Die Haltung im performance-orientierten Sportklettern adaptiert mit der Zeit. Die thorakolumbale Faszie wirkt dabei neben ihrem Beitrag zur Leistungsentwicklung der Muskulatur potenziell schmerzfördernd. Neuere Forschung zeigt auf, dass ebensolche fasziale Strukturen unter negativen emotionalen Einflüssen versteifen. Nachfolgende integrative Einzelfallstudie stellt die komplexe Verknüpfung dieser Parameter naturalistisch anhand eines Sportkletterers dar.
Die Gleitfähigkeit und Verformbarkeit der thorakolumbalen Faszie (TLF) sind unter pathologischen Umständen erheblich reduziert, was in dem reichlich innervierten Gewebe zur Reizung freier nozizeptiver Nervenenden führt [1, 2]. Etwa 40 % der gesamten TLF-Innervation besteht aus postganglionären sympathischen Fasern, die vasokonstriktorisch wirken und unter negativen emotionalen Einflüssen die biomechanischen Eigenschaften verändern könnten [3]. So zeigten sich bei Menschen mit Major Depression eine reduzierte Elastizität und höhere Steifigkeit des myofaszialen Gewebes [4]. Es gibt vermehrt Hinweise darauf, dass die TLF nicht nur bei pathologischen Bedingungen eine wichtige Rolle spielt, sondern auch einen erheblichen Performancefaktor im Sport darstellt [5, 6]. Nach Stand der Forschung stellt sich die Frage, ob hier Verbindungen zwischen Stress, dem Autonomen Nervensystem (ANS) und der TLF bestehen. Bisherige Arbeiten zeigten, dass Stressreaktionen des ANS hochdynamisch und nicht zeitlich synchron auftreten [7]. Darüber hinaus reagiert ein lebendiger Organismus anders in seinem natürlichen Umfeld, als im Laborsetting [8]. Seit Ende der 1990er Jahre existiert mit der „Integrativen Einzelfallstudie“ ein Forschungsansatz, der eigens zur Untersuchung komplexer psychoneuroimmunologischer Zusammenhänge unter Echtzeitbedingungen des Alltags („Life as it lived“) entwickelt wurde. Dieses Forschungsdesign basiert auf der Annahme, dass ein naturalistischer n-of-one Ansatz validere Einblicke in die komplexen psychosomatischen Dynamiken ermöglicht, als dies z. B. konventionelle Forschungsdesigns (z. B. RCT) können, die auf psychologisch normierte und zeitsynchrone Zusammenhänge fokussieren [9].
Fallschilderung
Der Studienteilnehmer war ein 50-jähriger (25 Jahre Klettererfahrung; Größe: 1,85 m; Gewicht: 74 kg; BMI: 21,62 kg/m2; Körperfettanteil: 11,5 %) moderat performance-orientierter Sportkletterer. Seine Maximalleistung im UIAA (Union Internationale des Associations d‘Alpinisme) Klettergrad betrug 9. Der Beobachtungszeitraum umfasste 30 Tage und korrespondierte mit einem Meso-Trainingszyklus mit einem wöchentlichen Umfang von 14 ± 1.2 Stunden (jeweils 3 Stunden Seilklettern; 2 x 2,5 Stunden Bouldern; 3 Stunden Krafttraining; 1 Stunde Ausgleichstraining; 2 Stunden Grundlagenausdauer). Der Studienteilnehmer wurde dabei täglich zusätzlich zu einer morgendlichen Ruhe-Herzfrequenz-Variabilitäts (HRV)-Messung zu Stressoren befragt (Daily Inventory of Stressful Events; DISE) und die Gleit- und Deformierfähigkeit der TLF (TLFD) mittels Ultraschall erfasst. Zusätzlich dokumentierte er die tägliche Trainingsbelastung (Rating of Perceived Exertion; RPE).
Datenauswertung und Analyse
Anhand der HRV-Messungen wurden Parametercluster gebildet, die prädominant parasympathische und sympathische Nervensystemaktivität repräsentierten. Die einzelnen Zeitreihen (DISE, TLFD, RPE, HRV) wurden mit Kreuzkorrelationsanalysen hinsichtlich signifikanter Beziehungen, unter Berücksichtigung potenzieller zeitlicher Verzögerungseffekte, ausgewertet.
Für signifikante Korrelationen wurde mittels einer Mediationsanalyse untersucht, inwieweit ein Effekt des DISE über das ANS auf die TLFD vermittelt wird. In anderen Worten, ob Alltagsstress womöglich die sympathischen Nervenfasern innerhalb der Faszien aktiviert und deren Gleit- und Deformierfähigkeit herabsetzt.
Ergebnisse
Sowohl das sympathische als auch das parasympathische Nervensystem waren mit der TLFD und dem DISE kreuzkorreliert. Eine höhere sympathische Aktivität reduzierte unmittelbar die TLFD (r -0,50 – -0,65; alle p < 0,002; Abb. 1) und mediierte dabei den Effekt eines Stressereignisses (DISE-Score = 16) mit einer zweitägigen Verzögerung (Anteil Mediation: 98 %; p = 0,020). Sieben Tage nach einem Stressereignis mediierte die parasympathische Koaktivierung eine gesteigerte TLFD (Anteil Mediation: 90 %; p = 0,048). Die RPE zeigte keine signifikanten Kreuzkorrelationen mit der TLFD oder dem DISE auf (alle p > 0,05).

Diskussion
Während eines Mesozyklus eines Sportkletterers, der im Rahmen dieser integrativen Einzelfallstudie untersucht wurde, konnte zum Teil eine dramatische Reduktion der TLFD von 19 mm von einem auf den anderen Tag beobachtet werden, die mit einer dreifach erhöhten sympathischen Aktivität einherging. Es ist bekannt, dass eine sympathikotone Verschiebung im ANS die vaskuläre Permeabilität innerhalb des subkutanen Fettgewebes verändert, was mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gleiteigenschaften der TLF gegenüber ihrer umliegenden Gewebe beeinträchtigt [10]. So könnte u. a. ein Verlust an Interzellularflüssigkeit die Viskosität von Hyaluronan, welches in den losen Bindegewebsschichten für gute Gleiteigenschaften sorgt, reduzieren und hydrodynamisch mehr Reibung bei Bewegungen, z. B. zwischen der TLF und dem M. erector spinae oder den darüberliegenden Schichten aus Haut und Unterhautfettgewebe, erzeugen [11]. Überraschend kam es fünf Tage nach der ersten Gewebereaktion auf eine sympathische Aktivierung zu einer Zunahme der TLFD, was so, nach Wissen der Autoren, bisher noch in keiner Studie zu beobachten war. Dieser Effekt wurde vor allem durch die parasympathische Koaktivierung bedingt. Hier könnte eine parasympathikusvermittelte Flüssikeitszunahme im Interstitium mit verbesserten Gewebegleiteigenschaften eine Gegenreaktion darstellen, die als eine Art Superkompensation beschrieben werden kann [12].

Die Mediationsanalyse zeigte, dass die vorgenannten ANS-Reaktionen durch erhebliche Stressoren ausgelöst wurden. Der Sportkletterer, der hier untersucht wurde, hatte während des Studienzeitraumes zwei emotional belastende Auseinandersetzungen mit engen Familienmitgliedern, die im DISE mit einem Score von 16 zwei erhebliche Peaks darstellten und sich deutlich von anderen Messungen unterschieden. Der darauffolgende massive Verlust der Fähigkeit der Faszien zu deformieren und gegenüber ihren umliegenden Geweben frei zu gleiten, wurde dabei zu 98 % von der emotionalen Belastung bedingt. Dieser Mechanismus war jedoch begleitet von einer Koaktivierung des parasympathischen Nervensystems, welche zu 90 % eine Verbesserung der biomechanischen Gleiteigenschaften der Gewebe sieben Tage nach dem Stressereignis mediierte. Eine solche Reaktion geht mit großer Wahrscheinlichkeit mit einer Reduktion proinflammatorischer Zytokine wie Interleukin-6 (IL-6), Interleukin-1ß (IL-1ß) und Tumor-Nekrose-Faktor (TNF) einher [13]. Die Autoren vermuten hier eine parasympathische Gegenreaktion zur Eindämmung eines stressorgetriebenen systemischen Entzündungsgeschehens. Diese Erkenntnisse stärken frühere Studien, die die TLF bzw. das Fasziensystem als Performancefaktor im Sport identifizierten und zeigen deutlich den Einfluss von Stressereignissen [5, 6]. Diese beeinflussen nicht nur negativ die Leistung, sondern erhöhen das Verletzungsrisiko und die Anfälligkeit gegenüber Infektionen. Betreuende sowohl im ambitionierten Hobbysport wie auch insbesondere im Leistungssport sollten sich daher der psychoneuroimmunologischen Mechanismen von ANS und Gewebe bewusst sein.
Ermöglicht wurden die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit durch eine spezifische biopsychosoziale Herangehensweise, die unter ökologisch höchst validen Bedingungen Bedeutung und Dynamik von Lebensprozessen am Einzelfall untersuchte.
Wir sind davon überzeugt, dass die wissenschaftliche Untersuchung komplexer Zusammenhänge in der Sportmedizin – und nichts anderes sollte deren Agenda sein – in idiografisch-induktiver Weise erfolgen muss, um belastbare Erkenntnisse zu ermöglichen. Mit dem Design der integrativen Einzelfallstudie haben wir einen ersten Vorschlag für die empirische Umsetzung dieses neuen Forschungsparadigmas gemacht [9].
Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassung des Artikels: Brandl A, Engel R, Egner C, Schleip R, Schubert C. Relations between daily stressful events, exertion, heart rate variability, and thoracolumbar fascia deformability: a case report. J Med Case Reports. 2024;18:589.
Literatur
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Autoren
ist Sport- und Therapiewissenschaftler. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der TUM School of Medicine and Health der Technischen Universität München. Als Mitglied der Fascia Research Group forscht er zum Themenkomplex Muskeln, Faszien und Autonomes Nervensystem.
ist Arzt, Klinischer und Gesundheitspsychologe und Ärztlicher Psychotherapeut. Er ist Universitätsprofessor an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie der Medizinischen Universität Innsbruck. Dort leitet er ein Labor für Psychoneuroimmunologie. Sein wiss. Schwerpunkt ist die Entwicklung eines Forschungsansatzes zur Untersuchung von psychosomatischer Komplexität („Integrative Einzelfallstudien“).