Während der medizinische Fokus im Spitzensport in den letzten Jahrzehnten eher auf dem Bewegungsapparat lag und somit sportmedizinisch eine Domäne der Orthopädie und Unfallchirurgie war, hat sich in den letzten Jahren die Neurologie zunehmend in diesem Bereich etabliert. Motor dieser Entwicklung waren die Erkenntnisse, welch existenzielle Risiken Kopftraumata („Concussion“) in den Kontaktsportarten haben können.
Nicht nur die Aufsehen erregenden Fälle im American Football (NFL) haben diesbezüglich unsere Wahrnehmung geschärft, sondern auch die Daten zu den beliebtesten europäischen und deutschen Kontaktsportarten: die VBG [1] gibt in ihrem Sportreport von 2018 für die Profiligen von Fußball, Handball, Basketball und Eishockey einen Verletzungsanteil am Kopf zwischen 6,1 % und 16,7 % an; somit gehört der Kopf zu der am häufigsten verletzten Region, im Eishockey stellt er sogar die häufigste Verletzung dar. Doch nicht nur das zentrale Nervensystem (ZNS) ist Zielorgan von Traumafolgen, sondern auch das periphere Nervensystem kann im Spitzensport auf vielfältige Art geschädigt werden; entweder direkt durch Kompression oder auch durch Überlastung. Sportpsychologische Aspekte haben breite Überschneidungen mit der Neurologie, da in die Trainingsplanung zunehmend neurokognitive Aspekte aufgenommen werden. Diese stellen mittlerweile auch den Forschungsschwerpunkt verschiedener neurologischer Arbeitsgruppen dar (z. B. Abteilung für Sportwissenschaft der Universität Bielefeld). Die Nutzung der Neuroplastizität des ZNS spielt dabei sowohl in der Optimierung der Trainingssteuerung als auch bei der Rückkehr (Return to play) nach schweren Verletzungen eine Rolle. Darauf soll hier nur am Rande eingegangen und auf die einschlägige, zumeist sportpsychologische Literatur verwiesen werden (u.a. auch in der sportärztezeitung (02/17) von Prof. Dr. med. Dr. Winfried Banzer).
Auch im ambitionierten Breitensport finden sich zunehmend Implikationen, die einer neurologischen Abklärung bedürfen. Dabei spielen sowohl Kopfverletzungen in der Ausübung von Kontaktsportarten im Verein eine Rolle als auch klassische nervale Reizzustände bei Überlastung. Häufig stellen sich initial muskuloskelletär anmutende Beschwerden bei genauer Untersuchung als neuropathisches Schmerzsyndrom dar. In der Literatur der letzten Jahre finden sich in den allgemeinen Therapieempfehlungen bei neurologischen Erkrankungen zunehmend Ratschläge zur Ausübung von Sport, welche vor einer jahrzehntelang angeratenen „körperlichen Schonung“ explizit abraten. Somit kann die Sportausübung bei vielen chronischen neurologischen Erkrankungen auch eine Therapiefunktion übernehmen.
Kopftrauma
Die Veränderungen, die der Pathologe Bennet Omalu im Herbst 2002 im Gehirn eines verstorbenen Football-Spielers in Pittsburgh fand und später chronisch-traumatische Enzephalopathie (CTE) nennen sollte [2], waren der Beginn der beispiellosen „Karriere“ der Gehirnerschütterungen (Concussion) im Spitzensport, deren massive Aufmerksamkeit mittlerweile von Nordamerika auch Europa erreicht hat. Nach wie vor gibt es viele Fragen zur Ursache der Neurodegeneration (interindividuelle Vulnerabilität, Pathomechanismus etc.), jedoch bleibt die Tatsache in Fachkreisen unwidersprochen, dass wiederholte Gehirnerschütterungen, wie sie in manchen Sportarten vorkommen, individuell schwer vorhersagbare Spätfolgen haben können. Dabei geht eine besondere Gefahr von den nicht „ausgeheilten“ Hirntraumata aus, die neben dem sogenannten fatalen „second impact-Syndrom“ [3, 4] auch in ihrer Chronifizierung für die oft Jahrzehnte später auftretenden Symptome verantwortlich sein sollen. Hier hat, gerade in Deutschland, der Neurologe vielerorts noch nicht die Bedeutung, die ihm angesichts der dramatischen Datenlage zustehen sollte. Zudem legen bisher nur wenige Neurologen ihren Fokus auf den Sport, so dass auch hier deutlicher Nachholbedarf an fachlich versierter neurologischer Expertise besteht. Aktuell lassen sich die frühen cerebralen strukturellen Schädigungen trotz intensiver diesbezüglicher Forschungsaktivität [5] in der cerebralen Bildgebung (PET, MRT, Spektroskopie) nicht sicher darstellen; auch die Entwicklung zuverlässiger Blut-Biomarker [6] ist bisher über das experimentelle Stadium nicht hinausgekommen. Somit bleibt die zuverlässige neurologische und neuropsychologische [7 – 9] klinische Diagnostik von entscheidender Bedeutung. Die definitive Diagnose einer CTE kann derzeit nach wie vor nur post-mortem gestellt werden.
Bei vermutetem Schädel-Hirn-Trauma (Concussion Recognition Tool Taschenkarte, siehe Abbildung) sollte die Entscheidung über ein Return to Play (siehe Tabelle 1) im Interesse der Sportler, aber auch der Vereine und Versicherungsleister, fachneurologisch getroffen werden. Hier soll noch einmal auf das standardisierte RTP-Protokoll nach Concussion verwiesen werden [12], welches bei komplikationslosem Verlauf ein Return to Match frühestens nach einer Woche erlaubt. Dieses sollte Trainern, Physiotherapeuten und Betreuern bekannt sein, um einen für den Heilungsverlauf kontraproduktiven Druck auf den Spieler zu vermeiden. Inwieweit auch sogenannte Minitraumata, wie sie beispielsweise beim Kopfballspiel im Fußball auftreten können, zu den bekannten enzephalopathischen Spätschäden beitragen können, ist aktuell Gegenstand intensiver Forschungstätigkeit. Der DFB hat gegenwärtig seine Empfehlungen zum Training im Juniorenbereich überarbeitet und das Kopfballtraining mit „echten“ Fußbällen erst im gehobenen Jugendbereich empfohlen. Zusätzlich sind seit dieser Saison in der 1. und 2. Bundesliga standardisierte neuropsychologische Testungen (SCAT 5) jährlich vor Beginn des ersten Pflichtspiels vorgeschrieben, um bei erfolgtem Hirntrauma einen Vergleich mit einer Voruntersuchung vornehmen zu können.
Periphere Nervenschäden
Sportassoziierte Affektionen des peripheren Nervensystems sind klinisch gekennzeichnet durch Parästhesien, Schmerzen, sensible Ausfälle und/ oder Paresen. Sie treten im Sinne einer akuten Nervenkompression oder – traktion bei vielen Kontaktsportarten auf, jedoch auch als chronische Überbelastung ohne Gegnerkontakt durch hochfrequente repetitive Bewegungen [13]. Sie sind weniger selten als angenommen [14] und werden häufig initial unter der Annahme einer muskuloskelettären Schädigung dem Orthopäden oder Unfallchirurgen vorgestellt. Dieses kann zu einer verspäteten Diagnostik und Therapie führen, wenn neurologische Grundkenntnisse fehlen oder der Neurologe nicht frühzeitig eingebunden wird. Deshalb sollten die differenzierte klinisch-neurologische Untersuchung mit der Beurteilung von Sensibilitätsstörungen, Paresen und Muskeleigenreflexen sowie neuroanatomische Kenntnisse zum Repertoire des sportmedizinisch tätigen Arztes gehören. Dabei kann die direkte oder indirekte Nervenschädigung entlang des gesamten Nervenverlaufs auftreten, also von der Nervenwurzel über den Plexus bis zu den somatischen Nerven und periphersten Hautästen. Häufig sind die physiologischen Engstellen (z. B. der N. ulnaris im Sulcus ulnaris am Ellenbogen, der N. peronaeus am Fibulaköpfchen oder auch der N. medianus im Karpaltunnel) der Ort einer direkten Nervenkompression. Schwieriger kann die Diagnostik indirekter Nervenschädigungen durch Umgebungsreaktionen wie Muskelhypertrophien, Hämatomen oder Überlastung sein. Hiervon sind gehäuft auch ambitionierte Breitensportler betroffen, die aufgrund ihrer reduzierten sporttechnischen Ausbildung und eines geringeren Grundlagentrainings eine Risikogruppe darstellen [15].
Neben der dezidierten neurologischen Untersuchung kommen unterstützend elektrophysiologische Untersuchungen zum Einsatz, insbesondere Elektroneurographie (ENG) und Elektromyographie (EMG), deren differenzierte Durchführung und Beurteilung zumeist dem Neurologen vorbehalten ist. Diese helfen, neben dem klinischen Befund, die eminent wichtige Differenzierung der Schwere der Nervenschädigung vorzunehmen (siehe Tabelle 2), von der auch die Art der Therapie abhängt. In den letzten Jahren hat die Bildgebung in der Diagnostik sportassoziierter Nervenschäden an Bedeutung gewonnen, insbesondere durch moderne Ultraschallgeräte mit hochauflösenden Linearschallköpfen und den verbesserten Möglichkeiten der Bildverarbeitung [17, 18]. Der Nachweis struktureller Veränderungen der peripheren Nerven bei Nervenkompressionssyndromen mit Beurteilung der Umgebung ergänzt komplementär die Elektrophysiologie. Schwere Nervenverletzungen, die gegebenenfalls auch einer mikrochirurgischen Intervention bedürfen, können identifiziert und genau lokalisiert werden. Aufgrund der ubiquitären Verfügbarkeit und der vergleichsweise geringen Zeit- und Kostenintensität bietet der Ultraschall im Alltag auch deutliche Vorteile gegenüber der 3-Tesla-MR-Neurographie, die – gezielt und von erfahrenen Untersuchern eingesetzt – ebenfalls faszinierende Möglichkeiten der Nerven-Bildgebung bietet [19, 20]. Diese Methode kann zum Einsatz kommen, wenn konventionelle Verfahren mit klinischer Untersuchung, Elektrophysiologie und auch Nervensonographie keine eindeutige Diagnose zulassen. Insbesondere bei tiefer gelegenen, sehr proximalen Läsionen, z. B. im Plexus oder im Bereich der Faszikel, kann die MR-Neurographie zusätzliche Aufschlüsse bieten.
Fazit
Die Neurologie gewinnt im Spitzensport seit Jahren an Bedeutung, was sowohl von sportmedizinisch-orthopädischer als auch von neurologischer Seite ein Umdenken erfordert. Zentrale Nervenschädigungen wie Kopftraumata und periphere Nervenaffektionen sind unterdiagnostiziert und erfordern häufig fachneurologische Kompetenz, auf die noch zu selten zugegriffen wird. Profivereine, aber auch ambitionierte Amateur-Sportvereine, sollten einen vertrauensvollen und routinierten Zugriff auf „ihren“ Neurologen haben, der von den jeweiligen Mannschaftsärzten frühzeitig und niederschwellig zu Rate gezogen wird.
Literatur
[1] VBG (2018). VBG-Sportreport 2018: Analyse des Unfallgeschehens in den zwei höchsten Ligen der Männer: Basketball, Eishockey, Fußball und Handball
[2] Neurosurgery 2005; 57 (1): 128-134
[3] Sports Med 1992; 14 (1): 64-74
[4] Western J Emerg Med 2009; 10: 6-10
[5] Hand Clin Neurol 2018; 158: 309-322
[6] Hand Clin Neurol 2018; 158: 323-333
[7] Hand Clin Neurol 2018; 158: 281-296
[8] Neurology 2013; 81: 1122-1129
[9] J Intern Neuropsych Soc 2005; 11: 345-357
[10] Consensus Statement on Concussion in Sport. Br J Sports Med 2013; 47 (5)
[11] Neurosurg 2007; 61: 352-359
[12] J Athl Train 2009; 44 (4): 434-448
[13] Neurol Clin 2017; 35: 559-72
[14] Fortschr Neurol Psychiat 1999; 67: 373-86
[15] Klin Neurophysiol 2016; 47: 57-77
[16] Brain 1951;74: 491-516
[17] Semin Musculoskelet Radiol 2010; 14: 463-472
[18] J Bone Spine 2008; 75: 643-649
[19] Eur Radiol 2007; 17: 139-149
[20] Eur Radiol; 17: 509-522
Autoren
ist Facharzt für Neurologie mit Zusatzbezeichnungen Spezielle Schmerztherapie, Intensivmedizin und Notfallmedizin. Er ist Chefarzt der Klinik für Neurologie mit Stroke Unit im imland Klinikum in Rendsburg. Seit Januar 2019 leitet er das Concussion Center Mittelholstein für Leistungssportler, außerdem betreut er neurologisch die Handballer des THW Kiel.