Der Nährstoff Eiweiß hat für die meisten Menschen eine eher untergeordnete Bedeutung in der Ernährung. Dabei ist er ein immens wichtiger Bestandteil unseres Körpers und übernimmt eine Vielzahl an Funktionen.
Proteine bestehen aus langen Ketten von Aminosäuren. Diese sind zum einen wichtige Baustoffe für unseren Körper und werden für die Regeneration und für den Umbau von Gewebe benötigt. Zum anderen sind Aminosäuren an der Bildung von Enzymen, Hormonen und der Immunzellen beteiligt. Bei langer, intensiver Belastung werden Proteine außerdem zu einem kleinen Teil zur Energiegewinnung herangezogen. Es gibt insgesamt 20 proteinogene Aminosäuren (Abb. 1). Aus diesen Aminosäuren können körpereigene Proteine hergestellt werden.
Diese 20 proteinogenen Aminosäuren werden in essentiell und nicht-essentiell unterschieden. Die nicht-essentiellen Aminosäuren kann unser Körper selbst synthetisieren. Die essentiellen Aminosäuren hingegen müssen wir mit der Nahrung aufnehmen. Zudem gibt es noch semi-essentielle Aminosäuren. Übersteigt der Bedarf die Verfügbarkeit dieser Aminosäuren, werden sie essentiell, müssen also wieder zusätzlich zugeführt werden. Dies kann beispielsweise bei Wachstum, intensiver sportlicher Belastung oder schweren, zehrenden Krankheiten der Fall sein. Als Beispiel ist hier die schwere Sepsis zu nennen, mit dem Verlust der Aminosäure Glutamin [1].
Die empfohlene tägliche Eiweißaufnahme beträgt 0,8 – 1,2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht [2]. Bei intensiver Belastung, z. B. als Sportler mit einem Trainingspensum von über fünf Stunden pro Woche, insbesondere als Kraftsportler, sollten nach Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung pro Tag etwa 1,2 bis 2,0 Gramm Eiweiß je Kilogramm Körpergewicht aufgenommen werden. Bei Muskelverletzungen ist der Bedarf nochmal deutlich erhöht. Hier gibt es Studien, dass Sportler von einer Zufuhr von 2 – 2,5 Gramm Eiweiß profitieren [3]. Da Eiweiß nicht speicherbar ist, muss es über den Tag verteilt aufgenommen werden. Tabelle 1 zeigt den Eiweißgehalt einiger tierischer und pflanzlicher Lebensmittel.
Entscheidend für die Aufnahme im Körper ist die biologische Wertigkeit, die angibt, wieviel des aufgenommenen Eiweißes in körpereigenes Protein umgewandelt werden kann. Tabelle 1 zeigt die biologische Wertigkeit verschiedener Lebensmittel und Lebensmittel-Kombinationen. Man sieht deutlich, dass auch durch eine ausgewogene Ernährung eine ausreichende Eiweißaufnahme mit hoher biologischer Wertigkeit zu erreichen ist. Die Zufuhr so genannter „High-Protein“ Milchprodukten ist oft nicht zusätzlich notwendig. In der Sporternährung hat Whey-Protein zur Nahrungsergänzung zunehmend an Bedeutung gewonnen. Dieses aus Molke extrahierte Eiweißprodukt hilft dabei, die metabolische Balance in Richtung anaboler Prozesse zu verschieben. Katabole Prozesse werden dagegen vermieden, was gerade während und nach intensiver sportlicher Belastung immens wichtig ist. Der Körper kann so nach einer Belastung schneller regenerieren, was nicht nur im Sport, sondern auch nach einem Infekt als vergleichbare Belastung für den Körper, eine Rolle spielt. Whey Protein trägt aber aufgrund des hohen Anteils an verzweigtkettigen Aminosäuren (sog. BCAA) und Cystein nicht nur zur Muskelproteinsynthese bei. Cystein ist am Aufbau von Glutathion beteiligt, was zu den stärksten Antioxidantien im Körper gehört und damit in der Prävention von Infekten eine wichtige Rolle spielt. Besonders gut bioverfügbar sind Hydrolysate, da die Proteine bereits in Peptidketten aufgespalten sind und so schneller aufgenommen werden können. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch vegane Eiweißpulver und deren Wertigkeit:
Wertigkeit vegane Eiweißpulver
- Reisprotein: 70 – 80 (hoher Anteil an Arginin und BCAA, Tryptophan, kein Lysin)
- Erbsenprotein: 55 (hoher Anteil an BCAA und Lysin)
- Hanfprotein: 65 (sämtliche essentielle AS)
- Kombination aus Reis, Erb- und Hanfprotein: Wertigkeit fast 100!
Proteinbedarf im Alter
Ein Problem stellt die Eiweißversorgung bei älteren Menschen dar. Der Gesamt-Energiebedarf sinkt, dabei steigt aber der Bedarf an Aminosäuren [4]. Eiweißmangel bedeutet im Alter:
- Muskelabbau wird begünstigt
- steigende Gebrechlichkeit
- Schwächung des Immunsystem
- Sturz- und Verletzungsrisiko steigt
Daher ist die ausreichende Versorgung mit Proteinen gerade im Alter so wichtig.
Das Immunsystem
Wie aus Abb. 2 zu ersehen ist, besteht unser Immunsystem aus verschieden Bestandteilen.
Die einzelnen Komponenten brauchen Mikronährstoffe, um optimal aufgebaut, regeneriert und funktionstüchtig zu sein sowie immunologische Signalfunktionen übernehmen zu können. Eine zentrale Rolle spielen hierbei die Aminosäuren.
Zentrale Aminosäure für das Immunsystem: L-Glutamin
L-Glutamin dient als Haupt-Bausubstanz und Energiequelle der Immunzellen und der Epithelzellen des Gastrointestinaltraktes. Außerdem bewirkt sie im Immunsystem die Proliferation von Lymphozyten, die Differenzierung von B-Zellen zu Antikörper produzierenden Zellen sowie die Interleukin 1 und 2 Sekretion. Bei einem Infekt steigt somit der Glutamin Verbrauch schlagartig um das 5 – 10 fache [5]. Der Körper holt sich die dafür benötigten Aminosäuren aus dem freien Pool im Blut und vor allem aus den Muskeln, dem größten Speicher für diese Eiweißbausteine. Daher bedeutet jeder Infekt auch einen Verlust an Muskelmasse, wenn nicht genug Eiweiß aufgenommen wird. Wichtig ist hier auch die Zufuhr an verzweigtkettigen Aminosäuren, den so genannten BCAA, da sie gemeinsam mit Glutamin den Muskelabbau verhindern. Glutamin ist außerdem ein wichtiges Energiesubstrat der Darm-Epithelzellen und am Aufbau der tight junctions beteiligt, die für die Integrität der Darmschleimhaut und damit für die Abwehr von Pathogenen und für die Balance unserer Mikrobiota wichtig sind. 70 % der Immunzellen befinden sich im Darm, daher ist ein intaktes Darm-Ökosystem entscheidend für ein funktionierendes Immunsytem [6]. Außerdem spielen Aminosäuren eine wichtige Rolle als Therapieoption zur immunologischen Regulation bei chronischen entzündlichen Prozessen mit Überexpression präinflammatorischer Zytokine [7]:
- Die biologisch aktive Form des L-Methionins ist das S-Adenosyl-Methionin. L-Methionin trägt u. a. zur Downregulation präinflammatorischer Zytokine bei. Methionin dient als Vorstufe für die Synthese der schwefelhaltigen Aminosäuren Cystein und Taurin, die selbst wiederum stark antioxidativ wirken.
- L-Cystein: Durch die Bildung von Disulfidbrücken am Aufbau, der Struktur und der Funktion von Immunzellen beteiligt.
- Die schwefelhaltige Aminosäure Taurin reagiert mit Wasserstoffperoxid (H2O2) und Chlorid zum Prooxidans Taurinchloramin, das freie Radikale „quenched“ und antiinflammatorische Zytokine wie beispielsweise TNF-a in stimulierten Makrophagen herunterreguliert.
- Die Aminosäure Glycin kann die durch Endotoxine bedingte Aktivierung der Kupffer-Zellen inhibieren und die proinflammatorische Zytokinexpression (TNF-a) herunterregulieren.
- L-Lysin: Steigerung der Antikörperbildung, Stärkung der Immunkompetenz, insb. bei Herpes labialis [4].
- L-Arginin: Förderung der Immunzellbildung und Steigerung der NK-Zell Aktivität. Unterstützung des Thymus. Durch Stickstoffmonoxid (NO)-Bildung antimikrobielle Wirkung [8]. (Cave: Bei hoher Dosierung immer in Kombination mit Antioxidantien zuführen).
- Optimal ist die Kombination mit Citrullin.
Prävention bei Sportlern
Wichtig ist eine ausreichende Versorgung mit biologisch hochwertigem Eiweiß über den Tag verteilt. Die Zufuhr von einzelnen Aminosäuren ist je nach Trainingsbelastung sinnvoll, am günstigsten ist die Einnahme direkt nach dem Training bzw. in der so genannten „open-window-Phase“ in den ersten 30 Minuten nach der Belastung. Hier bietet sich z. B. ein Whey-Hydrolysat oder -Isolat Präparat an, möglich ist aber auch die Substitution einzelner Aminosäuren, wie in Tabelle 2 angegeben ist. Bei ersten Infektzeichen istdie Einnahme von zusätzlich 2 x 10 g Glutamin, 2 x 10 g Arginin, 3 g Lysin, 1 g Cystein und 1 g Taurin empfehlenswert, um eine schnelle Immunantwort zu unterstützen. Sinnvoll ist immer die Kombination mit Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen und sekundären Pflanzenstoffen, die als Cofaktoren bei der Verarbeitung der Eiweißbausteine dienen.
Fazit
Für das Immunsystem sind Aminosäuren eine wichtige regulatorische und therapeutische Option. Wichtig ist es, die Eiweißaufnahme zu optimieren und bei Bedarf auch entsprechend höhere Dosierungen zu supplementieren.
Literatur
[1] | K. . Mayer, H.-D. . Walmrath und W. . Seeger, „Ernährung und metabolische Kontrolle bei Sepsis,“ Intensivmedizin Und Notfallmedizin, Bd. 46, Nr. 8, pp. 541-548, 2009. |
[2] | DGE, Zufuhrempfelungen Eiweiß, 2017. |
[3] | K. Pöttgen, T. Hotfiel, Alternative zu NSAR/ Schmerzmittel. sportärztezeitung 03/2018, S.84.89 |
[4] | C. N. u. S. O’Connell, Protein Requirements and Recommendations for Older People: A Review., Nutrients. 2015 Aug; 7(8): 6874–6899., 2015. |
[5] | A. V. Kurpad, The requirements of protein & amino acid during acute & chronic infections, Indian J Med Res. 2006 Aug;124(2):129-48., 2006. |
[6] | M. R. R. u. C. J. Field, The immune modifying effects of amino acids on gut-associated lymphoid tissue, J Anim Sci Biotechnol. 2013; 4(1): 27., 2013. |
[7] | B. K. u. E. L. Pearce, Amino Assets: How Amino Acids Support Immunity, Cell Metab. 2020 Aug 4;32(2):154-175., 2020. |
[8] | S.-H. K. e. a. F. O. 2018 und 8. 67., Impact of l-Arginine Metabolism on Immune Response and Anticancer Immunotherapy, Front Oncol. 2018; 8: 67., 2018. |
[9] | A. Avenell, BAPEN Symposium 4 on ‘Glutamine and antioxidants in critical care’, 2006. |
[10] | U. Gröber, Aminosäuren in Prävention und Therapie, Wissenschafltiche Verlagsgesellschaft, 2020. |
Autoren
ist Fachärztin für Allgemeinmedizin mit Weiterbildungen in Sportmedizin, Ernährungsmedizin, Phlebologie und Akupunktur. Seit 2005 leitet sie ihre Einzelpraxis in Bornheim-Merten. Zusätzlich dazu verfügt sie noch über einen Abschluss Diplom-Sportstudium (DSHS Köln) und ist Beirätin bei VitaminDoctor.