Der Mensch ist noch nicht ersetzbar
Das Thema Künstliche Intelligenz (KI) ist seit Monaten im Fokus vieler Bereiche, auch in der Medizin. Ganz allgemein gibt es einen Trend hin zur Technisierung. So gibt es gerade auch auf dem Feld der Robotik viele neue Entwicklungen, die zu Qualitätsverbesserungen führen.
Kann z. B. über einem Antischwerkraft-Laufband mit den Patienten näher am physiologischen Gangbild gearbeitet werden als bei Aquajogging (Siehe Leitlinie Gonarthrose), so gibt es mittlerweile auch robotikgesteuerte Gangorthesen, mit denen z. B. bei Querschnittgelähmten oder Schlaganfallpatienten ein physiologisches Gangbild gefördert werden kann. Ebenso spannend sind die Entwicklungen bei Exoskeletten, die sowohl präventiv als auch therapeutisch eingesetzt werden können.
Masiar Sabok Sir sprach über diese Themen mit PD Dr. Christian Sturm, dem Leiter der Physikalischen und Rehabilitativen Medizin in der Klinik für Rehabilitations- und Sportmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).
» Herr Dr. Sturm, lassen Sie uns mit dem Bereich KI beginnen. Wie ist Ihr Eindruck vom Einsatz in der Medizin davon? Überwiegen die Risiken oder die Chancen?
Die Chancen und Potenziale, welche die KI in der Medizin hat, sind groß. Da muss man sich noch nicht einmal irgendwelche abstrakten Zukunftsvorstellungen anschauen, sondern einfach einmal auf die vielen Pflichten schauen, die sich im täglichen Klinikalltag ergeben. Zum Beispiel bei Arztbriefen oder andere Dokumentationen, dessen Erstellen viel Zeit in Anspruch nimmt, kann man KI nutzen, um die Abläufe effizienter zu machen und mehr Zeit für andere medizinische Inhalte zu haben. Allerdings birgt dies auch Risiken. Zwar werden Arztbriefe schneller und einfacher geschrieben, es besteht aber die Gefahr, dass Details und Infos verloren gehen und diese Dokumentationen zu Standards und Floskeln werden, wenn man sich zu sehr auf die KI verlässt. Die inhaltliche Prüfung muss nach wie vor von dem Menschen durchgeführt werden und er ist es auch, der in der Verantwortung bleiben muss. Das ist nach wie vor nicht ersetzbar durch KI. Nehmen wir als Beispiel in der Reha die Verschreibung von Orthesen.
Ohne Prüfung durch eine Person, werden wichtige Inhalte bezüglich des Patienten vielleicht gar nicht berücksichtigt. Im schlimmsten Fall „kommunizieren“ und bestimmen zwei Programme darüber, ob etwas genehmigt wird, wenn auch bei den Kostenträgern zunehmend KI eingesetzt wird. Teilweise sogar basierend auf völlig korrekte Gesetzestexte und Paragraphen, aber ohne entscheidende Inhalte über den Patienten. Darauf darf man sich nicht verlassen.
Ein weiteres großes Thema ist das der Diagnostik. Schon jetzt gibt es z. B. in der Dermatologie Scanner, die Hautkrebs besser erkennen können als Ärzte. KI kann Skoliose erkennen und die Überwachung erleichtern. Ebenso findet man mittlerweile KI bei MRT und anderen bildgebenden Verfahren im Einsatz. Vor allem dort bieten sich große Chancen, wo die Verfügbarkeit von Fachärzten begrenzt oder gar nicht vorhanden ist, z. B. in ländlichen Gegenden. Die Ergebnisse in der therapeutischen Auswertung von apparativen Untersuchungen sind beeindruckend und teilweise über dem Niveau von Fachärzten. Diese Entwicklung wird weiter voranschreiten. Und blickt man gerade auf die Universitäten und die Wissenschaft, so bietet sich durch KI eine große Erleichterung für Literaturrecherche oder auch bei dem Einsatz von Mehrsprachigkeit, also z. B. dem Übersetzen von Deutsch auf Englisch in einwandfreie fachliche Termini. Zwar bedeutet es noch viel Arbeit, einzelne Programme präzise anzulernen, aber das geht schon heute. Auch hier besteht natürlich die Gefahr, dass bei Artikeln dann zu viel KI eingesetzt wird. Man ist aber dabei, strikte Regeln aufzustellen, so muss man z. B. klar angeben, dass KI als Hilfsmittel genutzt wurde und wobei sie eingesetzt wurde. Und natürlich steht auch hier der Mensch bzw. Autor in der Verantwortung. Diese kann man nicht an ein Programm abgeben, das muss jedem bewusst sein. Technik soll uns Mediziner in allen Bereichen helfen, uns nicht ersetzen. Der Mensch ist noch nicht ersetzbar und wird es vermutlich auch nie ganz sein.
» Ein weiterer großer Block, der auch in den Bereich der Technisierung passt, ist der, der Robotik. Hier gibt es ebenfalls viele neue Entwicklungen in der Medizin. Welche Qualitätsverbesserungen sind dadurch zu erreichen für die Patienten?
Hier müssen wir drei Bereiche unterscheiden. Zum einen gibt es schon seit längerer Zeit Chirurgie-Roboter, die z. B. bei Operationen eingesetzt werden und entsprechende Navigationshilfen dazu. Dann gibt es den Bereich der Robotik als Therapiemittel. Als Beispiel wäre hier der Lokomat als robotisches Medizinprodukt zu nennen. Hierbei läuft der Patient in einem fest installierten aber sich mitbewegenden Roboter auf dem Laufband und die Beine werden durch Motoren bewegt, damit ein physiologisches Gangbild angebahnt werden kann. Die Berufsgenossenschaften machen das schon einige Jahre, aber auch in Praxen wird es vermehrt in der Ergotherapie eingesetzt. Auch bei uns in Hannover gibt es jetzt einen ersten Lokomaten in einer Praxis für die Regelversorgung verfügbar. Diese Art der Robotik dient therapeutischen Zwecken und zeigt dazu auch gute Erfolge in Studien. Und dann gibt es noch einen dritten Bereich, nämlich den der Assistenzrobotik. Hierbei wären Roboter im Krankenhaus am Empfang zu nennen, die Patienten in die Abteilungen bringen oder das Essen liefern bzw. Material in der Klinik eigenständig transportieren. Aber auch der ganze Bereich des Smart Livings, z. B. Katzenroboter für ältere Personen, die zuhause einsam sind und eben technische Hilfsmittel, mit denen die Wohnumgebung ausgestattet werden, damit die Personen eben nicht in Pflegeheime müssen, sondern mit technischer Hilfe ihr Leben auch weiterhin zuhause verbringen können. Dazu gehören auch Smart Watches, die merken, dass man gestützt ist und dann direkt nachfragen. Gibt man keine Antwort, wird der Rettungsdienst alarmiert. Dazu gehören aber auch Telemedizin-Systeme, die von zuhause aus über Apps und Wearables überprüfen, ob von Therapeuten verschriebene Übungen richtig ausgeführt werden (siehe dazu auch Artikel „Digitale Multimodale Therapie“ von Prof. Dr. Gert Krischak, sportärztezeitung 04/23).
» Dazu passt auch der Bereich der Exoskelette. Diese kommen u. a. zum Einsatz bei Querschnittgelähmten, aber auch bei Muskelerkrankungen oder chronischen Schmerzen. Bis hin zu Unterstützungen für körperlich anspruchsvolle Arbeiten, z. B. im militärischen Bereich oder auch im Pflegebereich, wo diese Systeme präventive / prophylaktische Aufgaben übernehmen,
um beispielsweise Überlastungen zu verhindern. Welche Entwicklungen und Potenziale sehen Sie dort und wie sieht die Versorgungsrealität aus?
Das ist ein ganz spannendes Thema. Sowohl für den Bereich Prävention als auch den Bereich Therapie. Wenn man die Prävention betrachtet, eigenen sich solche Systeme zur Unterstützung von körperlich anspruchsvollen Tätigkeiten ganz normaler Arbeitnehmer. Zum Beispiel bei Personen, die am Flughafen die Koffer ein- und ausladen oder in Möbelhäusern die Regale auffüllen bis hin zum Pflegebereich in den Kliniken, wenn Patienten aus dem Bett gehoben werden müssen usw. und für langfristigere Überkopf-Arbeiten, bei denen die Arme und der Kopf unterstützt werden können. Dabei gibt es passive und aktive Systeme. Die eigene Bewegung wird quasi assistiert, was anfangs ein sehr komisches Gefühl sein kann, wenn eine Bewegung, die man selbst beginnt, durch das Exoskelett fortgeführt wird. Außerdem kann man solche Systeme als Entlastung auch bei Personen einsetzen, die schon Beschwerden haben und schließlich bei Personen, die Ausfälle haben, also bei denen z. B. neurologisch degenerative Erkrankungen schlimmer werden. Von Lifeward (ehemals ReWalk) gibt es sogar ein recht großes Exoskelett, das bei Querschnittgelähmten eingesetzt wird und dabei hilft, dass diese aufrecht stehen und gehen können, was beispielsweise gut gegen Sekundärkomplikationen wie Thrombose oder Verdauungsbeschwerden ist. An der Medizinischen Hochschule Hannover arbeiten wir gerade an einem Projekt, das verschiedene Exoskelette austestet, die beim Pflegepersonal unterstützend zum Einsatz kommen sollen. Zwar sind solche Systeme kostspielig, jedoch können Ausfälle in der Pflege für die Kliniken zu weitaus mehr Kosten führen als die Anschaffung solcher Technologie. Der aktuelle Fachkräftemangel macht die Robotik für Kliniken auch finanziell wieder interessanter. Es geht dabei auch nicht darum, dass eine Pflegekraft solch ein Exoskelett durchgehend trägt oder bei jeder Aufgabe anlegt, aber alleine schon, wenn sie z. B. bei der Morgenrunde für zwei Stunden das System trägt und unterstützt wird, hat es schon einen positiven Effekt. Nicht unterschätzen darf man, dass dies auch als modern und damit attraktiv für das Personal gilt, ebenso können Kliniken damit eine Leistung mit Fürsorgecharakter anbieten, die den Mitarbeit ihre Arbeit erleichtert und präventiv ihre Gesundheit schützt. Alles keine unwichtigen Punkte in Zeiten des Fachkräftemangels.
Ich bin mir sicher, dass diese Art der Robotik überall ihre Einsatzmöglichkeiten finden wird und über kurz oder lang auch überall im Einsatz sein wird. Dennoch wird es in absehbarer Zeit zu keinem Masseneinsatz kommen, was auch an der teilweise noch fehlenden Akzeptanz liegt. Gewicht, Bedienung, das Anlegen des Exoskeletts, all das sind Dinge, die mögliche Nutzer erst einmal abwarten lassen. Aber sowohl von der technischen Entwicklung als auch von der Gewöhnung daran, dass diese Unterstützung irgendwann zum Alltag gehört, wird sich das durchsetzen. Es wird einfach in Zukunft „normaler“ sein. Im Reha-Bereich wird Robotik als Gangrobotik, Armtraining und mit den Exoskeletten sicher mehr werden. Noch ist es eher die Ausnahme als die Regel, auch weil sie von den Krankenkassen noch nicht durchgehend routinemäßig übernommen werden. Aber auch hier werden wir sehen, was die Zukunft bringt. Wichtig ist die fachliche Begleitung durch spezialisierte Ärztinnen und Ärzte, wie aus dem Fachgebiet der Physikalischen und Rehabilitativen Medizin, um Sicherheit und Sinnhaftigkeit der Anwendung zu beurteilen. Nicht alles, was technisch geht, macht auch Sinn.
Vielen Dank für das interessante Gespräch.
Anmerkung der Redaktion
Die Autoren zeigen auf, dass KI-Technologien traditionelle klinische Ansätze in der Behandlung psychischer Erkrankungen vielversprechend ergänzen können, ohne menschliche Ärzte oder Pflegepersonal zu ersetzen.
Autoren
studierte an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) Medizin und ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin. Er ist Leiter der Physikalischen und Rehabilitativen Medizin in der Klinik für Rehabilitations und Sportmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Darüber hinaus ist Dr. Sturm Sprecher der Kommission Digitalisierung der Deutschen Gesellschaft für Physikalische und
Rehabilitative Medizin (DGPRM). Er ist Sportmediziner, Arzt für Manuelle Medizin und für spezielle Schmerztherapie.