Im Wesentlichen laufen Rehabilitationsmaßnahmen nach gewissen Regularien ab. Grundsätzlich sind diese Abläufe auf medizinisch-wissenschaftlichen Daten beruhend etabliert worden, um eine gleichmäßig hohe Qualität zu ermöglichen. An diesem Grundsystem ist primär nichts auszusetzen.
In den letzten Jahren gibt es außerhalb der Rehabilitation zunehmend den Trend, personalisierte Medizin stark in den Fokus zu rücken. In der Sportmedizin wie auch der Rehabilitation von nicht regelmäßig Sporttreibenden finden sich diese Ansätze schon seit jeher. Nicht immer ist es einfach möglich, die oben genannten Reha-Therapie-Standards (RTS) und die individualisierten Therapieangebote miteinander konfliktfrei zu verbinden.
Dabei ist es selbstverständlich, dass individuelle Leistungsmessungen zu individuellen Belastungsprogrammen führen sollen/müssen. Im Bereich psychosomatischer Therapieangebote ist das längst etabliert. Über Assessmentsysteme werden Stärken und Schwächen und gegebenenfalls Auffälligkeiten dargestellt, was zu einem auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnittenen Therapieansatz führt. Im Rahmen der klassischen medizinischen Rehabilitation in dem am Sophien- und Hufeland-Klinikum Weimar angegliederten ambulanten Rehabilitationszentrum am Zentrum für Physikalische und Rehabilitative Medizin (ZPRM) werden individualisierte sensomotorische Therapieprogramme etabliert. Trotz der großen Leistungsbreite der Rehabilitanden, vom Kaderathleten bis zum wenig bis nichtsportaffinen Patientenklientel im fortgeschrittenen Alter, müssen alle Patienten ihren Bedürfnissen folgend, adäquat angesprochen werden. Ohne eine dezidierte sensomotorische Testung ist dies nach unserer Auffassung nicht möglich. Der initial für solche Fälle entwickelte Jenaer-Stand-Stabilitäts-Score (JESS-Score) ist unter Laborbedingungen dafür sehr gut geeignet, im klinischen Alltag allerdings (noch) zu zeitaufwendig. Des Weiteren stellte sich heraus, dass die Belange der oberen Extremitäten, wie zu erwarten für einen Score zur Evaluation der Stabilität des Stehens, wenig berücksichtigt werden. Um zielgerichteter Testen zu können, ist für die hiesigen Bedarfe das Weimar Sensomotorik Inventar (WSI) etabliert worden. Augenmerk wird vor allem auf primär wenig leistungsfähige Patienten gelegt, da für sportlich Aktive gut etablierte Sensomotoriktests, wie der Functional Movement Screen (FMS) oder der Y-Balancetest zur Verfügung stehen. Die Anwendung der gerade genannten Tests ist bei kürzlich hüftgelenksimplantierten Menschen eher nicht zweckmäßig.
Die Anforderungen des WSI sollten bei gesunden Patienten so umsetzbar sein, dass eine volle Punktzahl für alle zu erreichen ist. Wir sehen, dass gerade bei Rehabeginn dennoch eine große Anzahl von zu Rehabilitierenden diese nicht erreichen können. Das kann zum einen an der Rehabilitationsdiagnose (bspw. implantierte Hüfttotalendoprothese) liegen, wodurch zu Beginn der Rehabilitation bspw. ein Einbeinstand gar nicht möglich ist oder zum anderen grundsätzlich an bislang nicht durchgeführten klinischen Tests, die auf sensomotorische Defizite (erstmals!) hinweisen. Bei sensomotorisch potenziell wenig geschulten Patienten muss ein Assessmentsystem ausreichend fein abgestuft Störungen differenzieren können. Augenmerk bei der Rehasteuerung am ZPRM liegt dabei auf der Einschätzung der sensomotorischen Kompetenz, Evaluation der visuellen Dominanz des Gesamtsystems und den allgemeinen koordinativen und konditionellen Fähigkeiten der Patienten. Bedarfs- und befundgerechte Anforderungen werden dabei in die vorhandenen Rahmenpläne integriert. Ein mutmaßliches Novum in Deutschland ist wahrscheinlich die abgestufte Reduzierung der visuellen Kompensation durch Einsatz von Sonnen- oder Milchglasbrillen mit der Möglichkeit, unterschiedlich starke Visusminderungen herbeizuführen. Dieses in der neurologischen Rehabilitation übliche „forced-use-Prinzip“ erfordert die akzentuierte, aber immer forcierte Nutzung tiefensensibler somatosensorischer Bahnen zur Bewältigung der Bewegungsanforderungen in den Rehaeinheiten. In unserer Vorstellung kann dadurch der in der Lebensspanne abnehmende Visus durch andere sensorische Afferenzen bis zu einem gewissen Grad kompensiert werden und das Gesamtsystem als Ganzes länger effektiver arbeiten.
Hören Sie auf dem 14. Symposium der sportärztezeitung am 7.9. in der ARCUS Sportklinik in Pforzheim einen Vortrag von PD Dr. med. Norman Best zu dieser Thematik!
Autoren
ist Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin mit Uusatzausbildung Manuelle Medizin und Naturheilverfahren. Er ist Chefarzt am Zentrum für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Sophien und Hufeland Klinikum Weimar. Außerdem war PD Dr. Best Team Medical Liaison Officer EURO 2024 sowie ehemaliger langjähriger Mannschaftsarzt des FF USV Jena. Aktuell ist er Teamarzt u. a. der USV VIMODROM Volleys Jena.