Muskuloskelettale Beschwerden sind in der Bevölkerung weit verbreitet [1]. Einen großen Anteil an diesen Beschwerden nimmt der chronische Kreuzschmerz ein [2]. 60 – 80 % der Erwachsenen-Bevölkerung gibt Episoden von chronischen Kreuzschmerzen an, welche typischerweise zwischen dem 35. und 55. Lebensjahr auftreten [2].
Bis zu 95 % der Bevölkerung hat zumindest einmal Kreuzschmerzen im Leben, wobei 20 – 44 % davon wiederholte Schmerzen innerhalb eines Jahres angeben [2]. Die Ursachen für den Kreuzschmerz sind vielfältig – z. B. Facettengelenksdegeneration, Discusherniation, Vertebrostenose, Fraktur bei Osteoporose oder traumatisch, Wirbelgleiten oder auch funktionelle Ursachen wie Blockierungen, Instabilitäten, Sehnenansatzprobleme, Fehlhaltung oder Muskeldysbalancen. Differentialdiagnostisch müssen natürlich immer auch die umgebenen Strukturen (z. B. ISG, Hüfte, M. piriformis) als Auslöser und vor allem schwerwiegende Erkrankungen (z. B. ossäre Metastasen, Discitis…) ausgeschlossen werden. Dafür ist das Wissen hinsichtlich möglicher „red flags“, die als Warnhinweise und als Anlass für eine weitere Abklärung zu sehen sind, entscheidend. Exemplarisch sind dabei das Alter (< 20 a und > 55 a), eine Zunahme und Persistenz trotz Therapie, eine rezente Verletzung, bekannte maligne oder entzündliche Erkrankungen, Osteoporose, eine Langzeittherapie mit Steroiden oder Immunsuppressiva, ungewollter Gewichtsverlust, Fieber in der Anamnese oder neurologische Ausfälle/Symptome bzw. schwere strukturelle Deformitäten im Status zu erwähnen. In der Behandlung von Kreuzschmerzen bedarf es somit einer genauen Anamnese, einer guidelines-basierten Diagnostik und einer guidelines-basierten Therapie. Diese umfassende Betreuung wird häufig vom Facharzt bzw. von der Fachärztin für Physikalische Medizin und allgemeine Rehabilitation (FA/Ä für PMR) durchgeführt, da vor allem der Kreuzschmerz ein häufiger Grund für die Vorstellung ist und die Ausbildung all diese erwähnten Punkte bestens abdeckt.
Aufklärung, Beratung und Hilfe zur Selbsthilfe
Der chronische Kreuzschmerz wird aktuell als Hauptgrund für einen Krankenstand in Österreich angegeben [1] mit einem dementsprechend hohen sozioökonomischen Faktor. Eine vollständige Beschwerdefreiheit ist bei Patienten mit chronischen Kreuzschmerzen trotz adäquater medizinischer Betreuung nicht zu erwarten. Von großem Interesse sind die Faktoren, welche zu einer Zufriedenheit mit dem Gesundheitszustand trotz dieser chronischen Erkrankungen beitragen. Es gilt, diese bestmöglich und individuell in die Behandlung zu integrieren. In einer eigenen Studie konnten wir zeigen, dass die Unabhängigkeit von medizinischer Betreuung der wichtigste Faktor für die Zufriedenheit mit dem Gesundheitszustand bei österreichischen Männern und Frauen mit chronischen Kreuzschmerzen ist [4]. Dies sollte auf unsere Betreuung gerade dieser Patientengruppe Einfluss nehmen und vermehrt auf die Wichtigkeit der genauen Aufklärung hinsichtlich der Erkrankung und der Hilfe zur Selbsthilfe hinweisen. Diese Punkte, die Aufklärung und Beratung, sind wichtige Bestandteile der Untersuchung durch den/die FA/Ä für PMR. Weitere wesentliche Bereiche sind wie oben erwähnt die genaue klinische Untersuchung inkl. manualmedizinischem Status und eventuell nötige Einleitung bzw. Durchführung einer weiterführenden Diagnostik (Bildgebung, Elektrophysiologie, Labor). Die Abklärung, ob die Symptomatik bzw. Klinik zu in der Bildgebung gefundenen Diagnosen passt, bedarf sowohl Erfahrung als auch genug Zeit, dies dem Patienten ausreichend verständlich zu erklären.
Physikalisch-medizinische Behandlung
In der Betreuung von Kreuzschmerzpatienten kommt nach der Diagnosestellung und Abklärung etwaiger Kontraindikationen die physikalisch-medizinische Behandlung zum Einsatz. Diese stellt ein weites Spektrum dar – von manualmedizinischer Behandlung über Infiltrationen, Stoßwellenbehandlung, Tapen, Echtzeit-Ultraschall bis zur medikamentösen Schmerzbehandlung und Zusammenstellung eines individuell zusammengestellten physikalischen Therapieplanes.Bei der Erstellung des Therapiekonzeptes ist es wichtig, nicht nach einem Standardschema für Kreuzschmerzpatienten vorzugehen, sondern dieses Behandlungskonzept individuell – basierend auf der Anamnese und der klinischen Untersuchung – zu erstellen und entsprechende Erfahrungen seitens des Patienten einfließen zu lassen. Im Rahmen der Prävention ist das Wissen sowohl über Risikofaktoren für Kreuzschmerzen, wie z. B. ein erhöhter BMI oder Bewegungsmangel als auch über effektive präventive Maßnahmen, wie „exercise“ und „back schools“, nötig. Beim Sportler müssen zusätzliche Punkte wie unangepasstes Training, das Regelwerk oder auch biomechanische Aspekte beachtet werden. Eine effektive Präventivmaßnahme ist u. a. auch die Verbesserung der Stammmuskulatur („core stability“), welche vor allem beim Sportler ein wichtiger Bestandteil der Behandlung ist.
In der Behandlung von chronischen Kreuzschmerzpatienten ist die Beachtung der „European Guidelines for the management of chronic nonspecific low back pain“ [5], die eine multidisziplinäre Behandlung mit Bewegungstherapie, Verhaltenstherapie, Rückenschule mit ergonomischer Beratung und Stressmanagement im Sinne eines bio-psycho-sozialen Ansatzes empfehlen, entscheidend für den langfristigen Therapieerfolg. Dass ein intensives, über ein halbes Jahr durchgeführtes, multidisziplinäres Rehabilitationsprogramm positive Langzeiteffekte hinsichtlich Schmerzreduktion, Kraftsteigerung, Bewegungs- und Funktionsverbesserung sowie Verbesserung der Lebensqualität bei Patienten mit chronischen Kreuzschmerzen hat, konnte in einer eigenen Studie gezeigt werden [6]. Diese multidisziplinäre Behandlung wird in Österreich meist von Ordinationen bzw. Instituten von FÄ für PMR angeboten.
Fazit
Abschließend soll nochmals die Wertigkeit der individuellen Beratung – vor allem auch hinsichtlich Sportausübung und Prävention betont werden. Dabei sind die sportmedizinische Untersuchung und das Wissen über die sportartspezifischen Belastungen der Wirbelsäule essenziell.
Literatur
[1] Statistisches Handbuch der österreichischen Sozialversicherung., Ö. Sozialversicherung., Editor. 2013. p. 65.
[2] Koes, B.W., et al., An updated overview of clinical guidelines for the management of non-specific low back pain in primary care. Eur Spine J, 2010. 19(12): p. 2075 – 94.
[3] Frymoyer, J.W., et al., Risk factors in low-back pain. An epidemiological survey. J Bone Joint Surg Am, 1983. 65(2): p. 213 – 8.
[4] Pieber K, Stein KV, Herceg M, Rieder A, Fialka-Moser V, Dorner TE.Determinants of satisfaction with individual health in male and female patients with chronic low back pain. Journal of Rehabilitation Medicine 2012;44: p. 658 – 663
[5] Airaksinen, O., et al., Chapter 4. European guidelines for the management of chronic nonspecific low back pain. Eur Spine J, 2006. 15 Suppl 2: p. S192 – 300.
[6] Pieber K, Herceg M, Quittan M, Csapo R, Müller R, Wiesinger GF.Long-term effects of an outpatient rehabilitation program in patients with chronic recurrent low back pain. European Spine Journal 2014;23: p. 779 – 785
Autoren
ist Fachärztin für Physikalische Medizin und allgemeine Rehabilitation mit Zusatzqualifikationen u. a. Sportmedizin und Manuelle Medizin (ÖÄK Diplom). Sie ist aktuell Leiterin des klinischen Instituts für Physikalische Medizin und Rehabilitation, Universitätsklinikum St. Pölten, Österreich und war von 2007 – 2016 Leiterin der Sportambulanz und der Fußambulanz der Universitätsklinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation, AKH Wien,
Medizinische Universität Wien.