Aktuell werden in Deutschland ca. 35.000 Kinder und Jugendliche pro Jahr einer Reha-Maßnahme zugeführt. Asthma Bronchiale, Adipositas, aber auch psychische Erkrankungen sind die häufigsten Indikationen, um eine Rehabilitation einzuleiten. Bei den Maßnahmen handelt es sich nicht um so genannte Mutter-Kind-Kuren, sondern es steht ganz klar die medizinische Problematik der Kinder im Vordergrund.
Ziel der Reha für Kinder und Jugendliche ist die Beseitigung von gesundheitlichen Einschränkungen, um ihnen so die Teilhabe an der Schule und die Möglichkeit einer Ausbildung zu sichern. Früher gestaltete es sich teilweise sehr komplex, eine Rehamaßnahme für jugendliche Patienten „durchzuboxen“. Im Jahr 2016 wurde dann das Flexirentengesetz verabschiedet, wodurch viele Dinge im Rehabereich spürbar erleichtert wurden. Durch das neue Gesetz wurde die Kinder- und Jugend-Reha eine Pflichtleistung der deutschen Rentenversicherung, der Indikationskatalog fiel weg und auch der Vierjahreszeitraum, bis eine Neubeantragung möglich ist. Außerdem wurde es durch das Flexirentengesetz möglich, auch Kinder und Jugendliche ambulant zu rehabilitieren. Der Bedarf und Wunsch der Patienten ist hierbei für die Entscheidung, ob ambulant oder stationär, entscheidend.
Ambulante Kinder- und Jugendlichen-Rehabilitation
Wie sieht das Setting für die ambulante Rehabilitation konkret aus? Grundsätzlich muss sich auch die ambulante Rehabilitation an den stationären Standards orientieren, sodass z. B. ein hauptamtlich angestellter Pädiater gefordert wird. Da es momentan nahezu keine ambulanten Einrichtungen gibt, die ausschließlich Kinder behandeln und es, allein aufgrund der Patientenzahlen, wirtschaftlich nicht möglich ist, sich neben der „normalen“ indikationsspezifischen Fachärzten in der Rehabilitation auch einen hauptamtlichen Pädiater zu leisten, stellt diese Forderung einen sehr großen Hemmschuh für die ambulante Kinder- und Jugendlichen Rehabilitation dar. Wenn, dann ist dies im Bereich der Adipositas oder psychosomatischer Erkrankungen möglich. Für unsere Einrichtung, ambulante orthopädische und neurologische Rehabilitation, haben wir daher mit der DRV ein Modellprojekt für die ambulante Jugend-Reha gestartet. Kinder unter 14 Jahren werden (zunächst) ausgeklammert, um Probleme mit der Aufsichtspflicht auf dem Weg zu Reha und während des Tagesablaufs zu vermeiden. Um dem pädiatrischen Gedanken gerecht zu werden, müssen die Jugendlichen mit Beginn der Rehabilitation entweder von ihrem behandelnden Pädiater oder einem pädiatrischen Kollegen, der mit unserer Reha-Einrichtung kooperiert, die internistische Reha-Fähigkeit bescheinigt bekommen. Bei den orthopädischen Indikationen dominieren neben den Skoliosen, die u. a. nach Katharina Schroth behandelt werden, die Sportverletzungen, z. B. Patienten nach vorderer Kreuzbandplastik. Gerade für diese Patienten ist das ambulante Setting ideal, da nach einer initialen ganztägigen Rehabilitation zeitnah auf einen Modus mit 2 – 4 mal pro Woche 2 – 3-stündiger Behandlung gewechselt wird, die Intensität der Therapie orientiert sich hier auch an der schulischen Belastung der Jugendlichen. Auch wenn der Unterricht auch in der stationären Rehabilitation gesichert wird, ist es für die Jugendlichen auch mental von großem Vorteil, wenn sie weiterhin in ihrer Familie, ihrem Klassenverband und ihren sozialen Gruppen bleiben können. Für viele wird dadurch die Hemmschwelle, eine Rehabilitation überhaupt zu beantragen, deutlich erniedrigt. Die Expertise, die unsere Einrichtung sowohl auf dem orthopädischen als auf dem neurologischen Fachgebiet besitzt, ermöglicht es uns zudem, eine ambulante Rehabilitation auch für komplexere neue orthopädische Erkrankungen, wie z. B. infantile Cerebralparesen oder Meningomyelozelen anzubieten. Wohnortnah können hier Mutter oder Vater die Therapie begleiten, um dem Jugendlichen zum einen die Angst vor dem neuen Umfeld zu nehmen und zum anderen selbst in Therapiemöglichkeiten angeleitet zu werden.
Ablauf der Reha
Wie bei jeder Rehabilitation ist der erste Programmpunkt für den Patienten immer die ärztliche Aufnahmeuntersuchung. Hier wird nach ausführlicher Anamnese und gründlicher Untersuchung des gesamten Patienten, dessen Problemlage erfasst und gemeinsam mit ihm das Ziel der Rehabilitation festgelegt. Anhand des Zieles wird dann gemeinsam der Therapieplan individuell erstellt. Die Ziele können hierbei ganz unterschiedlich sein. Je nach Ausgangslage des Patienten möchte beispielsweise der verletzte jugendliche Leistungssportler die vollständige Wiederherstellung seiner sportlichen Leistungsfähigkeit und Rückkehr auf das ursprüngliche Leistungsniveau, während eventuell die Mutter des mehrfach behinderten Kindes die Rehabilitation bereits als erfolgreich bewertet, wenn die Pflege des Kindes erleichtert wird, in dem z. B. ein reduzierter Tonus der Adduktoren das Wechseln der Windeln wieder besser möglich macht.
Im Rahmen der Rehabilitation sollen die Jugendlichen möglichst getrennt von den Erwachsenen therapiert werden, was sowohl Umkleidekabinen, das Gerätetraining aber auch Gruppentherapien betrifft. Da die Anzahl der jugendlichen Rehabilitanden (noch) überschaubar ist, werden dadurch Gruppenbehandlungen maximal erschwert. Die Patienten werden daher überwiegend individuell im eins zu eins Kontakt behandelt, sowohl in der Physiotherapie, als auch beim Sport. Zudem gilt es, Therapieformen zu finden, welche die Motivation und Begeisterung der jugendlichen Patienten für die Behandlung fördern. Hierfür wird neben klassischen Therapieformen wie Physiotherapie oder Gerätetraining z. B. auch mit Tischtennisplatte oder einer Wii mit Balance Board gearbeitet. Neben der klassischen Therapie geht es im Rahmen der Rehabilitation auch um die Schulung der Patienten, insbesondere bei chronischen Krankheiten wie z. B. einer Skoliose muss auch das Wissen um das Krankheitsbild gefördert werden. Um auch die Akzeptanz der Krankheit bzw. der Patienten in ihrem Umfeld zu fördern, bieten wir in diesem Rahmen auch Vorträge im Rahmen des Schulunterrichts in der Klasse der Patienten an, wenn dies von den Jugendlichen gewünscht wird.
Durch die mögliche Individualisierung in der Jugend-Reha ist es zum einen sehr gut möglich, bei chronischen Krankheitsbildern die Therapiedauer in die Länge zu ziehen, umso nachhaltig Erfolge zu erzielen, aber auch Verhaltensänderungen zu bewirken und diese im Alltag zu festigen. Zum anderen ist es, beispielsweise bei frisch operierten Sportverletzungen möglich, in einem relativ kurzen Intervall schulbegleitend und trotzdem hochintensiv zu therapieren. Gerade bei Sportverletzungen ermöglicht die ambulante Rehabilitation vielen Patienten erst die Option einer Rehabilitation, da diese sonst, bei wohnortferner Behandlung, oft nicht auf die Idee zur Rehabilitation gekommen wären.
Fazit
Insgesamt ist die ambulante Jugend-Reha ganz klar ein Erfolgsmodell, das weitere Nachahmer finden sollte, um flächendeckend ambulante Versorgung zu ermöglichen. Von den Kostenträgern sollte der Zugang der Therapieeinrichtungen zur Jugend-Reha erleichtert werden, z. B. ist das Vorhalten eines Pädiaters fachspezifischer Erkrankungen unbedingt zu hinterfragen.
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie mit den Zusatzbezeichnungen Sportmedizin, Chirotherapie, Akupunktur und Sozialmedizin. Er ist leitender Arzt der Reha-Zentren in Bietigheim-Bissingen, Crailsheim und Pforzheim-Birkenfeld mit Privatpraxis (www.drlukas.de). Er ist Mannschaftsarzt der Hakro Merlins Crailsheim, 1. Vorsitzender der Deutschen Basketballärzte e.V. (BasketDocs), Verbandsarzt des BBW und wiss. Beirat der sportärztezeitung.