Einseitig weitergedacht
Die Vorteile von unilateralem Training sind vor allem Anhängern des Functional Trainings hinlänglich bekannt – Ausgleich von Dysbalancen, einseitige Stabilisierung unserer Bein-Achse und Rumpfmuskulatur sowie der starke Übertrag auf Alltagsbewegungen. Hier können wir das SAID-Principle (Specific Adaptation to Imposed Demands) erkennen: Je näher sich das gezielt trainierte Bewegungsmuster an der endgültigen Bewegung orientiert, desto spezifischer passen sich unsere körperlichen Strukturen daran an.
Betrachten wir also die Zielbewegungen, die außerhalb eines reinen Fitness-Trainings liegen, so lassen sich diese recht gut in Gang-, Lauf-, Wurf- und Sprungmuster strukturieren und zwar in all ihren zahlreichen Variationen und Kombinationen. Was wir in die typischen Sportarten unterteilen und häufig neben dem Fitness-Training betreiben, verlangt uns diese Bewegungskompetenzen ab. Und wer sportliche Ambitionen hat, versucht häufig, seinen Körper mittels zusätzlicher Kräftigungs- und Dehnübungen darauf vorzubereiten.
Doch wie nah sind wir wirklich an dem, worin wir eigentlich besser werden wollen? Schaut man sich die Zielbewegungen genauer an, fällt auf, dass sie aufgrund ihrer Dynamik alle eine Form der Rotation beinhalten. Die reziproken Pendelbewegungen der Arme beim Laufen, die peitschenartige Ver- und Entdrehung beim Speerwurf oder die zyklische Rotation der Brustwirbelsäule im Kraulschwimmen. Sobald wir uns durch den Raum bewegen oder wirklich explosive Kraft erzeugen wollen, erfordert dies ein gewisses Maß an Rotation.
SPINAL ENGINE
Die Idee, unsere Wirbelsäule als Zentrum von Bewegung und Gesundheit zu sehen, ist nicht neu. Bereits in traditionellen fernöstlichen Bewegungskulturen rund um Yoga und Tai-Chi nimmt das wichtigste Gelenk unseres Körpers diese Rolle ein. Auch in verschiedenen modernen Trainings-Konzepten, z. B. Exos von Mark Verstegen, werden die Prinzipien rund um Rotation und “Spine First” hervorgehoben.
“Spinal Engine Theory” [1] – ein Bewegungsmodell aus den 80er Jahren – stellt das 33-teilige vertikale Achsenskelett in das Zentrum unserer Bewegungs-fähigkeit. Serge Gracovetski schlägt in diesem Konzept vor, den Bewegungs-impuls, der uns eine Bewegung nach vorne ermöglicht, in unsere Körpermitte zu setzen. Durch die mehrdimensionale Verwringung von Hüft- und Schulterachse entsteht ein großes Kraftpotential entlang der Diagonalen vor unserem Körper. Bei Bewegungen im dreidimensionalen Raum – beim Drehen, Werfen, Schlagen, Sprinten oder Springen – entsteht die wirkliche Kraft nicht nur durch Kontraktion einzelner Muskeln, sondern auch durch die fein abgestimmte Kopplung entlang ganzer Muskelketten, ein absolutes MUSS für Sport und Athletik. Denn auch wenn wir uns in herkömmlichem Fitnesstraining auf die Extremitäten konzentrieren und unseren Rumpf mit anti-rotatorischen Übungen kräftigen, ist es am Ende doch die Rotationsfähigkeit der Wirbelsäule, welche uns effiziente Bewegung im dreidimensionalen Raum ermöglicht.
THERAPIE
Der therapeutischen Sichtweise auf den Bewegungsapparat ist dies grundsätzlich nicht verborgen geblieben. In einigen Konzepten der Physiotherapie und Osteopathie gilt die Wiederherstellung eines beschwerdefreien und flüssigen Gangbildes als Goldstandard – zu nennen ist die bekannte PNF-Methode (Propriozeptive-Neuromuskuläre-Fazilitation). Durch den mehrfachen Wechsel von Anspannung und Entspannung der Muskulatur werden kurze Zeitfenster geöffnet, in denen das Nervensystem mehr Bewegungsreichweite (Range of Motion – RoM) im betroffenen Gelenk zulässt. Eine Reduktion der Beweglichkeitseinschränkung soll zu besserer Bewegung – einem besseren Gangbild – führen. Nur wenn wir um unsere vertikale Achse drehen und verwringen, können wir die myofaszialen Muskelschlingen nutzen und sie gesund halten. Hier lässt sich auf die Lektüre “Anatomy Trains” von T. Myers [2] verweisen und empfehlen. Auch wenn dieser Ansatz heute bereits in fortgeschrittenem Bewegungstraining Verwendung findet, so liegt der häufigere Fokus auf reiner Antirotation, einem muskulären Fest- und Dagegenhalten der Wirbelsäule. Dies ist für ein gewisses Trainingsniveau sicher sinnvoll, genauso wie für Situationen, in denen klinisch gearbeitet wird. Denn zuerst muss natürlich die Fähigkeit erlernt werden, ein gewisses Maß an Spannung rund um unsere Körpermitte zu erzeugen, bevor wir sie für effiziente Fortbewegung und komplexe Athletik nutzen können. Doch dieses Niveau ist häufig schnell erreicht und die alleinige Anti-Rotation wirkt ab einem gewissen Punkt unverhältnismäßig. Wer stets nur diese eine Seite des Trainingsspektrums beachtet, wird das eigene Bewegungs- und Gesundheitspotential langfristig nicht voll ausschöpfen können. Daher möchte KINWIRE den Fokus auf die Bewegungsfähigkeit der menschlichen Körpermitte legen, statt sie weiter zu limitieren. Mit den 3 folgenden PRACTICALS – auch ohne Rope möglich – können wir gemeinsam den ersten Schritt in Richtung einer gesunden und belastbaren Wirbelsäule gehen. Wir suchen kreative Vielseitigkeit statt nur reine Funktion als steifer Kasten.
ROYAL COIL
Spüre dein athletisches Potenzial mit dem Konzept des Coiling Core (engl.: verwringender Rumpf) nach David Weck:Der Royal Coil ist der erste Schritt zu einem besseren Verständnis und Erleben von Rotationstraining. Im Kontrast zum weit verbreiteten Konzept des “Bracing Core“ (engl.: Angespannter Rumpf) – welches die Berechtigung primär im Kraftraum hat – bietet der Coiling Core einen stärkeren Übertrag auf alle athletischen Bewegungen in Sport und Alltag. Coiling beschreibt im Wesentlichen die Erfahrung des vollen Bewegungsumfangs (RoM) in Seitneigung bei gleichzeitiger Rotation der Wirbelsäule. Zusätzlich wird der m. latissimus dorsi auf völlig neue Art und Weise für Bewegung zugänglich gemacht. Erlebe es selbst !
- Stelle dich hüftbreit auf, rotiere beide Füße um 45 Grad nach außen und spanne das Gesäß leicht an. Dein Bauchnabel zieht Richtung Wirbelsäule. Deine Augen sind auf ein imaginäres Ziel am Horizont gerichtet.
- Verlagere dein Gewicht zunächst auf deinen linken Fuß. Mit deinem rechten Fuß machst Du anschließend einen Schritt diagonal nach hinten.
- Verschraube nun dein linkes Schulterblatt nach hinten unten und schiebe deinen linken Ellenbogen so tief du kannst in Richtung deiner linken, hinteren Hosentasche. (Dein linker Daumen zeigt nach außen.)
- Gleichzeitig streckst Du deine rechte Faust in Richtung Decke und bringst somit deine rechte Seite auf maximale Länge.
- Halte diese Position für 5-15 Sekunden. Wiederhole diese Übung anschließend auf der anderen Seite.
FIGURE 8
Mit der Underhand (UH) Figure 8 optimierst Du das Fundament menschlicher Bewegung – Gehen und Laufen: Das menschliche Gangmuster gilt als das Fundament menschlicher Bewegung. Kein anderes Bewegungsmuster hat den Homo Sapiens in seiner evolutionären Entwicklung derart geprägt. Kein Wunder also, dass in der Therapie als auch in der Trainingspraxis, die Wiederherstellung eines kompensations freien Gangbildes meist oberste Priorität hat. Der UH Figure 8 optimiert die Funktion der Wirbelsäule im Gangmuster und trainiert diese in bisher unbekannter Effizienz. Durch die relativ geringe Intensität von RopeFlow können mit hohem Volumen und Frequenz effektive Reize gesetzt werden.
1. Stelle dich in einen hüftbreiten Stand, das Gesäß ist leicht angespannt und der Bauchnabel zieht Richtung Wirbelsäule. Aus dieser “stabilen Mitte“ richtest du deine Brustwirbelsäule lang und locker auf.
2. Du nimmst beide Hände auf deine rechte Körperseite, die rechte Hand ist über der linken. Deine Handgelenke sind miteinander “verklebt“.
3. Nun zeichnest Du mit deiner linken unteren Hand eine liegende 8 vor deinem Körper.
4. Die linke Hand führt, die rechte Hand folgt, verbunden durch das Handgelenk.
DRAGON ROLL
Die Dragon Roll versorgt die Wirbelsäule mit den nötigen Reizen, um stark und schmerzfrei zu bleiben – denn das wichtigste Gelenk des menschlichen Körpers wird gerade in den Freiheitsgraden der Rotation und Lateralflexion oft vernachlässigt. Darüber hinaus verbessert das wiederholte Training die effiziente Gewichtsverlagerung, Balance sowie Koordination und Timing. Diese Fähigkeiten sind nicht nur für Sportarten essentiell, bei denen man sich auf dem Spielfeld orientieren muss (Fußball, Basketball, Handball, etc.), sondern auch für den Erhalt der Bewegungskompetenz im Alltag.
- Stelle dich in einen hüftbreiten Stand, das Gesäß ist leicht angespannt und der Bauchnabel zieht Richtung Wirbelsäule. Aus dieser “stabilen Mitte“ richtest du deine Brustwirbelsäule lang und locker auf.
- Nimm in jede Hand einen Griffknoten und starte mit dem Rope vorne links vor deinem Körper.
- Zunächst ziehst Du das Rope nach vorne rechts (Drag) und wirfst (Roll) es anschließend nach hinten links, hinter deinen Körper.
- Ziehe (Drag) das Rope nun hinter deinem Körper nach hinten rechts und werfe (Roll) es anschließend erneut auf deine Startposition vorne links.
- Achte auf das Feedback des Ropes und wiederhole dieses Bewegungsmuster so lange, bis Du sicher in der Bewegung bist.
Literatur
[1] Gracovetsky, S., The Spinal Engine, Springer Verlag (1988)
[2] Myers, T. W., Anatomy Trains. Elsevier (2015)
Autoren
B.Sc. Sport & Performance / DSHS
Er ist Mitgründer der Kinwire GmbH.