‘control-chaos continuum’ for return to sport in elite football – Part 1: Load planning, Physical therapy in sport: official journal of the Association of Chartered Physiotherapists in Sports Medicine, 2021. 53(9): p. 67 – 74
[5] Green, B., et al., Return to Play and Recurrence After Calf Muscle Strain Injuries in Elite Australian Football Players, The American Journal of Sports Medicine, 2020. 48(13): 3306 – 3315
[6] Higashihara, A., et al., Differences in hamstring activation characteristics between the acceleration and maximum-speed phases of sprinting, Journal of Sports Sciences, 2017. 36(12): p. 1313 – 1318
[7] Green, B., et al., Calf muscle strain injuries in elite Australian Football players: A descriptive epidemiological evaluation, Scandinavian Journal of Medicine and Science in Sports, 2019. 30(1): p. 174 – 184
[8] Lathi, J., et al., A novel multifactorial hamstring screening protocol: association with hamstring muscle injuries in professional football (soccer) – a prospective cohort study, Biology of Sport, 2022. 39(4): p. 1021 – 1031
[9] Stege, J. P., et al., Risk factors for injuries in male professional soccer: a systematic review, British Journal of Sports Medicine, 2011. 45(4): p. 375 – 376
[10] Taberner, M., et al., Progressing rehabilitation after injury: Consider the ‘ control-chaos continuum’ British Journal of Sports Medicine, 2019, 53(18): p. 1132 – 1136
[11] Ekstrand, J., et al., Time before return to play for the most common injuries in professional football: a 16-year follow-up of the UEFA elite Club injury study. British journal of sports medicine, 2020. 54(7): p. 421 – 426
[12] Blanch, P., et al., Has the athlete trained enough to return to play safely? The acute:chronic workload ratio permits clinicians to quantify a player’s risk of subsequent injury, British Journal of Sports Medicine, 2016. 50(8):471 – 475
[13] Gabbett, T., The training—injury prevention paradox: should athletes be training smarter and harder? British journal of sports medicine, 2016. 50(5): p. 273 – 280.
Autoren
ist Diplom-Sportwissenschaftler (DSHS Köln) mit Studienschwerpunkt Prävention und Rehabilitation. In den letzten Jahren war er als Athletiktrainer für die Themen Return to Play, Leistungsdiagnostik sowie die individuelle Belastungsplanung und Steuerung bei Borussia VFL 1900 Mönchengladbach (Lizenz) verantwortlich. Seit dieser Saison ist er in ltd. Position verantwortlich für die Bereiche Athletik, Prävention und Rehabilitation.