Die primäre Schultersteife ist mit einer Inzidenz von ca 2 % ein häufiges Krankheitsbild. Die Behandlung wird kontrovers diskutiert.
Die Erkrankung tritt gehäuft bei Frauen zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr auf. In dieser Altersgruppe steigt die Inzidenz auf bis zu 5 %. Ein hormoneller Zusammenhang liegt nahe ist jedoch nicht bewiesen. Darüber hinaus ist die primäre Schultersteife die häufigste diabetische Begleiterkrankung des Bewegungsapparates an der oberen Extremität.
Die Behandlung wird kontrovers diskutiert und ist symptomatisch. Die Therapie richtet sich nach der Krankheitsphase. In der initialen akut schmerzhaften Phase muss das Gelenk geschont werden und es kommen Cortisonpräparate zum Einsatz. Frühestens in der zweiten Phase der schmerzhaften Steifigkeit wird die operative Behandlung mit arthroskopischer Synovektomie und Arthrolyse diskutiert. Ein Großteil der Patienten favorisiert allerdings über lange Zeiträume die Fortführung der nichtoperativen Behandlung mit mobilisierenden Eigenübungen und Physiotherapie, so lange Schmerz und Funktionsstörung noch akzeptabel erscheinen. In der 3. Phase der zunehmenden Rückbildung der Bewegungseinschränkung entscheidet sich ein Teil der Patienten bei langen Verläufen für die arthroskopische Arthrolyse. Die meisten Patienten erreichen durch Fortführung der Kapseldehnung letztlich nach durchschnittlich 18 Monaten wieder eine freie, schmerzarme Gelenkfunktion. Geschlossene Mobilisierungen des Schultergelenkes in Narkose sollten infolge unkontrollierter Gewebszerreissungen nicht durchgeführt werden.
Studiendesign
In der vorliegenden Studie wurden insgesamt 503 Patienten mit primärer Kapsulitis erfasst. Durch Zufallsgenerator wurden die Patienten 3 unterschiedlichen Gruppen mit jeweils unterschiedlicher Therapie zugeteilt. Gruppe 1: 201 Patienten, Geschlossene Mobilisierung in Narkose. Gruppe 2: 203 Patienten, Arthroskopische Arthrolyse. Gruppe 3: 99 Patienten, Physiotherapeutische Therapie. Die Patienten der Gruppe 1 und 2 erhielten nach der Narkosemobilisation bzw. Arthrolyse noch über 12 Wochen eine standardisierte physiotherapeutische Nachbehandlung. In allen 3 Gruppen wurden die Patienten zu selbstständigen Eigenübungen angeleitert, die sie ab dem 4. Monat zu Hause in Eigenregie fortführten. 80 % der initial erfassten Patienten führten die Gesamtbehandlung nach den Studienvorgaben durch und konnten zur Auswertung der Ergebnisse herangezogen werden. Die Resultate wurden nach dem Oxford Shoulder Score (OSS) beurteilt, der 12 Fragen umfasst. Die Studienteilnehmer füllten den Fragebogen vor Beginn der OP bzw. konservativen Therapie aus sowie abschließend nach 12 Monaten.
Ergebnisse
Nach 12 Monaten hatte sich in allen 3 Gruppen die Beeinträchtigung durch Schmerzen und Funktionseinschränkung deutlich gebessert. Die besten Resultate mit der höchsten Punktzahl im OSS (Maximum 48 Punkte) erreichte die ASK Arthrolyse Gruppe mit 40,3 Punkten. Patienten mit Narkosemobilisierung erzielten 38,3 Punkte, Patienten mit ausschließlicher physiotherapeutischer Therapie und Eigenübungen 37,2 Punkte. Somit erreichten nach einem Jahr behandlungsunabhängig alle Patienten ein ähnliches, nicht signifikant unterschiedliches Resultat. In den beiden OP Gruppen traten allerdings insgesamt 10 Komplikationen auf, welche die Ergebnisse der OP Gruppen relativieren (2 in der Narkosemobilisierung: Gelenkinfekt, Plexusteilläsion. 8 in der ASK Arthrolyse Gruppe: Apoplex, Plexusläsion, vordere Instabilität, TVT, Hypo und Hyperglykämie, Pneumonie). Unabhängig vom Behandlungsresultat haben die Autoren eine Kosten-Nutzen-Analyse durchgeführt, wobei die Narkosemobilisierung der reinen Physiotherapie und der ASK Arthrolyse überlegen war. Der Vorteil der Narkosemobilisierung war eine schnelle Verbesserung der Funktion mit geringen Kosten und geringer Komplikationsrate. In der Physiotherapiegruppe benötigen die Patienten einen längeren Zeitraum zur Erreichung einer vergleichbaren Funktionsverbesserung. In der ASK Arthrolyse Gruppe waren nicht unerhebliche Komplikationen aufgetreten bei gleichzeitig den höchsten Behandlungskosten.
Fazit
Sofern die Patienten die nötige Geduld aufbringen und sich Schmerzen und Bewegungseinschränkung in einem individuell akzeptablen Bereich befinden, kann auch ohne operative Maßnahmen innerhalb eines Jahres ein vergleichbares Resultat erreicht werden. Zu Bedenken ist die Problemrate bei operativen Behandlungen sowie die individuelle Lebenssituation. Ein Überkopfarbeiter hat sicherlich einen anderen Leidensdruck als ein Patient mit Bürotätigkeit. Zudem sind die Schmerzempfindungen und -resistenzen individuell sehr verschieden, sodass letztlich die Behandlungsplanung auf den Einzelfall abgestimmt werden muss. Die in der Studie beschriebenen guten Resultate der Narkosemobilisation lassen sich nicht auf die Allgemeinheit der Patienten mit einer Schultersteife übertragen. Im Alltag sieht man unterschiedliche Formen der Steife mit steinhartem Anschlag der Kapsel und auch solche mit flexiblem Endgefühl im Kapselmuster. Hochgradige Schultersteifen sind meiner Einschätzung nach unverändert eine Kontraindikation zur geschlossenen Mobilisierung in Narkose, da es zu einer unkontrollierten Gewebszerreissung auch von Anteilen der Rotatorenmanschette bis hin zu Frakturen des Oberarmkopfes kommen kann.
Originalstudie:
doi: 10.1016/S0140-6736(20)31965-6.
Weitere Literatur:
Autoren
ist Facharzt für Chirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie. Seine Schwerpunkte sind Schulterchirurgie und Sporttraumatologie sowie die sportmedizinische Betreuung von Ausdauerathleten. Von 2007 bis 2018 war er leitender Arzt an den ARCUS Kliniken in Pforzheim, aktuell ist er Chefarzt Schulter- Ellenbogenchirurgie an der ATOS Klinik Stuttgart und wiss. Beirat der sportärztezeitung.