Die „Sportler-Schulter“ stellt ein Überlastungssyndrom bei Sportarten mit repetitiver Überkopfbelastung (Handball, Volleyball, Tennis, etc) dar. Durch eine Störung des Gleichgewichtes zwischen Beweglichkeit und Stabilität kommt es zu einer Dezentrierung des Humeruskopfes im Schultergelenk.
Hält diese muskuläre Dysbalance an, kann es zu strukturellen Pathologien kommen, die das Schultergelenk dauerhaft schädigen können und so die Karriere der Athleten in hohem Maße gefährden. Da die strukturellen, pathologischen Veränderungen sowohl zahlreich als auch morphologisch heterogen auftreten, empfiehlt sich eine Zuordnung in einzelne Strukturbereiche.
Gelenkkapsel
Das repetitive Einnehmen der maximalen Abduktion und Außenrotation im Rahmen der Wurfbewegung kann zu einer Kontraktur der posterioren Gelenkkapsel und einer Hyperlaxizität der anterioren glenohumeralen Bänder führen, was sich klinisch als glenohumerales Innenrotationsdefizit (glenohumeral internal rotation deficit; GIRD) präsentiert. Am Ende der Ausholphase kann es so zu einem pathologischen Kontakt zwischen Tuberculum majus, der artikularseitigen Rotatorenmanschette und postero-superiorem Glenoid kommen. Als Zeichen der Überlastung am posterosuperioren Humeruskopf können Knorpelschäden (Abb. 1) und intraossäre Zysten [1] als morphologisches Korrelat festgestellt werden.
Skapula
Die Übertragung kinetischer Energien vom Rumpf auf die obere Extremität bei der Überkopfbewegung erfordert eine akkurate Koordination der skapulohumeralen und skapulothorakalen Muskulatur, weswegen der Rolle der Skapula höchste Bedeutung zukommt. Skapulothorakale Dysbalancen durch Ermüdung, Trauma oder Nervenläsion führen zu Bewegungseinschränkungen und Schmerzen mit Unterbrechung des Energietransfers und damit der kinetischen Kette. Dies erfordert muskuläre Kompensationsmechanismen, die allerdings das Schultergelenk erheblich belasten und so zu einer strukturellen Schädigung führen können [2].
Bizepssehnenkomplex
Pathologien der langen Bizepssehne (LBS) treten typischerweise an folgenden Prädilektionsstellen auf:
- Ursprung am Tuberculum supraglenoidale als SLAP-Läsion (Läsionen des superioren Labrums von anterior nach posterior)
- Intraartikulärer Verlauf im Rotatorenintervall als Tendinitis oder Partialruptur
- Eintritt in den Sulcus bicipitalis als Pulley-Läsion
Die im Rahmen der Wurfbewegung auftretenden Torsionskräfte können zu einem Ablösen des superioren Labrums führen, bei der Abbremsbewegung kann es hingegen durch Traktionskräfte zu Avulsionen am Bizepssehnenanker kommen. Gemeinsame Endstrecke stellt die Ablösung des Bizepssehnenankers als so gennate SLAP-Läsion dar [3]. Im Bereich des Rotatorenintervalls stellt sich die chronische Überlastung der LBS als inflammatorisch bedingte Tendinitis dar, bei anhaltender Schädigung kann es zu Partialrupturen oder vollständigen Rupturen kommen. Beim Verlassen des Gelenkes wird die LBS im Sulcus bicipitalis von einer weichteiligen Schlinge, der Pulley-Schlinge, stabilisiert. Kommt es durch chronische Überlastung zu einer Elongation oder sogar Ruptur der Pulley-Schlinge, ist die Führung der LBS nicht mehr gewährleistet und sie kann nach medial subluxieren oder sogar luxieren. Dies kann einhergehen mit Partialrupturen der Subscapularis- und/oder Supraspinatussehne, da die Pulley-Schlinge aus Fasern dieser beiden Sehnen verstärkt wird.
Rotatorenmanschette
Die chronische Überlastung der Schulter kann zu Tendinopathien mit Degeneration und Rissbildung in der Rotatorenmanschette führen. Beim Überkopfsportler sind das posterosuperiore [4] und anterosuperiore [5] Impingement als innere Impingement-Formen von besonderer Bedeutung. Während es beim posterosuperioren Impingement (PSI) am Ende der Ausholbewegung der Wurfphase in maximaler Abduktion und Außenrotation zu einem pathologischen Kontakt des Tuberculum majus mit dem posterosuperioren Glenoid kommt, tritt der mechanische Konflikt beim deutlich seltener auftretenden anterosuperioren Impingement (ASI) in der hohen Adduktion und Innenrotation, wie beispielsweise während der Unterwasserphase beim Schwimmsportler auf. Als Folge der Einklemmung können neben Partial- / Rupturen der Rotatorenmanschette auch Läsionen des Bizepssehnenankers und des Pulley-Systems auftreten.
Therapie
Das Behandlungsziel beinhaltet die Zentrierung des Humeruskopfes im Schultergelenk, damit bei intakter kinetischer Kette ein physiologischer Bewegungsablauf und damit der Energietransfer des Rumpfes auf die obere Extremität möglich ist. Dies wird in der Regel durch ein konservatives Vorgehen erreicht. Insbesondere das häufig vorliegende glenohumerale Innenrotationsdefizit durch eine Kapseldysbalance muss durch Kräftigung der antero-inferioren Strukturen sowie durch Aufdehnung der kontrakten, posterioren Gelenkkapsel adressiert werden. Liegt allerdings bereits primär eine höhergradige strukturelle Schädigung, wie z. B. eine Rotatorenmanschettenruptur vor, kann auch die direkte operative Versorgung indiziert sein. Auch beim Versagen der konservativen Therapie kann abhängig von den intraartikulären Pathologien eine operative Therapie erforderlich werden.
Fallbeispiel
Ein 13-jähriger, hochprofessioneller Judoka (Landeskader), stellte sich mit einer schmerzhaften Bewegungs- und Belas-tungseinschränkung der rechten Schulter nach einem Sturz auf den ausgestreckten Arm am Vortag in der Sprechstunde vor. Ein Luxationsmechanismus der Schulter sei soweit evaluierbar nicht verspürt worden. In der klinischen Untersuchung führend war ein ventraler Schulterschmerz mit punctum maximum im Bereich der langen Bizepssehne ohne klinische Zeichen einer Instabilität oder Hyperlaxizität. Es zeigte sich eine beidseitige Skapuladyskinesie. Aufgrund des Unfallmechanismus sowie der klinischen Untersuchung wurde zeitnah eine MRT-Untersuchung der rechten Schulter durch-geführt, darin ergaben sich Hinweise auf eine GLAD Läsion (GlenoLabral Articular Disruption, Abb. 2). Die GLAD-Läsion wurde erstmals im Jahre 1993 durch Neviaser als Folge eines nicht dislozierenden Schultertraumas beschrieben [6]. Hierbei kommt es durch den Sturz auf den abduzierten und außenrotierten Arm zu einem Anpressen des Humeruskopfes in die Cavitas glenoidalis mit resultierendem Abscheren der glenoidalen Knorpelschicht und Läsion der oberflächlichen Anteile des Labrum glenoidale. Ein Luxationsmechanismus ist hierfür nicht erforderlich.
Bezüglich der Therapieoptionen gibt es aufgrund der nur geringen Fallzahlen wissenschaftlich wenige Untersuchungen bezüglich des Outcomes von konservativen Therapieansätzen. In den meisten Fallbeschreibungen wurde eine operative Versorgung durchgeführt. Diese bezieht sich einerseits auf eine Rekonstruktion der labralen Strukturen sowie andererseits auf Knorpelersatzferfahren im Bereich der glenoidalen Knorpelläsion. Im beschriebenen Fall erfolgte nach ausführlicher Aufklärung und Beratung auch über die Möglichkeit der konservativen Behandlung eine operative Versorgung. Intraoperativ (Abb. 3) fand sich neben der bereits im MRT beschriebenen GLAD-Läsion mit nur geringer Dislokation des Knorpelflakes und typischer, instabiler Labrumläsion noch zusätzlich eine artikularseitige Supraspinatussehnenpartialruptur, die auf eine chronische Überbelastung der Schulter im Sinne eines postero-superioren Impingements bei Skapuladyskinesie zurückgeführt wurde. Therapeutisch wurde das Labrum mittels einem All-Suture Anker im Bereich des Defektes rekonstruiert, hierdurch konnte eine suffiziente Stabilisierung des sich bereits teilkonsolidierten Knorpelflake erreicht werden. Weitere chondroplastische Maßnahmen bzw. eine Fixierung des Knorpelflakes waren daher aus Sicht des Operateurs nicht notwendig. Im Bereich der Partialruptur der Supraspinatussehne erfolgte ein sparsames Debridement.
Fazit
Die Pathologien des Überkopfsportlers zeigen eine multifaktorielle Genese und können verschiedene Strukturbereiche betreffen. Das Kernproblem ist die Dezentrierung des Humeruskopfes im Schultergelenk durch eine Dysbalance von Beweglichkeit und Stabilität. Daher kommt der Prävention eine besondere Bedeutung als Bestandteil des Trainingsplans zu. Die konservative Therapie steht im Vordergrund, sie muss jedoch kontinuierlich reevaluiert und individuell angepasst werden. Bei bestimmten Verletzungsmustern kann jedoch auch ein kombiniertes Vorgehen erforderlich werden.
Literatur
- Beitzel K, Beitzel KI, Zandt JF et al. (2013) Premature cystic lesions in shoulders of elite junior javelin and volleyball athletes: a comparative evaluation using 3.0 Tesla MRI. J Shoulder Elbow Surg 22:792-799
- Burkhart SS, Morgan CD, Kibler WB (2003) The disabled throwing shoulder: spectrum of pathology Part III: The SICK scapula, scapular dyskinesis, the kinetic chain, and rehabilitation. Arthroscopy 19:641-661
- Siebenlist SH, M.; Scheiderer, B. (2021) Behandlung der SLAP-Verletzung des jungen Sportlers. Eine anhaltende Kontroverse. . Arthroskopie 34:411-419
- Beirer M, Sandmann GH, Imhoff AB et al. (2016) [Surgical treatment of posterosuperior impingement (PSI)]. Oper Orthop Traumatol
- Pogorzelski J, Beitzel K, Imhoff AB et al. (2016) [Surgical treatment of anterosuperior impingement of the shoulder]. Oper Orthop Traumatol 28:418-429
- Neviaser TJ (1993) The GLAD lesion: another cause of anterior shoulder pain. Arthroscopy 9:22-23
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Nach Stationen am Klinikum Rechts der Isar (TU München) sowie am Schwarzwald-Baar Klinikum ist er seit 2024 in der Sportklinik Ravensburg tätig und hat eine außerplanmäßige Professor an der Technischen Universität München. Außerdem ist Prof. Beirer seit 2024 DVSE zertifizierter Schulter- und Ellenbogenchirurg.
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Er ist seit 2017 an der Sportklinik Ravenburg tätig mit Schwerpunkt Schulter- und Kniegelenkchirurgie. Außerdem ist er u.a. Mannschaftsarzt der Ravensburg Towerstars (Eishockey DEL 2) und der Ravensburg Razorbacks (American Football GFL).
studierte Medizin an der Uni Basel, wo er auch promovierte. Als Professor für Orthopädische Chirurgie und Arthroskopie leitete er von 1996 bis 2022 die Abteilung für Sportorthopädie der TU München. Seither ist er Direktor des Orthopaedic Sportsmedicine Department im Adam Vital Hospital in Dubai und zusätzlich Scientific Advisor in der Sportklinik Ravensburg.