In der Gesundheitspolitik gelten einige Fakten als seit Jahren bekannt und unstrittig: Deutschland hinkt bei der Ambulantisierung unnötig stationär erbrachter Leistungen im internationalen Vergleich hinterher; Die Ambulantisierung ist geeignet, um Kosten im Krankenhaussektor zu sparen und das dort tätige Personal zu entlasten; Die Ambulantisierung gelingt nur, wenn der Erlös für eine ambulante Leistung unabhängig vom Leistungsort erfolgt. Der Erlös muss in der Höhe so gestaltet sein, dass der Systemumbau für Leistungsanbieter wirtschaftlich ist.
Die Lösung war schon im Koalitionsvertrag von 2021 angedacht. Hier hieß es:
„Um die Ambulantisierung bislang unnötig stationär erbrachter Leistungen zu fördern, setzen wir zügig für geeignete Leistungen eine sektorengleiche Vergütung durch sogenannte Hybrid-DRG um.“
Das Gesundheitsminister entwarf zur Umsetzung den §115f SGB V, welcher als Teil des Krankenhauspflegentlastungsgesetzes am 29.12.22 in Kraft trat. Dieser Paragraph führte bei allen Beteiligten im Gesundheitssystem zu großer Aufregung. Es wurde nichts Geringeres vorgesehen als ein Abschied von Vergütungsregelungen, die seit 20 Jahren in Praxen und Krankenhäusern gelten. 2003 wurde das DRG-System und 2004 die aktuell gültige EBM–Version eingeführt. Für ambulante Operationen und kurzstationäre Operationen (1 Übernachtung) soll nun eine sog. Hybrid-DRG als sektorgleiche Vergütung eingeführt werden.
Im September 2023 wurde vom Ministerium dann der Referentenentwurf zur sog. Hybrid-DRG Verordnung publiziert. Es wurden Regelungen, Leistungen und Preise genannt. Mit der Kalkulation der Hybrid-DRGs war vorher das Institut für Entgeltsystem im Gesundheitswesen beauftragt. Das BMG verhängte dem InEK einen Maulkorb. Weder die Datengrundlage noch die genauen Kalkulationsweisen wurden bisher veröffentlicht. Die Intransparenz des Verfahrens ist ein wesentlicher Kritikpunkt, denn schnell zeigte sich, dass die Preise zum Teil unter den EBM-Erlösen liegen würden – und das, obwohl das BMG explizit das Ziel ausgegeben hat, einen Preiskorridor zwischen EBM und DRG (also in jedem Falle höher als EBM) anzustreben. Neben den Bepreisungen zeigte der Referentenentwurf jedoch eine erschreckende Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse – in der publizierten Form wäre die Verordnung schlicht unanwendbar gewesen.
Es wird kolportiert, dass zusätzlich das Bundesjustizministerium intervenierte und große Teile des Referentenentwurfes kassierte, da das BMG gar nicht berechtigt gewesen sei, manche der geplanten Regelungen vorzugeben.
Trotz massiver Interventionen einer Vielzahl von Experten und Berufsverbänden und offenbar erheblicher juristischer Bedenken hält das BMG jedoch an seinem Vorhaben fest. Allerdings ist das gesamte Thema auf einen einzigen Paragraphen zusammengeschnurrt. Dieser wurde kurz vor Weihnachten als Hybrid-DRG-Verordnung mit rechtsverbindlicher Wirkung zum 1.1.24 veröffentlicht. Doch selbst dieser eine Paragraph aus 4 Sätzen sowie seine Begründung hinterlässt mehr Fragen als Antworten:
- Welche Kosten sind genau durch die Hybrid-DRG umfasst?
- Kann Sprechstundenbedarf weiter abgerechnet werden?
- Was wird aus den Ziffern, die im EBM als Nachbetreuung in Zusammenhang mit einer OP abgerechnet werden können?
- Behält der EBM als Abrechnungsalternative weiterhin Gültigkeit?
- Wann werden die Abrechnungsregelungen bekannt sein?
- Wie soll die empirische Datenlage für zukünftige Kalkulationen aufgebaut werden?
- Welche Eingriffe sollen in Zukunft aufgenommen werden?
Zu diesen Fragen gibt es viele Meinungen und manche geben auch vor, die schon Antworten zu kennen. Geht man jedoch detailliert nach, so wird schnell klar, dass Rechtssicherheit in weiten Teilen fehlt.
So wird also quasi im Vorübergehen ein Vergütungssystem eingeführt, das niemand gebraucht hat und welches handwerklich so schlecht ausgestaltet ist, dass am Ende nur Verwirrungen entsteht. Vor allem wird eines nicht erreicht: nämlich das Ziel des Gesetzgebers, die Ambulantisierung in Deutschland durch ein finanzielles, sektorgleiches Anreizsystem zu fördern.
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit Zusatzbezeichnungen Sportmedizin und Chirotherapie. Er arbeitet in der Orthopädischen Praxisklinik Neuss I Düsseldorf (OPND), seine Schwerpunkte liegen auf den Bereichen der Arthroskopischen Operationen und Gelenkrekonstruktion. PD Dr. Müller-Rath ist 1. Vorsitzender des Berufsverbandes für Arthroskopie (BVASK e.V.), AGA Instruktor und seit 2016 Geschäftsführer Deutschsprachiges Arthroskopieregister (DART gGmbH).