Die Gonarthrose ist nach dem unspezifischen Rückenschmerz das zweithäufigste Krankheitsbild
in der orthopädischen Praxis und hat eine hohe sozio-ökonomische Relevanz. Die bisherige Version der S2k-Leitlinie hat große Beachtung gefunden. Ärzte und betroffene Patienten zeigen großes Interesse an den Handlungsempfehlungen, sodass mit Spannung die Aktualisierung der Leitlinie (Version 4.0) erwartet wird.
Für die Aktualisierung der S2k Leitlinie haben sich Experten aus 17 verschiedenen Fachgesellschaften zusammengefunden, um für die unterschiedlichen Therapieoptionen Empfehlungen anzupassen oder neu zu erstellen. Nach Prüfung der aktuellen Literatur, Bewertung und Diskussion kamen neue Empfehlungen hinzu, die Empfehlungsstärke wurde gegebenenfalls angepasst, auch Negativempfehlungen wurden erstellt. Für einige Therapiegebiete – vor allem die Elektro-, Ergo-, Hydro- und Balneotherapie, Akupunktur, sowie Blutegel-, orale und topische Phytotherapie – ist es bei offenen (Kann-) Empfehlungen geblieben oder es konnte keine Empfehlung ausgesprochen werden.
Beratung, Aufklärung und präventive Maßnahmen
Der Therapiealgorithmus der S2k-Leitlinie (initial konservative Maßnahmen, zwischenzeitlich Eskalation der Maßnahmen bis hin zu invasiven Therapien und schließlich operative Therapien) blieb im Wesentlichen unverändert. Jedoch rücken Beratung, Aufklärung und präventive Maßnahmen mehr in den Vordergrund. So wurde bestätigt, dass Maßnahmen der Bewegungstherapie als Kraft-, Ausdauer- und Beweglichkeitstraining sehr effektiv sind. In zahlreichen RCT’s konnte eine Reduktion von Schmerz und eine Verbesserung der Funktion nachgewiesen werden. Zusammen mit den Verhaltensmaßnahmen und der Gewichtskontrolle ist die Bewegungstherapie bei konsequenter Durchführung effektiver als andere konservative Maßnahmen bei geringeren Nebenwirkungen. Daher gibt das Leitlinienkomitee eine starke Empfehlung für eine frühzeitige, individuell angepasste Bewegungstherapie nach dem Grundsatz „aktive Maßnahmen vor passiver Therapie“. Auch die Eigeninitiative der Patienten wird stärker betont. Um den Progress der Arthrose des Knies zu reduzieren, sollen sich die Betroffenen an der Behandlung aktiv beteiligen und Verantwortung übernehmen. Die Motivation des Patienten ist daher ein zentraler Punkt der Therapie. Dafür sollen mit den Patienten klare Ziele entwickelt und ein individueller Behandlungsplan erstellt werden. Dazu gehören eine Zielvereinbarung, die Kontrolle des Behandlungsverlaufs sowie die Einleitung weiterer Maßnahmen, wie Reha, Heil- und Hilfsmittelversorgung. Die Einbindung von nichtärztlichen Leistungserbringern ist dabei immer in Erwägung zu ziehen.
Schmerzreduktion
Um die Mobilität der Patienten zu erhalten, spielt auch die Schmerzreduktion als symptomatische Behandlung eine wichtige Rolle. Die Empfehlungen des Kapitels „Medikamentöse Therapie“ sollen den behandelnden Ärzten Hilfestellungen geben, Wirkungsstärken realistisch einzuschätzen und die Risiken von Medikationsfehlern und Nebenwirkungen zu senken. Erst wenn konservative Maßnahmen die gewünschte Mobilität und die Schmerzkontrolle (und damit die Lebensqualität) nicht mehr herstellen können, ist die operative Therapie angezeigt. Auch hier bietet die Leitlinie eine wissenschaftliche Grundlage zur Indikation der operativen Therapie, die zusammen mit den Patienten individuell und unter Berücksichtigung aller Faktoren gestellt werden soll. Die Empfehlungen zu gelenkerhaltenden Maßnahmen sind in der neuen Leitlinienversion spezifiziert worden. Eine arthroskopische Lavage /Debridement soll bei klinisch und radiologisch gesicherter Gonarthrose nicht angewendet werden, während Knorpelersatzverfahren nur bei fokalen Defekten im Stadium der Früharthrose angewendet werden können.
Bei der gelenkersetzenden Therapie verweist die Leitliniengruppe auf die in 2023 veröffentlichte S2k-Leitlinie „Indikation Knieendoprothese (AWMF 187 – 004)“, in der die Indikationsstellung umfassend dargestellt wird. Als wesentliche Neuerung in der operativen Therapie haben die Autoren die Volume-outcome-Forschung aufgegriffen und empfehlen die Einhaltung der gesetzlich festgelegten Mindestmengenregelung. Die verfügbare Evidenz belegt den Zusammenhang zwischen hoher Fallzahl pro Krankenhaus und besserem Ergebnis nach primärer Knieendoprothese.
Neue S3-Leitlinie folgt
Die Empfehlungen dieser S2k-Leitlinie (Version 4.0) bilden die Basis der neuen S3-Leitlinie „Prävention und Therapie der Gonarthrose“, die in diesem Jahr noch erwartet wird. Einen Konsens zu finden ist nicht immer einfach – wie in fast allen Gebieten der Medizin. Daher wird beim Upgrade der Leitlinie auf S3-Niveau besonderer Wert auf Transparenz und Neutralität gelegt. Darin erfolgt eine nachvollziehbare und gut strukturierte Diskussion der aktuellen Evidenz, was den Experten ermöglicht, fundierte und verlässliche Empfehlungen auszusprechen. Außerdem soll durch die offene Kommunikation der Evidenz eine informierte Patientenbeteiligung zur gemeinsamen Entscheidungsfindung noch einmal mehr gefördert werden. Die Empfehlungen sollen Ärzten und Patienten gleichermaßen Orientierung bieten und dabei unterstützen, die Wirksamkeit einzelner Therapien zu beurteilen, um eine individuell angepasste Therapie zusammenzustellen. Gleichzeitig helfen die Empfehlungen, Unsicherheit in der klinischen Praxis zu minimieren. Mit der S3-Leitlinie soll eine solide Grundlage für eine qualitativ hochwertige und patientenzentrierte Behandlung geschaffen werden, um die bestmögliche Versorgung der Patienten mit Gonarthrose zu gewährleisten.
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit Zusatzbezeichnung Physikalische Therapie. Er ist Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie St. Marien- und St. Annastiftskrankenhaus in Ludwigshafen und koordiniert die Leitlinie Gonarthrose.
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit Zusatzbezeichnungen Spezielle Orthopädische Chirurgie, Rheumatologie und Sportmedizin. Er ist Chefarzt der Klinik für Operative Orthopädie und seit 2015 Ärztlicher Direktor der Sana Kliniken Sommerfeld. 2022 war er Präsident der DGOOC und Vizepräsident der DGOU.