Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich in meinem Alter (45) tatsächlich noch meinen eigenen Muskelverletzungsfall als Case Report schreiben würde, aber leider hat es mich dann Ende 2023 doch erwischt und da vor dem Weihnachtsurlaub noch sehr großer Andrang in der Praxis herrschte, musste mir ein Kollege aus der Radiologie schnell helfen und mein Team und ich schnell therapieren… mit herausragendem Ergebnis! Aber der Reihe nach…
Vorgeschichte
Am 10.12.2023 zog ich mir als Co-Trainer beim Fußballtraining meines 9-jährigen Sohnes bei einer schnellen Drehschussbewegung eine myofasziale 3b-Verletzung des M. gluteus medius links zu. Direkt nach der Verletzung war ich zunächst kurz nicht in der Lage, überhaupt zu stehen und im Verlauf tatsächlich bei seitlichen Stabilisierungsbewegungen linksseitig instabil. Gehen war zunächst nur mit Hilfe möglich, da sich ein Trendelenburg-Phänomen eingestellt hatte. Unmittelbar im Anschluss an die Verletzung konnte ich leider nur ausgiebig mit Eisauflagen und Kaltwasserbädern (8 ° Celsius) zur Analgesie und zur Reduktion der Einblutung kühlen und so gut es ging „hochlagern“, eine echte Kompression war an dieser Stelle nicht möglich und wäre sicherlich auch zu schmerzhaft gewesen. Ein seitliches Anheben des linken Beines (im Sinne einer Abduktion der Hüfte) war in Rechtsseitenlage am Abend des Unfalls aufgrund der heftigen Schmerzen unmöglich, was mir wirklich große Sorgen machte. An Linksseitenlage zur Kompression war auch nicht zu denken. Innerhalb von zwei Tagen bildete sich ein massives Hämatom am Beckenkammansatz.
Klinischer Untersuchungsbefund vor 1. Behandlung am 11.12.2023
Druck-, Dehnungs- und Anspannschmerz im gesamten Bereich des Gluteus medius und am gesamten linksseitigen Beckenkammansatz ventral und lateral. Außerdem bestand sofort nach der Verletzung eine Taubheit der Haut über dem M. gluteus medius. Trendelenburg-Phänomen beim Gehen auf der betroffenen li. Seite. Abduktion der linken Hüfte ist in Rechtsseitenlage nicht möglich, im Stehen sehr deutlich eingeschränkt. VAS in Ruhe 5, bei Belastung 8 – 9!
MRT vom 11.12.2023
- langstreckiges (knapp über 9 mm) myofasziales Ödem mit Einblutungen des proximalen Musculus gluteus medius (Serie 8 IMA 26, Serie 7 IMA 26) mit partiell amorpher und fehlender Darstellung der Muskelfaszie
- fokale Ablösung (5 mm) der Faszia gluteae am Beckenkamm
- partielle, fasziale Avulsion der Muskelbündel mit wellig-elongierten Verlauf (Serie 3 IMA 14).
Normalerweise würde in so einem Fall, mit solch starken Schmerzen, kräftigem Hämatom und Ödem sowie massiver Funktionseinschränkung der verletzten Muskulatur, wahrscheinlich meist folgende Therapie angewendet werden: NSAR für 2 – 3 Wochen zur Schmerzbehandlung, Kühlung weiter auf die übliche Art mit Eisauflagen sowie MLD durch Physiotherapeuten, körperliche Ruhe, evtl. sogar Entlastung an UAGS wegen der Instabilität (dann evtl. sogar Thrombosespritzen). Später schmerz-adaptierte Belastungssteigerung mit dem Physiotherapeuten.
Therapie
Ich verzichtete trotz der starken Schmerzen auf Schmerzmittel (NSAR), weil ich von der – wissenschaftlich bereits erwiesenen – die Sehnen- und Muskelheilung reduzierenden Wirkung der NSARs absolut überzeugt bin und ich dies für mich in dieser Situation auf keinen Fall wollte. Ich entschied mich, nach Diagnosestellung im MRT und Ausschluss einer OP-Indikation, für folgende Kombination aus konservativen, regenerativen Therapien, die vom 11.12. – 19.12.23 täglich von meinem Praxisteam (dem ich hiermit von Herzen danken möchte!!! Ihr seid einfach spitze!!!) durchgeführt wurde:
High-Power Laser (DolorClast High Power Laser, 300 W, Electro Medical Systems, Nyon, CH): Tgl. an 3 nebeneinanderliegenden Stellen im Verletzungsgebiet, jeweils für 5 Minuten (also insgesamt 15 Minuten pro Behandlung) antiinflammatorisch
Therapeutische Kernspinresonanz (MBST, Firma Medtech, Arthro Spin Flex, 7er Sehnenkarte): Insgesamt 7 Sitzungen á 60 Minuten mit einer Sehnen-Rumpf-Programmierkarte, 1 x tgl.
Radiale Stoßwellentherapie (Swiss DolorClast, radiale Stoßwellen, Electro Medical Systems, Nyon, CH): rESWT im Bereich der Verletzung und mit Steigerung des Applikationsdrucks zur maximal tolerierbaren Schmerzgrenze und Applikation bis zur spürbaren Reduktion der Schmerzen (ca. 10.000 Impulse, 25 Hz, 40 mm- und 20 mm-Applikator)
Neuroreflektorische hyperbare CO2-Cryotherapie (Cryolight, ELMAKO, Iffezheim, DE):
Gesamtes betroffenes, geschwollenes und schmerzhaftes Gebiet des M. gluteus medius bis zum
ganzen Beckenkamm; 3 x auf 0 – 4 Grad heruntergekühlt
So frühe und so viel Bewegung wie möglich (was der Schmerz im gut tolerierbaren Bereich zulässt!). Eigenes Athletiktraining zur Stabilisierung und Förderung der Ansteuerung.
Entzündungshemmende Kombination aus Insumed PhytoShake 1 x tgl. 10 g, Traumeel 6 x 2 Tbl. und Wobenzym 3 x 3 Tbl. während der gesamten Therapiezeit.
Aus einer Vielzahl von Behandlungen gleicher oder ähnlicher Indikationen ist uns bekannt, dass die Kombination dieser Therapieformen bei Muskel- oder Sehnenverletzungen sehr oft zu einer raschen Linderung der Schmerzen sowie einer besseren und rascheren Regeneration als gewöhnlich geführt hatte. Beschreibungen für den kombinierten Einsatz all dieser oben angegebenen Behandlungsmethoden bei diesem Krankheitsbild und v. a. in dieser Ausprägung liegen in der Literatur aber bisher natürlich nicht vor.
Der Hochenergie-Laser wurde immer direkt vor der MBST und somit 60 Minuten vor der ESWT-Behandlung wie oben angegeben appliziert, da wissenschaftlich eindeutig belegt ist, dass durch den Laser eine Schmerzlinderung stattfindet (die ihren Höhepunkt nach ca. 60 Min. erreicht), wodurch danach bei der folgenden radialen ESWT deutlich höhere Arbeitsdrücke toleriert werden können, was diese Therapie noch effizienter macht. Aus meiner Erfahrung gilt diese rasch schmerzlindernde Wirkung auch für die MBST-Behandlung, was dazu führte, dass der Arbeitsdruck bei der ESWT-Behandlung extrem rasch und extrem stark gesteigert werden konnte. Nachdem am 1. Behandlungstag lediglich Drücke um 1,3 – 1,6 bar möglich waren, konnten am 2. Tag bereits 3,0 bar und am 3. Tag sogar 4,0 bar mit dem großen 40 mm-Applikator appliziert werden. Ab dem 4. Tag war dies sogar mit dem 20 mm-Applikator gut möglich. Viel wichtiger als die Schmerzlinderung war mir bei der MBST-Therapie allerdings die bekannte gewebsregenerierende Wirkung, die ich bereits unzählige Male an Patienten beobachten durfte. Hierzu kommt noch der Synergismus der drei Therapien, da der Laser (direkt nach Trauma angewendet) sowohl einerseits Sauerstoffradikale im verletzten Gewebe reduziert und damit antiinflammatorisch und antiödematös wirkt, andererseits aber auch das Collagen-Remodeling im verletzten Muskel hemmt und somit einer raschen Narbenbildung entgegenwirkt. Dies in Kombination mit der eindeutig wissenschaftlich erwiesenen starken muskelregenerierenden Wirkung der radialen Stoßwellentherapie und auch der MBST führt zu einer perfekten Kombination für Muskel- und Sehnenverletzungen. Die hyperbare CO2-Kältetherapie wurde nach jeder Behandlung 3 x bis zu einer Temperatur von 0 – 4 ° Celsius im behandelten Gebiet durchgeführt. Sie führt zu einer schnellen Wiederherstellung der Semi-Permeabilität der Zellmembranen nach Verletzung und wirkt antiinflammatorisch und sehr schnell schmerzlindernd. Eine frühestmögliche Beübung der verletzten Muskulatur mit Abduktionsübungen, Gehschule und Stabi-Übungen wurde ab dem 1. Behandlungstag mit rascher Steigerung der Intensität durchgeführt.
Verlauf
Durch diese Maßnahmen kam es zu einer extrem schnellen Beschwerdebesserung. Schon direkt nach der 3. Behandlung, also am 3. Tag nach Trauma, konnte ich nahezu schmerzfrei wieder eine volle Abduktion der linken Hüfte in Rechtsseitenlage ausführen und soweit stabil gehen, dass ich vollumfänglich arbeitete. Am 4. Tag konnte ich bereits wieder normal und schmerzfrei gehen, am 5. Tag einbeinige Kniebeugen und Stabilisationsübungen machen. An Tag 6 war Joggen möglich, an Tag 7 konnte ich beschwerdefrei eine Treppe hinaufsprinten. Außerdem konnte ich als Co-Trainer in der Fußballmannschaft meines Sohnes schon wieder Bälle beim Warmmachen vor einem Turnier zuspielen. Am 10. Tag war hohes beidbeiniges Abspringen und Landung einbeinig auf dem betroffenen Bein sowie 3 km Joggen mit Tempo ohne Schmerzen und mit voller Stabilität möglich.
Am 11. Tag konnte ich bereits wieder beim Training meines Sohnes mitspielen. Am 15. Tag war dann auch Fußballspielen im Erwachsenenbereich wieder stabil und völlig schmerzfrei möglich.
Die MRT-Kontrolle vom 22.12.2023 (11. Tag nach Trauma)
- die myofaszialen Konturen sind wieder schärfer abgrenzbar. Partielle Demaskierung myofaszialer, umschriebener Serome ohne raumfordernde Wirkung (Serie 8 IMA 27 und Serie 7 IMA 27; VU Serie 8 IMA 26 und Serie 7 IMA 26).
- die Avulsion am Beckenkamm ist heute nicht mehr nachweisbar
- die vordokumentiert elongiert verlaufenden Muskelbündel weisen wieder einen gestraffteren Verlauf auf und einen Kontakt zu der partiell verstärkt abgrenzbaren Muskelfaszie (Serie 3 IMA 16 vs. Serie 3 IMA 14 bei der VU).
Es bleibt hier festzuhalten, dass das Ergebnis der MRT-Kontrolluntersuchung nach dieser Kombinationstherapie meistens nicht ganz mit dem klinischen Verlauf mithalten kann. Dies ist aber unserer Erfahrung nach auch nicht notwendig. Wir orientieren uns immer am klinischen Verlauf und nicht am MRT allein. Es wird in der Sportmedizin, v. a. auch im Profisport aus unserer Sicht zu viel Wert auf die komplette Wiederherstellung im MRT gelegt, was aber nicht notwendig ist. Es gibt unserer Erfahrung nach definitiv keine höhere Re-Verletzungsrate, wenn man sich am klinischen Verlauf, Sono-Kontrollen und z. B. auch EMG-Messungen in der betroffenen Muskulatur orientiert.
Fazit
Durch die Kombination aus Hochenergie-Lasertherapie, rESWT, MBST, hyperbarer CO2-Kältetherapie, antiinflammatorischer Therapie aus Phytopharmaka- und Enzymtherapie und frühzeitigem Athletiktraining lässt sich auch bei einem so ausgeprägten Befund ein sehr zufriedenstellendes, belastungsstabiles und rasches Ergebnis im Hinblick auf Schmerzfreiheit und Return-to-Sport erreichen.
Ausblick
Zukünftig dürfte die hier beschriebene Kombinationstherapie oder – wenn nicht alle zur Verfügung stehen – zumindest Teile davon aus meiner Sicht in der Behandlung von Muskelverletzungen sowohl bei Profi-, wie auch bei Hobbysportlern eine gewichtige Rolle spielen. Leider scheinen die erstaunlichen Regenerationsmöglichkeiten in Bezug auf die viel schnellere Ausheilung von Muskel-, Sehnen- und auch Bandverletzungen, die niedrigere Re-Verletzungsrate und auch die Präventionsmöglichkeiten v. a. für Muskelverletzungen in der allgemeinen Sportmedizin, der Orthopädie und auch leider in vielen Profisportbereichen noch nicht angekommen zu sein. Das versuchen wir durch das Netzwerk der sportärztezeitung zu ändern – für alle, die dazu bereit sind, über den Tellerrand zu blicken. Mir macht diese Form der Behandlung großen Spaß, wir haben unglaubliche Erfolge für unsere Patienten und jetzt hat es mir selbst wochen-, wenn nicht gar monatelange Probleme erspart.
Für alle interessierten Kollegen möchte ich noch auf 2 Dinge hinweisen:
1. die guided Education Fortbildungen der thesportgroup academy – Präsenz oder online! Die aktuellen Termine dafür finden Sie hier…
2. die Bedeutung von Hospitationen innerhalb der Sportmedizin: Die Themen moderne Therapiemöglichkeiten und Prävention sind noch lange nicht konservativ ausgeschöpft. Auch wenn dabei natürlich immer die Versorgungs-realität in unserem Gesundheitssystem und der einzelne Patient in seiner aktuellen Situation berücksichtigt werden müssen, ist es unser Ziel, gemeinsam mit den Kollegen und in Zusammenarbeit mit der sportärztezeitung neue Standards zu erarbeiten für eine bessere Sportmedizin.
Videodokumentation des Falls
Einwurf eines Radiologen…
In der Akutdiagnostik muskulärer Verletzung hat die MRT gegenüber der auch performanten Sonographie den Vorteil, die Anatomie der involvierten, aber auch nicht verletzten, benachbarten Strukturen anschaulicher darzustellen. Dies gilt für die Primärdiagnostik, aber gerade auch für die Verlaufsuntersuchungen. Das für die Prognose wichtige Ausmaß der Verletzung, aber auch der Bezug zu den biomechanischen Übertragungsketten (myofaszial, myotendinös, rein muskulär oder kombiniert) wird gut dokumentiert. In der Akutphase der Verletzung kann durch das ausgedehnte Ödem und das Hämatom die MRT jedoch die Muskelverletzung überschätzten. Hier ist die Bildqualität mit einer der Muskelanatomie gerecht werdenden Auflösung für die richtige Diagnose von zentraler Bedeutung! In dem vorliegenden Fall war die myofasziale Verletzung des M. gluteus medius klar dokumentiert und vom Ödem und Hämatom abzugrenzen. Bereits bei der Folgeuntersuchung nach 11 Tagen stellten sich die reparativen Vorgänge mit fibrotischer Reorganisation der Faszie und der Ankopplung der traumatisch myofaszial abgelösten Muskelbündel dar. Besonders gut veranschaulicht ist dies an dem wieder gestraffteren Verlauf der primär nach der Verletzung retrahierten, welligelongiert verlaufenden Muskelbündel. Der Fall illustriert exemplarisch das schnelle Regenerationsvermögen einer Muskelverletzung.
Dr. med. Peter Mundinger, ist Facharzt für Diagnostische Radiologie, Zusatzbezeichnung Neuroradiologie, Spezialist für muskuloskelettale Bildgebung / Radiologischen Privatpraxis H15
Einwurf eines Orthopäden…
Aktionismus? Ja, mit Sinn und Verstand: In der heutigen unter hohem Genesungsdruck stehenden sportmedizinischen Landschaft ist es weit verbreitet, eine solche Verletzung zu punktieren, PRP, Actovegin, Lokalanästhetika, Traumeel o. ä. zu infiltrieren und die Unterarmstützen für 7 Tage auszupacken. Peter zeigt eindrücklich, dass es auch ohne invasive Verfahren möglich ist, eine schwere Muskelverletzung sehr zügig erfolgreich zu behandeln. Zusätzlich zu den sinnvoll abgestimmten entzündungs- und heilungsmodulierenden physikalischen Maßnahmen scheint die frühzeitige schmerzadaptierte Aktivität und der Verzicht auf NSAR auch ein wesentlicher Beitrag zum Erfolg gewesen zu sein. Besonders hervorzuheben ist die MRT-Diagnostik im Verlauf. Dadurch konnten die strukturellen Veränderungen nach der multimodalen Therapie reproduzierbar gemacht werden. Darum geht es uns für die Zukunft der Sportmedizin. Wie im radiologischen Kommentar dargestellt – „Der Fall illustriert exemplarisch das schnelle Regenerationsvermögen einer Muskelverletzung“ – konnten wir bzw. Peter Stiller dies deutlich mit den genannten Therapien und Ernährung (!) positiv beeinflussen.
Spannend zu sehen, dass wir trotz unserer Neigung zu invasiven Therapiemethoden auch aussichtsreich „anders“ agieren können und somit ein Ausrufezeichen für physikalische Maßnahmen in der Sportbetreuung setzen.
Dr. med. Alberto Schek, ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Zusatzbezeichnung Spezielle orthopädische Chirurgie, Sportmedizin, Manuelle Medizin sowie Sportosteopathie DO / Paracelsus Sportmedizin & Prävention Bremen
Autoren
ist Facharzt für Allgemeinmedizin und Notfallmedizin in der Praxis Allgemeinmedizin Lechhausen & MedWorks – Privatärztliche Praxis, Augsburg. Er ist ehemaliger Mannschaftsarzt des Profiteams des FC Augsburg und wiss. Beirat der sportärztezeitung.