Haben Sie sich einmal darüber Gedanken gemacht, aus welchem Grund alle Soldaten vor Auslandseinsätzen bei der Bundeswehr zum Zahnarzt geschickt werden? Entzündungen im Mund und dadurch bedingte Ausfälle sollen im Ausland vermieden werden. Genau dieses Denken besteht beim Sport. Ob nun Leistungssport, den immer mehr Menschen in ihrer Freizeit betreiben oder im Profisport.
Ein ambitionierter Sportler achtet penibel auf seine Ernährung, trackt Zeit, schreibt Trainingshefte – und achtet dabei leider oft viel zu wenig auf die Auswirkungen der kleinen Kraftpakete im Mund.
Der Profisport ist dahingehend schon gut aufgestellt. Es wird Zeit, dass sich auch unsere Amateur- und Freizeitsportler mehr angesprochen fühlen. Denn zunehmend nutzen sehr viele den Sport als körperlichen Ausgleich zu ihrem stressigen Job. Es gilt gesund und verletzungsfrei zu werden oder zu bleiben.
Dabei gibt es mehrere Berührungspunkte zu den Zähnen. Zum einen spielt der richtige Biss eine große Rolle für die gesamte Körperstatik (https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0304394016300714). Bereits in den in den 1990iger Jahren haben klinische Studien diesen Zusammenhang gezeigt. Schon ein fehlender Zahn, eine Krone oder eine zu hohe Füllung kann den Zusammenbiss vom Ober- zum Unterkiefer so verändern, dass die Verzahnung zwischen beiden Zahnreihen fehlerhaft ist. Die Folgen sind Verspannungen, meist zuerst im Nacken und geht dann absteigend über die Schultern über zum Rücken. Eine klassische „absteigende Kette“, wie es medizinisch bezeichnet wird. Diese Dysbalance, die dadurch im Körper entsteht, erhöht die Verletzungsgefahr bei Sportlern erheblich. Der Körper funktioniert hier wie eine Marionette. In den Medien wurden die Namen Carsten Ramelow, Frank Ribéry und Jens Lehmann genannt. Die Liste lässt sich fortsetzen. Nur ein optimal eingestellter Biss führt dazu, dass die Muskulatur optimal funktioniert und die Gelenke geschont werden. Die Spannung des Muskels sinkt in Ruhe- und Erholungsphasen, um bei Aktionsbedarf seine volle Leistungsfähigkeit zu entfalten. Auch die Muskelkoordination verbessert sich spürbar. Dabei beschränkt sich der Einfluss der Mund-, Kiefer- und Gesichtsmuskulatur nicht nur auf den Kopf und den Schultergürtel, sondern beeinflusst darüber hinaus den gesamten Bewegungsapparat. Wir betrachten heute den Körper als Ganzes. Betätigen wir ein „Stellrad an einer Stelle“ des Körpers, beobachten wir die Wirkung vielfach an einer anderen. Zum Beispiel hat der Zusammenbiss des Ober- und Unterkiefers Auswirkungen auf das Fußgewölbe, und umgekehrt.
Fallbeispiele
Ein Beispiel aus meiner Praxis zeigt seit Monaten immer wiederkehrende Beschwerden rechts mit hinterherziehen des rechten Beines. MRT und Röntgen waren unauffällig, orthopädische Schmerztherapien zeigten nur kurzfristigen Erfolg. Es zeigte sich ein fehlender Zahn auf der rechten Seite des Unterkiefers mit einer unvollständigen Heilung des Knochens, obwohl die Entfernung des Zahnes bereits einige Jahre her war und ein ungleichmäßiger Kontakt der beiden Zahnreihen zueinander. Und in unserem Bereich reden wir nicht von Millimetern, es reichen kleinste Dysbalancen. Meine Hilfs-Therapie war anfangs ein Gelkissen, welches nachts zwischen die Zahnreihen gelegt werden sollte und eine tens-Therapie zur Entspannung der Kaumuskulatur. Das half bereits sofort. Ebenfalls wurde in einer weiteren Sitzung eine Störfeldtherapie mit Procain an der unvollständig ausgeheilten Knochenwunde mit Procain gemacht, wodurch die Schmerzen schlagartig komplett verschwanden. Folgend stellten wir eine Ausgleichsschiene her, um den Biss zu stabilisieren und arbeiteten neuraltherapeutisch weiter. Der Patient ist seitdem beschwerdefrei.
Ein weiterer Patient beschwerte sich über seit langer Zeit bestehende Knieschmerzen, bei denen orthopädischen Behandlungen fehlschlugen. Der zahnärztliche Befund weist zum einen einen viel zu niedrigen Biss mit Kompression beider Kiefergelenke auf und zum anderen eine schlechte Wurzelfüllung mit Entzündungszeichen an einem unteren Molar auf. Nach Behandlung dieses Patienten durch eine Schiene und eine neue Wurzelbehandlung ist auch er beschwerdefrei.
Des Weiteren äußern sich bakterielle Entzündungen des Mundes, wie Zahnfleischentzündungen und die Parodontitis (Knochenabbau) auf die Muskeln und Sehnen, was Verletzungen fördern kann oder lange Heilungszeiten fordert.
Bakterien einer Zahnfleischerkrankung machen sich ungehemmt auf den Weg durch den ganzen Körper, Speichel und Blut sind hervorragende Transportmittel. Dann setzen sich diese aggressiven Mundkeime, vor allem Porphyromonas gingivales, an den Gelenken, im Herzen, im Gehirn usw. fest. Als Folge können rheumatische Erkrankungen, Herzinfarkte oder Schlaganfälle entstehen.
Ein Großteil der Zahnärzte schaut sich dabei den sogenannten Parodontalen Screening-Index (PSI) an. Wenn dadurch Anzeichen gemessen werden, die auf eine Parodontitis schließen lassen, ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Ich messe seit Jahren die aMMP-8 (aktivierte Matrix-Metalloproteinase 8) Biomarker als aktiven, oralen Kollagenabbauprozess im Speichel, um Abbauprozesse zu erkennen, bevor sie röntgenologisch sichtbar und beim PSI messbar werden. Denn bei einem Großteil der Betroffenen werden die Abbauprozesse viel zu spät erkannt (Barmer Zahnreports (2017)). Ich möchte gar nicht über die Folgen eines Zahnverlustes reden, denn die oben genannten Auswirkungen sind erschreckend genug. In meiner Praxis sind die Patienten hoch motiviert, falls sie ein „schlechtes“ Ergebnis beim Test erhalten und erhöhen ihre Compliance extrem.
Auch einzelne Zähne können durch Karies, einer Entzündung an der Zahnwurzel oder durch schlechte Wurzelfüllungen ein Auslöser für körperliche Beschwerden sein. Wenn wir den Stress durch die körperlichen Betätigungen des Sportlers noch dazurechnen, dann füllt sich der Ballast im Rucksack noch weiter und der Körper muss immer mehr dagegen steuern. Das Immunsystem arbeitet auf Hochtouren, der Körper empfindet vermehrten Stress – was die Regeneration noch weiter einschränkt. Ein Teufelskreis beginnt.
Leider weisen die üblichen isotonischen Getränke, die fleißig als gesund und leistungsfördernd beworben werden eine enorme Menge an Zucker und Süßstoffen auf. Diese schaden nicht nur direkt den Zahn, weil sie durch ihre Konsistenz super gut an der Zahnoberfläche kleben, sondern sie lassen auch permanent das Immunsystem arbeiten, weil durch die ständige Freisetzung von Insulin immer wieder eine Entzündungsreaktion in Gang gesetzt wird. Auch hier sind regelmäßige Zahnarztbesuche dringend zu empfehlen.
Zu guter Letzt möchte ich noch auf den mechanischen Schutz der Zähne beim Sport eingehen. Angefangen vom Schulsport, der bereits bei kleinen Kindern beginnt und die mitunter gerade neuen Zähne verletzten kann, vor allem, wenn diese von der Zahnstellung noch ein breites Angriffsfeld bieten. Jeder kennt es, wenn ein Ball, ein Sturz aufs Gesicht die schönen Frontzähne abbricht oder sogar ausschlägt. Noch gefährlicher leben Sportler von Kontaktsportarten, wie Boxen, Fußball oder Eishockey. Offiziell treffen zwei Prozent aller Sportverletzungen im Jahr die Zähne. Dunkelziffer unbekannt. Dabei sind die oben genannten Auswirkungen noch gar nicht mit eingerechnet. Deshalb sollte ein Sportler sich zu seiner bestens passenden Kleidung, die atmungsaktiv ist, zu den passenden Schuhen mit perfekter Sohle doch bitte auch auf seine Zähne konzentrieren und bei Bedarf einen vom Zahnarzt angepassten Sportmundschutz tragen. Dieser gewährleistet die Atmung und zudem die Sprache, verhindert Kieferfrakturen und beugt Kopf- und Nackenverletzungen vor. Und darüber hinaus schützt ein perfekt sitzender Sportmundschutz die Zähne und sämtliche intraoraler Strukturen und das Weichgewebe.
Abschließend noch einmal in Tipps zusammengefasst:
- Ziehen Sie sich bei Zahnarzt einmal die Schuhe aus, und die richtige Statik betrachten zu können.
- Lassen Sie Ihren Speichel untersuchen, bevor der Knochenabbau beginnt.
- Vereinbaren Sie ein individuelles Intervall für die Professionelle Zahnreinigung!
In meiner Praxis arbeite ich zudem zur Früherkennung noch mit anderen alternativen Systemen, um die Patienten an einem Punkt anzuholen, an dem Sie noch sehr viel selbst in der Hand haben.
Autoren
studierte an der Charité Berlin 2002-2009, danach Assistenzzeit und Angestellte Zahnärztin in Müllrose, Potsdam und Berlin. Seit 2017 hat sie eine eigene Praxis in Potsdam, mit Fokus Myofunktionelle Therapie, CMD und Parodontitis aus ganzheitlicher Sicht. 2017 Promotion, verschiedene Fortbildungen zu ganzheitlichen Themen, i.A. zum Heilpraktiker.
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