Prof. Dr. Klaus Baum1 Dr. Uwe Hoffmann1, Dr. med. Fritjof Bock2
1Institut für Physiologie und Anatomie, Deutsche Sporthochschule Köln
2 Orthopädisches Zentrum Am Grünen Turm Ravensburg
Die Bedeutung von gezielten körperlichen Aktivitäten als nicht-operative, nicht-pharmakologische Behandlung von Rückenschmerzen scheint von der Dauer der tatsächlichen Schmerzepisode (akut – bis 6 Wochen, subakut – 7–12 Wochen, chronisch – mehr als 12 Wochen) abhängig zu sein. Eine beträchtliche Anzahl von Übersichtsartikeln kommt zu dem Schluss, dass in der akuten Phase gezielte körperliche Übungen der Aufrechterhaltung alltäglicher Aktivitäten oder anderer konservativer Behandlungen nicht überlegen sind [1–6].
Im Gegensatz dazu empfahlen die gleichen Arbeiten die Übungen als ein wichtiges Instrument zur Behandlung von Rückenschmerzen im chronischen Stadium. Ähnliche Empfehlungen wurden in einer aktuellen Leitlinie für nichtinvasive Behandlungen bei unspezifischen Rückenschmerzen gegeben [7]. Eine große Schwierigkeit bei der Beurteilung der Wirksamkeit von körperlichem Training bei der Behandlung von Rückenschmerzen ist jedoch die große Bandbreite von Maßnahmen, die unter dem englischen Begriff „Exercise“ zusammengefasst sind. Sie reichen von Tai Chi [8–10], Pilates [11–13], Vibrationstraining [14, 15], Nordic Walking [16, 17], Aquagymnastik [18-20], Stretching [21, 22] und Krafttraining [23-25] zu gemischten Typen [26, 27]. Solche heterogenen und teilweise unspezifischen Behandlungen werden kaum zu vergleichbaren Wirkungen führen. Darüber hinaus unterscheiden sich selbst innerhalb einer gegebenen Trainingsform die Normwerte wie die Belastungsintensität, das Pausen-Aktivitäts-Verhältnis oder die Anzahl der wöchentlichen Trainingseinheiten von Studie zu Studie. Diese Unterschiede führen zu einer begrenzten Anzahl vergleichbarer Behandlungen und daher zu einer begrenzten Anzahl ähnlich behandelter Patienten. Dies könnte der Grund dafür sein, dass ein aktueller Cochrane Review die Evidenz für gezielte körperliche Aktivität als Therapie auch bei chronischen Schmerzpatienten als gering einstuft [28].
In der vorliegenden Studie wurden die Auswirkungen einer medizinischen Trainingstherapie bei Patienten mit unspezifischen Rückenschmerzen auf die Schmerzintensität und die gesundheitsbezogene Lebensqualität untersucht. Dazu wurde ein strukturierter Kraft-Ausdauer-Zirkel multizentrisch, randomisiert und kontrolliert eingesetzt. Erwachsene Patienten mit unspezifischen Rückenschmerzen im akuten, subakuten und chronischen Stadium wurden rekrutiert.
Methode
Der empirische Teil der Studie fand vom 15. August bis 15. Dezember 2017 statt. 67 Einrichtungen der Deutschen Physio Aktiv GmbH Gruppe waren als Zentren beteiligt. Zunächst wurden alle teilnehmenden Mitarbeiter gründlich über Verfahren, Inhalte und Endpunkte der Untersuchung informiert. Jedes Zentrum musste Patienten sowohl für das Training als auch für die Kontrollgruppe aufnehmen. Da bei den Probanden der Trainingsgruppe ein höherer Dropout erwartet wurde, war eine 2:1 Relation zwischen Trainings- und Kontrollteilnehmern vorgesehen. Über die chronologische Reihenfolge, in der die Patienten die einzelnen Zentren betraten, wurde eine Quasi-Randomisierung erreicht: Die ersten beiden Patienten wurden der Trainingsgruppe zugeordnet, der dritte der Kontrollgruppe und so weiter. Die individuelle Studiendauer betrug acht Wochen mit Online-Fragebögen vor, nach vier und nach acht Wochen. Das Training war in allen Einrichtungen identisch und bestand aus einem Kraft-Ausdauer-Zirkel mit zwei Einheiten pro Woche. Am Ende der Intervention wurden alle Patienten ausgewertet, die mindestens 13 Einheiten absolviert hatten. Die Teilnehmer der Kontrollgruppe wurden gemäß der aktuellen Leitlinien beraten und sollten den Alltag aktiv gestalten.
Patienten
Die Patienten wurden durch lokale Anzeigen rekrutiert. Die Ein- und Ausschlusskriterien waren wie folgt:
Einschlusskriterien Alter > 18 Jahre, unspezifische Schmerzen im unteren Rückenbereich (definiert als der Bereich von der Gesäßfalte bis zur unteren Rippe [26]), Rückenschmerzen mit und ohne Ausstrahlung in die Beine, Beherrschung der deutschen Sprache (aufgrund der Fragebögen)
Ausschlusskriterien ehemalige Rückenoperation, spezifische Rückenschmerzen wie Bandscheibenvorfall, Fraktur, Vertebrostenose, Metastasen, neurologische Störungen, Schlaganfall, Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Schwangerschaft, mehr als eine Woche Abwesenheit während des Studienzeitraums
Patienten, die alle Kriterien erfüllten und der Teilnahme zugestimmt hatten, wurden nach mündlicher und schriftlicher Einverständniserklärung eingeschlossen. Zu Beginn nahmen 1.147 Patienten an der Studie teil. Am Ende der Studie konnten 864 Patienten ausgewertet werden, das entspricht 84,6 % der Probanden in der Kontrollgruppe und 70 % in der Trainingsgruppe.
Training
Trainingsgeräte und Trainingsdauer Der Kraft-Ausdauer-Zirkel bestand aus zehn Stationen mit sechs elektronischen Geräten (Rumpfstrecker, Rumpfbeuger, Rudergerät, Beinstrecker, Beinbeuger, Brustpresse), zwei Seilzügen (Rumpfrotation, Rumpfseitenflexion) und zwei Ausdauergeräten (Crosstrainer, stationäres Fahrrad). Für die ersten acht Geräte wurde die Trainingszeit auf eine Minute und für die Ausdauergeräte auf vier Minuten gesetzt. Die Probanden pausierten 30 sec lang zwischen allen Stationen. Der Zirkel wurde zweimal pro Sitzung durchgeführt, was zu einer Gesamttrainingszeit von 42 min pro Einheit führte. Bis auf die Seilzüge wurden alle Geräte von milon industries GmbH hergestellt. Alle Geräte sind nach DIN 9001 zertifiziert.
Trainingsintensitäten Bei den Kraftgeräten mussten die Probanden 1,5 sec im konzentrischen und exzentrischen Modus mit einer subjektiven Intensität von 7–8 auf einer 0-10-Skala kontrahieren (0 = keine Anstrengung, 10 = maximale Anstrengung). Die Lasten wurden während einer ersten Eingewöhnungssitzung angepasst und bis zur 6. Sitzung konstant gehalten. Danach konnten die Belastungen erhöht werden, um die subjektiven 70 % bis 80 % der maximalen Anstrengung während der verbleibenden Trainingsdauer zu erreichen. Die Belastung der Ausdauergeräte wurde mittels der Formel über die Herzfrequenz (HF) eingestellt
HFTraining = (220-Lebensalter) x 0,65
Ergebnisse & Diskussion
Schmerzintensität: In der Trainingsgruppe sank die mittlere Schmerzintensität signifikant von initial 50 + 21 auf 32 + 23 und 26 + 23 nach 4 bzw. 8 Wochen. Signifikante Reduktionen wurden auch für den geringsten Schmerz von 22 + 20 auf 16 + 18 (T4) und 14 + 18 (T8) beobachtet. Auch in der Kontrollgruppe wurde eine leichte Linderung der mittleren Schmerzen von initial 47 + 20 auf 45 + 25 (T4) und 43 + 26 (T8) gefunden.
Gesundheitsbezogene Lebensqualität Sowohl die körperliche als auch die mentale Lebensqualität war initial zwischen Kontrolle (körperlich: 37,8 + 9,1; mental: 52,9 + 11,2) und Trainingsgruppe (körperlich: 38,4 + 8,9; mental: 53,2 + 11) vergleichbar. Die Trainingsintervention führte zu einer signifikant verbesserten PQL, hatte aber keinen Einfluss auf MQL. PQL und MQL haben sich in der Kontrollgruppe nicht signifikant verändert.
Schmerzintensität und gesundheitsbezogene Lebensqualität Der Hauptbefund der vorliegenden Studie ist, dass ein achtwöchiges, strukturiertes und kontrolliertes Kraft-Ausdauer-Training zu einer signifikanten Reduktion von akuten, subakuten und chronischen Rückenschmerzen führt. In der Kontrollgruppe der akuten Rückenschmerz-Patienten nahmen die mittleren Schmerzen auch nach 8 Wochen signifikant ab. Dieser Effekt konnte jedoch bei T4 noch nicht erreicht werden und selbst bei T8 war die Schmerzreduktion weit davon entfernt, klinisch relevant zu sein. Eine klinisch relevante Reduktion wurde auch bei den subakuten Patienten der Kontrollgruppe nicht erreicht. Die chronischen Patienten der Kontrollgruppe verbesserten sich in keiner Weise. Im Gegensatz dazu ist der Effekt in allen drei Trainingsgruppen nicht nur signifikant, sondern auch klinisch relevant: Basierend auf einer Literaturquelle, die sich mit verschiedenen chronischen Schmerzformen befasst [29], setzen Hayden et al. [30] eine Schmerzreduktion von mehr als 20 Punkten (auf einer Skala von 0 bis 100) als klinisch relevanten Unterschied für Patienten mit Rückenschmerzen an. In der vorliegenden Untersuchung betrugen die mittleren Schmerzreduktionen am Ende der Behandlung 29 Punkte, 30 Punkte und 22 Punkte für akute, subakute und chronische Rückenschmerzen. Gleichzeitig stieg die gesundheitsbezogene Lebensqualität in allen drei Gruppen signifikant an.
Während die Ergebnisse für die subakuten und chronischen Stadien mit der bestehenden Literatur übereinstimmen, scheinen die Ergebnisse der akuten Phase auf den ersten Blick in starkem Widerspruch zu früheren Befunden zu stehen: Die europäischen Leitlinien für die Behandlung von akuten unspezifischen Rückenschmerzen in der Primärversorgung [2] empfehlen: „Spezifische Übungen (z. B. Kräftigungs-, Dehnungs-, Ausdauerübungen) für akute Kreuzschmerzen sollten nicht empfohlen werden“ (Empfehlung T4). Die kürzlich erschienene amerikanische Version (American College of Physicians Practice Guideline on Noninvasive Treatments [31]) rät ebenfalls vom Training als Akut-Phase-Behandlung ab. Diese Aussagen basieren auf systematischen Übersichtsarbeiten. Ein wichtiges Fundament dieses Ansatzes ist die Meta-Analyse von Hayden et al. [30], die elf Originalartikel enthält, die sich mit körperlichen Aktivitäten bei Patienten mit akuten Rückenschmerzen befassten. Keiner dieser Artikel gab jedoch eine nachvollziehbare Beschreibung der Trainingsmethode. Entweder wurden Intensität, die Anzahl der Wiederholungen, die Anzahl der Sätze oder Kombinationen dieser Parameter nicht erwähnt. Darüber hinaus konzentrierten sich fünf Publikationen ausschließlich auf die Behandlung einer Muskelgruppe [32–36]. In vier Studien wurden die Patienten lediglich angewiesen, unbeaufsichtigte Heimübungen durchzuführen [35–38] und in einer Studie wurden manipulative physiotherapeutische Behandlungen angewendet. Bemerkenswert ist auch das Zahlenverhältnis der Artikel in der Meta-Analyse von Hayden et al. [30] mit 1:4 für akute und chronische Rückenschmerzen. Insgesamt ist die vorhandene Literatur zu körperlichen Übungen bei akuten Kreuzschmerzen im Gegensatz zu chronischen Kreuzschmerzen gering und die Qualität in Bezug auf die Trainingsmethode als unzureichend zu betrachten.
Fazit
Zusammenfassend führt ein 8-wöchiges strukturiertes Kraft-Ausdauer-Trainingsprogramm zu einer signifikanten und klinisch bedeutsamen Reduktion von unspezifischen Kreuzschmerzen und einer signifikanten Steigerung der gesundheitsbezogenen körperlichen Lebensqualität im akuten, subakuten und chronischen Stadium. Als Konsequenz sollten die Leitlinien zur Behandlung von akuten, unspezifischen Rückenschmerzen überarbeitet werden.
Literatur beim Verfasser
Originalarbeit: Baum et al.; JALSI, 17(4): 1–13, 2018
Autoren
absolvierte ein Sportstudium an der DSHS Köln sowie ein Biologiestudium an der Universität zu Köln. Er ist apl. Professor an der DSHS Köln und seit 2000 Leiter des privatrechtlichen Trainingsinstituts Prof. Dr. Baum, Köln. Außerdem ist er Dozent an der Trainerakademie, Ausbildungsgang Diplomtrainer, seit 2011 Modulleiter an der DSHS Köln, außeruniversitärer Masterstudiengang Sportphysiotherapie und betreute als Athletik-Coach zahlreiche Mannschaften, u.a. die deutsche Handball-Nationalmannschaft Frauen 2017-2018.