Muskuläre, wie muskulo-tendinöse Verletzungen gehören zu den häufigsten Pathologien bei Teamsportarten mit schnellkräftigen Bewegungen in gewissen Spielsituationen. Hier ist vor allem der Sprint im Fußball mit den Muskelfaserrissen in der hinteren Oberschenkelmuskulatur zu nennen (VBG Sportreport 2021). Aber auch der American Football zeichnet sich durch Höchstbelastungen für Muskel- und Sehnengewebe aus, z. B. bei den Sprints der Running Backs oder dem Stören des gegnerischen Quarterbacks durch die Defensive Line.
Bei letztgenannter Spielsituation müssen die Defensive Ends beim so genannten Pass Rush schnellstmöglich den Quarterback des gegnerischen Teams am Spielaufbau hindern oder im Idealfall zu Fall bringen („Sack“) bzw. den Laufweg des Running Backs blockieren. Die Defensive Ends sind in der Regel groß und schwer. Trotzdem müssen sie für ihre Hauptaufgabe im Spiel enorm schnell sein. Dementsprechend muss eine große Masse von gerne mal 120 kg maximal beschleunigt werden. In unserem Fall ist der Spieler 194 cm groß, 115 kg schwer und läuft die 40 Yards (ca. 37 m) auf 4,8 Sekunden. Im aktuellen Fall stellen wir ein multimodales Therapiekonzept bei einem Muskelbündelriss vor, welches zu einer schmerzfreien Rückkehr in den Wettkampfsport nach nur fünf Wochen führte. Hier ist wie immer die Interindividualität eines jeden Patienten zu beachten. Zusätzlich führt die im Vergleich zu anderen Teamsportarten sehr kurze Saison im American Football, hier der European League of Football (ELF), zu einem gewissen Erfolgsdruck.
Fallvorstellung
Mitte Juli zog sich der 27-jährige Defensive End der Hamburg Sea Devils bei Sprintschritten im Saisonspiel (4. Viertel) einen Muskelbündelriss des medialen Gastrocnemiuskopfes zu. Die sehr kurze 3-monatige Regular Season der ELF zur Qualifikation für die Play-offs hatte zu dem Zeitpunkt ungefähr Halbzeit. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte der Spieler ohne nennenswerte Einschränkungen und Verletzungen am Trainings- und Spielbetrieb teilnehmen. Weiterhin gab es bis dato keine Verletzungen der Wadenmuskulatur.
Diagnostik
Die posttraumatisch durchgeführte MRT-Untersuchung des linken Unterschenkels zeigte ein kräftiges, hemizirkumferentes mediales Flüssigkeitsdepot entlang der oberflächlichen Soleusfaszie. Der mediale Gastrocnemiuskopf zeigte eine Flüssigkeitsdurchtränkung und ein umschriebenes Hämatom von 12 x 29 mm. Zusätzlich zeigte sich eine flächenhafte Flüssigkeitslamelle, die bis an die vordere Schienbeinkante reicht. Am inferioren Rand des Hämatoms, auf Niveau des mittleren Tibiaschaftdrittels, zeigte sich der retrahierende Sehnenkern des medialen Gastrocnemiuskopfes (Abb. 1 + 2).
Der Patient gab bei der klinischen Untersuchung einen deutlichen Dehn- und Druckschmerz an. Die periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität waren intakt. Eine Woche nach der MRT-Untersuchung wurde ein erster Kontroll-Ultraschall durchgeführt. Hier zeigte sich keine durchgängige Muskelfiederung des medialen Gastrocnemiuskopfes mit nur noch leichtem Erguss, während sich die Elastografie unauffällig darstellte. Weiterhin wurde zur Verlaufskontrolle alle sieben Tage ein Ultraschall durchgeführt (Abb. 3 – 5). Bei jedem Termin wurde zudem die Temperatur zur Gegenseite gemessen (Delta T) und die Visuelle Analogskala (VAS) zur Quantifizierung der Schmerzen erfragt.
Therapie
Das multimodale Behandlungskonzept umfasste folgende Bausteine:
In der Akutphase (Delta T > 1,2°C, VAS > 4, deutlicher Dehn- und Druckschmerz):
- Anlage eines Zinkleimverbandes
- Versorgung mit einer Wadenmuskelbandage zur Kompression und Stabilisierung
- Neuroreflektorische hyperbare CO2-Kryotherapie (direkt auf die Läsion und im Verlauf der abfließenden Lymphgefäße, 4 x /Woche)
- Radiale Stoßwellentherapie (vorsichtig direkt auf die Läsion und im Verlauf der abfließenden Lymphgefäße, 4 x /Woche)
- Induktionstherapie (Kapillarisierungsprogramm, 4 x /Woche)
In der Subakutphase (Delta T < 1,2°C, VAS ≤ 4, leichter Dehn- und Druckschmerz):
- Neuroreflektorische hyperbare CO2-Kryotherapie (direkt auf die Läsion und im Verlauf der abfließenden Lymphgefäße, 4 x/Woche)
- Radiale Stoßwellentherapie (vorsichtig direkt auf die Läsion und im Verlauf der abfließenden Lymphgefäße, 4 x/Woche)
- Induktionstherapie (Kapillarisierungsprogramm, 4 x/Woche)
- Neuromuskuläre Elektrostimulation des M. gastrocnemius (Atrophieprogramm, 2 x/Woche) aktiv exzentrisch auf Stufe
In der subklinischen Phase (Delta T < 0,8°C, VAS 1 – 2, kein Dehn- und Druckschmerz):
- Alter G Anti-Schwerkraft-Laufband (hoher Einstieg Geschwindigkeit bis 16 km/h, 50 % KG, 2 x/Woche)
- Neuromuskuläre Elektrostimulation des M. gastrocnemius (Atrophieprogramm, 2 x/Woche) aktiv exzentrisch auf Stufe
- Radiale Stoßwellentherapie (direkt auf die Läsion und im Verlauf der abfließenden Lymphgefäße, 4x/Woche)
- Beginn American Football Training (mit Tape / Wadenmuskelbandage) mit Cutting-Manövern, Antrittsläufen etc.
Ziel dieses Behandlungskonzepts war es, zunächst schmerzlindernd und Erguss mindernd zu therapieren sowie die lokale Stoffwechsellage zu verbessern. Im Anschluss erfolgte die funktionelle Therapie, um die Anforderungen an die Wadenmuskulatur eines Defensive End möglichst gerecht zu werden und nachzustellen.
Klinisch-morphologischer Verlauf
Die Beschwerden hatten sich bereits nach ca. einer Woche spürbar verbessert, sodass die Intensität der Radialen Stoßwelle sukzessiv erhöht werden konnte (Erhöhung des Drucks von 1,5 bar bis 2,5 bar). Gleichzeitig wurde im Kontroll-Ultraschall nach 7 Tagen ein deutlich rückläufiger Erguss dargestellt. Nach 12 Tagen post Trauma konnte bereits zusätzlich mit exzentrischer Beübung der Wadenmuskulatur gestartet werden. Die Intensität wurde hier zwischen den Therapieeinheiten fortlaufend angepasst. D. h. auch, dass die Intensität bei deutlich spürbarem Muskelkater verringert wurde. 16 Tage nach dem Trauma begann der Patient mit der Therapie auf dem Alter G Anti-Schwerkraft-Laufband, dies wurde abwechselnd mit dem NMES gesteuerten, exzentrischen Training durchgeführt. Während die Kryotherapie mit Abschluss der Subakutphase nicht mehr angewandt wurde, blieb die Radiale Stoßwellentherapie grundsätzlich Bestandteil der Therapie und wurde nach der aktiven Beübung des Patienten angewandt. Die sonografischen Untersuchungen zeigten fortlaufend eine Reduktion des Ergusses. 4 Wochen nach dem erlittenen Trauma war der Patient zum ersten Mal schmerzfrei. Weitere 5 Tage später und 2 Tage vor dem bevorstehenden Liga-Spiel erhielt der Patient die Freigabe, (mit Weiß-Tape zur Kompression) spielen zu dürfen. Entscheidungskriterien waren hier der nicht mehr vorhandene Dehn- und Druckschmerz, die fast durchgängig gezeichnete Muskelfiederung sowie nur noch ein leicht darstellbarer Resterguss in der Sonografie. Der Patient konnte sowohl das Wettkampfspiel, als auch das Training am darauffolgenden Tag ohne Beschwerden absolvieren.
Fazit
Der beschriebene Fall zeigt uns, dass ein multimodales Therapiekonzept in Zusammenhang mit einer engmaschigen Kontrolle sowie einer adaptierten Therapie- und Belastungssteuerung eine zielführende Behandlung bei muskulo-skelettalen Verletzungen sein kann. Dies zeigte sich, neben der klinischen Untersuchung und dem subjektiven Empfinden des Patienten, ebenfalls in den bildgebenden Verfahren. Dabei wurde grundlegend auf ein nicht-invasives und medikamentenfreies Behandlungskonzept gesetzt, was die Compliance des Patienten zusätzlich positiv beeinflussen kann. Bis heute zog sich der Patient keine Rezidivverletzung zu und konnte alle Spiele der restlichen Saison zu Ende spielen.
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie, Chirurgie und Unfallchirurgie, Sportmedizin und Notfallmediziner. Er ist leitender Arzt der orthopädischen Privatpraxis Sporthopaedic Hamburg und Head of Medical Commission der European League of Football (ELF).