Die Inzidenz von Bandscheibenvorfällen (NPP) in Deutschland beträgt etwa 150 Fälle pro 100.000 Einwohner pro Jahr, wobei der Altersgipfel zwischen 40 und 45 Jahren liegt. Männer sind dabei doppelt so häufig betroffen wie Frauen. Studien zeigen, dass Sportler eine signifikant erhöhte Prävalenz von Bandscheibendegeneration mit Symptomen aufweisen, sogar in jungen Jahren, was auf die repetitive Belastung der Wirbelsäule zurückzuführen ist.
Bei Amateursportlern im mittleren Alter sollten jedoch auch altersbedingte degenerative Veränderungen, die in bildgebenden Verfahren sichtbar werden, berücksichtigt werden. So zeigen 68 % der 40-Jährigen und 80 % der 50-Jährigen bereits Bandscheibendegenerationen ohne Symptome [5].
Pathophysiologie der Bandscheibendegenration
Der Anulus fibrosus besteht aus einer Lamellenkonstruktion. Die Lamellen weisen keine geschlossenen Ringe auf. Sie bestehen aus Kollagenfasern, elastische Fasern, Fibroblasten und Chondrozyten. Durch ihre gegenläufige Ausrichtung entsteht die Festigkeit. Sie sind außen in der Kortikalis der Grund- und Deckplatte (Sharpey-Fasern) und im Inneren an der knorpeligen Endplatte verankert [9]. Bei der Degeneration kommt es zur Abnahme der Lamellendicke und -anzahl, auch die Konzentration der Querverbindung zwischen den Kollagenmolekülen verringert sich. Durch Kalzifizierung der Deckplatten kommt es zu einer schlechteren Sauerstoffversorgung und einem ph-Wert-Abfall durch den CO2 Anstieg. Daraus resultierend nimmt die Widerstandsfähigkeit des Anulus ab. Es kommt zum unphysiologischen Wasserverlust des Diskus.
Der Flüssigkeitsaustausch und die Ernährung des Diskus erfolgt beim Erwachsenen nicht mehr über Blutgefäße, sondern passiv über hydrostatische Druckveränderungen im Nukleus pulposus, Diffusion, Osmose, elektrische Ladung der Proteoglykane. Kompression führt zur Druckerhöhung im Nucleus pulposus. Überschreitet der Druck die hydrophile Kraft der Proteoglykane, so wird Wasser aus dem Diskus in den benachbarten Wirbel gepresst. Diesen Vorgang nennt man Dehydration. Die Rehydration erfolgt bei Entlastung des Diskus (z. B. im Liegen). Dies ist ein sehr wichtiger Vorgang, da hierdurch Nährstoffe und Abfallprodukte ausgetauscht werden. Bei einer gesunden Bandscheibe erhöht sich der intradiskale Druck in der Nacht im Liegen um 240 %. Die Morgensteifigkeit wird durch eine vermehrte Anspannung der passiven Strukturen, wie z. B. Sehnen und Gelenkkapseln, erklärt. Die Verletzungsgefahr ist hier auch höher. Der intradiskale Druck nimmt mit axialer Belastung linear zu. Auch in Flexion und Lateralflexion nimmt der intradiskale Druck zu. Der Anulus wölbt sich hauptsächlich in den lateralen und posterioren Anteilen nach außen. Hier entstehen die meisten Bandscheibenvorfälle. Rotation ist der größte Risikofaktor für den Diskus. Rotation unter Belastung führt zu Scherkräften zwischen den Lamellen und letztendlich, insbesondere bei Rotation und Flexion, kommt es zur Verletzung von posterioren und posterolateralen Anteilen des Anulus.
Beim Sportler sehen wir Extrembelastungen durch repetitive Überlastung. Bei Sportarten wie Tennis, Rudern, Hockey, Fußball, Turnen etc. sehen wir häufig eine forcierte Hyperflexion kombiniert mit Kompression und / oder Rotation [6]. Durch muskuläre Dysbalancen, die zu einer Verkürzung der vorderen Kette führen, kommt es zu Kompression der vorderen Bandscheibenanteile, was wiederum zu einer Volumenverlagerung des Nucleus pulposus nach dorsal in Richtung des geschwächten Anulus führt und somit Bandscheibenvorfälle begünstigt. Auch biochemische bzw. metabolische Faktoren wie oxidativer Stress, Silent Inflammation und hormonelle Faktoren (Steroidhormonmangel) führen zur schnelleren Degeneration von Bandscheibengewebe. Aktuelle Studien [10, 11] beschreiben insbesondere den Einfluss des oxidativen Stress durch vermehrte Produktion von ROS, der Silent inflammation durch die vermehrte Produktion von proinflammatorischen Zytokinen sowie die mitochondriale Dysfunktion, die durch eine verfrühte Zellalterung in den Zellen des Nucleus pulpusus als auch im Annulus fibrosus zur Degeneration der Zellen führt. Sirtuine (SIRT1, SIRT2, SIRT3 und SIRT6) können diese Prozesse verlangsamen. Melatonin, Resveratrol, Honokiol (aus der Magnolie), NMN, Brokkoliextrakt, Epigallocatchingallat, Curcumin, Quercetin können diese Sirtuine aktivieren [10]. AGEs (Advanced Glycation Endprodukts), die endogen durch vermehrten Zuckerkonsum entstehen, aber auch exogen über Nahrungsaufnahme von Wurst, frittierten und gegrillten Nahrungsmitteln, und sich in Kollagenen des Annulus fibrosus anheften, führen über eine vermehrte Steifigkeit des Gewebes zu degenerativen Veränderung und Schäden am Faserring [12]. Bei Amateursportlern kommen im Vergleich zu Profisportlern zusätzliche Risikofaktoren hinzu. Ein sitzender Beruf, fehlendes Core-Training und unausgewogene sportliche Betätigung ohne muskuläre Balance tragen maßgeblich zur Belastung der Wirbelsäule bei [7]. Hinzu kommen Lifestyle-Faktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum und Zuckerkonsum, die den oxidativen Stress erhöhen und die Bandscheibendegeneration beschleunigen. Altersbedingter Muskelabbau und hormonelle Veränderungen, wie ein Rückgang von Steroidhormonen, verstärken diese degenerativen Prozesse zusätzlich [13, 14].
Diagnostik und Therapie
Für Amateursportler ist eine präzise Diagnostik entscheidend, um eine differenzierte Behandlung zu ermöglichen. Eine ausführliche Sportanamnese sollte die sportliche Belastung und die realistische Erwartung an ein „Return to Sports“ erfassen. Häufig besteht auch bei Amateursportler ein externer Druck hierfür, insbesondere bei Mannschaftssportarten. In der körperlichen Untersuchung ist es wichtig, zwischen radikulären und pseudoradikulären Symptomen zu unterscheiden, da diese unterschiedliche Behandlungsansätze erfordern. Die MRT-Diagnostik spielt eine zentrale Rolle bei der Identifizierung der betroffenen Nerven und der Beurteilung der paravertebralen Muskulatur. Bei Amateursportler mittleren Alters liegen häufig bereits lipomatöse Umwandlungen der Mm. multifidi vor, die zu mangelnder segmentaler Stabilität führen und in der konservativen Therapie einen großen Stellenwert haben müssen. Die Absorption der Kraft im Bereich der LWS über die Muskelkraft hinaus führt bei mangelnder Rumpfstabilität zu Schäden in der Wirbelsäule [8].
Eine Operation ist vor allem dann angezeigt, wenn funktionell relevante Lähmungen vorliegen, die auf eine Nervenkompression durch den Bandscheibenvorfall zurückzuführen sind. Es sollte jedoch betont werden, dass bei vielen Patienten eine konservative Therapie ausreichend ist, um eine Heilung zu fördern. Physiotherapie, die auf den Aufbau der Rumpfstabilität und die Wiederherstellung der muskulären Balance abzielt, ist ein zentraler Bestandteil des Behandlungsplans. Bei Frauen im mittleren Alter sollte zusätzlich auf hormonelle Dysbalancen geachtet werden, um Muskelabbau und Osteoporose entgegenzuwirken. Wichtig ist, dass der Operateur alle entsprechenden Operationsverfahren auch anbieten kann, um die richtige Operationsmethode zu wählen. Bei Amateursportlern im mittleren Alter können auch Instabilitäten vorliegen, bei denen eine alleinige Nukleotomie nicht ausreichend ist, um langfristig einen Therapieerfolg zu erzielen.
Ein Bandscheibenvorfall ist eine Verletzung, die mit und ohne Operation bei der Heilung entsprechende Heilungsphasen durchläuft. Ohne Lähmungen sollte auf jeden Fall ein Versuch der konservativen Therapie erfolgen, da je nach Lage des NPPs eine unterschiedliche Hoffnung auf Resorption des NPPs vorliegt. Eine bessere Prognose für eine Resorption liegt bei einem freien, mediolateralen oder medialen Sequester vor, eine schlechtere Prognose bei einem kleinen NPP genau am Wurzelabgang oder intraforaminal mit begleitenden degenerativen Veränderungen. Eine gut ausgeführte Operation führt zur schnelleren und in den meisten Fällen zur sofortigen Schmerzreduktion. Somit kann durch eine Operation die Zeit bis zum Return to Sports verkürzt werden. Für Amateursportler ist eine umfassende Prävention von Bandscheibenvorfällen essenziell. Ein Trainingsplan, der sowohl Ausdauer- als auch Krafttraining und Dehnübungen umfasst, sollte regelmäßig durchgeführt werden. Dabei sollte besonderes Augenmerk auf die Stärkung der Rumpfmuskulatur und die Verbesserung der Technik in der jeweiligen Sportart gelegt werden. Um die Wirbelsäule zu entlasten und die Degeneration der Bandscheiben zu verlangsamen, ist es wichtig, muskuläre Dysbalancen zu korrigieren und einen gesunden Lebensstil zu pflegen. Dies beinhaltet die Reduktion von oxidativem Stress und eine ausgewogene Ernährung, die entzündungshemmende Prozesse im Körper fördert.
Fazit
Bandscheibenvorfälle sind keine rein altersbedingte Erkrankung, sondern eine multifaktorielle Verletzung, die durch gezielte Prävention, inkl. eines achtsamen Lebenstils, und individuell angepasste Therapieansätze gut behandelbar ist. Für Amateursportler im mittleren Alter ist es daher entscheidend, nicht nur auf die akute Behandlung eines Vorfalls zu setzen, sondern langfristig an der Gesundheit der Wirbelsäule zu arbeiten, um weiterhin aktiv und leistungsfähig zu bleiben.
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Autoren
ist Fachärztin für Orthopädie/Unfallchirurgie und für allgemeine Chirurgie. Sie ist Chefärztin im Zentrum für Wirbelsäulenchirurgie und Rückentherapie, Karl Olga Krankenhaus Stuttgart Sana Kliniken AG. In ihrer Spezialsprechstunde bietet sie konservative Rückentherapie und Prävention sowie Mikronährstofftherapie an.