Aufgrund der heutigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensumstände wachsen das Bewusstsein und die Bereitschaft, eigenverantwortlich in die Gesundheit zu investieren. Sowohl im Leistungssport, aber insbesondere auch im Breiten- und Freizeitsport werden vermehrt Diagnostik, Beratung und Coaching aus den Bereichen Fitness und Ernährung in Anspruch genommen.
Eine recht neue Disziplin in diesem Umfeld ist die Epigenetik. Im folgenden Artikel wird aufgezeigt, wie wir mit diesen Erkenntnissen unsere genetische Basis beeinflussen können, um gesund und leistungsfähig zu sein.
Was ist Genetik und Epigenetik?
Die Genetik beschäftigt sich mit der Vererbung. Alle Erbinformationen des Menschen sind auf der DNA gespeichert. Diese besteht aus chemischen Bausteinen, den Basen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin und codiert so alle Baupläne, die das System Mensch für Aufbau, Regeneration und Funktion von Strukturen braucht. Dieser Teil unserer Genetik ist erblich fixiert und wird höchstens durch einzelne Mutationen punktuell (single nucleotide polymorphism;SNPs) verändert. Genetische Untersuchungen sind im Bereich des Sports wenig verbreitet, auch aus Mangel an Möglichkeiten der positiven Beeinflussung. Sinn macht im Nachwuchsleistungssport die Untersuchung auf Mutationen der Superoxiddismutase (SOD) und Glutathionperoxidase (GPX). Sind in diesen Enzymen Mutationen vorhanden, kommt es zu einer eingeschränkten Entgiftung von Sauerstoffradikalen, was über Jahre zu bedeutenden Schäden an Organstrukturen führen kann. Die neuere Disziplin der Epigenetik beschäftigt sich mit den physiologischen Mechanismen der Beeinflussung unserer genetischen Ausprägung. Es kommt nicht zu einer eigentlichen Veränderung der Gene, sondern diese können z. B. an- und ausgeschaltet werden bzw. es kann beeinflusst werden, welche Gene abgelesen werden, um Proteine zu synthetisieren und welche nicht. Zu diesen Mechanismen zählen die DNA-Methylierung, die Modifikation von Histonen und die Einflüsse von nicht-kodierenden miRNAs (Mikro-RNAs). Diese Mechanismen wiederum werden durch Umwelteinflüsse, Ernährung und körperliche Aktivität in verschiedene Richtungen beeinflusst. So können epigenetische Modifikationen sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf den menschlichen Organismus haben, chronische Krankheiten begünstigen oder aber Gesundheit und Fitness fördern.
Zusammenhang Epigenetik und körperliche Aktivität.
Veränderungen in der Epigenetik sind teils nicht zu beeinflussen, wie u. a. das Lebensalter. Sie werden jedoch auch in großem Umfang durch den Lebensstil geprägt. So haben physischer und psychischer Stress, ungesunde Ernährung, Umweltchemikalien, Drogen, Rauchen oder Alkohol negativen Einfluss auf epigenetische Veränderungen. Bewegungsmangel, Übergewicht, chronische Erkrankungen und Medikamenteneinnahme sind weitere Faktoren. Neben einer Verbesserung des psychischen Wohlbefindens zielt ein körperliches Training auf Adaptationen konditioneller Fähigkeiten ab. Diese geschehen in den Bereich Ausdauer, Kraft oder Technik. Welche Anpassungen der Körper vollzieht, ist von Art und Wirksamkeit des Trainingsreizes abhängig. Allen gemein ist, dass durch Trainingsreize auf unterschiedlichen Wegen molekulare Signalketten im Körper aktiviert werden. In Summe werden so z. B. geschädigte Strukturen regeneriert, stoffwechselrelevante Enzyme in Anzahl und Funktion optimiert, neue Zellen geschaffen oder zusätzliche Kapillaren entwickelt.
Aus der Grundlagenforschung ist bekannt, dass z. B. ein guter Methylierungsstatus positiven Einfluss auf die Funktion von stoffwechselrelevanten Genen wie PGC-1α (Mitochondrien/Ausdauer) oder mTOR (Muskelstruktur/Kraft) hat. Hier wird auf Dauer ein günstiges Expressionsmuster integriert und Trainingsadaptationen werden effektiver. Ein weiterer Einflussfaktor sind die so genannten miRNAs. Diese können an mRNAs, welche als „Botenstoff“ zur Proteinsynthese gebraucht werden, binden, wodurch diese inaktiviert oder direkt abgebaut werden. Über diese Möglichkeiten beeinflussen miRNAs abhängig von Trainingsreizen oder Ernährung, die Hoch- oder Herunterregulierung von Genen, bzw. deren Expression. So können z. B. unter aerobem Ausdauertraining oder Hypoxie spezifische miRNAs gedrosselt werden, um die Expression des Enzyms PGC-1α anzuregen, was zur Aktivierung von Mitochondriengenese und oxidativen Energiegewinnungsprozessen führt. Auch die Entleerung der Glykogenspeicher oder ein ATP-Mangel in Muskelzellen sind entsprechend auslösende Reize.
Diagnostische Möglichkeiten in der Epigenetik
Der aktuelle Stand im Bereich der Sportdiagnostik ist begrenzt auf medizinisches Standardlabor und die sport-physiologischen Leistungsmessungen. Der Einsatz von Biomarkern zur Einschätzung von Gesundheit, Leistungsfähigkeit, Erholung oder Überlastung entwickelt sich langsam parallel zur klassischen Medizin, ist aber noch wenig evidenzbasiert. Als konventionelle Biomarker (z. B. Laktatmessungen, Blutbilder) werden zurzeit vor allem Proteine oder Elektrolyte sowie genetische Tests verwendet, die in Blut, Urin oder Speichel gemessen werden. Bis diese Marker jedoch im System nachweisbar sind, können bereits pathologische Zustände wie Entzündungen und Verletzungen aufgetreten sein. Es zeigt sich, dass Veränderungen der miRNA-Expression und Methylierungsaktivität früher auftreten als bei konventionellen Biomarkern, weshalb diese zur Früherkennung möglicher Defizite als geeignet erscheinen. Die Firma HealthBioCare konnte in einer drei-jährigen Interventionsstudie (2018 bis 2020) an der Universität Wien mit insgesamt 95 Teilnehmern, Frauen und Männer zwischen 20 und 60 Jahren, aus einem Pool von mehr als 340 miRNAs und Methylierungsstellen, zehn potenzielle epigenetische Biomarker identifizieren, welche Auskunft über den aktuellen Trainings- und Gesundheitszustand eines Sportlers liefern. Neben einer Sportintervention, welche ein Trainingsprogramm aus Kraft- und Ausdauereinheiten inkludierte, wurden auch Wechselwirkungen zwischen den epigenetischen Markern, der genetischen Veranlagung für Ausdauer oder Kraftsport (SNPs), der Ernährung und den anthropometrischen Daten untersucht (Krammer et al. 2022).
Dieser „Fitness-Score“ spiegelt aber nicht nur die Effekte der Sportintervention wider, sondern die verwendeten miRNAs liefern auch Informationen zur Beurteilung der Gesundheit, der Ernährung, der Leistungsfähigkeit, der Belastung und der Erholung des Sportlers. Basierend auf den Studienergebnissen und der Literatur wurden die im Algorithmus enthaltenen miRNAs gemäß konventioneller Biomarker in die folgenden Untergruppen eingeteilt: Ernährungszustand, Entzündungen, Herz-Kreislauf-Fitness / kardiovaskuläre Fitness, Verletzungsrisiko, Regeneration, Muskel- und Flüssigkeitsstatus sowie Belastungsniveau. Ein weiterer Vorteil der Nutzung dieser auf miRNAs-basierter Biomarker ist zudem, dass eine einzige Analysemethode herangezogen werden kann, um ein breites Spektrum an Informationen zu erhalten. Neben den direkten sportbezogenen Scores gibt es Stress Panels, welche über unterschiedliche miRNAs Aussagen zu akuten und chronischen Belastungssituationen zulassen. Vor allem im Freizeit- und Breitensport sind dies relevante Erkenntnisse, um neben Familien- und Berufsalltag den Sport nicht zum Stressfaktor werden zu lassen.
Wie können wir unserer Epigenetik positiv beeinflussen?
Sowohl Methylierungsaktivität als auch Expressionsmuster der miRNAs können auf unterschiedliche Art und Weise positiv beeinflusst werden. Körperliche Aktivität und Ernährung zählen hier sicherlich zu den Hauptfaktoren. Wie schon oben beschrieben, können sowohl Ausdauer- als auch Krafttraining spezifische Signalwege aktivieren und hierüber Trainingsanpassungen, Entzündungsgeschehen oder Immunfunktionen regulieren. So stellten Forscher in Schweden fest, dass ein dreimonatiges Bewegungstraining bei Probanden zu Veränderungen an 4076 Genen ihrer Muskelzellen führte. Die Funktionen der Zellen änderten sich dadurch: Sie konnten ein bestimmtes Eiweiß nun häufiger produzieren, ein anderes seltener – mit positiven Folgen für Muskelfaseraufbau und Fettgewebe. Die Ernährung sollte abwechslungsreich sein. Zum Teil wurden auch epigenetisch günstige Einflüsse durch spezifische Ernährungsformen wie der ketogenen Ernährung oder Intervallfasten gezeigt. Ein weiteres Beispiel für Auswirkungen auf miRNA Modifikationen ist der Komplex der B-Vitamine. Vitamin B12 und Folsäure haben eine zentrale Rolle in der Methylierung, Vitamin B3, B5 und Biotin sind an der Modifikation von Histonen beteiligt. Neben den Vitaminen haben ähnliche Einflüsse auch einige Pflanzenstoffe wie EGCG. Auch verhaltenspsychologische Maßnahmen zeigten Veränderungen in epigenetischen Mustern. Mentales Training, Meditation oder Entspannungsformen, welche der Stressreduktion und -verarbeitung dienen, sind hier von Nutzen.
Fallbeispiel: Sportlerin, 43 Jahre, 9 – 13 Stunden Sport / Woche im Bereich Kraft und Ausdauer (40:60)
In der Eingangsanalyse (Abb. 2) zeigen sich Probleme in den Bereichen Belastungsniveau mit dem Risiko in ein Übertraining zu gelangen und im Bereich des Muskelstatus, welcher auch als Risikomarker für Schädigungen gesehen werden kann. Nach zwei Monaten Intervention zeigen sich deutliche Verbesserung in den Risikobereichen und im Fitnessscore. Der Schwerpunkt der Intervention lag auf einer Ernährungsumstellung:
- Kampferol (rote Weintrauben, Gingko, Grapefruit, Brokkoli, Rosenkohl, Kartoffeln, Zwiebeln, Salatgurke)
- Vitamin D (Pfifferlinge, Champignons, Avocado)
- Zink (Hülsenfrüchte, Sesam, Leinsam)
Das Training wurde nicht verändert.
Autoren
ist Sportwissenschaftler M.A. und Therapeut für Mikronährstoffmedizin. Er hat einen CAS in Integrative Diagnostik und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei biovis Diagnostik MVZ GmbH, Limburg.