Konservative Therapieverfahren gewinnen in den letzten Jahren, auch getriggert durch restriktive Vorgaben von Politik und Krankenkassen und schlechte Honorierung operativer Prozeduren, zunehmend an Interesse. Besonders in der Sportmedizin und hier wiederum im Profisport sind alle Maßnahmen und Verfahren von Interesse, welche die Ausheilung von Verletzungen und Behandlung von überlastungsbedingten und degenerativen Schäden beschleunigen können, wobei gerade der Zeitfaktor auch für die Vereine von großer Bedeutung ist.
Für die Sportler selbst kommt eine Optimierung des Ausheilungsergebnisses hinzu, wodurch das Risiko einer erneuten Verletzung mit Hinblick auf Spätschäden, Karriereplanung und Einkommen reduziert wird. Die so genannten „Orthobiologika“ sind in aller Munde. Allerdings beginnen die Probleme bereits bei der Definition. Im eigentlichen Sinne sind Orthobiologika Substanzen, die aus körpereigenem Material gewonnen und zur Restitution, Ersatz und Behandlung von verletzten Organen oder belastungsbedingt oder degenerativ geschädigtem Gewebe eingesetzt werden. Ebenso finden Orthobiologika Anwendung bei verschiedenen Indikationen im Bereich der ästhetischen Medizin. Ziel der Anwendung von Orthobiologika ist es, die natürlichen körpereigenen Reparaturvorgänge zu beschleunigen und zu optimieren. Allerdings werden in einer Klassifikation der amerikanischen FDA u. a. auch allogenes Gewebe und Cadaver grafts hinzugerechnet, in anderen Veröffentlichungen auch Hyaluronsäure in verschiedenen Modifikationen. Exemplarisch hingewiesen sei auch auf die diversen operativen Prozeduren, u. a. der matrixgestützten Chondrozytentransplantation. Dem Vorteil des autologen Gewebes stehen hier die beiden operativen Eingriffe (Entnahme der Chondrozyten, Re-Transplantation nach Vermehrung in der Zellkultur) und der Prozess der Aufbereitung sowie eine meist sehr lange Regenerationszeit gegenüber, die besonders im Profisport in die Differentialüberlegungen mit einbezogen werden muss.
Für die praktische Anwendung im klinischen Alltag stehen neben dem bereits gut etablierten Einsatz von plättchenreichem Plasma (PRP) und autologem, konditioniertem Serum (ACS) bzw. Blood clot secretom (BCS) auch Hyaluronsäurepräparate in Kombination mit PRP zur Verfügung. Im Fokus des wissenschaftlichen Interesses steht weiterhin die Stammzelltherapie. Behördliche Vorschriften verhindern allerdings gerade in Deutschland noch einen breiteren Einsatz, so dass das therapeutische Potenzial derzeit nur erahnt werden kann.
Autologe Blutderivate (PRP, ACS/BCS)
Häufig angewendet und im klinischen Alltag gut etabliert sind die verschiedenen Verfahren mit plättchenreichem Plasma (PRP). Wenngleich die Datenlage weiterhin heterogen erscheint, so sind die Ergebnisse doch überwiegend positiv und Meldungen über negative Effekte oder Nebenwirkungen sind selten. Nach Datenlage scheint es in jedem Fall eine positive Evidenz zu geben für die Anwendung von leukozytenarmem PRP bei der Behandlung von Knie-Arthrose sowie für die Anwendung von leukozytenreichem PRP bei Patellatendopathie. Eine Übertragbarkeit auf andere, ähnliche Pathologien und anatomische Regionen erscheint aus praktischer Sicht logisch (und wird Off-label reichlich praktiziert), wenngleich ausreichend verwertbare Daten noch nicht vorliegen. Ob hier in absehbarer Zeit mit entsprechenden Studien zu rechnen ist, bleibt fraglich. Vermutlich wird das Feld der „Erfahrungskompetenz“ engagierter Ärzte überlassen. Mittlerweile ist auch die Kombination von PRP mit Hyaluronsäure auf dem Markt verfügbar, wobei hier größere Anwendungszahlen noch fehlen. Vorliegende Studien weisen jedoch auf eine gewisse Überlegenheit gegenüber der reinen Anwendung von Hyaluronsäure hin. Für den Einsatz bei Muskelverletzungen gibt es weiterhin keine wegweisende Datenlage. Zum Thema ACS / BCS wird in Kürze ein Artikel in dieser Zeitschrift erscheinen, sodass hier nicht weiter darauf eingegangen werden soll. Einen Artikel aus der sportärztezeitung, der im vergangenen Jahr dazu bzw. zum Thema Kombinationstherapie bei Gonarthrose erschienen ist, finden Sie hier.
Stammzellen
Von größtem Interesse in jüngerer Zeit ist die Anwendung von aus Fettgewebe generierten Stammzellen (Adipose Derived Regenerative Cells – ADRCs). Dabei wird mittels Mini-Liposuction ca. 100 g Fettgewebe gewonnen, welches anschließend in gleicher Sitzung über verschiedene Aufbereitungsschritte zur Injektion in das Zielgewebe vorbereitet wird. Zur Isolation der ADRCs stehen enzymatische und nicht-enzymatische/mechanische Verfahren zur Verfügung, wobei bei der mechanischen Separation wiederum verschiedene Methoden und Equipments angewendet werden. Beispielhaft für eine enzymatische Aufbereitung steht das Verfahren der Firma Ingeneron, für mechanische Gewinnung die Firmen Arthrex und Lipogems sowie ANOVA IRM (BMC). Während bei der intraartikulären Anwendung vermutlich keine Unterschiede hinsichtlich der Sicherheit in der Anwendung im Vergleich zu den enzymatischen Verfahren bestehen dürften, kann beispielsweise bei der Injektion in Sehnen bzw. peritendinöses Gewebe die Gefahr von Mikroembolien durch verbliebene Partikel nicht ausgeschlossen werden.
Von Bedeutung für die therapeutische Wirksamkeit sind im Wesentlichen drei Zelllinien:
- Mesenchymale Stammzellen
- M2 – Makrophagen
- Endothel-Vorläufer-Zellen
Die Zusammensetzung der finalen Zellsuspension, u. a. der Anteil der mesenchymalen Stammzellen und der Gehalt an vitalen Zellen definiert auch die Unterschiede der verschiedenen, auf dem Markt befindlichen Produkte, da bei gleichem Lipoaspirat mit den unterschiedlichen Systemen/Produkten völlig verschiedene Zellsuspensionen generiert werden. Während die Endothel-Vorläufer-Zellen wichtig sind für die Ausbildung der Kapillaren, sind die M2-Makrophagen in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung: Zum einen sind M2-Makrophagen durch ihre antiinflammatorische Wirkung entscheidend für die schnelle Schmerzreduktion, die teilweise bereits nach wenigen Tagen einsetzt. Zum anderen produzieren die M2-Makrophagen auch selbst Wachstumsfaktoren, welche wiederum die therapeutische Wirksamkeit positiv beeinflussen. Ein weiterer, wesentlicher Aspekt ist der Unterschied in der Anwendung von frischen oder kultivierten Zellen sowie der Anteil lebender Zellen in der gewonnenen Suspension. Kultivierte, im Labor angezüchtete Stammzellen enthalten keine M2-Makrophagen und keine Endothel-Vorläufer-Zellen und wirken dementsprechend nicht primär anti-inflammatorisch. Und je geringer der Anteil der vitalen Zellen in der finalen Zellkultur, mit desto mehr entzündlicher Reaktion bzw. Nebenwirkungen ist zu rechnen. Lediglich etwa 1 % des Aspirates besteht aus pluripotenten Stammzellen. Für Anwendungen in der Orthopädie ist dieser geringe Prozentsatz allerdings nicht von entscheidender Bedeutung. Wichtig sind hier die Effekte auf Sehnen, Knorpel und Knochen als Abkömmlingen des mesenchymalen Keimblattes. Wirkungen auf das Ektoderm (Wundheilung) oder Entoderm (innere Organe) können demgegenüber vernachlässigt werden – obwohl ADRCs in der Literatur erfolgreich zur Wundheilung eingesetzt wurden. Knochenmarkaspirationskonzentrat (Bone marrow aspiration concentrate – BMAC) enthält Stammzellen und Wachstumsfaktoren, allerdings wenige bis keine mesenchymalen Stammzellen. Dennoch existieren hier bei der Anwendung Effekte, die möglicherweise auf die Ausschwemmung von wirksamen Zellen bei der Aspiration oder Osteotomie zurückzuführen sind.
Klinische Bedeutung der Stammzelltherapie in der Orthopädie
Für orthopädische Indikationen sind die Effekte der Stammzelltherapie an Sehnen, Knorpel oder Knochen von Bedeutung. Bei Sehnenpathologien zeigt sich ein sehr guter Effekt bei Partialrupturen, wohingegen Totalrupturen bisher keine Indikation für eine Anwendung von Wachstumsfaktoren darstellen. Gute klinische Ergebnisse existieren besonders für die Schulter mit hervorragender und praktisch narbenfreier Heilung nach Partialrupturen der Rotatorenmanschette. Am Fuß und Sprunggelenk gibt es sehr gute Ergebnisse im Tierversuch an der Achillessehne von Kaninchen mit vergleichbar guter Sehnenregeneration. Man kann nach bisherigem Kenntnisstand davon ausgehen, dass diese positiven Effekte wohl jeweils auch auf andere Sehnenlokalisationen zu übertragen sind. Nach der Injektion an der Schulter zeigen sich Schmerz und Funktion im 2-Wochen-Verlauf deutlich verbessert. Allerdings sind im MRT auch sechs Monate nach der Injektion noch hyperintense Strukturen nachzuweisen, was auf eine persistierende Aktivität hinweist und bei der Nachbehandlung und Steuerung der sportlichen Belastung berücksichtigt werden muss. Hinsichtlich der Anwendung am Knochen existieren sehr gute Ergebnisse für Defekte an der Maxilla mit überlegenen Resultaten nach Anwendung von Stammzellen im Vergleich zu PRP. Am Knorpel scheint es durch die intraartikuläre Injektion von Stammzellen zur Ausbildung eines guten Faserknorpels zu kommen. Hyaliner Knorpel ist nach bisherigen Erkenntnissen wohl auch durch eine Stammzelltherapie nicht zu erzielen. Hier zeigt sich auch im MRT nach 12 Monaten bei arthrotischen Gelenken zunächst keine signifikante Verbesserung in der Bildgebung. In einer kürzlich veröffentlichten Studie wurde der Eindruck erweckt, dass eine einmalige intraartikuläre Injektion von Kortison ebenso gut sei wie eine Injektion von Stammzellen. Diese Ergebnisse dürfen vor dem Hintergrund nahezu aller zu diesem Thema vorliegenden Literaturstellen sowie methodischer Mängel kritisch hinterfragt werden. Zutreffender und auch mit den Erfahrungen im klinischen Alltag vereinbar dürften eher Untersuchungen sein, die eine kurzfristige positive Wirkung von Kortison im Akutstadium zeigen mit einer signifikanten Überlegenheit der Stammzellentherapie im Vergleich zu Kortison nach etwa sechs Wochen.
Fazit
Zusammenfassend sind nach bisheriger Datenlage die verschiedenen Verfahren der Stammzelltherapie sämtlich als sicher einzustufen. Vielversprechende Kurzzeiteffekte bei sorgfältig ausgewählten Indikationen sowie die Ur-Idee des therapeutischen Einsatzes der körpereigenen Apotheke sind vorhanden. Komplexe Aufbereitungsverfahren mit hohen Kosten und behördliche Hürden (vorwiegend in Deutschland) lassen allerdings eine breite Anwendung noch vermissen. Weiterhin sind die vielfältigen, unterschiedlichen Ansätze und Verfahren der Entnahme und Verarbeitung nicht geeignet, korrekte Vergleiche durchzuführen. Endgültige Empfehlungen fehlen weiterhin, was es für den Sportmediziner / Teamarzt teilweise schwierig macht, im Spannungsfeld zwischen Sorgfalt für den Sportler, Interessen der Vereine, Druck der (sozialen) Medien, medizinischen Möglichkeiten und ärztlichem Ethos die bestmögliche Entscheidung zu treffen.
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Autoren
ist Orthopäde, Unfallchirurg und Osteopath (M.D.O.) mit eigener Praxis in Hirschaid. Er leitet in der Gesellschaft für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie (GFFC) den AK (Arbeitskreis) Konservative Therapie und Sport. Außerdem hat der Teamarzt von BROSE Bamberg nach seinem Studium der Humanmedizin noch ein Studium der Zahnmedizin absolviert und ist wiss. Beirat der sportärztezeitung.