Exoskelette sind körpergetragene Strukturen zur Unterstützung bestimmter Bewegungen oder motorischer Aufgaben. Man unterscheidet Exoskelette in Bezug auf ihr Einsatzgebiet, z. B. „medizinisch“ zur Rehabilitation oder als Hilfsmittel bei Menschen mit körperlichen Behinderungen, „industriell“ zur Unterstützung von körperlichen Tätigkeiten, „militärisch“ zur Unterstützung von Tätigkeiten der Streitkräfte und letztlich findet man Exoskelette auch zunehmend im „Consumer“-Bereich.
Dabei variieren sie auch hinsichtlich der unterstützten Körperregionen, wie Rücken, Schultern, Beine, Handgelenke, Nacken oder mehr oder weniger Ganzkörper unterstützende Systeme. Zusätzlich unterscheidet man Exoskelette nach der Art des Unterstützungsmechanismus. Einige sind aktiv und nutzen elektrische, hydraulische oder pneumatische Antriebe, während andere passiv sind. Bei passiven Exoskeletten nimmt eine Feder oder ein Expander eine Kraft auf (z. B. beim Vorneigen des Rumpfes), die es in der unterstützten Bewegungsrichtung (Aufrichtung) wieder abgibt und somit einen Teil der sonst reinen Muskelarbeit übernimmt. Hierunter fallen auch so genannte Softexoskelette, die keine festen Strukturen in ihren kraftleitenden Körperanbindungen enthalten. Hybride Systeme kombinieren passive Kraftunterstützung mit kleinen Stellmotoren, um diese zu aktivieren oder zu regeln.
Die ersten, der auch heute noch verfügbaren kommerziell vertriebenen medizinischen oder industriellen Exoskelette, gibt es seit etwas mehr als zehn Jahren. Aktuell finden sich derzeit weit mehr als 100 Systeme auf dem Markt, die sich alle in Bezug auf ihre möglichen Einsatzgebiete, Eigengewicht, Stärke, Körperschnittstellen, Aufbau und Funktion unterscheiden. Nach der Entscheidung, dass ein Exoskelett für den betrachteten Menschen oder Anwendungsfall eine geeignete Maßnahme darstellt, liegt für Anwendende nun die Herausforderung in der Auswahl des bestgeeigneten Exoskeletts für eine Erprobung.
Exoskelette und junge Leute
Bei körperlich anspruchsvollen Tätigkeiten führen Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE), insbesondere der Wirbelsäule und Schultern, zu einer hohen Anzahl an Fehltagen. Es ist daher dringend geboten, Arbeitnehmende besser zu schützen, besonders angesichts des Fachkräftemangels und einer alternden Belegschaft, was den Bedarf an nachhaltiger Entlastung weiter steigert. Auch wenn die Anzahl MSE-bedingter Arbeitsunfähigkeitstage zwischen dem 30. und dem 60. Lebensjahr fast exponentiell zunimmt, ist davon auszugehen, dass die Ursachen für diese im Alter auftretenden Verschleißerkrankungen bereits schon früher erworben wurden. Eine gute körperliche Verfassung kann dazu verleiten, die eigenen Grenzen zu überschreiten. Junge Mitarbeitende nehmen oft höhere Belastungen auf sich, sei es aufgrund von Selbstüberschätzung oder betrieblichen Erwartungen. Im Alter auftretende Bandscheibenschäden können somit ihren Ursprung bereits sehr viel früher gehabt, weshalb es entscheidend ist, junge Menschen vor hohen Belastungen zu schützen.
Unternehmen suchen verstärkt nach ergonomischen Maßnahmen, um Menschen bei körperlich anspruchsvollen Tätigkeiten zu entlasten. Dieser Trend wird durch eine alternde Belegschaft und den steigenden Mangel an Arbeitskräften befeuert. Wenn die Gefahren gemäß dem (S)TOP-Prinzip des Arbeitsschutzes nicht beseitigt / substituiert werden können und auch technische sowie organisatorische Maßnahmen erschöpft sind oder nicht möglich sind, sind personenbezogene Maßnahmen erforderlich. In diesem Kontext werden in vielen Unternehmen Exoskelette diskutiert und in Betracht gezogen. Um ein realistisches Bild und Verständnis der Wirkweise und Unterstützung von Exoskeletten zu bekommen ist eine verständliche und möglichst erlebbare Aufklärung entscheidend und sollte bereits in der Ausbildung beginnen. Junge Fachkräfte werden dadurch gestärkt, neue Impulse in die Unternehmen mitzubringen und können somit wiederum selbst zu einer Verbreitung neuer Technologien beitragen.
Exoworkathlon: ein Standard für die Erhebung von Exoskelett-Funktionen für die Primärprävention
Wie werden Exoskelette subjektiv empfunden? Wie verändert sich die Tätigkeit? Ist die Tätigkeit subjektiv weniger anstrengend? Ändert sich die Durchführungszeit? Ermüdet man später? Kann man dies leistungsphysiologisch objektivieren? Wirkt sich die Nutzung eines Exoskelettes auf die Durchführungsqualität beim Arbeiten aus? Mit dem Exoworkathlon® ist ein einfach verständliches Studienformat entstanden, das sich für Vertreter diverser Berufsgruppen, Versicherer, Vertreter der BAuA, Ausbilder, Berufsschüler und Hersteller von Exoskeletten so bewährt hat, dass daraus in den nächsten Wochen ein weltweiter Standard (als Standard of Practice der American Society for Testing & Materials international F48 Normungsgruppe) wird. An über 125 Probanden konnte gezeigt werden, dass die Arbeit zwischen 20 – 35 % weniger subjektiv anstrengend ist. Durch 46 Schweißer konnte gezeigt werden, dass bestimmte (vor dem Körper und über dem Kopf) Nähte mit Schulterexoskelett subjektiv 20 % weniger anstrengend durchzuführen sind. Das Herzminutenvolumen nach einer Stunde Schweißen mit Exoskelett ist signifikant geringer als ohne Exoskelett (vermessen mittels Impedendanzkardiographie). Zudem ist die Güte der Schweißlinie signifikant besser. Letzteres erklärt sich damit, dass die Durchführung „länger langsam“ durchgehalten wird. Schweißen ist eine sehr anspruchsvolle Abstimmung aus Grob- und Feinmotorik. Bei Ermüdung und Muskelschmerz droht, dass man die Linie schneller „durchzieht“, damit aber die lokale Temperatur nicht ausreichend für die Schweißgüte ist.
Wer profitiert?
Bei folgenden Berufsgruppen wurden bisher, da trotz STOP-Prinzip „P‘s übrigbleiben“, Exoskelette in Exoworkathlon erfolgreich erprobt: Schweißer, Handwerksberufe im Trockenbau, Kfz-Mechatroniker, Berufe in der Obst und Gemüseernte, Logistik-Werker.
Daumenregel: mindestens eine Stunde monotone physische Tätigkeit pro Tag, dann kann es sich lohnen.
Exo User Survey: Ein neues internationales Studienformat für Langzeiteffekte von Exoskeletten
Degenerieren die Muskeln unter dem Exoskelett, wenn ich lang damit arbeite? Werden benachbarte Regionen kritisch überbelastet und verschiebt sich lediglich das Schadensmuster? Oder bleibt die Zufriedenheit langfristig hoch? Bei Ford USA und Toyota USA konnten in mehrjährigen Versuchen statistisch Krankheitskosten in spezifischen Montagelinien reduziert werden. Im Ford Werk Valencia werden seit über zwölf Monaten Exoskelette dauerhaft genutzt. Ab 30 Grad Umgebungstemperatur überwiegt das Schwitzen und die Exoskelette werden nicht mehr genutzt. Weitere Langzeitergebnisse fehlen. Wie lassen sich Werker prospektiv pseudonymisiert befragen? Wie kann eine kritische Fallzahl erreicht werden für die durch Startups geprägte Firmenwelt? Dazu haben Fraunhofer IPA und Universität Stuttgart Institut IFF den Exo User Survey als prospektive Langzeitstudie geschaffen in Kooperation mit Exoskelett-Herstellern. Werker, die Exoskelette nutzen, können bisher auf Deutsch, Japanisch, Koreanisch, Spanisch, Englisch einen DSGVO-konformen sicheren Web-Fragebogen mehrzeitig ausfüllen. Der Studienstart ist Mai 2024.
Seminarformat „Re-Integration into Work“: präventive Exoskelette zur Sekundär- und Tertiärprävention
Können präventive Exoskelette auch bei Rückenschmerz in der Logistik eingesetzt werden? Gewährleisten dies heute bereits Inverkehrbringer? Gibt es bereits bekannte Fälle? Können Exoskelette zum Behinderungsausgleich eingesetzt werden? Gibt es Lösungen oder was fehlt für die Reintegration in die Tätigkeit nach einem akuten oder chronischen Muskelskelettleiden? Diese Aspekte werden im September 2024 auf dem Rehacare Symposium „Re-Integration into work“ durch Fraunhofer IPA und Universität Stuttgart Institut IFF diskutiert und auf einer Sonderfläche visualisiert. Übrigens: Ab Juni wird ein Expertenteam den Indikationsprozess für Exoskelette für und mit den 17 Inklusionsämtern in Deutschland gestalten.
Autoren
leitet als Arzt den Life Sience-Bereich des Fraunhofer Instituts IPA in Stuttgart. Er lehrt Biomechatronik an der Universität Stuttgart.
,M.SC., forscht am Fraunhofer IPA in Stuttgart als Physiotherapeut und lehrt Orthopädie für Physiotherapeuten.