Die Psychoneuroimmunologie, kurz PNI, verfügt mittlerweile über eine breite empirische Evidenzlage, wenn es um die Frage geht, was den Menschen gesund hält und was ihn krank macht. Somit ist dies auch ein extrem spannendes Feld für die Sportmedizin. Wir sprachen über Schnittstellen, Potenziale und Perspektiven mit Prof. Dr. Dr. Christian Schubert von der Medizinischen Universität Innsbruck und gingen auch der Frage nach, was es mit dem „heilenden Geist“ auf sich hat.
» Herr Professor Schubert, Sie sind Universitätsprofessor an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie der Medizinischen Universität Innsbruck. Dort leiten Sie ein Labor für Psychoneuroimmunologie (PNI). Wie passen PNI und Sportmedizin zusammen bzw. wie können sie voneinander profitieren?
Die Psychoneuroimmunologie, kurz PNI, kann sich mittlerweile einer breiten empirischen Evidenz bedienen, wenn es um die Frage geht, was den Menschen gesund hält und was ihn krank macht. Zahlreiche Studien konnten zeigen, dass das soziale Umfeld eines Menschen, insbesondere emotional nahegehende Beziehungen, wie jene zu den Eltern, Partnern und eigenen Kindern, nicht nur enormen Einfluss auf die psychische, sondern dadurch vermittelt auch auf die immunologische und damit gesamtkörperliche Befindlichkeit eines Menschen haben. Dies ist von enormer Relevanz für die Sportmedizin, da ja auch Sportler Menschen sind, die in emotional bedeutsamen Kontexten leben und damit der ständigen Einflussnahme persönlicher psychosozialer Faktoren ausgesetzt sind. In vielen Fällen sind Ihnen diese Einflussfaktoren gar nicht bewusst. Körper, Seele, Geist und soziale Beziehungen sind untrennbar und dieses ganzheitliche Wissen zu nutzen, eröffnet völlig neue Wege für die sportmedizinische Diagnostik und Behandlung und damit für die nachhaltige Leistungsfähigkeit des Sportlers. Interessanterweise hat die PNI seit ihren Anfängen Mitte der 1970-er Jahre aber auch zeigen können, dass umgekehrt Immunfaktoren, z. B. pro-inflammatorische Zytokine, mit dem Gehirn interagieren und sich im Erleben und Verhalten bemerkbar machen. Ist das zelluläre Immunsystem z. B. durch eine gröbere Verletzung aktiviert, führt dies zu Erschöpfung, Schmerz, Stimmungstief und sozialem Rückzug. Wir sprechen dabei von Sickness Behavior, einem Phänomen, das vom Immunsystem eingesetzt wird, um über ein verändertes Erleben und Verhalten Energie für den Heilungsprozess einzusparen und sich von der Verletzungsquelle fernzuhalten bzw. vor möglichen Infektionen zu schützen. Beschwerden sind so gesehen klug ein-
gesetzte Warnsignale des Organismus und nicht einfach Ärgernisse, die es schnell zu beseitigen gilt. Auch von diesem PNI-Wissen sollte die Sportmedizin daher enorm profitieren können, da selbst bei Mikroverletzungen Immunaktivität bei guter Selbstwahrnehmung wahrgenommen und somit rechtzeitig für Regeneration gesorgt werden kann, bevor es zu spät ist und der Schaden überhandgenommen hat.
» Vom 4. – 6. Oktober 2024 veranstalten Sie in Innsbruck den 4. PNI-Kongress unter dem Motto: Psychoneuroimmunologie im Lauf des Lebens – Der Heilende Geist. Was ist die Idee hinter dem
Kongress, an wen richten Sie sich und welche Rolle kann der Geist denn bei der Heilung von
Erkrankungen spielen?
Die Idee hinter dem Kongress hat schon eine gewisse Geschichte. 2016 veranstalteten wir das erste Mal den Kongress „Psychoneuroimmunologie im Lauf des Lebens“, damals unter dem Motto „Aufbruch in eine neue Medizin“. Wir möchten mit dieser Kongressreihe einen anderen, ganzheitlichen Weg in der medizinischen Kongresslandschaft gehen. Nicht zuletzt dadurch, dass wir genügend Diskussionszeit einräumen. damit das Auditorium in Beziehung treten kann: miteinander, mit dem Referenten und mit dem Thema. Debatten sind ausdrücklich erwünscht. Ich erinnere mich noch gut an unseren ersten Kongress, wie die Leute teils lautstark für ihre Sache eintreten konnten. Das ist Wissenschaft. Kein Dogma, kein wissenschaftlicher Elfenbeinturm, jeder Referent stellt sich der Auseinandersetzung, teils auch mit Nicht-Wissenschaftlern, mit Klinikern, die täglich in der Praxis stehen und sich durchaus oft darüber wundern, was ihnen da die mechanistisch-reduktionistische Wissenschaft an Evidenz vorgibt, die dann in Leitlinien gegossen wird. Es gibt noch so viel zu tun, bis wir eine wirklich ganzheitliche Sichtweise in der Medizin etabliert haben. Und so hatte dann 2018 der 2. Kongress PNI im Lauf des Lebens das Motto „Das Unsichtbare hinter dem Sichtbaren“. Dabei ging es besonders um das Unbewusste in der PNI. Endlich, möchte man sagen, denn allzu oft werden solche komplexen Themen von der mechanistischen Mainstream-Psychologie verdrängt. 2022 folgte dann unser 3. PNI-Kongress „Gesundheitselixier Beziehung“, bei dem es, wie der Titel schon sagt, um den mächtigen Einfluss der sozialen Beziehungen auf das Immunsystem ging. Diesen Herbst findet nun der 4. Kongress „Psychoneuroimmunologie im Lauf des Lebens statt, er trägt das Motto „Der Heilende Geist“.
» Können Sie uns auch einen kleinen inhaltlichen Einblick über die Themen und die Ausrichtung geben?
Gerne. Die PNI hat über die Jahrzehnte ihres Schaffens deutlich zeigen können, dass die geistige Aktivität des Menschen eine entscheidende Rolle nicht nur für die Erhaltung von Gesundheit, sondern auch bei der Heilung von Erkrankungen spielt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch gerne von Mind-Body-Medizin. Auf dem Kongress werden wir uns mit unterschiedlichen Bereichen beschäftigen, die den Zusammenhang zwischen Mind-Body-Medizin und PNI betreffen. Wie etwa sehen die physiologischen und immunologischen Prozesse aus, die der Geist einsetzt, um Heilungsvorgänge zu unterstützen? Welche Rolle spielt dabei die Außenwelt, beispielsweise der Behandler und die individuelle Bedeutung, die der Patient dem Behandler und der Intervention zuschreibt. Hiermit eng verbunden sind Begriffe wie Placebo und Nocebo, auch deren psychoimmunologischen Wirkmechanismen werden wir im Rahmen unseres Kongresses auf den Grund gehen. Weiterhin werden wir uns der Frage zuwenden, warum Mitgefühl und Empathie wesentlich sind, wenn es um die Heilkraft des Geistes geht, und wie diese Emotionen neurobiologisch verankert sind. Zwei störungsspezifische Themenschwerpunkte werden im Kongressprogramm immer wieder aufscheinen: Die Darm-Hirn-Achse sowie die Alzheimer-Erkrankung. Und wie immer bei unseren Kongressen darf auch die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen nicht fehlen: Lassen sich die vielen neurobiologischen Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte nicht nur für die Gesundheit des Menschen nutzen, sondern auch gegen sie einsetzen? Wie ist es überhaupt um unserer Gesellschaft im Gesamten bestellt? Ist sie womöglich erkrankt? Wenn ja, woran? Und kann sie durch die Kraft unseres Geistes geheilt werden? Dabei komme ich schon zu einem weiteren Highlight unserer Kongressreihe: Der Kunst, und hierbei insbesondere der Musik. Mir ist es als Musikfreak gelungen, Stefan Betke aka Pole nach Innsbruck auf unseren Kongress einzuladen. Er ist eine der prägendsten Figuren der deutschen Elektronikmusikgeschichte und ich freue mich sehr auf seinen Auftritt im Congress Innsbruck.
» Das sind Themen, die auch eine gesellschaftliche Relevanz haben. Welche Rolle geben Sie der PNI auch perspektivisch in der Medizin (und Sportmedizin) und in der Gesellschaft bzw. was wünschen Sie sich und was sehen Sie als realistisch für die nahe Zukunft an?
Die PNI kann als empirische Realisation des biopsychosozialen Modells angesehen werden, einer Mitte der 1970er Jahre entwickelten Sichtweise, die einen Paradigmenwechsel in der Medizin einläutete. Weg vom Bild des Menschen als Maschine, hin zu einer ganzheitlichen Sichtweise, in der der Mensch in seine Umgebung untrennbar eingewoben ist und wo höher komplexe Entitäten wie Psyche, Soziales und Kulturelles in der medizinischen Sicht wirkmächtiger sind als stoffliche Entitäten wie Gene, Moleküle und Zellen. Leider sind wir noch längst nicht am Ziel angekommen, wie uns insbesondere die letzten drei Pandemiejahre zeigten, in denen man vergeblich versucht hat, den Menschen mit rein technischen und linearen Maßnahmen vor Infektionen zu schützen. Ich würde mir wünschen, dass wir als Gesellschaft dem reduktiven Materialismus in Menschenbild und in der Art, wie wir unser Leben leben, abschwören. Es ist falsch, zu glauben, dass man Körper, Geist und Seele voneinander trennen kann und es ausreicht, in der medizinischen Forschung, die kleinsten Bausteine des Menschen zu untersuchen, um Gesundheit und Krankheit zu verstehen. Und es ist auch falsch, alles und jedes – selbst den Menschen – zu Geld zu machen und das Geld wie ein Heiligtum anzubeten. Spätestens am Ende des Lebens wird den meisten bekanntlich klar, dass der Sinn im Leben in den emotional bedeutsamen Beziehungen liegt, für die man sich Zeit nehmen sollte, solange es geht.
Vielen Dank für das interessante Gespräch.
KONGRESS-TIPP
4. PNI Kongress 2024
Psychoneuroimmunologie im Lauf des Lebens – Der Heilende Geist
4.-6.10.2024 Innsbruck
www.psychoneuroimmunologie-kongress.at/
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Autoren
ist Arzt, Klinischer und Gesundheitspsychologe und Ärztlicher Psychotherapeut. Er ist Universitätsprofessor an der Klinik für Psychiatrie,
Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie der Medizinischen Universität Innsbruck. Dort leitet er ein Labor für Psychoneuroimmunologie. Sein wiss. Schwerpunkt ist die Entwicklung eines Forschungsansatzes zur Untersuchung von psychosomatischer Komplexität („Integrative Einzelfallstudien“). Seine therapeutische und wiss. Expertise wird auch im Leistungssport genutzt (u. a. Deutsche Fußball-Bundesliga, Deutsche Eishockey Liga).
ist Chefredakteur der sportärztezeitung.