In den vergangenen 40 Jahren kam es weltweit zu einer dramatischen Zunahme der Diabetesprävalenz, vorwiegend verursacht durch eine globale Adipositas-Epidemie. Diese Entwicklung verläuft ungebremst. In Deutschland leiden ca. 9 Mio. Menschen an Typ-2-Diabetes. Jedes Jahr kommen 500.000 Betroffene hinzu [1]. Die Zahl der Menschen mit koronarer Herzerkrankung (KHK) wird auf 40 % der Typ-2-Diabetiker geschätzt [2].
Kasuistik
Eine 68-jährige übergewichtige Typ-2-Diabetikerin (178 cm groß, 90 kg schwer) mit stabiler KHK, die im Alter von 60 Jahren einen Herzinfarkt der Hinterwand durchgemacht hat (koronare 2-Gefäß-Erkrankung, Versorgung mit je einem Drug-Eluting Stent in der RCX und RCA) ohne kardiovaskuläres Ereignis seither kommt zur Routinekontrolle in ihre Praxis. Der Blutdruck liegt bei 150 / 90 mmHg, der Puls bei 72 Schlägen/min. Sie hat Luftnot beim Treppe laufen ab der 1. Etage und bemerkt geschwollene Beine am Abend, klagt über Nykurie (2 – 3 mal pro Nacht): Echokardiographisch unauffällige linksventrikuläre Funktion. Ein Belastungs-EKG wird bis 150 Watt mit hypertensiver Belastungsreaktion absolviert. Die Patientin nimmt ASS 100 mg, Bisoprolol 5 mg, Ramipril 5 mg, Atorvastatin 20 mg und Metformin 850 mg 2 x täglich ein. Sollte die Therapie angepasst werden?
Typ-2-Diabetes ist eine chronisch progressive Erkrankung. Initial besteht eine relative Insulinresistenz bei ausreichender Insulinproduktion. Bei längerer Diabetesdauer wird die Minderproduktion von Insulin aus den Betazellen ohne Veränderung der Ernährung zum Problem. Darüber hinaus ist Typ-2-Diabetes eine komplexe Stoffwechselerkrankung, die mit vielen kardiovaskulären Risikofaktoren assoziiert ist, wie beispielsweise Adipositas, Hypertonie, erniedrigtes High Density Lipoprotein, erhöhtes Light Density Lipoprotein und Hypertriglyzeridämie. Dazu kommt eine vermehrte Ausschüttung von gefäßschädigenden Hormonen aus dem Fettgewebe (Leptin, Tumornekrosefaktor-alpha, Resistin, Adiponektin) [3]. Das unkalkulierbare Zusammenspiel von Risikofaktoren und hormoneller Gegenreaktion trägt entscheidend zur erhöhten kardiovaskulären Morbidität und Mortalität bei Diabetes bei. Mit Adipositas und Insulinresistenz geht auch ein hohes Risiko für bestimmte Krebserkrankungen einher [4]. Die Diabetestherapie 2024 sollte keineswegs mehr glukozentrisch sein, sondern vielmehr mittels einer multifaktoriellen Interventionsstrategie möglichst alle Risikofaktoren des Insulinresistenz-Syndroms abdecken [5].
Wichtig/CAVE!
Typ-2-Diabetiker leiden an einer komplexen Stoffwechselerkrankung. Neben den klassischen Risikofaktoren für eine KHK finden sich eine Hypertriglyzeridämie, eine Insulinresistenz sowie die Ausschüttung von gefäßschädigenden Hormonen aus dem Fettgewebe.
Behandlungspfad der Typ-2-Diabetes-Therapie
Ziel der modernen Diabetestherapie muss es sein, sowohl Lebensqualität als auch Lebenserwartung durch Verhinderung vaskulärer Komplikationen zu steigern. Es gilt, Hypoglykämien und eine therapiebedingte Gewichtszunahme zu vermeiden. Initial ist eine Patientenschulung unabdingbar, um patientenseitige Therapiemaßnahmen wie Gewichtsreduktion und vermehrte körperliche Aktivität zu implementieren. Gemäß DDG-Praxisempfehlung zur Therapie des Typ-2-Diabetes ist initial eine gründliche Beratung der Patienten einzuleiten, entweder als strukturierte Diabetesschulung im Disease Management Programm (DMP) oder im Rahmen eines Rehabilitationsverfahrens [6]. Dabei sollen die Patienten über die Notwendigkeit eines sofortigen Rauchstopps sowie die Vorteile einer fettreichen mediterranen Kost [7] aufgeklärt werden. Der Zeitaufwand für Typ-2-Diabetiker im Ausdauersport sollte bei mindestens 150 Minuten pro Woche liegen. Krafttraining sollte ergänzend zweimal wöchentlich dazu kommen [8]. Dieser Bewegungsumfang wird den wenigsten Typ-2-Diabetikern gelingen, da sie ihren „inneren Schweinehund“ nicht ohne fremde Hilfe überwinden können. Deswegen rate ich den Betroffenen, sich einer Reha-Sportgruppe anzuschließen.
Die kardiovaskuläre Mortalität ist unmittelbar mit der Qualität der Blutzuckereinstellung assoziiert. Sie nimmt mit steigenden HbA1c-Werten ab 7,5 % zu. Verschiedene pathophysiologische Überlegungen wie eine übermäßige Glykosylierung von Struktur- und Funktionsproteinen sowie die Induktion von oxidativen Stress unterstützen den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Blutzucker und Organschädigung [9]. Die optimale Blutzucker-Einstellung (HbA1c zwischen 6,5 und 7,5 %) alleine genügt nicht zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos, wie die großen Interventionsstudien ADVANCE, ACCORD, VADT und UKPDS im Vergleich mit einer konventionellen Blutzuckertherapie zeigten. Metaanalysen dieser vier Studien ergaben eine Reduktion mikrovaskulärer Komplikationen, während die Reduktion der kardiovaskulären Mortalität ausblieb [10, 11]. Patienten mit neu diagnostiziertem Typ-2-Diabetes ohne kardiovaskuläre Vorerkrankung profitieren von einer guten Blutglukoseeinstellung, während ältere Patienten (wie in unserem Beispiel) mit bestehenden Organkomplikationen keinen kardiovaskulären Benefit von einer strengen Blutzuckereinstellung haben [12]. Aufgrund dieser Studienergebnisse sollte die Diabetestherapie individuell erfolgen. Dabei werden Patientenalter, Erkrankungsdauer, Organkomplikationen, Körpergewicht, Hypoglykämierisiko und Patientenwunsch berücksichtigt [13].
Wichtig/CAVE!
Die moderne Diabetestherapie verbindet die Patientenberatung für mehr Eigenverantwortung mit einem individualisierten Therapieregime zur Vermeidung von Folge- bzw. Begleiterkrankungen mit dem Ziel einer Lebensverlängerung.
Blutzuckereinstellung bei Typ-2-Diabetes mit KHK
Bei der Blutzuckereinstellung sollte entsprechend der Leitlinien-Empfehlung zum Typ-2-Diabetes vorgegangen werden [6]. Der HbA1c-Zielwert bei Diabetes und KHK liegt idealerweise zwischen 6,5 und 7,5 % [14]. Metformin stellt in Deutschland die Erstlinientherapie bei übergewichtigen Typ-2-Diabetikern dar. Von herausragender Bedeutung ist die Hemmung der Gluconeogenese in der Leber [14]. GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1 Ag) aktivieren direkt den Glukagon-like Peptide 1-Rezeptor. Diese Therapie führt zu einem Gewichtsverlust durch schneller einsetzendes Sättigungsgefühl sowie zu einer Blutdruckreduktion mit einem leichten Anstieg der Herzfrequenz. In kardiovaskulären Endpunktstudien wie z. B. der LEADER-Studie an 9.340 Patienten mit Typ-2-Diabetes und hohem kardiovaskulärem Risiko (81,3 % der Patienten hatten kardiovaskuläre Vorerkrankungen) wurde der kombinierte kardiovaskuläre Endpunkt (3-MACE) um 13 % gesenkt [15]. Es kam zu einer Reduktion der kardiovaskulären Mortalität (–22 %), der Gesamtmortalität (–15 %) und der Zahl der Myokardinfarkte (–14 %) bei unverändertem Schlaganfall- und Herzinsuffizienzrisiko. Liraglutid ist Mittel der Wahl bei Typ-2-Diabetes mit KHK oder hohem kardiovaskulärem Risiko [13]. Sodium-Glucose-Like-Transporter-2 Inhibitors (SGLT2-Hemmer) reduzieren den Rücktransport von Glukose und Natrium aus dem Primärharn. Dies führt zu einer Glukosurie mit Blutzuckersenkung, einem Kalorienverlust mit Gewichtsreduktion und einer osmotischen Diurese mit Blutdrucksenkung. Die Glukosurie liegt bei ca. 80 g, was einem täglichen Kalorienverlust von 320 kcal entspricht [16]. Derzeit sind die SGLT2-Hemmer Empagliflozin, Dapagliflozin und Ertugliflozin in Deutschland verfügbar. Studien zur kardiovaskulären Sicherheit liegen für die beiden zuerst genannten Präparate vor [14]. Während einer Behandlungszeit von 3,1 Jahren wurde der primäre Endpunkt (3-MACE) durch Empagliflozin um 14 % reduziert. Im Einzelnen kam es zu einer Reduktion des kardiovaskulären Todes um 38 %, der Gesamtsterblichkeit um 32 %. Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz wurden um 35 % verringert. Der kombinierte renale Endpunkt aus Verdopplung des Serum-Kreatinins bei Abfall der eGFR < 45 ml/min/1.73 m2, Dialyse oder renaler Tod konnte um 46 % gesenkt werden [17]. Im aktuellen Konsensuspapier zur Diabetestherapie der europäischen und amerikanischen Diabetesgesellschaften wird vorgeschlagen, Metformin unverändert als Ersttherapie zu belassen und über die weitere Therapieeskalation in Abhängigkeit vom Vorliegen kardiovaskulärer Erkrankungen zu entscheiden [18, 19].
Wichtig/CAVE!
Metformin ist das Basismedikament für Typ-2-Diabetiker. Bei Vorliegen einer KHK sollten SGLT2-Hemmer und GLP-1-Agonisten wegen der Prognoseverbesserung zwingend verordnet werden.
Fazit
Bei Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen sollten unbedingt Hypoglykämien vermieden und Medikamente mit nachgewiesenem Nutzen bezüglich Reduktion des kardiovaskulären Risikos bevorzugt eingesetzt werden. Dies bedeutet, dass bei Typ-2-Diabetikern mit hohem und sehr hohem kardiovaskulärem Risiko GLP1-Rezeptor-Agonisten und/oder SGLT2-Inhibitoren wegen der nachgewiesenen makrovaskulären Ereignisreduktion zum Einsatz kommen sollten [13]. Beide Substanzklassen kommen gleichermaßen bei arteriosklerotischen Gefäßerkrankungen zum Einsatz, während den SGLT2-Inhibitoren bei Herz- und Niereninsuffizienz der Vorzug gegeben werden sollte [20].
Literatur
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Autoren
ist Facharzt für Innere Medizin und Kardiologe mit Zusatzbezeichnungen Diabetologe, Hypertensiologe DHL, Sportkardiologe DGK, Sportmediziner, Physikalische Therapie und Balneologie, Rehabilitationswesen. Er ist Chefarzt der Abteilung für kardiologische Rehabilitation und Prävention, Herz-Kreislauf-Zentrum Klinikum Hersfeld-Rotenburg. Außerdem ist Dr. Edel u.a. seit 2007 Vorstandsmitglied der Patientenorganisation Defibrillator (ICD) Deutschland e. V. sowie seit 2015 Leitender Landessportarzt Deutscher Behindertensportverband e.V. – National Paralympic Committee Germany.