Ist Ihnen auch schon einmal aufgefallen, dass bei fast allen Veranstaltungen zur Sportmedizin (Kongresse, Symposien, Fortbildungsveranstaltungen etc.) über Therapieerfolge bei Profisportlerinnen bzw. -sportlern berichtet wird, aber fast nie im Kontext von klinischen Studien? Dafür gibt es viele nachvollziehbare Gründe, aber unser Wissen über optimierte Therapien bei diesen Patientinnen bzw. Patienten bleibt dadurch limitiert.
Umso größer war meine Freude, als Javier Crupnik aus Buenos Aires / Argentinien vor einigen Jahren mit der Frage an mich herangetreten ist, ob ich bei seiner Doktorarbeit in der Sportmedizin als Co-Supervisor dabei sein könnte. Nun ist Javier Crupnik ist nicht irgendwer; er war u. a. der leitende Physiotherapeut der Herren-Volleyballnationalmannschaft Argentiniens. Seine vielfältigen Kontakte in den argentinischen Profisport haben es ihm dann ermöglicht, Spielerinnen und Spieler eines prominenten Vereins in der Provinz Buenos Aires, die akute Verletzungen der ischiokruralen Muskulatur des Typs 3b nach Müller-Wohlfahrt erlitten hatten, im Rahmen einer randomisiert-kontrollierten Studie zu behandeln. Alle Patientinnen bzw. Patienten waren auf dem Niveau US-amerikanischer College-Athletinnen bzw. -Athlethen und hatten z. B. Stipendien für ihr Studium.
Nun wollten wir es wirklich wissen: was kann eine radiale Stoßwellentherapie (rESWT) (3x pro Woche, insgesamt 9 Therapiesitzungen) bei derartigen Verletzungen als add-on zu einem absoluten high-end Physiotherapie- und Rehabilitationsprogramm bewirken? Es ist sicher kein Geheimnis, dass die Bedingungen in Buenos Aires ungleich schwerer sind als bei uns in Deutschland. Dank großzügiger Förderung durch Robert Erbeldinger (sportärztezeitung; Mainz) und Berthold Nickl (PRO Profil Gesellschaft für individuelles Karrieremanagement mbH; Putzbrunn bei München) konnten wir die Studie aber auf extrem hohem Niveau durchführen.
Und wir wurden nicht enttäuscht. Eine mittlere time to return to sport von 28,3 ± 4,5 Tage (Mittelwert ± Standardabweichung), erzielt nur durch das high-end Physiotherapie- und Rehabilitationsprogramm, war bisher in der internationalen Literatur nicht berichtet worden; viele berichtete mittlere times to return to sport liegen teilweise wesentlich höher. Und die rESWT konnte hier sogar noch „einen drauflegen“ und drückte die mittlere time to return to sport auf 25,4 ± 3,5 Tage. Die rESWT hat die Physiotherapie und das Rehabilitationsprogramm also keinesfalls ersetzt, sondern sinnvoll ergänzt.
Nun kann man argumentieren, dass die Verkürzung der mittleren time to return to sport um drei Tage nicht wirklich wesentlich ist und man sich den zusätzlichen Aufwand für die rESWT auch sparen kann. In vielen Fällen geht es aber (wiederum aus unterschiedlichen Gründen) um jeden einzelnen Tag, und ab einem Jahresgehalt der Athletin bzw. des Athleten von 250.000 US$ oder Euro lohnt sich der zusätzliche Aufwand für die rESWT für den Verein auch finanziell.
Es war eine tolle Zeit mit Javier, und wir alle sagen „Buenos días Argentina y gracias al Dr. Crupnik!“
Eine weitere hier besprochene Studie war weitaus weniger spektakulär, aber durchaus von gleicher Relevanz, wenn auch für eine völlig andere Patientengruppe. Bei Patienten mit Tendinopathien der Supraspinatussehne, bei denen sich bereits Teilrisse gebildet haben, kommen oftmals verschiedene physikalische Maßnahmen wie z.B. Interferenzstromtherapie, Kurzwellendiathermie und Magnettherapie zum Einsatz, was auch gut wirkt. Der größte Nachteil dieser Therapien ist der zu betreibende Aufwand. Also sind Kolleginnen und Kollegen der besten Medical School in China (Shanghai Jiao Tong University School of Medicine) mit der Frage an mich herangetreten, ob die rESWT hier Abhilfe schaffen kann – und sie konnte. Mit 6x rESWT (einmal pro Woche mit je 5 Minuten Behandlungsdauer) konnten die Kolleginnen und Kollegen in Shanghai ein besseres Ergebnis erzielen als mit 30x physikalischer Therapie (5x pro Woche mit je 45 Minuten Behandlungsdauer). Mit anderen Worten: Behandlungsdauer rechnerisch um 98 % reduziert und trotzdem ein besseres Ergebnis erzielt… gerade in China, aber vielleicht auch bei uns, sind derartige Verbesserungen der Behandlungseffizienz von enormer Bedeutung.
STUDIEN
Kombinierte Stoßwellentherapie bei akuter Verletzung des Oberschenkelmuskels (Typ 3b)
In dieser kontrollierten Studie mit 36 semi-professionellen Sportlern (Fußball, Hockey, Rugby) wurde die Hypothese getestet, dass eine radiale extrakorporale Stoßwellentherapie (rESWT) + spezifisches Rehabilitationsprogramm (RP) effektiver ist als eine Schein (sham) rESWT + RP bei akuten Verletzungen des Oberschenkelmuskels (Typ 3b). Die Ergebnisse zeigten, dass der mediane Zeitrahmen für die Rückkehr zum Sport 25,4 Tage für die rESWT-Gruppe und 28,3 Tage für die Sham-Gruppe betrug, wobei der Unterschied statistisch signifikant war (p=0,037). Beide Gruppen hatten ähnliche Zufriedenheitswerte und nur ein Patient aus jeder Gruppe erlitt eine erneute Verletzung während der sechsmonatigen Nachbeobachtungszeit.
Radial ESWT combined with a specific rehabilitation program (rESWT + RP) is more effective than sham rESWT + RP for acute hamstring muscle complex injury type 3b: a randomized, controlled trial
Javier Crupnik, Santiago Silveti, Natalia Wajnstein, Alejandro Rolon, Tobias Wuerfel, Peter Stiller, Antoni Morral, John P. Furia, Nicola Maffulli, Christoph Schmitz
medRxiv 2025.01.03.24319763; doi: https://doi.org/10.1101/2025.01.03.24319763
Radiale extrakorporale Stoßwellentherapie bei Rotatorenmanschettenverletzungen
In der Studie wurden 60 Patienten mit Rotatorenmanschettenverletzungen ohne vollständigen Riss randomisiert entweder zur radialen extrakorporalen Stoßwellentherapie (rESWT) oder zur Behandlung mit physikalischen Therapieverfahren (PTMs) zugewiesen. Die Ergebnisse zeigten, dass die rESWT-Gruppe signifikant höhere ASES-Score und niedrigere VAS-Schmerzwerte im Vergleich zur PTM-Gruppe nach 6 und 12 Wochen aufwies. Die rESWT führte auch zu einer signifikanten Reduktion der Dicke der Supraspinatussehne und einer Erhöhung des acromiohumeralen Abstands. Die Studie legt nahe, dass rESWT eine effektivere Behandlungsmethode ist, die zudem mit einer drastischen Reduktion der Behandlungszeit einhergeht.
Radial extracorporeal shock wave therapy is more effective than a combination of physical therapy modalities for rotator cuff injury: a randomized controlled trial
Zheng Wang, Lan Tang, Ni Wang, Lihua Huang, Christoph Schmitz, Jun Zhou, Yingjie Zhao, Kang Chen, Yanhong Ma
medRxiv 2025.01.07.25320065; doi: https://doi.org/10.1101/2025.01.07.25320065
Radiale extrakorporale Stoßwellentherapie bei Achillessehnentendinopathie
Die Studie hebt hervor, dass die radiale extrakorporale Stoßwellentherapie (rESWT) eine etablierte Behandlungsmethode für Achillessehnentendinopathien darstellt. Eine aktuelle Untersuchung berichtete, dass die Hinzufügung von rESWT zu einem speziellen Trainingsprogramm keine signifikanten Verbesserungen in Bezug auf Schmerz und Funktion im Vergleich zu einer Placebo-Behandlung ergab. Der Hauptkritikpunkt der Autoren ist, dass die verwendete rESWT-Geräte-Energie wahrscheinlich zu niedrig war (Luftdruck zwischen 2 und 5 bar, 10 Hz Frequenz), um positive klinische Ergebnisse zu erzielen. Die Ergebnisse legen nahe, dass die Studie von Alsulaimani et al. die Wirkung von rESWT möglicherweise nicht vollständig abbildet, und es wird angeregt, weitere Studien zur Untersuchung der Energieflussdichte (EFD) der Gerätetechnologien durchzuführen.
Radial Extracorporeal Shock Wave Therapy for Insertional Achilles Tendinopathy: Energy Matters.
Schmitz, C.; Crupnik, J.; Morgan, D.; Silk, E.; Maffulli, N.; Morral, A.
Preprints 2025, 2025010896. https://doi.org/10.20944/preprints202501.0896.v1
Autoren
ist Inhaber des Lehrstuhls II der Anatomischen Anstalt der Ludwig-Maximilians Universität München und wissenschaftlicher Beirat der sportärztezeitung.